Olaf Kaltmeier Im Widerstreit der Ordnungen Zugänge zur Moderne Herausgegeben von Armin Nossehi Zugänge zur Moderne Wenn es einen wissenschaftlichen Sinn hat, von "Mo derne" zu reden, dann ist es dieser: unter gesellschaft lichen Bedingungen und kulturellen Voraussetzungen zu leben, die sich selbst zum Thema und zum Problem ge worden sind, in einer Weit zu leben, in der jeder Stand punkt als Standpunkt sichtbar wird und in der sich der Verlust von und die Suche noch archimedischen Ge wißheiten gegenseitig steigern. Zweifellos ist die "Mo derne" damit sowohl Gegenstand als auch Erfindung der Sozialwissenschaften - ein Projekt, das exakt da durch entsteht, daß man es sucht. Die Reihe "Zugänge zur Moderne" versammelt Arbei ten aus verschiedenen sozialwissenschaftliehen Diszipli nen, die in zweifacher Weise einen Zugang zur Mo derne suchen: Sie hoben jenes radikal immanente, selbstbezügliche, nicht mehr von außen wahrnehmbare, sich ollen Versuchen eindimensionaler Interpretation entziehende Zeitalter zum Gegenstand. Und sie muten sich ebenso radikal immanente und selbstbezügliche Betrachtungsweisen und Methoden zu, wie es ihr Ge genstand erzwingt Olaf Kaltmeier Im Widerstreit der Ordnungen Kulturelle Identität, Subsistenz und Ökologie in Bolivien Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Armin Nassehi ~ Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Deutsche Bibliothek - ClP-Einheitsaufnahme Kaltmeier, Olaf: Im Widerstreit der Ordnungen : kulturelle Identităt, Subsistenz und Okologie in Bolivien / Olaf Kaltmeier. Mit einem Geleitw. von Armin Nassehi. (DUV : Sozialwissenschah) (Zugănge zur Moderne) ISBN 978-3-8244-4346-8 ISBN 978-3-663-10327-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-10327-1 Alle Rechte vorbehalten © Springer Fochmedien Wiesboden 1999 UrsprOnglich erschienen bei Deutscher Universităts-Veriag GmbH, Wiesbaden, 1999 Lektorot: Claudia Splittgerber / Cornel ia Reichenbach Dos Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages un zulăssig und strafbar. Dos gilt insbesondere fur Vervielfăltigun gen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. http://www.duv.de Hăchste inhaltliche und technische Qualităt unserer Produkte ist unser Ziei. Bei der Produktion und Verbreitung unserer Bucher wollen wir die Umwelt schonen. Dieses Buch ist deshalb auf săurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die Ein schweiBfolie besteht aus Polyăthylen und damit aus organischen Grundstoffen, die weder bei der Herstellung noch bei der Verbrennung Schadstoffe freisetzen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Ge setzgebung als frei zu betrachten wăren und daher von iedermann benutzt werden durften. ISBN 978-3-8244-4346-8 Geleitwort Es gehört zu den blinden Flecken der Sozialwissenschaften, moderne und vormoderne Zustände zum einen begrifflich und analytisch genauer zu separieren, als es gesell schaftlicher Praxis oft entspricht, zum anderen das eine als Vorstufe des anderen anzu setzen, wie der Begriff schon durch sich selbst verrät. Sicher ist dies nicht falsch, und es lassen sich fiir solche Entwicklungslinien allerlei Plausibilitäten anfUhren. Daß die Verhältnisse aber nicht gar so einfach sind, zeigt sich spätestens dann, wenn sich un terschiedliche historische Entwicklungsphasen (sie!) in historischer Gleichzeitigkeit begegnen. Einen solchen Fall schildert Olaf Kaltmeiers Arbeit, die in dem boliviani schen Kolonisationsgebiet Yapacani nicht eine Konfrontation zwischen einem frühen und einem entwickelten Stadium präsentiert, sondern zwei unterschiedliche Muster der Vergesellschaftung, die bisweilen in unversöhnlichem Widerstreit miteinander liegen. Was die übliche historische Perspektive durch die Zeitdimension auflöst -frühes und spätes Stadium begegnen sich gleichzeitig -, wird hier in die Sachdimension verscho ben. Modeme und -nicht Vormodeme, sondern -Andine werden als zwei unterschied liche Diskursformationen vorgestellt, zwischen denen aufgrund inkompatibler Praxen ein Widerstreit im Sinne Lyotards herrscht, der bekanntlich nicht auf einer höheren Ebene versöhnt werden kann. Sobald die eine in die andere Diskursformation ein dringt, muß der (im Hinblick auf politische und ökonomische Macht und im Hinblick auf technologische Überlegenheit) Schwächeren Seite fast notwendig Gewalt angetan werden. Diese Prozesse zeichnet Kaltmeier sowohl theoretisch als auch empirisch nach und vermag es damit, bisweilen schwer zugängliche theoretische Postmodemismen durch empirische Anschauung mit erheblichem Plausibilitätsgewinn zu versehen. Kaltmeiers Strategie ist es, den Beobachter sichtbar zu machen, seine -auch: seine ei genen -Kategorien offenzulegen und die Beschreibung der Praxis selbst als Teil dieser Praxis zu verstehen. Die Stärke seiner Arbeit liegt darin, dies auch dort durchzuhalten, wo von "Lösungen" die Rede ist, die sich keinem "Entweder-oder" fiigen, sondern nach Hybriden verlangen, die weder "modem", noch "andin" sind, sondern beides oder nichts davon, wie auch immer. Selten trifft man auf Arbeiten, die sowohl theoretisch als auch empirisch so gesättigt sind wie diese. Ich erhoffe ihr interessierte Leserinnen und Leser. Armin Nassehi Danksagung An erster Stelle möchte ich meinen Eltern, Wemer und Angelika Kaltmeier, für die kontinuierliche Unterstützung danken. Als Fremder bin ich nach Bolivien gekommen und dort auf Menschen gestoßen, die mir die von den mir bekannten so verschiedenen, bolivianischen Realitäten näher brachten. Stellvertretend für viele möchte ich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der bolivianischen Nichtregierungsorganisation CEPAC nennen: Remberto, Felix, Vict6r, Widen, Nancy, Femando, Teodoro, Cecilia, Braulio, Demetrio, Pablo und Manuel. Beeindruckend waren die Gespräche mit Lorenzo, dessen philosophischen Gedanken und Praktiken mich auch weit über den Rahmen dieser Arbeit hinaus prägten. Sylvia Saldarriga hat mich bei der Erstellung der Karten und Abbildungen mehr als unterstützt. Michael Rarnminger half mir beim Textlayout sowie bei der Bewältigung technischer Probleme. Norbert Germann, Jens Oliver Pommeranz, Sabine Portmann, Astrid Waltermann, Allnette Massmann und KatWen Lizärraga danke ich für deren scharfen Blick und die inhaltlichen Anmerkungen bei der Korrektur der Arbeit. Herrn Professor Dr. Armin Nassehi möchte ich für die Betreuung dieser Arbeit und sein Interesse danken. Olaf Kaltmeier Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ................................................................................................................ 1 I Differenz von Ordnungsrastern am Beispiel von Moderne und Andine 1 Ordnung als Selektion und Exklusion ................................................................. 5 1.1 Das Sagbare .......................................................................................................... 9 1.2 Das Wahrnehmbare ............................................................................................ 11 1.3 Das Machbare .................................................................................................... 13 2 Strukturierung von Ordnungsrastern ............................................................... 15 2.1 Normalisierung und Normierung ....................................................................... 16 2.2 Inkorporierte Ordnung ....................................................................................... 18 3 Die Positionierung des Intellektuellen -Teil ! ................................................... 20 3.1 Das Problem der Wahrheit ................................................................................. 21 3.2 Das Ende der (einen) Geschichte ....................................................................... 26 4 Moderne ................................................................................................................ 28 4.1 Modern-rationalistischer Subjektivismus ........................................................... 30 4.2 Modern-kapitalistische Ökonomie ...................................................................... 38 4.3 Modernes Fortschritts-und Entwicklungsdenken .............................................. 45 4.4 Modernes Raumverständnis ............................................................................... 50 5 Andine ................................................................................................................... 58 5.1 Das andine Personenkonzept .............................................................................. 60 5.2 Andine Ökonomie ................................................................................................ 65 5.3 Andines Zeitverständnis ...................... :. .............................................................. 72 5.4 Andines Raumverständnis ................................................................................... 76 IX II Ordnungsraster im Widerstreit 1 Widerstreit und Gewalt ...................................................................................... 83 2 Die Positionierung des Intellektuellen-Teil 11 ................................................. 88 2.1 Die Krise der ethnographischen Repräsentation ............................................... 88 2.1.1 Die interpretative Wende ..................................................................................................... 89 2.1.2 Postmoderne Positionen ...................................................................................................... 90 2.1.2.1 Dialogische Konstitution ..................................................................................................... 94 2.1.2.2 Textuelle Konstruktion ......................................................................................................... 95 2.1.2.3 Machttheoretische Reflexion ............................................................................................... 97 2.2 Der Intellektuelle als Grenzgänger und Genealoge ......................................... 100 3 Epistemologische Gewalt .................................................................................. 103 4 Polit-ökonomische Gewalt ................................................................................ 108 5 Ökologische Gewalt ........................................................................................... 115 6 Institutionelle Gewalt ........................................................................................ 119 111 Moderne und Andine im Widerstreit: Das Fallbeispiel Yapacani 1 Problemstellung ................................................................................................. 123 1.1 Vorgehensweise ................................................................................................ 124 2 Historischer Abriß ............................................................................................. 127 2.1 Die spanische Conquista .................................................................................. 127 2.2 Das spanische Kolonialsystem ......................................................................... 128 2.3 Die bolivianische Republik ............................................................................... 130 2.4 Die nationale Revolution von 1952 .................................................................. 131 3 Die Kolonisationspolitik .................................................................................... 133 3.1 DerpolitischeDiskurs ...................................................................................... l36 3.2 Der demographische Diskurs ........................................................................... 137 3.3 Der ökonomische Diskurs ................................................................................. 138 X 4 Kurze Geschichte der Kolonisation in Yapacani ............................................ 140 4.1 Die Siedlungsstruktur ....................................................................................... 141 4.1.1 Die Faja Centra/ ................................................................................................................ 142 4.1.2 DieFajaNorte ................................................................................................................... 142 4.1.3 DieFajaSur ...................................................................................................................... 143 4.2 Die ökologischen Gegebenheiten ..................................................................... 144 4.3 Das Untersuchungsgebiet ................................................................................. 146 5 Epistemologische Gewalt .................................................................................. 147 5.1 Sprache ............................................................................................................. 150 5.2 Die Rolle der Frau ............................................................................................ 152 5.3 Der Arbeitsbegriff ............................................................................................ 154 5.4 Religion ............................................................................................................. 157 5.5 Kulturelles und gesellschaftliches Leben ......................................................... 159 5. 61nstitutionelle Aspekte ....................................................................................... 161 5. 6.1 ,. Entwicklungshilfe "-Organisationen ................................................................................ 162 5.6.2 Das Bildungssystem ........................................................................................... o• •••••••••••••• 163 6 Polit-ökonomische Gewalt ................................................................................ 165 6.1 Institutionelle Aspekte ....................................................................................... 169 7 Ökologische Gewalt ........................................................................................... 171 7.1 Der landwirtschaftliche Kalender .................................................................... 173 7.2 Der Brandrodungsfeldbau ................................................................................ 174 7.3 Agrochemikalien ............................................................................................... 176 7.4 Regionale Klimaänderung ................................................................................ 178 7. 5 Bodenerosion .................................................................................................... 179 7. 6 Biologische Diversität der Flora ...................................................................... 180 7. 7 Institutionelle Aspekte ......................... , ............................................................. 181 8 Perspektiven ....................................................................................................... 183 8.1 Perspektive kulturelle Identität ......................................................................... 184 8.2 Perspektive Subsistenz ...................................................................................... 187 8.3 Perspektive Ökologie ........................................................................................ 190 XI IV Anhang 1 Abbildungen ....................................................................................................... 195 1.1 Das moderne Modell der zentralen Orte .......................................................... 195 1.2 Anatomie des ayllus .......................................................................................... 196 1.3 Typen vertikalen Zugangs zu den agraren Höhenstufen der Zentralanden ..... 197 1.4 Der landwirtschaftliche Kalender in Yapacani ................................................ 198 2 Karten ................................................................................................................. 199 2.1 Das Tahuantinsuyo ........................................................................................... 199 2.2 Verwaltungseinteilung und Bevölkerungsdichte Boliviens .............................. 200 2.3 Lage derKolonisationsgebiete .......................................................................... 201 2.4 Lage des Municipios Yapacani. ........................................................................ 202 2.5 Die Siedlungszonen in Yapacani ...................................................................... 203 2.6 Das Untersuchungsgebiet ................................................................................. 204 3 Glossar ................................................................................................................ 205 V Literaturverzeichnis ..................................................... 209 Verzeichnis der im Text eingefügten Tabellen Tab. 1: Derinkaische Kalender ............................................................................... 74 Tab. 2: Niederschläge und Temperaturen in San Juan de Yapacani, 1959-1992 ........................................................ 144 Tab. 3: Verhältnis gekaufte und selbst-produzierte Lebensmittel in 22 Comunidades .............................................................. 168 XII