Humor in der Antike 10.4.18 V:/019529_Humor_in_der_Antike/4_Herstellung/4_1_Innenteil/ 1 Humor in der Antike 2 3 4 5 6 Übersetzt und herausgegeben 7 von Karl-WilhelmWeeber 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 Reclam 34 35 36 Humor in der Antike 10.4.18 V:/019529_Humor_in_der_Antike/4_Herstellung/4_1_Innenteil/ 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 19529 2006, 2018 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, 24 Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen 25 Umschlaggestaltung: Stefan Schmid Design 26 Umschlagabbildung: Graffito aus Pompeji 27 Druck und Bindung: Canon Deutschland Business Services GmbH, 28 Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen 29 Printed in Germany 2018 30 RECLAM,UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und 31 RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart 32 ISBN 978-3-15-019529-1 33 34 www.reclam.de 35 36 Humor in der Antike 10.4.18 V:/019529_Humor_in_der_Antike/4_Herstellung/4_1_Innenteil/ 1 Inhalt 2 3 4 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 5 6 I. Kleine Anekdoten über große Leute . . . . . . 7 7 8 II. Volkes Stimme in Wandkritzeleien und 9 Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 10 Graffiti – die Wand als Klagemauer der Gehässig- 11 keit 35 · Wehe dem Grabschänder! 40 · Ratschläge, 12 Lebensmaximen und Tipps aus dem Jenseits 41 13 14 III. Die Witzsammlung desPhilogelos . . . . . . . 45 15 IV. Bissiges, Böses, Obszönes – Glanzstücke antiker 16 Epigrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 17 18 Martial – der Voyeur im Amt des Sittenwächters 53 · 19 Aus griechischen Spottepigrammen 67 20 V. Das Gastmahl des Trimalchio – Ein Schelmen- 21 roman als Sittengemälde . . . . . . . . . . . . . 74 22 23 VI. Kabinettstückchen antiken Humors . . . . . . 92 24 Homer: Ehekrach auf dem Olymp 92 · Aristophanes: 25 Im Klammergriff liebestoller Greisinnen 96 · 26 Theophrast: Das Lächeln der Selbsterkenntnis 101 · 27 Herondas: Prügelpädagogik auf Elternwunsch 103 · 28 Plautus: Die Aufarbeitung eines unfreiwilligen 29 Ehebruchs 108 · Horaz: Nervtöter auf der Heiligen 30 Straße 113 · Ovid: Eine himmlische Affäre 117 · 31 Seneca: Philosophie in der Badeanstalt 119 · Juvenal: 32 »Tausend Gefahren der grimmigen Stadt…« 120 · 33 Lukian: Die böseste Zunge des Altertums 123 · 34 Apuleius: Beamten-Autorität als Bärendienst 127 35 36 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Humor in der Antike 10.4.18 V:/019529_Humor_in_der_Antike/4_Herstellung/4_1_Innenteil/ 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 Humor in der Antike 10.4.18 V:/019529_Humor_in_der_Antike/4_Herstellung/4_1_Innenteil/ 1 Vorwort 2 3 4 Humor: Das ist ein Stichwort, nach dem man in den meis- 5 ten Antike-Lexika vergeblich sucht. Wo der Begriff fehlt, 6 wird auch die Sache, wenn überhaupt vorhanden, dann je- 7 denfalls eher schwach ausgeprägt und aus zweitausendjäh- 8 riger Distanz nur schlecht fassbar sein – so könnte man 9 aus dem enttäuschenden lexikalischen Befund schlussfol- 10 gern. Ein falscher Eindruck, der indes eine Menge über 11 das immer noch vorherrschende Antike-Bild verrät: In 12 eine idealistische Stilisierung des Altertums mit ihrer Nei- 13 gung, besonders die hehren, die »klassischen« Züge zu be- 14 tonen, fügt sich etwas Profan-Alltägliches wie Humor 15 nicht recht ein. 16 Die vorliegende Anthologie will auf unterhaltsame Wei- 17 se versuchen, dieses klassizistische Fehlurteil ein wenig zu 18 revidieren, indem sie die heitere, fröhliche Seite unseres 19 kultur- und geistesgeschichtlichen Erbes aus dem Alter- 20 tum beleuchtet und vornehmlich literarische Texte präsen- 21 tiert, die die Einbettung des Humorvollen in die Lebens- 22 wirklichkeit des antiken Menschen veranschaulichen. 23 Denn natürlich sind Witz und Spott, Heiterkeit und La- 24 chen aus der griechisch-römischen Zivilisation und ihrer 25 literarischen Produktion nicht wegzudenken. Wenn La- 26 teinschüler nur mit den »gestrengen« Schriften eines Cice- 27 ro, Caesar und Seneca, wenn Adepten des Griechischen 28 nur mit Sophokles, Platon und Thukydides konfrontiert 29 werden, wird ihnen ein Großteil der antiken Literatur 30 vorenthalten. Es stünde einem urbanen Humanismus gut 31 an, den Humor als genuinen Ausdruck spezifisch mensch- 32 licher Gefühlswelt und Lebensbewältigung deutlich stär- 33 ker zu berücksichtigen, um nicht zu sagen: ihn ernster zu 34 nehmen. 35 Immerhin sind es ja die Griechen gewesen, die die Ko- 36 mödie als ausgelassenes, heiteres Pendant zur ernsten Tra- Humor in der Antike 10.4.18 V:/019529_Humor_in_der_Antike/4_Herstellung/4_1_Innenteil/ 6 Vorwort 1 gödie »erfunden« und – jedenfalls in Athen – als Teil nicht 2 nur des Unterhaltungswesens, sondern zunächst auch des 3 Kultes gepflegt haben. Der zotig-aggressive Humor der 4 Alten Komödie als besondere Artikulation von Gottes- 5 Dienst – das schien den Griechen eine durchaus angemes- 6 sene Hommage an ein Mitglied ihrer Göttergemeinschaft, 7 die schon bei Homer durch ihr sprichwörtliches »unaus- 8 löschliches Lachen« sympathisch-anthropomorphe Züge 9 trägt. 10 Oder die Römer: Sie fanden bei aller vermeintlichen 11 Griesgrämigkeit und würdevollen Gestelztheit, die ihnen 12 das Klischee als »Volkscharakter« andichten will, durch- 13 aus Zeit, ein literarisches Genus aus der Taufe zu heben 14 und zu schönster Vollkommenheit zu hegen, das seitdem 15 als Inbegriff einer humorvollen Gattung gilt: die Satire. 16 Und auch das Spottepigramm war eine literarische Kreati- 17 on des Altertums – wobei durchaus zweifelhaft ist, ob es 18 in seinen besten, prägnantesten Ausformungen bei Martial 19 später von einem der zahlreichen »Schüler« mit anderer 20 Muttersprache jemals übertroffen worden ist. 21 Mit dem Thema »Humor in der Antike« könnte man 22 eine Vielzahl von Büchern füllen. Die Beschränkung auf 23 den vorgegebenen Rahmen dieses Bandes machte eine 24 Auswahl nötig, die in ihrer unvermeidbaren Subjektivität 25 nicht jeden Leser überzeugen wird. Der Herausgeber 26 kann nur hoffen, dass er – in eigener Übersetzung und un- 27 ter eigenen Überschriften – zumindest ein möglichst anre- 28 gendes Humor-Potpourri zusammengestellt hat, das Lust 29 macht, tiefer und breiter in das Œuvre mancher der hier 30 vorgestellten Autoren einzudringen. Im Übrigen bleibt 31 nur noch ein dem Thema in besonderer Weise angemesse- 32 ner Wunsch zu äußern: Gute Unterhaltung! 33 34 35 36 Humor in der Antike 10.4.18 V:/019529_Humor_in_der_Antike/4_Herstellung/4_1_Innenteil/ 1 I 2 Kleine Anekdoten über große Leute 3 4 5 »Anekdote« – das ist etwas, das, ginge es nur nach etymo- 6 logischen Gesichtspunkten, gar nicht bekannt sein dürfte. 7 Denn ein anekdoton ist nichts anderes als etwas »nicht 8 Herausgegebenes«, »Unveröffentlichtes«. Erstmals als lite- 9 rarischen Sammelbegriff verwendet hat ihn der byzantini- 10 sche Geschichtsschreiber Prokop von Kaisareia (6. Jahr- 11 hundert). Anekdota betitelte er eine Sammlung üblen 12 Hofklatsches und polemisch-herabsetzender Histörchen 13 über Kaiser Justinian und seine Frau Theodora, die er aus 14 seinen »offiziellen« Historien wohlweislich herausgelassen 15 hatte. Der Versuchung, die weniger glänzenden Splitter 16 der Geschichte, die sich im Laufe seiner Recherchen gewis- 17 sermaßen als Abfallprodukte des Bedeutenden und Seriö- 18 sen angesammelt hatten, vor einer daran durchaus interes- 19 sierten Leserschaft genüsslich auszubreiten, hat Prokop 20 nicht widerstanden – daher die Herausgabe der noch »un- 21 veröffentlichten« Geheimgeschichte. 22 Später erst erhielt der Anekdoten-Begriff die Bedeu- 23 tung, die wir heute mit ihm verbinden. Was indes nicht 24 heißt, dass dem Altertum die Sache an sich fremd gewesen 25 wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Allerdings verwendete 26 man eine Reihe anderer Begriffe dafür. Der wichtigste, 27 dem Anekdoten-Begriff am nächsten stehende ist das 28 »Apophthegma«. 29 »Ausspruch, witziges Wort, treffende Antwort« oder 30 auch – seltener – für eine Person »charakteristische Hand- 31 lung« sind Übersetzungen, die das Spektrum des Apo- 32 phthegma-Begriffes erkennen lassen. Die klassische Form 33 des Apophthegmas ist: »Auf die Frage des X antwortete 34 Y«. Diese Basis kann erweitert oder modifiziert werden, 35 indem eine kurze Situationsbeschreibung hinzutritt oder 36 jemand auf eine bestimmte Lage reagiert. Ein beliebtes Humor in der Antike 10.4.18 V:/019529_Humor_in_der_Antike/4_Herstellung/4_1_Innenteil/ 8 Kleine Anekdoten über große Leute 1 »Strickmuster« stellt die Provokation einer Persönlichkeit 2 durch eine unangenehme Frage oder schwierige Situation 3 dar. So in die Enge getrieben, gelingt es ihr dann mit Hilfe 4 einer verbalen Pointe, die Lage zu meistern, ja sich aus der 5 Defensive zu befreien und bisweilen sogar den Spieß um- 6 zudrehen: Da steht dann auf einmal der Fragesteller als 7 der Bloßgestellte da. 8 Ursprünglich wurde das Apophthegma mündlich über- 9 liefert. Man erzählte einander solche heiteren Prominen- 10 ten-Bonmots; beim abendlichen Symposion fiel dem einen 11 dieser, dem anderen jener Ausspruch einer bekannten Per- 12 sönlichkeit ein; oder ein Politiker würzte seine Rede mit 13 einem überlieferten oder persönlich gehörten Witzwort ei- 14 ner anerkannten Autorität, das dann auch eine argumen- 15 tative Funktion bekommen konnte. Im Laufe der Zeit gin- 16 gen Schriftsteller daran, das in großer Fülle tradierte 17 Anekdoten-Material zu sammeln, zu ordnen und zu un- 18 terhaltsamen Anthologien zusammenzustellen. 19 Das antike Publikum brachte dieser »kleinen« Literatur- 20 gattung offenbar recht großes Interesse entgegen. Das hängt 21 gewiss auch mit dem Geschichtsverständnis des Altertums 22 zusammen, das sich stark an Persönlichkeiten orientierte. 23 Wenn man der Auffassung war, dass im Wesentlichen Perso- 24 nen Geschichte »machten«, dann war es sehr verführerisch, 25 sozusagen die Quintessenz eines historischen Ereignisses 26 oder einer geschichtlichen Entwicklung am Wesen und Ver- 27 halten dessen festzumachen, der dafür die Verantwortung 28 trug. So konnte sich im Idealfall Geschichte in einem einzi- 29 gen Apophthegma zusammenballen: Es charakterisierte sei- 30 nen Protagonisten auf engstem Raum mit wenigen Worten 31 und hellte zugleich Motivationen und Hintergründe seines 32 Handelns auf. Umso besser, wenn sich diese »Aufklärungs- 33 arbeit« mit vergnüglicher Lektüre verbinden ließ! 34 Im Zusammenhang mit dieser Neigung zur Personali- 35 sierung von Geschichte stand vor allem bei den Römern 36 ein stark ausgeprägtes Denken in Beispielen, Vorbildern Humor in der Antike 10.4.18 V:/019529_Humor_in_der_Antike/4_Herstellung/4_1_Innenteil/ Kleine Anekdoten über große Leute 9 1 und Präzedenzfällen. Wo das exemplum ein solches Ge- 2 wicht hatte, war es gut, sich im öffentlichen Leben mit ein- 3 schlägiger »Munition« auszurüsten. Das Zitieren eines 4 brillanten Apophthegma, der Hinweis auf die ironisch- 5 pointierte »Lösung« eines Sachverhalts durch eine be- 6 rühmte Gestalt der römischen Geschichte hatte unter Um- 7 ständen größere Überzeugungskraft als die langatmige, 8 detaillierte Diskussion einer Sache. Und was die Philoso- 9 phie angeht: Gab es eine einprägsamere, komprimiertere 10 Illustration typischer Einstellungen und Verhaltensweisen 11 führender Philosophen als die in Anekdoten-Form gegosse- 12 ne »Kurzfassung« ihrer Lehren? 13 Natürlich dienten Anekdoten auch dazu, das Unterhal- 14 tungs- und Klatschbedürfnis der Leser zu befriedigen – so 15 vor allem, wenn sie dem Umkreis eines Königs- oder Kai- 16 serhofes entstammten. In manch einem Apophthegma ka- 17 nalisierte sich darüber hinaus politischer Unmut; das Witz- 18 wort wurde zur Waffe der sonst Ohnmächtigen gegenüber 19 Tyrannen und Autokraten: Gegen seine guerillaartige, 20 nicht fassbare Macht und Dynamik vermochten Fesseln 21 und Gefängnisse nichts auszurichten. Schließlich der 22 Aspekt des Exemplarischen, Allgemein-Menschlichen: So- 23 wenig sich der Großteil der Anekdoten von der Persön- 24 lichkeit ihrer Hauptfigur lösen lässt, so gab es doch auch 25 den anderen Typus, bei dem die scheinbar im Zentrum ste- 26 hende Person im Grunde fast auswechselbar war – jene 27 Sorte anekdotischer Erzählungen und Aussprüche, die ge- 28 wissermaßen das zeitlos Allzumenschliche am Beispiel ei- 29 nes konkreten »Opfers« spöttisch auf den Punkt bringen. 30 31 32 Stolz auf einen Seitensprung 33 34 Alexander der Große schrieb einmal an seine Mutter und 35 benutzte dabei folgende Anredeformel: »König Alexander, 36 Sohn des Zeus Ammon, grüßt seine Mutter Olympias.« Humor in der Antike 10.4.18 V:/019529_Humor_in_der_Antike/4_Herstellung/4_1_Innenteil/ 10 Kleine Anekdoten über große Leute 1 Worauf ihm Olympias, die Großspurigkeit ihres Sohnes 2 milde tadelnd, zurückschrieb: »Tu mir den Gefallen, mein 3 lieber Sohn, und schweige! Verrate mich bitte nicht der 4 Hera, denn sie wird sich furchtbar an mir rächen, wenn du 5 in deinen Briefen zugibst, dass ich die Geliebte ihres Man- 6 nes war.« 7 Gellius,Noctes Atticae 13,4 8 9 Rettung durch Geistesgegenwart 10 11 Auf seinem Persienfeldzug war Alexander der Große im 12 Begriff, den Befehl zur Zerstörung der Stadt Lampsakos 13 zu geben, als sein Lehrer Anaximenes auf ihn zutrat. 14 Lampsakos war die Heimatstadt des Anaximenes, und 15 Alexander war sicher, dass der Gelehrte ihn um Schonung 16 der Stadt bitten werde. Deshalb rief er ihm schon von 17 weitem zu: »Ich schwöre dir, dass ich deiner Bitte nicht 18 nachgeben werde!« Worauf Anaximenes blitzschnell 19 ›schaltete‹ und entgegnete: »Ich bitte dich, Lampsakos zu 20 zerstören« – eine Geistesgegenwart, die die Stadt vor der 21 Vernichtung bewahrte. 22 Valerius Maximus,Facta et dicta memorabilia 7,3, ext. 4 23 24 25 Schlagfertigkeit spart Geld 26 27 Die kynischen Philosophen hielten sich viel auf ihre Be- 28 dürfnislosigkeit zugute. Das Wenige, das sie zum Lebens- 29 unterhalt benötigten, erbettelten sie. Einst trat der Kyni- 30 ker Thrasyllos zum makedonischen König Antigonos und 31 bat ihn um eine Drachme. »Das ist kein Geschenk, das ei- 32 nem König entspricht«, lehnte Antigonos ab. »Dann gib 33 mir eben ein Talent«, erwiderte Thrasyllos. »Tut mir 34 Leid«, erhielt er zur Antwort, »aber das ist kein Ge- 35 schenk, das einem Kyniker entspricht!« 36 Plutarch,Moralia 182E
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