Eckard Rolf Illokutionare Krafte Eckard Rolf Illokutionare Krafte Grundbegriffe der Illokutionslogik Westdeutscher Verlag Alie Rechte vorbehalten © 1997 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation. Das Werk einschlieBlich alier seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fiir Vervielfal tigungen, Dbersetzungen, Mikroverfilmungen und die Ein speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Biirkle, Darmstadt Gedruckt auf saurefreiem Papier ISBN 978-3-531-12921-1 ISBN 978-3-322-90242-9 (eBook) DOl 10.1007/978-3-322-90242-9 Inhaltsverzeichnis 1 IIIokutionare Krafte ................................................ 7 1.1 Illokutionare Krafte als Gegenstand der illokutionaren Logik ...... 7 1.2 Die Komponenten der Illokutionskraft ................................. 23 1.3 Zur Erzeugung illokutionarer Krafte ........ ... ........ ................ 36 2 Illokutionslogische Gesetze ........................................ 42 2.1 Briickengesetze............................................................. 44 2.2 Gesetze fUr Illokutionskrafte ............................................. 48 3 Ausdrucksmittel fiir IIIokutionskrafte und deren Komponenten .......................................... 56 3.1 Der Ausdruck einfacher illokutionarer Akte ........................... 56 3.2 Der Ausdruck komplexer illokutionarer Akte .... ...... ...... ......... 67 3.3 Ausdrucksmittel fUr Illokutionskraftkomponenten .................... 75 4 Performativitat und Institutionalitat ........................... 83 4.1 Wie institutionelle Tatsachen zustande kommen ...................... 85 4.2 Wie explizit performative AuBerungen funktionieren ................ 94 6 Inhaltsverzeichnis 5 Searles Klassifikation der Sprechakttypen ................... 112 5.1 Bemerkungen zu alternativen Klassifikationsvorschlligen ........ ... 112 5.2 Zwei starke Einwlinde gegen Searles Klassifikation ....... .......... 121 5.3 Ein zeichentheoretischer Fundierungsvorschlag ......... .... ..... .... 125 6 Iliokutionskraftfamilien.......................................... 134 6.1 Die Familie der Assertiva ............................................... 139 6.2 Die Familie der Kommissiva ........................................... 164 6.3 Die Familie der Direktiva .............................................. 177 6.4 Die Familie der Deklarativa ............................................ 197 6.5 Die Familie der Expressiva ................... ..... ... ............. .... 216 Literaturverzeichnis ................................................................. 240 Namenverzeichnis ................................................................... 254 1 IIlokutionare Krafte 1.1 lllokutionare Krafte als Gegenstand der illokutionaren Logik Illokutionare Krafte bilden den Hauptgegenstand der illokutionaren Logik, der modemen Version der Sprechakttheorie. Illokutionskrafte, das sind Begriffe, die im Rahmen der Illokutionslogik expliziert und auf die zwischen ihnen bestehenden Zusammenhange hin untersucht werden. Illokutionskrafte sind Eigenschaften sprachlicher Handlungen. Was Illokutionskraft genannt wird, ist ein Bedeutungs oder Sinnaspekt von AuBerungen, man kann auch sagen, daB deren jeweilige kommunikative Funktion gemeint ist, wenn von illokutionaren Kraften die Rede ist. Letzteres ist zuerst bei Austin geschehen. Austin (196211975, 100) bezeichnet die Lehre von den verschiedenen Funktionstypen der Sprache "as the doctrine of 'illocutionary forces'''. Ob er aber wirklich der Ansicht gewesen ist, daB AuBerun gen Krtifte innewohnen, ist schwer zu sagen.l 'Force' (Kraft) kann namlich auch 'meaning' bedeuten (vgl. Hermanns 1985, 39), und letztlich "lieBe sich auch der Begriff 'illocutionary meaning' bilden" (ebd., 41). 'Force' wird bei Austin im Sinne von 'Verwendungsweise', 'Funktion', 'Funk tionstyp' oder 'Auffassung' ('taken as') gebraucht, 'meaning' hingegen (im Sinne von 'Meinen als') auch mit Bezug auf 'force'. Darauf weist Austin selbst hin, wenn er sagt: "Admittedly we can use 'meaning' also with reference to illocution ary force - 'He meant it as an order', &c." (Austin 1962/1975, 100) Doch den Begriff 'meaning' hat Austin schon besetzt, als er nach einer geeigneten Bezeich- 1 Ob die Illokutionskraft iiberhaupt eine Kraft ist - so wie die Gravitationskraft, die Zen trifugalkraft, die Zentripetalkraft, die Kernkraft; ob sie so etwas ist wie die Uberzeugungskraft, die Urteilskraft, die Einbildungskraft; oder ob sie eine Art rnagische Kraft ist oder gar eine Zauberkraft (,schwarze Magie'), Fragen wie diese sind bisher ungekHirt. Vanderveken (1985) sagt zwar, welche Komponenten Illokutionskriifte haben, er gibt flir diese auch Identitatsbedingungen an, auf Fragen wie die obigen jedoch gibt er keine Antwort. Zum Begriff der Kraft vgl. z. B. auch Gloy (1995, 34ff.) und Neuser (1995, insbes. 67ff.). 8 1 Illokutioniire Kriifte nung sucht fUr das Phiinomen, auf dessen Charakterisierung es ihm eigentlich ankommt. Deshalb fahrt Austin folgendermaBen fort: "But I want to distinguish force and meaning in the sense in which meaning is equivalent to sense and reference, just as it has become essential to distinguish sense and reference." (Ebd.) Was Austin zu bezeichnen sucht, ist in der Tat ein allgemeiner Bedeutungs oder Sinnaspekt von AuBerungen. Foiglich stellt sich die Frage: Hat er mit 'force' wirklich 'Kraft' gemeint, oder hat er die Bezeichnung 'force' nur deshalb gewlihlt, weil sie auch so etwas heiBen kann wie 'meaning'?2 Und sollte es sich wirklich so verhalten, wie Hermanns (1985, 41) behauptet, der sagt, mit 'Kraft' habe 'force' nicht das geringste zu tun? Die folgende Beobachtung spricht dagegen. Von 'Kraft' ist in lihnlichen Zu sammenhiingen wie den bei Austin thematisierten bereits bei Frege die Rede. Frege spricht wiederholt von der 'behauptenden Kraft' (s. Frege 1918-19/1966, z. B. 35). Austin aber ist Ubersetzer Freges. Mithin driingt sich die Vermutung auf, "daB die sprechakttheoretische Redeweise von den 'forces'" (WaBner 1992, 121) ihren Ursprung bei Frege hat3 - so wie die Rede von 'sense and reference'. Das aber deutet darauf hin, daB Austin in der Tat Krlifte meinte, als er die Doktrin der (sogenannten) illokutionaren Krafte aufstellte. AuBerungen konnen unter dem Aspekt beabsichtigter bzw. mit ihnen erzielter Wirkungen betrachtet werden. DaB ihnen eine Kraft innewohnt oder innewohnen kann, ware eine mogliche Erklarung dafiir. Wenn durch eine AuBerung eine 2 Aus den Arbeiten von Cohen (1964/1969), Furberg (1969) und Searle (1968/1973) geht zu dieser Frage keine Antwort hervor. Diese Autoren beschiiftigen sich mit dem Problem, inwieweit 'meaning' und 'force' miteinander verschriinkt sind. Cohen macht geltend, daJl die illokutioniire Kraft ein Aspekt der Bedeutung ('meaning') ist, nicht etwas davon grundsiitzlich zu Unterscheiden des (vgl. Cohen 1964/1969, 426ff.; s. dazu auch Furberg 1969, 455ff.). AhnIich argumentiert Searle (1968/1973, 149), der sagt: "Every serious literal utterance contains some indicators of force as part of meaning"; "while Austin wanted to distinguish force from meaning, Searle deals with force as an aspect of meaning." (Sbisa 1995, 499) 3 "Nach H.-U. HOCHE spricht vieles flir die Annahme, daJl der Frege-Kenner und -Ubersetzer Austin 'das Wort 'illocutionary force' als Verallgemeinerung von G. Freges terminus technicus 'behauptende Kraft' ... eingeflihrt hat'" (Strube 1995, 1537). 1.1 Illokutionire Krifte als Gegenstand der illokutioniren Logik 9 Wirkung erzielt, eine Veranderung herbeigefUhrt wird, dann konnte das an ihrer illokutionaren Kraft liegen. Illokutionare Krafte konnen nicht nur expliziert werden, sie konnen auch explizit gemacht werden: Illokutionskrafte werden oftmals als solche benannt - insbesondere dann, wenn der Sinn einer kommunikativen Handlung verdeutlicht werden solI. Letzteres kann durch den Sprecher getan werden, es kann aber auch von seiten des Horers geschehen; dem Harer als dem Adressaten der sprachlichen Handlung kann sogar mehr daran gelegen sein, den Sinn einer ihm gegeniiber volIzogenen Handlung auf den Begriff zu bringen. Dieser Umstand sollte jedoch nicht iiberbetont werden.4 Natiirliche Sprachen stellen zu dem Zweck, den Sinn kommunikativer Handlun gen auf den Begriff zu bringen, eine Vielzahl von Ausdriicken zur VerfUgung: performativ verwendbare Verben, von diesen abgeleitete Substantive und bestimm te Ausdrucks-Komplexe wie z. B. 'jemanden willkommen heiBen'. Beispiele fUr performative Verb en sind: (a) behaupten, jeststellen, zustimmen, bestreiten und insistieren; (b) versprechen, geloben, schworen, erlauben und gatantieren; (c) bitten, bejehlen, auffordem, anordnen und beauftragen; (d) emennen, verurteilen, kandigen, taujen und exkommunizieren; (e) danken, gratu Zieren, protestieren, loben und begriijJen. Die Elemente dieser fiinf Verbgruppen haben allgemeine Bezeichnungen: Die Elemente aus (a) werden als 'reprasentatio nal' oder 'assertiv' bezeichnet, die aus (b) als 'kommissiv', die aus (c) als 'direk tiv', die aus (d) als 'deklarativ', und die Elemente aus (e) werden als 'expressiv' bezeichnet. 5 4 Burkhardt z. B. sag!: "it does make sense to deny that human intentional behaviour in general and speech acts in particular carry any -overt or secretly hidden -forces in themselves. I will show that force is but an interpretation of the hearer" (Burkhardt 1990, 92). "Utterances 'count as' certain acts because the hearer is able to classify them" (ebd., 124). "Illocutions do not exist in the world but only in the heads ofp eople. " (Ebd., 125) Richtig daran ist, daB Illokutionskrifte, wie z. B. auch van Eemeren/Grootendorst (1983, 21) hervorheben, Begriffe sind -und zumindest insofem nur in den Kopfen der Leute existieren. Falsch ist, wenn nur die Kopfe der Horer gemeint sind. 5 Beispiele fiir entsprechende Substantive sind: Behauptung, Bitte, Versprechen, Ernennung und Begraj3ung. Jmdm. eine Zusage erteilen, jmdm. einen Ratschlag erteilen, von einem Amt zurack tret~n, sich entschuldigen sind Beispiele flit Ausdrucks-Komplexe det oben etwiihnten Art. 10 1 Illokutionire Krifte Verben wie die erwalmten bezeichnen illokutionare Krafte. Die illokutionare Logik befaBt sich mit der Gesamtheit der assertiven, kommissiven, direktiven, deklarativen und expressiven Illokutionskrafte. Die Illokutionslogik ist eine Weiter entwicklung der von J. L. Austin (1962) und J. R. Searle (1969) begriindeten Sprechakttheorie. Searle ist an der Weiterentwicklung dieser Theorie maBgeblich beteiligt: Er hat die Grundlagen der Illokutionslogik in dem zusammen mit D. Vanderveken verfaBten Buch "Foundations of illocutionary logic" (1985) darge stellt. Eine Fortentwicklung dieser Grundlagen liegt vor in Gestalt von Vanderve kens zweibandigem Werk "Meaning and Speech Acts", das 1990 und 1991 er schienen ist. Inwiefem stellen illokutionare Krafte den Gegenstand der Illokutionslogik dar? Illokutionare Krafte sind, wie oben gesagt, Eigenschaften sprachlicher Handlun gen. Solche Handlungen werden im Rahmen der Sprechakttheorie als Sprechakte bzw. als illokutionare Akte bezeichnet. Von diesen Akten wird angenommen, daB sie die kleinsten Einheiten der menschlichen Kommunikation sind. Die Illokutions logik ist eine logische Theorie der illokutionaren Akte, und das Hauptanliegen dieser Logik besteht in der Formalisierung der logischen Eigenschaften der Illoku tionskrafte, also detjenigen Eigenschaften, die illokutionare Akte manifestieren (vgl. SearleIVanderveken 1985, 1). Das Aufgabengebiet der Illokutionslogik HiBt sich in zwei Bereiche unterteilen: in einen vomehmlich mit der Analyse einzelner Illokutionskrafte und der zwischen diesen bestehenden Zusammenhange befaBten Teil (= A) und in einen formal semantischen Teil (= B). Die Beschaftigung mit dem Bereich (A) ist die vordring liche Aujgabe, die Beschaftigung mit dem Bereich (B) das eigentliche Ziel der Illokutionslogik. Die vordringliche Aufgabe der Illokutionslogik ist es, die logi schen Formen der verschiedenen illokutionaren Akttypen zu analysieren (vgl. Vanderveken 1990, 32); das Ziel ist die Entwicklung einer idea1en Objektsprache, in die die illokutionaren Verb en natiirlicher Sprachen - zwecks eindeutiger seman tischer Interpretation - ilbersetzt werden (vgl. Vanderveken 1991, 137ff.). Der Bereich A ist in erster Linie fUr diejenigen relevant, die an der Sprechakt theorie interessiert sind -und eher uninteressant fUr diejenigen, die sich primar fUr 1.1 Illokutionare Krafte als Gegenstand der iIIokutionaren Logik 11 formale Semantik interessieren. 1m Hinblick auf Bereich B verhlilt es sich umge kehrt: Der Bereich B ist relevant fUr diejenigen, die an formaler Semantik, ins besondere an der Montague-Semantik interessiert sind (die Objektsprache der Illokutionslogik wird im Sinne einer erweiterten Montague-Semantik modelltheore tisch interpretiert (vgl. Vanderveken 1991, 22ff.; 1994, 109ff.»6, fur diejenigen jedoch, die vornehmlich mit sprechakttheoretischen Fragen beschaftigt sind, ist der Bereich B vergleichsweise uninteressant (s. dazu auch Zaefferer 1994, 148). Zur Orientierung uber die vorliegende Abhandlung sei gesagt: diese befaJ3t sich haupt sachlich mit Bereich (A). Formal betrachtet hat ein illokutionarer Akt die Form 'F(P)'. (Das ist auch im Kreis der in formaler Hinsicht nicht so interessierten Sprechakttheoretiker, die von nun an unter sich sein konnten, bestens bekannt.) 'F' bezeichnet die illokutionare Kraft, 'P' den propositionalen Gehalt. Wenn ich beispielsweise sage (i) 'Genmani pulation ist selbstmorderisch', dann hat meine AuBerung die illokutionare Kraft einer Behauptung, der Inhalt dieser Behauptung, ihr propositionaler Gehalt, ist, daft Genmanipulation selbstmorderisch ist. Die illokutionare Kraft kann explizit gemacht werden - dadurch, daJ3 ich anstelle von (i) sage: (ii) 'lch behaupte, daJ3 Genmanipulation selbstmorderisch ist'. Der Ausdruck 'Ich behaupte' in (ii) wird als Indikator der illokutionaren Kraft bezeichnet, der daJ3-Satz als Propositions Indikator (vgl. Searle 1969, 30). Der Propositions-Indikator zeigt an, welche Proposition gemeint ist, der Indikator der illokutionaren Kraft, wie die Proposition aufzufassen ist, oder urn es anders auszudriicken, welche illokutionare Kraft die AuBerung haben soIl; das heiBt, der Illokutions-Indikator zeigt an, welchen illoku tionaren Akt der Sprecher mit der AuBerung des Satzes vollzieht (vgl. ebd.). Die illokutionare Kraft ist der Grundbegriff der illokutionaren Logik. Obwohl Grundbegriff, wird dieser Begriff dennoch nicht als urspriinglich angesehen. Der Begriff der illokutionaren Kraft wird vielmehr als abgeleitet betrachtet -abgeleitet 6 In diesem Anliegen iihnelt die IIlokutions-Logik Vandervekens der IIlokutions-Semantik Zaefferers: "Zaefferers IIlokutionssemantik und Vandervekens IIlokutionslogik sind in der Zielset zung ganz iihnlich, aber im Vorgehen verschieden. Das Ziel ist die Vervollsilindigung des modell theoretischen Ansatzes, so daB auch nicht-deklarative [ ... ] [Satzmodi] und andere iIIokutions typbezogene Phiinomene behandelt werden kiinnen." (Grewendorf/Zaefferer 1991, 284)