Bassam Tibi Im Schatten Allahs Der Islam und die Menschenrechte scanned by unknown corrected by nw Der Anschlag islamischer Terroristen am 11. September 2001, aber auch die weltweite bedrohliche Präsenz fundamentalistischer Moslems werfen die Frage auf: Lassen sich der Islam und die Grundwerte der westlichen Zivilisation vereinbaren? Bassam Tibi, Experte für internationale Politik, sieht durchaus die Möglichkeit für ein friedliches Nebeneinander von Orient und Okzident - unter der Voraussetzung, dass sich die Muslime in die demokratische Weltgemeinschaft aller Zivilisationen integrieren und die säkularen Menschenrechte respektieren. Islamisch-fundamentalistischen Umtrieben jedoch muss man mit einer offensiven Verteidigung demokratischer und menschenrechtlicher Prinzipien begegnen, anstatt sie zu tolerieren. ISBN 3-548-36388-1 1.Auflage Januar 2003 Ullstein Verlag Titelabbildung: dpa Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!! Das Buch Islam und Menschenrechte - grundsätzlich ein Antagonismus? Bassam Tibi, der renommierte Islamspezialist, spricht Klartext: Ein autoritärer, fundamentalistischer Islam ist mit der säkularen Demokratie westlicher Prägung ebenso wenig vereinbar wie die Scha-ri'a mit europäischen Verfassungen und den individuellen Menschenrechten. Nur ein toleranter Euro-Islam, der die Prinzipien von Demokratie und individuellen Menschenrechten ohne Wenn und Aber anerkennt, bietet die Möglichkeit, auch in westlichen Gesellschaften ein Verständnis für den Islam zu fördern. Die in Europa lebenden Muslime müssen sich zu diesem Zweck in die europäischen Gesellschaften integrieren, anstatt sich in Parallelgesellschaften zu separieren. Nur ein Euro-Islam ermöglicht es ihnen, als Mittler zwischen Orient und Okzident und als Vorreiter für Demokratie und Menschenrechte in den muslimischen Ländern zu wirken. Der Autor Bassam Tibi, geboren 1944 in Damaskus, studierte Philosophie, Geschichte und Sozialwissenschaften in Frankfurt/Main. Seit 1973 ist er Professor für Internationale Beziehungen in Göttingen. 1988 bis 1993 war er Research Associate am Center for International Affairs in Harvard, seit 1998 ist er dort Bosch Fellow. Zusätzlich hatte er Gastprofessuren in Asien und Afrika inne. Er hat zahlreiche Artikel für den Spiegel und die FAZ verfasst, schreibt zurzeit für Die Welt und ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum politischen Islam und zur Krise der islamischen Gesellschaft. Er ist Mitbegründer der Arabischen Organisation für die Verteidigung der Menschenrechte und gehört zu den Mitträgern des islamischjüdischen Dialogs. 1995 verlieh ihm Roman Herzog das Bundesverdienstkreuz für seine Vermittlung zwischen den Zivilisationen. Inhalt Vorrede............................................................................................................6 Einleitung Allah: al-Khaliq (Schöpfer) - Mensch: al-Makhluq (Geschöpf)....................21 Menschenrechte zwischen kultureller Moderne und islamischer Tradition ...................................................................................................................22 Erster Teil Universalität des Islam versus Universalität der säkular-individuellen Menschenrechte: ein weltanschaulicher Konflikt..........................................71 Einführung.................................................................................................73 Kapitel 1 Der Islam und seine universellen Ansprüche -Einführung in den Islam....80 Zwischen religiös-kultureller Vielfalt und zivilisatorisch einheitlicher Weltanschauung.....................................................................................80 Kapitel 2 Die Idee der individuellen Menschenrechte, ihre europäische Herkunft und die Verhinderung ihrer universellen Geltung durch die Neubelebung von Kollektiven..............................................................................................107 Kapitel 3 Universalität der Menschenrechte und Partikularität der Kulturen..........127 Der weltanschauliche Konflikt zwischen dem Islam und dem europäischen Konzept individueller Menschenrechte als Zivilisationskonflikt..............................................................................127 Zweiter Teil Der weltanschauliche Konflikt über die Universalität der individuellen Menschenrechte als ein Zivilisationskonflikt - die Rushdie-Affäre.............153 Einführung...............................................................................................155 Kapitel 4 Die Rushdie-Affäre und die iranisch-schi'itische Khomeini-Fetwa.........163 Die internationalen Folgen für die Beziehungen zwischen dem Islam und dem Westen...................................................................................163 Kapitel 5 Der grundlegende weltanschauliche Konflikt..........................................185 Zwischen islamischer Kollektivvorstellung und der Individuation der kulturellen Moderne.............................................................................185 Kapitel 6 Andere Kulturen, andere Sitten?..............................................................213 Kulturrelativismus, Multikulturalität und individuelle Menschenrechte .............................................................................................................213 Dritter Teil Schari'a als islamisches Recht - Verneinung von Menschenrechten oder spezifische Ausprägung islamischer Menschenrechte?...............................252 Einführung...............................................................................................254 Kapitel 7 Schari'a - was ist das?..............................................................................267 Ist die Schari'a mit einer kulturpluralistischen Welt der Toleranz und Menschenrechte harmonisierbar?.......................................................267 Kapitel 8 Der Kontrast zwischen Schari'a und individuellen Menschenrechten.....305 Die islamische Weltanschauung im Konflikt mit der europäischen Moderne...............................................................................................305 Kapitel 9 Gibt es islamische Menschenrechte?.......................................................348 Die Islamische Deklaration der Menschenrechte und ihr Stellenwert - dargestellt am Fall Taslima Nasrin.....................................................348 Kapitel 10 Politischer Islam und Menschenrechte....................................................384 Der fundamentalistische Aufruf zur Anwendung der Schari'a.............384 Vierter Teil Islam und individuelle Menschenrechte in Europa: Islamische Zuwanderung und Euro-Islam als europäische Identität islamischer Migranten................405 Einführung...............................................................................................407 Kapitel 11 Der Islam in Europa nach dem Ende des Ost-West-Konflikts.................414 Ethnisch-religiöse Konflikte als Zivilisationskonflikte im Zeitalter der globalen Migration und die Zukunft der individuellen Menschenrechte in Europa.............................................................................................414 Kapitel 12 Nur ein europäisierter Islam ist mit der zivilisatorischen Identität Europas in Einklang zu bringen.............................................................................437 Entwurf eines Euro-Islam....................................................................437 Anmerkungen..............................................................................................472 Literatur.......................................................................................................549 1. Monographien und Aufsätze in Sammelbänden/Europäische Sprachen .................................................................................................................550 2. Wichtige Zeitschriftenaufsätze............................................................563 3. Auswahl zitierter arabischer Quellen...................................................565 Vorrede »Der Sultan ist der Zhul Allah (Schatten Allahs) auf Erden.« Ibn Taimiyya, führender islamischer Rechtsgelehrter des Mittelalters (1263-1328), in seiner Schrift al-Siyasa al- schar'iyya (»Die an der Schari'a orientierte Politik«) »Der islamische Weltkongress hat auf seiner Arbeitstagung in Kairo eine neue Strategie gefordert für die Da'wa (Aufruf zum Islam)... Hierzu gehört der Aufbau islamischer Zentren in Europa..., um die dort lebenden Muslime auf ihre Rolle in der Zukunft vorzubereiten... Die Anwendung der Schari'a als Richtschnur im Leben der Muslime ist zu fordern.« Aus dem Dokument der Kairoer Beschlüsse des Weltkongresses der islamischen Weltliga, veröffentlicht in: al- Scharq al-Ausat vom 28. 7. 1993 Das Zitat von Ibn Taimiyya vermittelt ein Weltbild, das auf der »mittelalterlichen« orthodoxen Schari'a (nach dem Koran »Moralität«; postkoranisch als islamisches Rechtssystem konstruiert) basiert. Zugleich bringt es den heute in der Welt des Islam verbreiteten Glauben an die Einheit von göttlicher und weltlicher Herrschaft zum Ausdruck; hierfür hatte Ibn Taimiyya den Begriff »Zhul Allah« (»Schatten Allahs«) geprägt. Ich habe diesen Begriff als Titel dieses Buches herangezogen, um die säkulare Weltsicht des Westens, zu dessen Errungenschaften die individuellen Menschenrechte gehören, und die orthodox- islamische Weltanschauung einander gegenüberzustellen. Die -6- islamische Sicht der Welt ist nicht nur theozentrisch, das heißt gottzentriert; auch hebt sie die Faraid (Pflichten) gegenüber der Umma (Gemeinschaft aller Muslime) hervor und enthält kein Konzept individueller Rechte. Ibn Taimiyyas Schriften gehören zu den zentralen islamischen Quellen, die deutsche Orientalisten/Islamkundler kennen müssten, denn die islamische Orthodoxie hat mit Taimiyyas Begriff des Zhul Allah jahrhundertelang hantiert. Kurz: Der Begriff stammt nicht von mir und ist auch nicht geeignet, aus Gründen der Werbewirksamkeit benutzt zu werden. Ich verwende ihn im Buchtitel, weil er die islamische Weltanschau- ung zum Ausdruck bringt, die zentral für meine Thematik ist. Ich schreibe das unter anderem deswegen, weil ein deutscher Orientalist in seiner Rezension in der Zeit behauptete, Bücher über den Islam mit »Allah« im Titel versprächen besseren Absatz; dies gelte auch für den Titel Im Schatten Allahs. Es lohnt sich nicht, auf solch billige (und inkompetente) Vorwürfe einzugehen. Schon bei der Lektüre der ersten Seite meines Buches hätte jener Rezensent auf das Ibn-Taimiyya-Motto stoßen müssen - es ist fraglich, ob er das Buch überhaupt gelesen hat. Der Titel des Buches ist also ein Zitat einer Autorität der islamischen Orthodoxie und steht mit einer der zentralen Thesen dieses Buches in engem Zusammenhang; sie lautet, dass sich der orthodoxe Islam sowie der Islamismus nicht mit säkularen individuellen Menschenrechten im Sinne von entitlements (Berechtigungen) gegenüber dem Staat und der Gesellschaft vertragen. Eine weitere These weist auf eine Gefahr hin, die im zweiten Motto des Buches zum Ausdruck kommt. Damit meine ich den Import eines »mittelalterlichen« wahhabitisch- orthodoxen Islam aus Saudi-Arabien nach Europa und somit die Zulassung der Schari'a auf der Basis einer indifferenten »Multi- Kulti-Toleranz«. Dies muss verhindert werden. Weiterhin möchte ich in diesem Vorwort noch auf einen -7- inhaltlichen Schwerpunkt vorgreifen, der in dem folgenden Zitat des geistigen Vaters des islamischen Fundamentalismus umrissen wird. Sayyid Qutb (geboren 1906, gehenkt 1966 in Kairo) proklamierte: »Die Menschheit steht am Rande des Abgrunds... Der Bankrott der Demokratie führt diese zu ihrem Ende... Die Menschheit benötigt eine neue Führung... Die Führungsrolle des Islam in dieser Umbruchsituation steht bevor...« Diese Worte von Qutb aus seinem Katechismus Ma'alim fi al- tariq (»Wegzeichen«) verkünden eine Herausforderung an den Westen mit dem Anspruch auf eine Pax Islamica für die ganze Welt. Im Kontext meiner zweiten, oben erwähnten These spricht Klaus Natorp in einem Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (2l. 7. 1993) den seit längerem diskutierten Zusammenhang zwischen Weltbevölkerungswachstum und Migration an: »Wanderungsbewegungen bisher ungekannten Ausmaßes werden... klar machen, dass sich... rapides Bevölkerungswachstum auch bei uns auswirkt... Mit Migration versuchen die Betroffenen ihrem Elend zu entkommen... Ein neues Zeitalter der Völkerwanderung hat begonnen.« Die Migranten bringen in das Aufnahmeland nicht nur sich und ihre Arbeitskraft mit - wie die Industrie zu glauben scheint - , sondern auch die Weltanschauungen derjenigen Zivilisation, aus der sie stammen. Zivilisationen sind in Lokalkulturen untergliedert. Im Fall der islamischen Migranten beansprucht eine kleine Minderheit, die aus Islamisten und orthodoxen Muslimen besteht, als Vertretung des Islam innerhalb der Islam- Diaspora auftreten zu können, und zwar mit der Zielsetzung, die Geltung der islamischen Weltanschauung in Europa -8- durchzusetzen. Islamisten und orthodoxe Muslime sind weder Freunde der individuellen Menschenrechte noch des postmodernen Multikulturalismus, dem ein Kulturrelativismus immanent ist, aber sie instrumentalisieren beide für ihren Absolutismus und Universalismus. Eines ihrer Ziele ist ein islamisiertes Europa, ihr Fernziel die Herrschaft des »Schatten Allahs auf Erden«. In der praktischen Umsetzung bedeutet das die Geltung der Schari'a innerhalb einer ghettoisierten Islam- Diaspora. Minderheitenrechte werden damit zu Kollektivrechten für eine parallelgesellschaftliche Islam-Diaspora pervertiert. Aus den angeführten Gründen handelt das vorliegende Buch nicht nur von Demokratie und Menschenrechten in der Welt des Islam, sondern auch in Europa, einem Kontinent, auf dem etwa 25 Millionen Muslime leben, davon etwa 15 Millionen Migranten in Westeuropa und 10 Millionen auf dem Balkan, die jedoch keine Migranten sind. Diese Zahl wird sich bis Mitte dieses Jahrhunderts verdoppeln oder gar verdreifachen. In unserer Epoche neuer weltpolitischer Konflikte, in der die Bildung von »Frontlinien des Konflikts zwischen den Zivilisationen« (Samuel P. Huntington) im Mittelpunkt steht, plädiere ich dafür, Brücken zwischen den Zivilisationen zu schlagen. Die Menschheit ist nämlich nach der Zugehörigkeit zu einer Zivilisation unterteilbar und damit in Bezug auf Werteorientierungen fragmentiert. Nur solche Brücken, die für alle akzeptabel sind, können daher für einen Weltfrieden zwischen den miteinander wetteifernden Zivilisationen sorgen. Es wäre jedoch verfehlt, wollte man unter diesem Bau von Brücken eine zivilisatorische Selbstaufgabe der einen Zivilisation gegenüber der anderen verstehen. Die auf einer kulturübergreifenden Grundlage zu vollziehende Universalisierung der individuellen Menschenrechte gehört zuvorderst zu diesem Brückenbau zwischen den weltanschaulich rivalisierenden Zivilisationen unserer globalisierten Welt. Nicht die Bestimmung der politischen Herrschaft als -9- »Schatten Allahs auf Erden«, sondern Demokratie und säkulare Menschenrechte scheinen mir als Bindeglieder zwischen den Zivilisationen geeignet, welche die Menschheit in unserer Krisensituation benötigt. Vor diesem Hintergrund habe ich den Titel dieses Buches gewählt. Die Schrift von Ibn Taimiyya, der das obige Zitat entnommen ist, gilt für heutige islamische Fundamentalisten als außerordentlich autoritativ. Der mittelalterliche islamische Rechtsgelehrte beziehungsweise Sakraljurist Ibn Taimiyya tritt für eine an der Schari'a orientierte Politik ein. Mit dem Begriff al-Siyasa al-schar'iyya schafft er in der islamischen Geschichte erstmals eine Koppelung der Siyasa (Politik) an die Schari'a. Dieses Junktim habe ich im Sinn, wenn ich meine zentrale These vortrage, dass nur die europäische Tradition der Menschenrechte, nicht aber die Schari'a den Muslimen helfen kann, sich in eine universell ausgerichtete demokratische Wertegemeinschaft aller Zivilisationen zu integrieren. Die in Europa lebenden Muslime könnten selbst zu einer Brücke für den Frieden zwischen Orient und Okzident werden, vorausgesetzt, sie würden in diesem Sinne in der europäischen Diaspora und von hier aus als Vorreiter für Demokratie und Menschenrechte in ihren Herkunftsländern wirken. Diese Option steht in deutlichem Widerspruch zu der als Motto zitierten Strategie der saudisch dominierten Islamischen Weltliga, welche die in Europa lebenden Muslime für ihre eigene, an der Schari'a orientierten Politik instrumentalisieren will. Für den Vorwurf an die selbst ernannte Vertretung der Islam-Diaspora, Geltung für das »Schatten-Allah-Weltbild« in Europa zu fordern, kann ich beispielhaft einen Vorfall in Frankreich anführen: Im November 1993 hat der Imam (religiöser Führer) von Nantua für die in Frankreich lebenden Muslime mit seinem Ausspruch »Allahs Gesetz steht vor dem französischen Recht« die Schari'a gefordert und somit zum Ungehorsam aufgerufen. Die französische Regierung antwortete kompromisslos mit der Ausweisung des Imam und schuf damit -10-