Peter S. Harper Hum angen etische Beratung Aus dem Englischen iibersetzt und herausgegeben von H.-A. Freye und K. Zernahle Springer-Verlag Wien New York Titel der Originalausgabe: Practical Genetic Counselling, Second Edition. Bristol: Wright. © John Wright & Sons Ltd. 1984. Verfasser: Peter S. Harper, MA, DM, FRCP Professor of Medical Genetics, Welsh National School of Medicine; Consultant in Medical Genetics and Consultant Physician, University Hospital of Wales, Cardiff, UK Übersetzung: Dr. sc. nato Klaus Zernahle Institut für Biologie des Bereichs Medizin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle/S. Wissenschaftliche Redaktion: Prof. Dr. sc. nat. Hans-Albrecht Freye Direktor des Instituts für Biologie des Bereichs Medizin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle/S. Das Werk erscheint als Gemeinschaftspublikation im Springer-Verlag Wien - New York und im VEB Gustav Fischer Verlag Jena und ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem und ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Vertriebsrechte für alle Staaten mit Ausnahme der sozialistischen Länder: Springer-Verlag Wien - New York Vertriebsrechte für die sozialistischen Länder: VEB Gustav Fischer Verlag Jena Mit 51 Abbildungen und 102 Tabellen CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Harper, Peter S.: Humangenetische Beratung/ Peter S. Harper. Aus d. Eng!. übers. u. hrsg. von Hans-Albrecht Freye U. Klaus Zernahle. - Wien; New York : Springer; Jena: Fischer, 1988 Einheitssacht.: Practical genetic counselling (dt.) © 1988 by VEB Gustav Fischer Verlag Jena Softcover reprint ofthe hardcover 1st edition 1988 Satz und Reproduktion: Druckerei Neues Deutschland, Berlin ISBN 978-3-7091-8974-0 ISBN 978-3-7091-8973-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-7091-8973-3 Vorwort zur zweiten Auflage der englischsprachigen Ausgabe Die groBen Fortschritte wahrend der letzten drei Jahre in Verbindung mit der er mutigenden Aufnahme, die der ersten Auflage dieses Buches sowohl durch Kol legen als auch von den Rezensenten entgegengebracht wurde, haben mich zu dieser zweiten Auflage bewogen. Das detaillierte Material der zweiten Halfte des Buches ist umfassend iiberarbeitet und modernisiert worden, wie auch die vorherigen Kapitel iiber pranatale Diagnose und Chromosomenaberrationen. Ich habe jedoch der Versuchung widerstanden, die allgemeineren Teile starker zu verandern; sie schein en von ihrer urspiinglichen Aussagekraft nichts verloren zu haben. Auf diese Weise, so hoffe ich, wird das Buch sowohl anregender Lese stoff sein als auch als niitzliches Nachschlagewerk dienen. Einige Leser konnten die Notwendigkeit fUr das neue eigenstandige Kapitel der rekombinanten DNA-Technik in diesem Stadium in Frage stellen. Ich zwei fle aber nicht daran, daB dieses Gebiet schnell zu einem Teil der genetischen Be ratung und der Praxis der klinischen Genetik werden wird, wie es die zytogeneti schen Methoden heute schon sind. Viele Freunde und Kollegen gingen auf die Bitte urn Korrekturen und Anre gungen in der ersten Auflage ein, und ich hoffe, daB sich diese wertvolle "Riick kopplung" fortsetzen wird. Besonders halfen bei der Durchsicht der Kapitei Dr. V. Cowie, Dr. S. Roberts, Dr. M. Vowles, Dr. R. Winter und Dr. J. Young. Gro Ber Dank gebiihrt all meinen Kollegen aus Cardiff fUr ihre Ratschlage und Un terstiitzung, wie auch Frau Gill Gulliford fUr das Organisieren und Schreiben der Uberarbeitung und dem Verlag John Wright & Sons fUr die Geduld und das Interesse am Werk. P. S. Harper Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe Die moderne Humangenetik ist als genetische Beratung zu einem wesentlichen Bestandteil der heutigen Patientenbetreuung und Familienfiihrung geworden. Sie nimmt daher einen wichtigen Platz in der Aus- und Weiterbildung der Hu manmediziner ein. Der unverkennbar groBe Fortschritt, der in der Entwicklung der Humangenetik stets zu registrieren und gerade in den letzten drei Jahren be sonders explosiv war, macht ein standiges Hinzulernen und in mancher Hinsicht auch eine Revision bisheriger Auffassungen notwendig. Waren es zunachst z. B. die spezifischen Bandingmethoden in der Humanzy togenetik, so sind es gegenwartig vor all em die biochemischen und die DNA Techniken, die unser Verstandnis genetischer Krankheiten nachhaltig beeinflus sen und einen neuen Zugang zur Erkennung und eventuellen Pravention erbbe dingter Fehlentwicklung ermoglichen. Sie sind so mit in hohem MaBe verant wortlich fiir den Entwicklungsstand und hohen Stellenwert der pranatalen Dia gnostik von Erbkrankheiten, wie auch z. B. fur die Aussichten, die sich daraus fur die moderne Tumorforschung ergeben. Humangenetik im allgemeinen und die genetische Beratung im besonderen stehen im Dienst des Menschen, des Patienten, und sind somit als Teil der medi zinischen Betreuung und Patientenfiihrung zu verstehen. In diesem Zusammen hang kann man an Immanuel Kant erinnern, der 1799 erlauterte, daB unsere Vernunft urn drei Fragen kreise: Was kann ich wissen? Was soli ich tun? Was darf ich hoffen? Ohne Kant zu apostrophieren, sind diese Fragestellungen Grundlage des vor liegenden Buches. Es lebt von dem reichen Erfahrungsschatz des langjahrigen Praktikers, seiner Sorge urn Patienten und Familie, seiner Hoffnung auf weitere Erkenntnisse der Humangenetik. Es besticht durch seine langjahrige Praxisver bundenheit und laBt in jeder Aussage und Einschatzung, die auch heute noch zunachst einmal Risikoangaben sind, den versierten und verantwortungsbewuB ten Arzt spuren. Das Buch legt Wert auf die Vermittlung des aktuellen Kennt nisstandes und der gegenwartigen diagnostischen Moglichkeiten. Selbstverstandlich verdeutlichen Veranderungen der nun ins Deutsche uber setzten zweiten Auflage gegenuber der Erstauflage sowie Korrekturen und Er ganzungen des Autors fiir die deutschsprachige Ausgabe die "Schnellebigkeit" des Faches, und sicher wird der Fachmann die eine oder andere Liicke finden. Damit wird aber unseres Erachtens die Aktualitat eines solchen Buches keines wegs eingeschriinkt. Unter Beibehaltung des Duktus der Originalarbeit haben die Herausgeber an einigen Stellen Kurzungen und Streichungen vorgenommen. Dies trifft insbe sondere fUr die Passagen zu, die lediglich im Wirkungsbereich des Autors von Interesse sind. Auch da, wo wir fachlich anderer Meinung waren, haben wir nichts geandert; die Originalitat solI man nicht nivellieren, gerade auch dann nicht, wenn sie zu Diskussionen herausfordert. Mit wenigen Ausnahmen hat der Autor nur aus den englischen Quellen geschopft. Fur die Obersetzung haben wir in den kapitelweise aufgefUhrten Literaturiibersichten auf deutschsprachige Li teratur aufmerksam gemacht. So haben wir die Hoffnung, daB dieses Buch den ihm zugedachten Interessenkreis findet und seinem Anliegen gerecht wird. H.-A. Freye K. Zernahle Inhaltsverzeichnis Vorwort zur 2. Auflage der englischsprachigen Ausgabe 5 Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe . 6 I. Allgemeine Aspekte der genetischen Beratung 9 Kapitel I : Genetische Beratung - eine Einfiihrung 9 Kapitel2: Genetische Beratung bei mendelnden Krankheiten 23 Kapitel3: Genetische Beratung bei nichtmendelnden Krankheiten 52 Kapitel4: Chromosomalenaberrationen 60 Kapitel5: DNA-Diagnostik genetischer Krankheiten 73 Kapitel6: Carrier-Diagnostik 81 Kapitel 7: Priinatale Diagnostik 94 Kapitel8: Spezielle Probleme in der genetischen Beratung 115 Kapitel9: Organisation der genetischen Beratung 129 II. Spezielle Organsysteme 138 KapitellO: Neuromuskuliire Erkrankungen 138 Kapitel II: Erkrankungen des Zentralnervensystems und psychiatrische Krankheiten 150 Kapitel 12: Erkrankungen der Knochen und des Bindegewebes 175 Kapitel 13: Orale und kraniofaziale Erkrankungen- 190 Kapitel14: Haut 196 Kapitel 15: Auge 204 Kapitel16: Taubheit 213 Kapitell7: Herz-und Kreislauferkrankungen 220 Kapitel 18: Verdauungssystem 231 Kapitel19: Nierenerkrankungen 241 Kapitel20: Endokrine Krankheiten 246 Kapitel21 : Angeborene Stoffwechselstiirungen 254 Kapitel2i: Blut 260 Kapitel23: Genetische Risiken bei Krebs 267 KapiteI24: UmweItgefahren 274 III. Schlufifolgerungen 283 Kapitel25: Genetische Beratung und Gesellschaft 283 Sachregister 291 I. Allgemeine Aspekte der genetischen Beratung Kapitel 1 Genetische Beratung - eine Einfiihrung Obgleich die Mehrzahl der im Gesundheitswesen Tatigen mit dem Terminus "Genetische Beratung" vertraut ist und auch Vorstellungen damber hat, was die ser Begriff beinhaltet, ist bislang kaum versucht worden, den Begriff wirklich zu definieren. Manche sehen darin eine notwendige Hilfe, ahnlich den Beratungs vorgangen in sozialen Bereichen oder einer psychotherapeutischen Sprech stunde, andere sehen die genetische Beratung primar als den Einsatz diagnosti scher Tests bei erblichen Erkrankungen an. Wieder andere betrachten sie als einen Komplex der mathematischen Statistik zur Ausarbeitung von familiaren Risiken. Aile diese Betrachtungen tiber die genetische Beratung enthalten zwar einen Teil der Wahrheit, doch sind aile weit entfernt davon, exakt zu sagen, was die genetische Beratung tatsachlich beinhaltet. Unter den Fachleuten gibt es man nigfaltige Meinungen hinsichtlich der besonderen Rolle und des Betatigungsfel des der humangenetischen Familienberatung. Die nachfolgende Definition aber enthalt die charakteristischen Merkmale, von denen der Autor glaubt, daB sie wesentlich sind. "Genetische Beratung ist ein Vorgang, bei dem Patienten oder Verwandte mit einem Risiko fUr eine Erbkrankheit, tiber die Folgen der Erkrankung, die Wahr scheinlichkeit ihres Verlaufes und tiber deren Weitergabe sowie tiber Wege der Pravention oder Korrektur beraten werden". Man sieht, daB in dieser Definition aile drei einleitend genannten Aspekte tat sachlich enthalten sind: Ein diagnostischer Aspekt, ohne den aile Ratschlage keine sichere Grundlage haben; die eigentliche Bestimmung der Risiken, die in einigen Situationen einfach sein mogen, in anderen eher komplizierter, sowie eine helfende Rolle, die sicherstellt, daB den Ratsuchenden Aufklarung und Hinweise auf zur VerfUgung stehende praventive MaBnahmen gegeben werden. Dieses Einleitungskapitel skizziert die Hauptschritte in diesem ProzeB, mit de nen sich dann detailliert die folgenden Abschnitte des Buches beschaftigen. Die Synthese dieser verschiedenen Aspekte gestaltet die genetische Beratung zu ei nem spezifischen ProzeB. Aufstellung eines Familienstammbaumes Das Zusammentragen genetischer Informationen ist der erste und bedeutsamste Schritt in der genetischen Beratung und am besten durch Aufzeichnung eines Stammbaumes auszufUhren. Der Gebrauch eindeutiger und einheitlicher Sym bole gestattet, die genetische Information urn vieles klarer auszudmcken, als es eine lange Liste der Verwandten tun wtirde. Es ist nicht schwierig, einen zufrie- 10 I. Allgemeine Aspekte der genetischen Beratung o 0 } mannllch, weiblich (unouffdllig) d9 0 Geschlecht unbekannt - • mdnnlich, welblich (kronk) [] 3 unouffallige Nanner •0 personlich unlersuchl verslorben (krank) 9 Person ohne Nochkommen D=O [he zwischen Blulsverwandlen 0-:--0 lileglflme Nachkommen 0 or Abort oder Tolgeburl do dlzygotlsche Zwillinge 6D monozygolische Zwillinge [] helerozygol (aulosomol-rezessiv) @ helerozygol (X -chromosomal) Abb, 1.1. Proposilus Die fUr die Darstellung eines Stammbaumes /- verwendeten Symbole denstellenden Stammbaum zu zeichnen, obgleich es bemerkenswert ist, wie sel ten Arzte dies tun, die kein genetisches Interesse haben. Ein klar gezeichneter Stammbaum hat ein bestimmtes iisthetisches Aussehen, aber sein hauptsiichli cher Wert besteht darin, eine zweifelsfreie genetische Information tiber eine ein zelne Familie zu liefem. Abbildung 1.1. zeigt die wichtigsten gebriiuchlichen Symbole fUr die Aufstel lung eines Stammbaumes, von denen einige schnell erkliirt sind. Die das Ge- Abb. 1.2. Zwei Beispiele fUr einen "Arbeitsstammbaum". Diese beiden Stammbaume, ein einfacher und ein ausgedehnter, zeigen, wie leicht und dabei doch iiber sichtlich Familiendaten wiihrend des Gespriiches aufgezeichnet werden kon nen. Dazu kann man ein normales Blatt Papier nehmen. Weitere detaillierte in formation iiber Personen sollte man unten auf dem Stammbaumblatt oder auf dessen Riickseite vermerken. I. Einfiihrung 11 Name d. Propositus Diagnose K4rl-l/eilH k. OpH'" fk{WU pi e ~ i et tD" St k;1. e"tt" .... a Name d Propositus Diagnose (Jete.,. G. PY011". Topeto -ch o"i, i cI«l f De1el1. Cho"';oicfere/7lit. ~' fM'M.«U ~ ,(M<.e.,., CD MM,~d.t b