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Im Haus des Henkers. Gespräche in Deutschland PDF

316 Pages·1992·36.416 MB·German
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Gespräche in Deutschland Dvorah Verlag Die achtzehn Gespräche, die in diesem Buch dokumentiert werden, wurden im Lauf des Jahres 1991 in verschiede- nen Städten Deutschlands geführt, ei- nes in Paris. Sie können eine vorläufige Antwort ge- ben aufdie häufig gestellte Frage: War- um haben Opfer der Schoah s^ch ausge- rechnet in Deutschland niedergelassen? Und: Mit welchen Gedanken, Träu- men und mit welcher Angst leben sie hier? Wie erfahren sie die alten, die neu- alten, die neuen Deutschen? Susann Heenen-Wolff wurde 1956 ge- boren. Sie studierte Pädagogik, Psycho- logie und Soziologie in Frankfurt am Main und promovierte über »Die Frcudschc Pychoanalysc zwischen Assi- milation und Antisemitismus«. 1975-1976 lebte sie inJerusalem. Neben ihrer publizistischen Tätigkeit ist sie als Psychoanalytikerin tätig. BuchVeröffentlichungen: »Wenn ich Oberhuber hieße«. Die Freudsche Psychoanalysezwischen Assi- milation und Antisemitismus. Frank- furt am Main, 1987 »Erez Palästina«. Juden und Palästinen- ser im Konflikt um ein Land. Frankfurt am Main, 3. Auflage 1990 Esther Bejarano Kurt Borzik Ignatz Bubis Lola • • • Fischel Moses Gercek Rosa Fischer Gitta • • • Guttmann AlfredJachmann RolfK. Bertha • • • Kellner Mia Lehmann Gerd Lifschitz Max • • • Mannheimer Sophie Marun Hans Radziewski • • • Trude Simonsohn • Florence Singewald • Isak Wasserstein »Im Haus des Henkers« Gespräche in Deutschland Herausgegeben von Susann Heencn-Wolff Umschlaggestaltung: Sarah Schumann © 1992 by Alibaba Verlag GmbH, Frankfurt am Main Satz Textline, Oberursel Druck: Fuldaer Vcrlagsanstalt GmbH Printed in The Federal Republic ofGermany DVORA VERLAG ist das Literaturprogramm im ALIBABA VERLAG Susann Heenen-Wolff IM HAUS DES HENKERS Gespräche in Deutschland Dvorah Verlag Frankfurt am Main Vorwort 5 1. Moses Gercek, München n 2. Trude Simonsohn, Frankfurt 32 3. Rosa Fischer, Hannover 52 4. Hans Radziewski, Berlin (West) 65 5. Bertha Kellner, Erfurt 77 6. RolfK., Unna 9I 7. Kurt Borzik, Frankfurt !26 8. Florence Singewald, Erfurt !^8 9. Ignatz Bubis, Frankfurt K5^ 10. Isak Wasserstein, München j8o 1 1. Mia Lehmann, Berlin (Ost) 203 12. Sophie Marun, Berlin (Ost) 214 13. AlfredJachmann, Frankfurt 224 14. Max Mannheimer, München 240 15. Gerd Lifschitz, Berlin (West) 249 16. Gitta Guttmann, Frankfurt 262 17. Esther Bejarano, Hamburg 278 18. Lola Fischel, Hannover 301 Vorwort »Wie findet man die Leute?« wurde ich während meiner Recherchen für das vorliegende Buch von Freunden und Bekannten immer wieder gefragt. Die Frage ist naheliegend. Man weiß, daß die Nationalsozialisten bei ihrem Versuch, die Juden vom Planeten Erde zu tilgen, mit äußerster Gründlich- keitvorgegangen sindundin Deutschlandnurnoch sehrweni- geJuden leben. Es war deshalb überraschend, wie leicht ich auf Anhieb Überlebende der Shoah in verschiedenen Städten Deutschlands gefunden habe. Jeder Überlebende, mit dem man spricht, stellt paradoxer- weise eine Irritation dar. Wie haben sie überleben können, wo doch eigentlich kein Entkommen, kein Überleben möglich war?Jeder Überlebende scheint die Beschreibungen des natio- nalsozialistischentotalenVernichtungssystemsLügenzustrafen. Aber die Gespräche zeigen, wie zufällig dieses Überleben war. Einmal war es die rechtzeitige Auswanderung, dann war es das Vorrücken der sowjetischen Armee und die folgende Evakuierung der Todeslager, ein anderes Mal war es — leider selten— der List und dem Mut von Verwandten und Freunden zu verdanken, daß in diesem totalitären System doch noch lebensrettende Nischen aufgetan werden konnten. Die Gespräche, die ich geführt habe, handeln nicht in erster Linie vom Überleben in der Emigration, im Versteck, im Gefängnis, bei der Zwangsarbeit, im Konzentrationslager, im Vernichtungslager. Sie handeln vor allem von der Zeit danach. Wie war es möglich, daß nach der Ermordung von Millio- nen jüdischer Menschen durch Deutsche Überlebende sich gerade wieder in Deutschland niederließen? Eine im Jahre UNRRA 1945/1946 von der Flüchtlingsorganisation (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) durchge- führte Untersuchung unter etwa zwanzigtausendJuden in den Flüchtlingslagern ergab, daß 96,8% von ihnen den festen Wil- len hatten auszuwandern1 . Im Haus des Henkers Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, nachdem das Ausmaß der Verbrechen der Nationalsozialisten in vollem Umfang bekannt wurde, gingen Juden in aller Welt davon aus, daß Deutschland in Zukunft ein gebanntes Land sein würde, so wie einstmals Spanien nach der Vertreibung der Juden im Jahre 1492. In den Jahren 1945 bis 1950 hielten sich jedoch zeitweise bis zu zweihunderttausend jüdische DP's (displaced persons) in Deutschland auf, viele von UNRRA ihnen in Übergangslagern, die die vor allem im bayerischen Raum zur Verfügung stellte. Die Überleben- den der Shoah warteten dort auf Ausreisemöglichkeiten, - die einen nach Israel, das im Jahre 1948 gegründet wurde, die anderen nach Amerika, dem zweiten Gelobten Land, für das sich viele Überlebende nach der für sie günstigen Novellierung des Einwanderergesetzes entschieden. Aber einige deutsche Juden blieben, und vor allem osteuropäi- sche Juden ließen sich in Deutschland dauerhaft nieder. Anfang der fünfzigerJahre zählte man funfzehntausend Mit- glieder der neu konsolidierten Jüdischen Gemeinden in der jungen Bundesrepublik. Lange lebten diese Juden mit der Ideologie der gepackten Koffen, wie es scherzhaft unterJuden hieß, — mit dem festen Willen, bald doch noch auszuwandern, wenn nicht diesesJahr, dann aber im nächsten - spätestens im übernächsten. Heute leben schätzungsweise funfzigtausend Juden in Deutschland, dreißigtausend von ihnen sind Mitglieder der Jüdischen DDR Gemeinden. In der wurden 1961 eintausendfunfhundert Gemeindemitglieder gezählt, ihre Zahl wirdjetzt aufwenige hundert geschätzt. Eine Vielzahl von Veröffentlichungen nach 1945 hat sich mit den Folgewirkungen von Verfolgung und Lagerhaft unter dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt2 Auch wurden . Untersuchungen über die sogenannte >zweite Generation< nach Auschwitz veröffentlicht, d.h. über die Kinder der ehe- mals Verfolgten3 In den achtzigerJahren schließlich erschie- . nen erste Untersuchungen und Zeitzeugnisse über das Leben vonJuden in Österreich, der Bundesrepublik, schließlich auch DDR in der 4 . Die Geschichte derJuden in Deutschland nach 1945 ist also erstin allcrjüngstcrZeitGegenstand wissenschaftlichen Intcrcs- Vorwort 7 ses geworden, und zwarhauptsächlich bei derjüdischen Mino- BRD rität selbst (vgl. Monika Richarz,Juden in der und in der DDR seit 1945, in: Jüdisches Leben in Deutschland seit 1945, Frankfurt 1986). Die Gruppe jenerJuden, die sich nach 1945 auf deutschem Boden sammelten, setzte sich außerordentlich heterogen zusammen. Die wenigen deutschenJuden waren in der Regel völlig assimiliert, viele hatten nicht-jüdische Ehe- partner, während der große Teil der aus Osteuropa stammen- den Juden noch Jiddisch sprach und die ersten Erfahrungen mit (Reichs-)Deutschen bei der Selektion im Lager gemacht hatte. Nach dem wirtschaftlichen Aufschwung der Bundesrepu- blik und der Verabschiedung des Entschädigungsgesetzes (»Wiedergutmachung«) kehrten in den fünfziger Jahren erst- mals auch deutscheJuden in ihr einstiges Heimatland zurück. Aus Ungarn und der Tschechoslowakei wandertenJuden nach dem Aufstand von 1956 und dem Prager Frühling 1968 in die Bundesrepublik ein. Es ist zunächst festzuhalten, daß es (außer persönlichen Lebenszeugnissen, Autobiographien) keine Dokumentationen bzw. Untersuchungen der Lebenserfahrungen von Überleben- den der Shoah nach 1945 in Deutschland gibt. Mir erklärt sich dies aus der Tendenz, die Tatsachejüdischen Lebens in Nach- kriegsdeutschland zu verleugnen, und zwar in erster Linie von Seiten der jüdischen Gemeinschaft selbst. Aus ihren Reihen stammenaberinersterLiniedieForscherjüdischerLebensreali- tät vor dem Hintergrund der Shoah. Der HistorikerDan Dinersprichtvon einer>negativen Sym- biose< zwischen Deutschen undJuden nach dem Nationalsozia- lismus (in: Babylon. Beiträge zurjüdischen Gegenwart, Frank- furt 1986). Damit kennzeichnet er die Tatsache einer - umge- kehrt proportionalen — gemeinsamen historischen Erfahrung: »FürDeutsche wie fürJuden istdasEreignisderMassenvernich- tung zum Ausgangspunkt ihres Selbstverständnisses gewor- den, eine Art von gegensätzlicher Gemeinsamkeit - ob sie es wollen oder nicht. Deutsche wieJuden sind durch dieses Ereig- nis neu aufeinander bezogen worden. Solch negative Symbio- se, von den Nazis konstituiert, wird aufGenerationen hinaus das Verhältnis beider zu sich selbst, vor allem aber zueinander, prägen.« (a.a.O.) 8 Im Haus des Henkers Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten melden sich erste leise Zweifel an dieser Bestimmung deutscher Identi- tät, zumindest bei einigen meiner Gesprächspartner. ImJahre 1991, also in dem Zeitraum, in dem die folgenden Gespräche stattfanden, sind die Überlebenden der Shoah, die noch bewußte Erinnerungen an die Nazi-Zeit verfugen, min- destens achtundfünfzig Jahre alt (Jahrgang 1933). Angesichts der geringeren Überlebenschancen von Kindern während der Shoah ist der größere Anteil der Überlebenden mindestens Sechsundsechzig Jahre alt (Jahrgang 1925), das heißt, daß die meisten sich ihrem Lebensabend nähern. VielemeinerGesprächspartnersprechenDeutsch mitschwe- rem Akzent. In der Verschriftung geht dies leider verloren. Ich habe mich gleichwohl bemüht, den Wortlaut so wenig wie möglich zu korrigieren. Der Leser wird feststellen, daß häufig Brüche im Gesprächsverlauf zu verzeichnen sind. Ich habe auch daraufverzichtet, meine Fragen im Nachhinein zu schö- nen, und so wird man z. B. feststellen, daß ich nach dem Geburtsnamen frage, als mir erklärt wird, daß gerade die Nachricht vom Tod der eigenen Mutter kam. Es hat etwas Ungeheueres, bei Kaffee und Kuchen über Verfolgung und Vernichtung zu sprechen. Bei den Gesprächen wurde viel geweint. Nicht alle der von mir kontaktierten Überlebenden waren zu einem Gespräch bereit. Vielmehr wurde ich einige Male recht barsch abgewiesen, ohne daß ich überhaupt die Zeit gehabt hätte, zu erklären, um was es geht. Andere haben immer wieder Terminschwierigkeiten vorgeschützt, bis ich verstanden habe, daß sie lieber nicht über ihre Erfahrungen sprechen möchten. Die Namen meiner Gesprächspartner sind nur aufWunsch verändert worden (zweimal), es geht aus dem Text hervor. Susann Heenen-Wolff Paris, im Winter lggi 1 vgl. Idith Zertal: Verlorene Seelen. Diejüdischen DP's und die israelische Staatsführung, in: /ka/Babylon/ke/. Beiträge zurjüdischen Gegenwart. Heft 5, Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1989 2 Ausder unübersehbaren Anzahl von Titeln zu Folgewirkungen von Verfol- gungund Lagerhaftseien einigegenannt: - Psychoanalytic Reflections on the Holocaust, Hrsg. v. Steven Luel & Paul Marcus, New York 1984

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