I. LITERATUR I. LITERATUR 1 ALTENBERG, Peter, Pseudonym für Richard Engländer, 1859– 1919. Eigenh. Manu- skript mit Namenszug am Kopf. 2 S. quer-4o. Kleiner Randschaden (Brandspur). (400.—) „Der Frosch“. Satzvorlage seiner Fabel, die in dem von Clara Körber herausgegebenen Band „Öster- reichs Geist und Schwert. Ein Gedenkbuch aus ernster Zeit“ (Leipzig, Dürr 1915) erschien. „Der Frosch war ein ganz netter gewöhnlicher aber herziger graugrüner Frosch, er interessirte sich für Mücken und anderes Kleingetier. Indem er sie nützlich wegfraß. Plötzlich hörte er von seiner Wiese aus Kanonendonner, wurde aufgescheucht aus seinen Klein-Träumereien, und hielt sich für verpflichtet, auch mitzutun! Die Reell-Gesinnten sagten: ‘Er soll doch die Mücken verschlucken, die stechen, und so eine reelle, sei- nen Fähigkeiten angemessene Arbeit verrichten! Aber er wollte idealiter ‘mittun’. Da sagte ihm einst der Oberkommandant: ‘Sie, Frosch, können Sie vielleicht die lästigen Mücken vertilgen?! ‘Zu Dienen, Herr Major, für’s Vaterland Alles!’ Da wurde er wieder brauchbarer Frosch!“ 2* ANDERSEN, Hans Christian, 1805– 1875. E. Gedicht m. U. „H.C. Andersen“. 1 S. quer- gr.-8o. Mit geprägten Initialen und Schmuckrähmchen. (800.—) „O Thüringer Wald, deines Namens Klang Hat welterschütternd Gebrause: Wo Luther gesprochen, wo Göthe sang, Da ist das Hohe zu Hause. Gott segne den Stamm, d’raus Gutes sproß, Mag Segen und Glück ihn bethauen! Im Thüringer Walde, da liegt ein Schloß, darinnen die Herzen bauen.“ 8 I. LITERATUR Nr. 5 Pietro Aretino 9 I. LITERATUR (Andersen) 3 — Gestochene Visitenkarte mit e. Zusatz u.U. O.O.u.D. Kleines Visitformat. Linke Ecke mit Oxydationsschaden. Unter seinem gestochenen Namenszug fügt er hinzu: „H.C. Andersen aus Copenhagen!“ (250.—) 4* ANNUNZIO, Gabriele d’, 1863 – 1938. E. Br. m. U. „Gabriele“. O. O. u. D. 1 S. gr.-4o. Auf Bütten. Leicht staubfleckig. (300.—) An eine Freundin, von der er eine schlechte Nachricht erhalten hatte. „Mia cara Magda, / che penosa notizia mi date! Verrò a cercare di voi, al Grand Hôtel, verso le due … ‘E si vivrà si vivrà tuttavia, e il tempo passerà passerà sempre!’ …“ „mie miserie“ 5 ARETINO, Pietro, 1492 – 1556. E. Br. m. U. Venedig 30.VII.1548. 1 S. folio. Mit Siegel- spur und Adresse. Leicht fleckig, kleine Randläsuren. (1.600.—) An seinen Freund, den Staatstheoretiker Gianfrancesco Lottini (1512 – 1572) in Florenz, Sekretär des Herzogs Cosimo I. („A presso il Mag[nissi]mo Duca Cosimo“), dem er eine Zuwendung des „gran Cosi- mo“verdanke. „Dopo il darmi beneditioni, in cambio le gratie, chio debbo nel fatto de la mercede usatami dal signor nostro tutto misericordia, et mansuetudine dicovi, che non altrimentiha possuto conosare il DUCA l’ho- nestà mia ...“– Erwähnt ferner „il signore Ascanio“im Zusammenhang mit einer „pensione dei ducento scudi per anno, offertimi spontaneamente“und den „imbasciador Pandolfini“, der ihm „le lettere di sua Signoria Illustrissima“überbracht habe – „havevo mandato a impegnare alcune mie miserie, per ripa- rare a lenecessita in cui peno ...“ 1542 hatte Aretino Herzog Cosimo I. seine Komödie „La Talanta“ gewidmet und ihm 1545 sein von Tizian geschaffenes Portrait geschenkt. Nachdem sein vormaliger Gönner Federico II. Gonzaga, Herzog von Mantua, ein Attentat auf ihn geplant hatte, war Aretino 1527 nach Venedig geflohen. – Von Lottini heißt es, er habe am 26. Februar des Jah- res in Venedig Lorenzino de’ Medici in Cosimos Auftrag ermorden lassen; Lorenzino hatte seinerseits 1537 Cosimos Vorgänger Herzog Alessandro de’ Medici ermordet. Sehr selten. Siehe die Abbildung auf Seite 9. 10 I. LITERATUR „... wenn er auch Deutschland zuweilen vergeßen zu haben scheint“ 6 ARNDT, Ernst Moritz, 1769 – 1860. 9 e. Br. m. U. Bonn 10.VIII.1837 bis 1.I.1859. Zusammen 22 S. gr.-4obis kl.-4o. Ein Brief mit Adresse (Ränder stark defekt). Leicht gebräunt. Rand- und Faltenrisse, Montagereste. (2.000.—) Altersbriefe an die Dichterin Henriette Braus, die ihm regelmäßig zu seinem Geburtstag am 26. Dezem- ber gratulierte. 10.VIII.1837. Henriette Braus hatte um Beurteilung eines ihrer Werke gebeten. „Obgleichjetzt die pro- saischesten Monate des Jahres herrschen, wo poetische Stimmungen und Ank[länge] fehlen müssen, und also auch wohl wenig Empfänglichkeit da ist, sich in fremdeStimmungen und Gefühle zu versetzen, so würde es doch fast mehr als hart scheinen IhrenWunsch, liebes Fräulein, zurückzuweisen. Schicken Sie also immer. Vielleicht kann ich Ihnen bei dem bewußten Werke doch nocheinig[e] Winke geben, auf jeden Fall würden ja meine etwanigen Bemerkungen, wenn Siedieselben auch nicht zu benut- zen wüßten, ihm nicht schaden ...“ 4.I.1842. Mit Dank für die Übersendung ihrer Gedichte, „welchen Sie meinen Namenvorgesetzt haben… Wie Ernst und Innigkeit des Gefühls sich in Ihren Versen ausspricht, so haben Sie in mirnicht den gro- ßen Dichter, der ich nicht bin, sondern den redlichen treuen Menschen, der zuseyn ich gestrebt habe, ehren wollen ...“ 10.I.1850. „... Ich bin wirklich 80 Jahre alt geworden und fühle es doch oft schon in Markund Knochen, daß ich es bin. Manche wundersamen Rüffel des Lebens, auch schlimme Rüffel, habe ich durchgelebt und auch durchgekämpft und Gott hat mich bis hieher gnädighindurchgeführt. Lange aber wäre ich nicht mehr unter den Lebendigen, wenn nicht Liebe undTreue, gute Menschen mich mitgetragen und aufge- richtet hätten, wenn Muth und Geist jazuweilen versinken wollten ...“ 10.I.1853. „... Mein Leben sinkt hinab wie alles sterbliche Leben zumal auf solchemAltersabsturz, als wor- auf ich stehe. Ich befinde mich doch bei diesen abschüßigen Jahren noch so leidlich, und bin der meisten äußren Sinne noch ziemlich mächtig. Auf den innerenSinn wird freilich in unsern Tagen viel geschlagen mit Trug, Feigheit und Gewalt von untenund oben, indeßen wir müßen dem vertrauen, der uns auf die- sen kleinen wunderlichenPlaneten gesetzt hat, daß er nach einer ewigen Nothwendigkeit nicht anders kann als dieDinge dieser Welt selbst durch alle Irren und Wirren unsers Geschlechts auf eineräthselhafte Weise zu seinem Ziel führen zu laßen ...“ 31.XII.1854. „... Gott hat mich ja 85 Jahre in leidlicher Gesundheit und Rüstigkeitvollenden laßen und läßt mich ohne Krücke und Brille noch unter den Menschenkindern mitpilgern … Das preußische und deutsche Vaterland. Wir wollen beten, daß Gott gnädig walte. Bei denallgemeinen europäischen und deutschen Wirren ohne irgend einen großen Willen können wirbei den blitzenden Wol- ken, die über unsern Köpfen hängen, nur zu Ihm allein in Hoffnungaufblicken ...“ 5.I.1858. „... Mir und meiner Hausfrau“(seine zweite Ehefrau, Nanna A. geb. Schleiermacher) „geht es fast beßer, als wir nach unserm hohen Alter billig hoffenkönnten. Gott steht ja immer den Schwachen bei und verläßt nach dem alten frommen Sprichwort keinen Deutschen, wenn er auch Deutschland zuwei- len vergeßen zu haben scheint.Für dieses unser Vaterland und für unsern armen König“(Friedrich Wil- helm IV. von Preußen, der 1857 mehrere Schlaganfälle erlitten hatte) „haben wir Ursache sehr zu beten. Er ist ja gefährlich krank, und wenn der Kopf krank ist, wie sollten wir (der Leib) gesund sein ...“ 1.I.1859. Nach seinem 90. Geburtstag. „Ich bin müde sehr müde, liebes Kind, von vielem Lärm und Getümmel der Festtage; auch das Alter macht müd! Also nur ein kürzestes Wort des Dankes für all Ihre lieben Wünsche. Gebe Gott Ihnen und dem Vaterlande ein schönes und glückliches Jahr 1859! Wir haben durchGott ja etwas beßere Aussichten. / Ich und meine gute Frau sind beide sehr alt, doch läßtder liebe Gott uns unser Alter leidlich tragen ...“ 11 I. LITERATUR „Dieser traurige Mißgriff“ 7 ARNIM, Bettina von, geb. Brentano, 1785 – 1859. E. Br. m. U. „Bettine“. (Berlin) „am Mon- tag ich glaub 20ten Juli“(1845). 31⁄ S. gr.-4o. Kleine Faltenrisse, leicht gebräunt. (3.000.—) 4 Eindringlicher Brief an General Rühle von Lilienstern, den sie bittet, sich bei König Friedrich Wilhelm IV. in ihrem Auftrag für den inhaftierten schlesischen Fabrikanten Friedrich Wilhelm Schlöffel zu ver- wenden. – Anfang des Jahres war Schlöffel der Anzettelung eines Aufstandes verdächtigt und inhaftiert worden. Erst acht Wochen später wurde eine offizielle Untersuchung wegen Hochverrats am Berliner Kammergericht eingeleitet. „... Das Paket was ich Ihnen für den König anvertraute enthält mehre Belege zur Rechtfertigung des gefangnen Schlöffel. Ich muß mich Ihnen näher darüber mittheilen.Dieser traurige Mißgriff, Folges eines falschen Spionierwesens, wird wie natürlichabermals dem König zur Last gelegt. Alles, was man incon- sequentes thut oder veranlaßt,versteht man durch einfache Manoeuvre auf ihn zu schieben. Achselzucken und Räuspernbringen Gerüchte in Umlauf, die nie öffentlich widersprochen werden. So gings mitItz- stein; gleich nach dem leidigen Vorfall, räusperte die Allgemeine Leipziger Zeitungheraus, es existire eine geheime Kabinetsordre die ein solches Verfahren befuge, jabefehle; dazu zuckten die ‘Hochgestellten’ die Achseln, aber kein Befehl erging was diesemfalschen Gerücht widersprochen hat. Die Illiberalen sind abgegangen mit liberalemAchselzucken, und halten sich in der öffentlichen Meinung gerechtfertigt. – Und eben alsich nach Haus fahre begegnet mir beim Eingang in meine Wohnung ein liberaler Fremdling; er legt mir in grünem Saffianband seine Gedichte zu Füßen; er spricht mir von nahenZeitläuften; von Tags- begebenheiten, und wie Schlöffels Geschichte allgemein aufs bitterstebesprochen wird, und daß man im Begriff stehe, eine Brochure darüber drucken zu lassen, umdem Volke ans Herz zu legen, es sei in die- sem Manne beleidigt. – Dies ist aber nicht nachmeinem Sinn. Die Geschichte Schlöffels ist eine allgemein wichtige für Deutschland, das umso mehr an die unkluge Willkühr glaubt mit der man hier verfuhr, als man weniger darüberzu sprechen wagt. Und das ist aber das Schlimme, je weniger man darüber spricht, je mehrist die allgemeine Stimme daß der König Theil daran habe. Nun hab ich folgenden Plan: Ein Heft was schon fertig von mir gedruckt daliegt, wohl schonüber ein Jahr lang die Censur bogenweis passirt hat und das Armenwesen bespricht; was ich abernicht fortsetze um der Thorheit die mich verfolgte, keine Gelegenheit zu bösen Streichenzu geben; dies will ich jetzt als erstes Heft meines Armenbuchs gleich heraus geben, daswas ich über Schlöffel an den König geschrieben habe und was aus der Quelle der reinstenWahrhaftigkeit kommt will ich hinzudrucken lassen mit samt der Antwort des Königs derhoffentlich auf den einfachen Vorschlag eingeht, auf die in meinem Schreiben angegebenenGrün- de hin, die Garantie für den Schlöffel selbst zu übernehmen, und sofort seineFreilassung zu befehlen … Wie glücklich wär dies nun, wenn ich jeder andern Publication über Schlöffel zuvorkäme mitmeinem Büchelchen wenn die einfache Großmuth des Königs an [den] Tag käme; und dies kämean den Rhein noch während er dort ist“(am 12. August wurde in Bonn das Beethoven-Denkmal im Beisein König Fried- rich Wilhelms IV. enthüllt), „und es verbreitete sich dort wie einLauffeuer; es würde gewiß ihm ein paar ungetrübte Tage machen ...“ Die Untersuchung verlief ohne Ergebnis, so daß Schlöffel am 24. Juli des Jahres aus der Haft entlassen wurde; Ende des Jahres wurde er endgültig freigesprochen. 8* BACHMANN, Ingeborg, 1926 – 1973. E. Schriftstück m. U. O. O. u. D. 2⁄ S. folio. Mini- 3 maler Faltenriß. (200.—) Entwurf eines Telegramms an ihren Freund, den Komponisten Hans Werner Henze in Castel Gandolfo. „Carissimo ti auguro tutto il bene per il nuovo anno ti penso e il regalino segue perché sto ferma e annua- lata a Monaco. Sempre / Ingeborg“. 12 I. LITERATUR Nr. 7 Bettina von Arnim 13 I. LITERATUR 9* BALZAC, Honoré de, 1799 – 1850. E. Billett m.U. „de Bc“. (Paris) 31.VIII. (1848). 3⁄ S. 4 kl.-8o. (1.200.—) An Paul Guerville vom „Théâtre Historique“. „Je prie Monsieur Guerville de faire placer dans la loge qu’il m’a promise ce matin lespersonnes qui se présenteront avec ce billet.“ 10 BANG, Herman, 1857– 1912. E. Albumblatt m.U. Prag, April 1908. 1 S. 4o. Bütten (schwach fleckig). (300.—) „Josef Kainz und Alexander Girardi sind in der Bühnenkunst die Verkörperung Oesterreichs. Und am tiefsten berührt bei beiden die Noblesse des Gefühls ...“ „mit den Fixierungen einiger eingreifender Überlegungen zur Kunsttheorie beschäftigt“ 11* BENJAMIN, Walter, 1892 – 1940. 7 e. Br. m. U. San Antonio (Ibiza), Paris und Skovsbo- strand 1.V.1933 bis 20.VII.1938. 22 S. gr.-8ound kl.-4o. Mit den Umschlägen. (30.000.—) Die Briefe an Kitty Marx-Steinschneider (1905 – 2002) in Palästina. – Auf Drängen Gershom Scholems hatte die junge Philologin Benjamin kurz vor dessen Emigration im März 1933 in Berlin aufge- sucht, und rasch wurde sie zu einer Mittlerin zwischen den Freunden, die sich im Philosophischen ein- ander entfremdeten. In den außerordentlich gehaltvollen, oft poetischen Briefen schildert Benjamin, wie seine Arbeiten unter den miserablen Bedingungen des Exils entstehen – insbesondere der „Kunstwerk-Auf- satz“, zu dessen Abfassung ein Gespräch mit Karl Steinschneider, dem Ehemann der Adressatin, den letz- ten Impuls gegeben habe; auch auf diese, ihm selbst so überaus wichtige Arbeit reagiere Scholem nur mit beredtem Schweigen. San Antonio 1.V.1933. „... da Sie Bedingungen gestellt haben – ehe Sie geneigt wären, mir zu schreiben – und da jedwede Diskussion derselben auf ihre Erfüllung hinausläuft, indem ja jene nur brieflich gesche- hen kann, mögen Sie in den ersten Zeilen dieses Schreibens das Zeugnis meiner Unterwerfung sehen. Je weiter aber Ihre Blicke dringen, mag Unmut Ihre Stirn umwölken, wenn Sie bemerken, wo auch meine Großmut Grenzen hat. Zunächst einmal am unteren Rande dieses Blatts. Weiterhin gegen mein untadli- ges Gedächtnis, in dem ein Obelisk mit alten Hieroglyphen Ihres Schreib-Versprechens, jedoch auf kei- nerlei Bedingungs-Postament gegründet, steht. Zum Dritten in dem Argwohn, hinter Ihrem Verhalten könnte sich die harte Faust von G.S. verbergen, welcher es begrüßt, bei den Gewaltakten, mit denen er seine Brief-Tribute bei mir eintreibt, eine Bundesgenossin erworben zu haben. Indem ich hoffe, mit den vorstehenden Ausführungen Ihre Genugtuung über mein Schreiben auf ein Mini- mum herabgesetzt zu haben, darf ich wohl um so mehr Beachtung für das schöne Briefpapier erbitten, das ich seit Jahren, bei Gelegenheit aus Paris beziehe, ohne damit noch jemals Anerkennung bei G.S. gefunden zu haben ... Vollständige Angaben über Ihre Ankunft und Unterkunft im heiligen Lande – Eindruck von den Juden im allgemeinen und von G.S. im besonderen – Versprechen, mir recht bald die ‚Mutter’ zurückzusenden“ (Brechts Stück; Benjamin hatte es Kitty Marx bei ihrer Begegnung in Berlin vor seiner Emigration im März des Jahres geliehen) „– Mitteilung über deren Aufnahme bei Ihnen – ebenso anmutige wie aufrichtige Schil- derung Ihres Tagewerks – Wetterbericht. Letzteres zum Trost, da hier eisige Kälte herrscht ... Im übrigen wünsche ich Ihnen doch glücklichere Lebens- und zumal Arbeitsbedingungen, als sie hier, in einem lauten und von Windstößen erschütterten Hause vorliegen. Ich habe an größere Sachen noch nicht herangehen können, plane aber im stillen einen Graciankommentar, zu dem ich einige Ausgaben da und Schriften über Gracian hier versammelt habe. Dieser war einJesuit, auf den Ihnen, auf Verlangen, G.S. bei einer Tasse Tee eine kleine Rede halten wird. 14 I. LITERATUR Aus Nr. 11 Walter Benjamin 15 I. LITERATUR (Walter Benjamin) Halten Sie sich vorerst an diese, denn was aus dem Kommentar wird, ist noch ungewiß. Zur Zeit bin ich mit einer recht kuriosen Schreiberei über den Roman beschäftigt, die vielleicht noch gedruckt – vermut- lich eines der letzten Schiffchen – in den Hafen des scholemschen Archivs einlaufen wird.“ (Gemeint ist seine Bennett-Rezension „Am Kamin“.) „Ich lese jetzt den zweiten Band von Trotzki; das ist außer Spa- zierengehen meine einzige Unterhaltung. Denn ein vernünftiges Wort kann man hier selten vernehmen und anbringen noch viel weniger. Schachpartien sind seltene Höhepunkte der Geselligkeit ...“ 22.VIII.1933. Glückwünsche zur Hochzeit mit Karl Steinschneider. „... die Hitze, die Ihnen eine so gute Freundin ist, und mit der übrigens auch ich immer auf bestem Fuße zu stehen glaubte, hat es diesmal weni- ger gut mit mir gemeint und mir mit Fieber, Wunden und Erschöpfung während längerer Zeit so zugesetzt, daß ich am Ende nicht mehr fähig blieb, die Herrschaft über die ärmlichen Siebensachen, über die ich hier verfüge, aufrecht zu erhalten, geschweige denn, deren Umkreis zu erweitern. So ist es erst gekommen, daß ich meinen Füllfederhalter eingebüßt habe und dann ist auch noch der Versuch gescheitert, durch Neubeschaffung meines gewohnten Briefpapiers die Unbequemlichkeiten, welche ich einem neuen, billi- gen und unbrauchbaren Schreibwerkzeug verdanke, zu vermindern. Das Endergebnis dieser Fehlschlä- ge haben Sie in diesen Zeilen vor sich. Ich wünschte sehr, daß Sie sie bei Gelegenheit auch Scholem mitteilten, damit er nicht nur ermessen kann, wie schwierigen Umständen die Nachrichten, welche er etwa in letzter Zeit von mir erhalten hat, abge- rungen sind, sondern auch mit einiger Gelassenheit das Eintreffen der kommenden abwarte ... Ihm gegen- über liegt mir ganz besonders schwer die Verpflichtung auf dem Sinn, Marginalien zu einer Sprachtheorie ihm zugänglich zu machen, deren Verlautbarung mir umso schwerer wird, als die Ein- lösung meiner Zusage drängender. Zu alledem kommen dringliche, aber lästige Verpflichtungen, wie die, von diesem entlegenen und an Büchern armen Küstenstreifen dem erwachten Deutschland bei der Feier des zweihundertjährigen Geburtstags Wielands beizuspringen. Vor allem will ich Ihnen nun aber für die freundliche Rücksendung der Brecht- und Musilbände danken. Eigentlich hätte ich es mir gewünscht, daß Sie mir über beide ein Wort geschrieben hätten. Die Enttäu- schung verschmerze ich nun freilich leicht, soweit sie den zweiten Posten betrifft. Nich ganz so hinsicht- lich des ersten; vielleicht auch darum, weil ich – nach einer Andeutung von Scholem, deren ich mich zu ent- sinnen glaube – bemerkt hatte, daß auch er an die Lektüre der ‚Mutter’ herangegangen ist. In diesem Falle also würde Ihr Schweigen ein Echo haben, das selbst über eine ozeanische Entfernung vernehmbar würde. Es wäre mir viel wert, wenn Sie mir Aufschluß über solch unsichere Vermutungen geben könnten...“ Erwähnt ferner das gemeinsam mit Wilhelm Speyer verfaßte „Kriminalstück“ („Ein Mantel, ein Hut, ein Handschuh“), das „nach Amerika verkauft“ sei – „ob freilich die Dollars von dort den Weg hierher fin- den werden, ist besonderer Umstände halber noch sehr viel fraglicher als ob mein Ruhm den Strapazen einer weiten Reise gewachsen ist. Seine nächsten Stationen liegen noch im europäischen Bereich: man übersetzt jetzt Stücke der ‚ Berliner Kindheit um neunzehnhundert’ ins Italienische und ins Fran- zösische. Im übrigen arbeite ich, mit Unterbrechungen, an diesem ... Buch immer fort ...“ Im Folgenden über seine geplante Reise nach Paris, wo sich „auch das Schicksal meiner Bibliothek ent- scheiden“ werde. – „Es wird die Frage sein, ob ich sie herausbekomme, und ob ich, wenn dieses der Fall ist, die Transportkosten aufbringen kann. Solange ich darüber keine positive Gewißheit habe, kann ich nur bedauern, Ihnen nicht außer dem zweiten Band von Musil und der ‚Mutter’ auch den Rest meiner Bestände mitgegeben zu haben...“ – Den beklagten Verlust seines Füllfederhalters, eines geliebten Erb- stücks, verarbeitet Benjamin literarisch in „Die glückliche Hand“. Paris 20.X.1933. Auf die Nachricht, daß Scholem die Lektüre der „Mutter“ abgebrochen habe. „... Natür- lich werde ich nicht verschweigen ... daß mein Einverständnis mit der Produktion von Brecht einen der wichtigsten, und bewehrtesten, Punkte meiner ganzen Position darstellt. Ich habe ihn literarisch, wenn auch niemals umfassend so doch öfter annähernd umschreiben können. Und weiter möchte ich annehmen, daß diese unvollkommenen Umschreibungen in Palästina noch eher geneigte Augen finden könnten als die erheblicheren ‚Versuche’, auf welche sie sich beziehen ... Ich nehme leider nicht an, daß sie mehr über Sie vermögen werden als über Gerhard, welchen sie nur zu einem sehr bedeu- tungsvollen Schweigen und, wenn ich mich nicht irre, nicht einmal zu dem Erwerb der Schriften bewe- gen konnten, über die unsere Auseinandersetzung wohl nur vertagt ist, freilich, unbedingt, mit meinem Willen, auch vertagt sein soll ...“ 16
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