Elemente des Antisemitismus. Grenzen der Aufklärung Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W.; Dialektik der Aufklärung. Philosophische I . . Fragmente; Frankfurt a.M., 1969 Der Antisemitismus heute gilt den einen als Schicksalsfrage der Menschheit, den anderen als bloßer Vorwand. Für die Faschisten sind die Juden nicht eine Minorität, sondern die Gegenrasse, das negative Prinzip als solches; von ihrer Aus- rottung soll das Glück der Welt abhängen. Extrem entgegen- gesetzt ist die These, die Juden, frei von nationalen oder Ras- semerkmalen, bildeten eine Gruppe durch religiöse Meinung und Tradition, durch nichts sonst. Jüdische Kennzeichen be- zögen sich auf Ostjuden, jedenfalls bloß auf noch nicht ganz Assimilierte. Beide Doktrinen sind wahr und falsch zu- gleich. Die erste ist wahr in dem Sinn, daß der Faschismus sie wahr gemacht hat. Die Juden sind heute die Gruppe, die praktisch wie theoretisch den Vernichtungswillen auf sich zieht, den die falsche gesellschaftliche Ordnung aus sich heraus produziert. Sie werden vom absolut Bösen als das absolut Böse gebrand- markt. So sind sie in der Tat das auserwählte Volk. Während es der Herrschaft ökonomisch nicht mehr bedürfte, werden die Juden als deren absolutes Objekt bestimmt, mit dem bloß noch verfahren werden soll. Den Arbeitern, auf die es zuletzt frei- lich abgesehen ist, sagt es aus guten Gründen keiner ins Ge- sicht; die Neger will man dort halten, wo sie hingehören, von den Juden aber soll die Erde gereinigt werden, und im Herzen aller prospektiven Faschisten aller Länder findet der Ruf, sie wie Ungeziefer zu vertilgen, Widerhall. Im Bild des Juden, das die Völkischen vor der Welt aufrichten, drücken sie ihr eigenes Wesen aus. Ihr Gelüste ist ausschließlicher Besitz, An- eignung, Macht ohne Grenzen, um jeden Preis. Den Juden, mit dieser ihrer Schuld beladen, als Herrscher verhöhnt, schlagen sie ans Kreuz, endlos das Opfer wiederholend, an dessen Kraft sie nicht glauben können. Die andere, die liberale These ist wahr als Idee. Sie enthält das Bild jener Gesellschaft, in der nicht länger Wut sich repro- duziert und nach Eigenschaften sucht, an denen sie sich betä- tigen kann. Indem aber die liberale These die Einheit der Menschen als prinzipiell bereits verwirklicht ansetzt, hilft sie zur Apologie des Bestehenden. Der Versuch, durch Minori- tätenpolitik und demokratische Strategie die äußerste Bedro- hung abzuwenden, ist zweideutig wie die Defensive der letz- 151 1 5 1 ten liberalen Bürger überhaupt. Ihre Ohnmacht zieht den davon haben als die Freude, daß die andern auch nicht mehr Feind der Ohnmacht an. Dasein und Erscheinung der Juden haben. Die Arisierung des jüdischen Eigentums, die ohnehin kompromittiert die bestehende Allgemeinheit durch man- meist den Oberen zugute kam, hat den Massen im Dritten gelnde Anpassung. Das unabänderliche Festhalten an ihrer Reich kaum größeren Segen gebracht als den Kosaken die eigenen Ordnung des Lebens brachte sie zur herrschenden armselige Beute, die sie aus den gebrandschatzten Judenvier- in ein unsicheres Verhältnis. Sie erwarteten, von ihr erhalten teln mitschleppten. Der reale Vorteil war halbdurchschaute zu werden, ohne ihrer doch mächtig zu sein. Ihre Beziehung Ideologie. Daß die Demonstration seiner ökonomischen Ver- zu den Herrenvölkern war die der Gier und der Furcht. geblichkeit die Anziehungskraft des völkischen Heilmittels Wann immer jedoch sie die Differenz zum herrschenden We- eher steigert als mildert, weist auf seine wahre Natur; es hilft sen preisgaben, tauschten die Arrivierten den kalten, stoischen nicht den Menschen, sondern ihrem Drang nach Vernichtung. Charakter dafür ein, den die Gesellschaft bis heute den Men- Der eigentliche Gewinn, auf den der Volksgenosse rechnet, ist schen aufzwingt. Die dialektische Verschlingung von Aufklä- die Sanktionierung seiner Wut durchs Kollektiv. Je weniger rung und Herrschaft, das Doppelverhältnis des Fortschritts sonst herauskommt, um so verstockter hält man sich wider zu Grausamkeit und Befreiung, das die Juden bei den gro- die bessere Erkenntnis an die Bewegung. Gegen das Argu- ßen Aufklärern wie den demokratischen Volksbewegungen ment mangelnder Rentabilität hat sich der Antisemitismus zu fühlen bekamen, zeigt sich auch im Wesen der Assimilier- immun gezeigt. Für das Volk ist er ein Luxus. ten selbst. Die aufgeklärte Selbstbeherrschung, mit der die Seine Zweckmäßigkeit für-die Herrschaft liegt zutage. Er wird angepaßten Juden die peinlichen Erinnerungsmerkmale der als Ablenkung, billiges Korruptionsmittel, terroristisches Ex- Beherrschung durch andere, gleichsam die zweite Beschnei- empel verwandt. Die respektablen Rackets unterhalten ihn, dung, an sich überwanden, hat sie aus ihrer eigenen, verwit- und die irrespektablen üben ihn aus. Die Gestalt des Geistes terten Gemeinschaft vorbehaltlos zum neuzeitlichen Bürger- aber, des gesellschaftlichen wie des individuellen, die im Anti- tum geführt, das schon unaufhaltsam zum Rückfall in die semitismus erscheint, die urgeschichtlich-geschichtliche Ver- bare Unterdrückung, zu seiner Reorganisation als hundert- strickung, in die er als verzweifelter Versuch des Ausbruchs prozentige Rasse vorwärts schritt. Rasse ist nicht, wie die gebannt bleibt, ist ganz im Dunkel. Wenn einem der Zivilisa- Völkischen es wollen, unmittelbar das naturhaft Besondere. tion so tief innewohnenden Leiden sein Recht in der Erkennt- Vielmehr ist sie die Reduktion aufs Naturhafte, auf bloße nis nicht wird, vermag es auch der Einzelne in der Erkennt- Gewalt, die verstockte Partikularität, die im Bestehenden ge- nis nicht zu beschwichtigen, wäre er auch so gutwillig wie nur rade das Allgemeine ist. Rasse heute ist die Selbstbehaup- das Opfer selbst. Die bündig rationalen, ökonomischen und tung des bürgerlichen Individuums, integriert im barbarischen politischen Erklärungen und Gegenargumente — so Richtiges Kollektiv. Die Harmonie der Gesellschaft, zu der die libera- sie immer bezeichnen — vermögen es nicht, denn die mit Herr- len Juden sich bekannten, mußten sie zuletzt als die der Volks- schaft verknüpfte Rationalität liegt selbst auf dem Grunde des gemeinschaft an sich selbst erfahren. Sie meinten, der Antise- Leidens. Als blind Zuschlagende und blind Abwehrende ge- mitismus erst entstelle die Ordnung, die doch in Wahrheit hören Verfolger und Opfer noch dem gleichen Kreis des Un- ohne Entstellung der Menschen nicht leben kann. Die Ver- heils an. Die antisemitische Verhaltensweise wird in den Si- folgung der Juden, wie Verfolgung überhaupt, ist von sol- tuationen ausgelöst, in denen verblendete, der Subjektivität cher Ordnung nicht zu trennen. Deren Wesen, wie sehr es sich beraubte Menschen als Subjekte losgelassen werden. Was sie zu Zeiten verstecke, ist die Gewalt, die heute sich offenbart. tun, sind — für die Beteiligten — tödliche und dabei sinnleere Reaktionen, wie Behavioristen sie feststellen, ohne sie zu deuten. Der Antisemitismus ist ein eingeschliffenes Schema, ja II ein Ritual der Zivilisation, und die Pogrome sind die wahren Ritualmorde. In ihnen wird die Ohnmacht dessen demon- Der Antisemitismus als Volksbewegung war stets, was seine striert, was ihnen Einhalt gebieten könnte, der Besinnung, Anstifter den Sozialdemokraten vorzuwerfen liebten: Gleich- des Bedeutens, schließlich der Wahrheit. Im läppischen Zeit- macherei. Denen, die keine Befehlsgewalt haben, soll es eben- vertreib des Totschlags wird das sture Leben bestätigt, in das so schlecht gehen wie dem Volk. Vom deutschen Beamten bis man sich schickt. zu den Negern in Harlem haben die gierigen Nachläufer Erst die Blindheit des Antisemitismus, seine Intentionslo- im Grunde immer gewußt, sie würden am Ende selber nichts sigkeit, verleiht der Erklärung, er sei ein Ventil, ihr Maß an 152 153 Schönheit, die ans Geschlecht erinnert, das als widerwärtig Wahrheit. Die Wut entlädt sich auf den, der auffällt ohne verfemte Tier, das an Promiskuität gemahnt, zieht die Zer- Schutz. Und wie die Opfer untereinander auswechselbar sind, störungslust der Zivilisierten auf sich, die den schmerzlichen je nach der Konstellation: Vagabunden, Juden, Protestan- Prozeß der Zivilisation nie ganz vollziehen konnten. Denen, ten, Katholiken, kann jedes von ihnen anstelle der Mörder die Natur krampfhaft beherrschen, spiegelt die gequälte auf- treten, in derselben blinden Lust des Totschlags, sobald es als reizend den Schein von ohnmächtigem Glück wider. Der die Norm sich mächtig fühlt. Es gibt keinen genuinen Anti- Gedanke an Glück ohne Macht ist unerträglich, weil es über- semitismus, gewiß keine geborenen Antisemiten. Die Erwach- haupt erst Glück wäre. Das Hirngespinst von der Verschwö- senen, denen der Ruf nach Judenblut zur zweiten Natur ge- rung lüsterner jüdischer Bankiers, die den Bolschewismus fi- nanzieren, steht als Zeichen eingeborener Ohnmacht, das gute worden ist, wissen so wenig warum, wie die Jugend, die es Leben als Zeichen von Glück. Dazu gesellt sich das Bild des vergießen soll. Die hohen Auftraggeber freilich, die es wissen, Intellektuellen; er scheint zu denken, was die anderen sich hassen die Juden nicht und lieben nicht die Gefolgschaft. Diese nicht gönnen, und vergießt nicht den Schweiß von Mühsal aber, die weder ökonomisch noch sexuell auf ihre Kosten und Körperkraft. Der Bankier wie der Intellektuelle, Geld kommt, haßt ohne Ende; sie will keine Entspannung dulden, und Geist, die Exponenten der Zirkulation, sind das ver- weil sie keine Erfüllung kennt. So ist es in der Tat eine Art leugnete Wunschbild der durch Herrschaft Verstümmelten, dynamischer Idealismus, der die organisierten Raubmörder dessen die Herrschaft sich zu ihrer eigenen Verewigung be- beseelt. Sie ziehen aus, um zu plündern, und machen eine dient. großartige Ideologie dazu, faseln von der Rettung der Fami- lie, des Vaterlandes, der Menschheit. Da sie aber die Geprell- ten bleiben, was sie freilich insgeheim schon ahnten, fällt III schließlich ihr erbärmliches rationales Motiv, der Raub, dem die Rationalisierung dienen sollte, ganz fort und diese wird Die heutige Gesellschaft, in der religiöse Urgefühle und Re- naissancen ebenso wie die Erbmasse von Revolutionen am ehrlich wider Willen. Der unerhellte Trieb, dem sie von An- Markte feilstehen, in der die faschistischen Führer hinter ver- fang an verwandter war als der Vernunft, ergreift von ihnen schlossenen Türen Land und Leben der Nationen aushandeln, ganz Besitz. Die rationale Insel wird überschwemmt, und die während das gewiegte Publikum am Radioempfänger den Verzweifelten erscheinen einzig noch als Verteidiger der Preis nachrechnet, die Gesellschaft, in der noch das Wort, das Wahrheit, als die Erneuerer der Erde, die auch den letzten sie entlarvt> sich eben damit als Empfehlung zur Aufnahme Winkel noch reformieren müssen. Alles Lebendige wird zum in ein politisches Racket legitimiert: diese Gesellschaftern der Material ihrer scheußlichen Pflicht, der keine Neigung mehr nicht bloß mehr die Politik ein Geschäft ist, sondern das Ge- Eintrag tut. Die Tat wird wirklich autonomer Selbstzweck, schäft die ganze Politik — sie entrüstet sich über das zurückge- sie bemäntelt ihre eigene Zwecklosigkeit. Immer ruft der Anti- bliebene Händlergebaren des Juden und bestimmt ihn als den semitismus erst noch zu ganzer Arbeit auf. Zwischen Anti- Materialisten, den Schacherer, der dem Feuergeist derer semitismus und Totalität bestand von Anbeginn der innig- weichen soll, die das Geschäft zum Absoluten erhoben haben. ste Zusammenhang. Blindheit erfaßt alles, weil sie nichts be- Der bürgerliche Antisemitismus hat einen spezifischen ökono- greift. mischen Grund: die Verkleidung der Herrschaft in Produk- tion. Waren in früheren Epochen die Herrschenden unmit- Der Liberalismus hatte den Juden Besitz gewährt, aber ohne telbar repressiv, so daß sie den Unteren nicht nur die Arbeit Befehlsgewalt. Es war der Sinn der Menschenrechte, Glück ausschließlich überließen, sondern die Arbeit als die Schmach auch dort zu versprechen, wo keine Macht ist. Weil die be- deklarierten, die sie unter der Herrschaft immer war, so ver- trogenen Massen ahnen, daß dies Versprechen, als allgemeines, wandelt sich im Merkantilismus der absolute Monarch in den Lüge bleibt, solange es Klassen gibt, erregt es ihre Wut; sie größten Manufakturherrn. Produktion wird hoffähig. Die fühlen sich verhöhnt. Noch als Möglichkeit, als Idee müssen Herren als Bürger haben schließlich den bunten Rock ganz sie den Gedanken an jenes Glück immer aufs neue verdrän- ausgezogen und Zivil angelegt. Arbeit schändet nicht, sagten gen, sie verleugnen ihn um so wilder, je mehr er an der Zeit sie, um der der andern rationaler sich zu bemächtigen. Sie ist. Wo immer er inmitten der prinzipiellen Versagung als selbst reihten sich unter die Schaffenden ein, während sie doch verwirklicht erscheint, müssen sie die Unterdrückung wieder- holen, die der eigenen Sehnsucht galt. Was zum Anlaß solcher Wiederholung wird, wie unglücklich selbst es auch sein mag, Ahasver und Mignon, Fremdes, das ans verheißende Land, 154 155 die Raffenden blieben wie ehedem. Der Fabrikant wagte schen Kaiserreich zu hohen Stellungen in Verwaltung und In- und strich ein wie Handelsherr und Bankier. Er kalkulierte, dustrie gebracht. Immer jedoch hatten sie es mit doppelter disponierte, kaufte, verkaufte. Am Markt konkurrierte er Ergebenheit, beflissenem Aufwand, hartnäckiger Selbstver- mit jenen um den Profit, der seinem Kapital entsprach. Nur leugnung zu rechtfertigen. Man ließ sie heran nur, wenn sie raffte er nicht bloß am Markt, sondern an der Quelle ein: als durch ihr Verhalten das Verdikt über die andern Juden still- Funktionär der Klasse sorgte er dafür, daß er bei der Arbeit schweigend sich zueigneten und nochmals bestätigten: das ist seiner Leute nicht zu kurz kam. Die Arbeiter hatten so viel der Sinn der Taufe. Alle Großtaten der Prominenten haben wie möglich abzuliefern. Als der wahre Shylock bestand er die Aufnahme des Juden in die Völker Europas nicht be- auf seinem Schein. Auf Grund des Besitzes der Maschinen wirkt, man ließ ihn keine Wurzeln schlagen und schalt ihn und des Materials erzwang er, daß die andern produzier- darum wurzellos. Stets blieb er Schutzjude, abhängig von Kai- ten. Er nannte sich den Produzenten, aber er wie jeder wußte sem, Fürsten oder dem absolutistischen Staat. Sie alle wa- insgeheim die Wahrheit. Die produktive Arbeit des Kapi- ren einmal ökonomisch avanciert gegenüber der zurückgeblie- talisten, ob er seinen Profit mit dem Unternehmerlohn wie im benen Bevölkerung. Soweit sie den Juden als Vermittler brau- Liberalismus oder dem Direktorengehalt wie heute rechtfer- chen konnten, schützten sie ihn gegen die Massen, welche die tigte, war die Ideologie, die das Wesen des Arbeitsvertrags Zeche des Fortschritts zu zahlen hatten. Die Juden waren und die raffende Natur des Wirtschaftssystems überhaupt zu- Kolonisatoren des Fortschritts. Seit sie als Kaufleute römi- deckte. sche Zivilisation im gentilen Europa verbreiten halfen, waren Darum schreit man: haltet den Dieb! und zeigt auf den Ju- sie im Einklang mit ihrer patriarchalen Religion die Vertreter den. Er ist in der Tat der Sündenbock, nicht bloß für einzel- städtischer, bürgerlicher, schließlich industrieller Verhältnisse. ne Manöver und Machinationen, sondern in dem umfassen- Sie trugen kapitalistische Existenzformen in die Lande und den Sinn, daß ihm das ökonomische Unrecht der ganzen zogen den Haß derer auf sich, die unter jenen zu leiden hat- Klasse aufgebürdet wird. Der Fabrikant hat seine Schuldner, ten. Um des wirtschaftlichen Fortschritts willen, an dem sie die Arbeiter, in der Fabrik unter den Augen und kontrolliert heute zu Grunde gehen, waren die Juden von Anbeginn den ihre Gegenleistung, ehe er noch das Geld vorstreckt. Was in Handwerkern und Bauern, die der Kapitalismus deklassierte, Wirklichkeit vorging, bekommen sie erst zu spüren, wenn sie ein Dorn im Auge. Seinen ausschließenden, partikularen Cha- sehen, was sie dafür kaufen können: der kleinste Magnat rakter erfahren sie nun an sich selber. Die immer die ersten kann über ein Quantum von Diensten und Gütern verfügen sein wollten, werden weit zurückgelassen. Selbst der jüdische wie kein Herrscher zurvor; die Arbeiter jedoch erhalten das so- Regent eines amerikanischen Vergnügungstrusts lebt in sei- genannte kulturelle Minimum. Nicht genug daran, daß sie am nem Glanz in hoffnungsloser Defensive. Der Kaftan war das Markt erfahren, wie wenig Güter auf sie entfallen, preist der geisterhafte Überbleibsel uralter Bürgertracht. Heute zeigt er Verkäufer noch an, was sie sich nicht leisten können. Im Ver- an, daß seine Träger an den Rand der Gesellschaft geschleu- hältnis des Lohns zu den Preisen erst drückt sich aus, was dert wurden, die, selber vollends aufgeklärt, die Gespenster den Arbeitern vorenthalten wird. Mit ihrem Lohn nahmen ihrer Vorgeschichte austreibt. Die den Individualismus, das sie zugleich das Prinzip der Entlohnung an. Der Kaufmann abstrakte Recht, den Begriff der Person propagierten, sind präsentiert ihnen den Wechsel, den sie dem Fabrikanten un- nun zur Spezies degradiert. Die das Bürgerrecht, das ihnen terschrieben haben. Jener ist der Gerichtsvollzieher fürs gan- die Qualität der Menschheit zusprechen sollte, nie ganz ohne ze System und nimmt das Odium für die andern auf sich. Sorge besitzen durften, heißen wieder Der Jude, ohne Unter- Die Verantwortlichkeit der Zirkulationssphäre für die Aus- schied. Auf das Bündnis mit der Zentralgewalt blieb der beutung ist gesellschaftlich notwendiger Schein. Jude auch im neunzehnten Jahrhundert angewiesen. Das all- Die Juden hatten die Zirkulationssphäre nicht allein besetzt. gemeine, vom Staat geschützte Recht war das Unterpfand sei- Aber sie waren allzu lange in sie eingesperrt, als daß sie nicht ner Sicherheit, das Ausnahmegesetz sein Schreckbild. Er blieb den Haß, den sie seit je ertrugen, durch ihr Wesen zurück- Objekt, der Gnade ausgeliefert, auch wo er auf dem Recht be- spiegelten. Ihnen war im Gegensatz zum arischen Kollegen stand. Der Handel war nicht sein Beruf, er war sein Schicksal. der Zugang zum Ursprung des Mehrwerts weithin verschlos- Er war das Trauma des Industrieritters, der sich als Schöp- sen. Zum Eigentum an Produktionsmitteln hat man sie nur fer aufspielen muß. Aus dem jüdischen Jargon hört er her- schwer und spät gelangen lassen. Freilich haben es die ge- aus, wofür er sich insgeheim verachtet: sein Antisemitismus tauften Juden in der Geschichte Europas und noch im deut- ist Selbsthaß, das schlechte Gewissen des Parasiten. 156 157 IV das eherne Wort Ich bin, das nichts neben sich duldet, über- bietet an unausweichlicher Gewalt den blinderen, aber darum Der völkische Antisemitismus will von der Religion absehen. auch vieldeutigeren Spruch des anonymen Schicksals. Der Er behauptet, es geht um Reinheit von Rasse und Nation. Sie Gott des Judentums fordert, was ihm gebührt, und rech- merken, daß die Menschen der Sorge ums ewige Heil längst net mit dem Säumigen ab. Er verstrickt sein Geschöpf ins Ge- entsagt haben. Der durchschnittliche Gläubige ist heute schon webe von Schuld und Verdienst. Demgegenüber hat das Chri- so schlau wie früher bloß ein Kardinal. Den Juden vorzu- stentum das Moment der Gnade hervorgehoben, das frei- werfen, sie seien verstockte Ungläubige, bringt keine Masse lich im Judentum selber im Bund Gottes mit den Menschen mehr in Bewegung. Schwerlich aber ist die religiöse Feind- und in der messianischen Verheißung enthalten ist. Es hat den schaft, die für zweitausend Jahre zur Judenverfolgung an- Schrecken des Absoluten gemildert, indem die Kreatur in der trieb, ganz erloschen. Eher bezeugt der Eifer, mit dem der Gottheit sich selbst wiederfindet: der göttliche Mittler wird Antisemitismus seine religiöse Tradition verleugnet, daß sie mit einem menschlichen Namen gerufen und stirbt einen ihm insgeheim nicht weniger tief innewohnt als dem Glau- menschlichen Tod. Seine Botschaft ist: Fürchtet euch nicht; benseifer früher einmal die profane Idiosynkrasie. Religion das Gesetz zergeht vor dem Glauben; größer als alle Majestät ward als Kulturgut eingegliedert, nicht aufgehoben. Das wird die Liebe, das einzige Gebot. Bündnis von Aufklärung und Herrschaft hat dem Moment Aber kraft der gleichen Momente, durch welche das Christen- ihrer Wahrheit den Zugang zum Bewußtsein abgeschnitten tum den Bann der Naturreligion fortnimmt, bringt es die und ihre verdinglichten Formen konserviert. Beides kommt Idolatrie, als vergeistigte, nochmals hervor. Um soviel wie zuletzt dem Faschismus zugute: die unbeherrschte Sehnsucht das Absolute dem Endlichen genährt wird, wird das Endliche wird als völkische Rebellion kanalisiert, die Nachfahren der verabsolutiert. Christus, der fleischgewordene Geist, ist der evangelistischen Schwarmgeister werden nach dem Modell vergottete Magier. Die menschliche Selbstreflexion im Abso- der Wagnerschen Gralsritter in Verschworene der Blutsge- luten, die Vermenschlichung Gottes durch Christus ist das meinschaft und Elitegarden verkehrt, die Religion als Insti- proton pseudos. Der Fortschritt über das Judentum ist mit tution teils unmittelbar mit dem System verfilzt, teils ins Ge- der Behauptung erkauft, der Mensch Jesus sei Gott gewesen. pränge von Massenkultur und Aufmärschen transponiert. Gerade das reflektive Moment des Christentums, die Vergei- Der fanatische Glaube, dessen Führer und Gefolgschaft sich stigung der Magie ist schuld am Unheil. Es wird eben das als rühmen, ist kein anderer als der verbissene, der früher die geistigen Wesens ausgegeben, was vor dem Geist als natürli- Verzweifelten bei der Stange hielt, nur sein Inhalt ist abhan- chen Wesens sich erweist. Genau in der Entfaltung des Wider- den gekommen. Von diesem lebt einzig noch der Haß ge- spruchs gegen solche Prätention von Endlichem besteht der gen die, welche den Glauben nicht teilen. Bei den deutschen Geist. So muß das schlechte Gewissen den Propheten als Sym- Christen blieb von der Religion der Liebe nichts übrig als der bol empfehlen, die magische Praxis als Wandlung. Das macht Antisemitismus. das Christentum zur Religion, in gewissem Sinn zur einzi- Das Christentum ist nicht bloß ein Rückfall hinter das Ju- gen: zur gedanklichen Bindung ans gedanklich Suspekte, zum dentum. Dessen Gott hat beim Übergang von der henotheisti- kulturellen Sonderbereich. Wie die großen asiatischen Sy- schen in die universale Gestalt die Züge des Naturdämons steme war das vorchristliche Judentum der vom nationalen noch nicht völlig abgeworfen. Der Schrecken, der aus prä- Leben, von der allgemeinen Selbsterhaltung kaum geschie- animistischer Vorzeit stammt, geht aus der Natur in den Be- dene Glaube. Die Umformung des heidnischen Opferrituals griff des absoluten Selbst über, das als ihr Schöpfer und Be- vollzog sich weder bloß im Kultus noch bloß im Gemüt, sie herrscher die Natur vollends unterwirft. In all seiner unbe- bestimmte die Form des Arbeitsvorganges. Als dessen Schema schreiblichen Macht und Herrlichkeit, die ihm solche Ent- wird das Opfer rational. Das Tabu wandelt sich in die ra- fremdung verleiht, ist er doch dem Gedanken erreichbar, der tionale Regelung des Arbeitsprozesses. Es ordnet die Verwal- eben durch die Beziehung auf ein Höchstes, Transzendentes tung in Krieg und Frieden, das Säen und Ernten, Speisebe- universal wird. Gott als Geist tritt der Natur als das andere reitung und Schlächterei. Entspringen die Regeln auch nicht Prinzip entgegen, das nicht bloß für ihren blinden Kreislauf aus rationaler Überlegung, so entspringt doch aus ihnen Ra- einsteht wie alle mythischen Götter, sondern aus ihm befreien tionalität. Die Anstrengung, aus der unmittelbaren Furcht kann. Aber in seiner Abstraktheit und Ferne hat sich zu- sich zu befreien, schuf beim Primitiven die Veranstal- gleich der Schrecken des Inkommensurablen verstärkt, und tung des. Rituals, sie läutert sich im Judentum zum gehei- 158 159 ligten Rhythmus des familiären und staatlichen Lebens. Die nunft nicht brachten. Das ist der religiöse Ursprung des Anti- Priester waren zu Wächtern darüber bestimmt, daß der semitismus. Die Anhänger der Vaterreligion werden von de- Brauch befolgt werde. Ihre Funktion in der Herrschaft war nen des Sohnes gehaßt als die, welche es besser wissen. Es in der theokratischen Praxis offenbar; das Christentum aber ist die Feindschaft des sich als Heil verhärtenden Geistes gegen wollte geistlich bleiben, auch wo es nach der Herrschaft trach- den Geist. Das Ärgernis für die christlichen Judenfeinde ist tete. Es hat die Selbsterhaltung durchs letzte Opfer, das des die Wahrheit, die dem Unheil standhält, ohne es zu ratio- Gottmenschen, in der Ideologie gebrochen, eben damit aber nalisieren und die Idee der unverdienten Seligkeit gegen das entwertete Dasein der Profanität überantwortet: das mo- Weltlauf und Heilsordnung festhält, die sie angeblich bewir- saische Gesetz wird abgeschafft, aber dem Kaiser wie dem ken sollen. Der Antisemitismus soll bestätigen, daß das Ri- Gott je das Seine gegeben. Die weltliche Obrigkeit wird be- tual von Glaube und Geschichte recht hat, indem er es an jenen stätigt oder usurpiert, das Christliche als das konzessionierte vollstreckt, die solches Recht verneinen. Heilsressort betrieben. Die Überwindung der Selbsterhaltung durch die Nachahmung Christi wird verordnet. So wird die aufopfernde Liebe der Naivität entkleidet, von der natürli- V chen getrennt und als Verdienst gebucht. Die durchs Heils- wissen vermittelte soll dabei doch die unmittelbare sein; Na- »Ich kann dich ja nicht leiden — Vergiß das nicht so leicht«, tur und Übernatur seien in ihr versöhnt. Darin liegt ihre Un- sagt Siegfried zu Mime, der um seine Liebe wirbt. Die alte warheit: in der trügerisch affirmativen Sinngebung des Selbst- Antwort aller Antisemiten ist die Berufung auf Idiosynkra- vergessens. sie. Davon, ob der Inhalt der Idiosynkrasie zum Begriff er- Die Sinngebung ist trügerisch, weil zwar die Kirche davon hoben, das Sinnlose seiner selbst innewird, hängt die Eman- lebt, daß die Menschen in der Befolgung ihrer Lehre, fordere zipation der Gesellschaft vom Antisemitismus ab. Idiosyn- sie Werke wie die katholische oder den Glauben wie die pro- krasie aber heftet sich an Besonderes. Als natürlich gilt das testantische Version, den Weg zur Erlösung sehen, aber doch Allgemeine, das, was sich in die Zweckzusammenhänge der das Ziel nicht garantieren kann. Die Unverbindlichkeit des Gesellschaft einfügt. Natur aber, die sich nicht durch die Ka- geistlichen Heilsversprechens, dieses jüdische und negative näle der begrifflichen Ordnung zum Zweckvollen geläutert Moment in der christlichen Doktrin, durch das Magie und hat, der schrille Laut des Griffels auf Schiefer, der durch und schließlich noch die Kirche relativiert ist, wird vom naiven durch geht, der haut goüt, der an Dreck und Verwesung Gläubigen im stillen fortgewiesen, ihm wird das Christentum, gemahnt, der Schweiß, der auf der Stirn des Beflissenen sicht- der Supranaturalismus, zum magischen Ritual, zur Natur- bar wird; was immer nicht ganz mitgekommen ist oder die religion. Er glaubt nur, indem er seinen Glauben vergißt. Er Verbote verletzt, in denen der Fortschritt der Jahrhunderte redet sich Wissen und Gewißheit ein wie Astrologen und sich sedimentiert, wirkt penetrant und fordert zwangshaften Spiritisten. Das ist nicht notwendig das Schlechtere gegenüber Abscheu heraus. der vergeistigten Theologie. Das italienische Mütterchen, das Die Motive, auf die Idiosynkrasie anspricht, erinnern an die dem heiligen Gennaro für den Enkel im Krieg in gläubiger Herkunft. Sie stellen Augenblicke der biologischen Urgeschichte Einfalt eine Kerze weiht, mag der Wahrheit näher sein als her: Zeichen der Gefahr, bei deren Laut das Haar sich die Popen und Oberpfarrer, die frei vom Götzendienst die sträubte und das Herz stillstand. In der Idiosynkrasie ent- Waffen segnen, gegen die der heilige Gennaro machtlos ist. ziehen sich einzelne Organe wieder der Herrschaft des Sub- Der Einfalt aber wird die Religion selbst zum Religionser- jekts; selbständig gehorchen sie biologisch fundamentalen Rei- satz. Die Ahnung davon war dem Christentum seit seinen zen. Das Ich, das in solchen Reaktionen, wie der Erstarrung ersten Tagen beigesellt, aber nur die paradoxen Christen, die von Haut, Muskel, Glied sich erfährt, ist ihrer doch nicht antioffiziellen, von Pascal über Lessing und Kierkegaard bis ganz mächtig. Für Augenblicke vollziehen sie die Angleichung Barth machten sie zum Angelpunkt ihrer Theologie. In sol- an die umgebende unbewegte Natur. Indem aber das Bewegte chem Bewußtsein waren sie nicht bloß die Radikalen, sondern dem Unbewegten, das entfaltetere Leben bloßer Natur sich auch die Duldsamen. Die anderen aber, die es verdrängten nähert, entfremdet es sich ihr zugleich, denn unbewegte Na- und mit schlechtem Gewissen das Christentum als sicheren tur, zu der, wie Daphne, Lebendiges in höchster Erregung zu Besitz sich einredeten, mußten sich ihr ewiges Heil am welt- werden trachtet, ist einzig der äußerlichsten, der räumlichen lichen Unheil derer bestätigen, die das trübe Opfer der Ver- Beziehung fähig. Der Raum ist die absolute Entfremdung. 160 161 Wo Menschliches werden will wie Natur, verhärtet es sich rungen sowohl beherrschbar als zwangsmäßig. Von der An- zugleich gegen sie. Schutz als Schrecken ist eine Form der gleichung an die Natur bleibt allein die Verhärtung gegen Mimikry. Jene Erstarrungsreaktionen am Menschen sind ar- diese übrig. Die Schutz- und Schreckfarbe heute ist die blinde chaische Schemata der Selbsterhaltung: das Leben zahlt den Naturbeherrschung, die mit der weitblickenden Zweckhaftig- Zoll für seinen Fortbestand durch Angleichung ans Tote. keit identisch ist. Zivilisation hat anstelle der organischen Anschmiegung ans In der bürgerlichen Produktionsweise wird das untilgbar mi- andere, anstelle des eigentlich mimetischen Verhaltens, zu- metische Erbe aller Praxis dem Vergessen überantwortet. Das nächst in der magischen Phase, die organisierte Handhabung erbarmungslose Verbot des Rückfalls wird selber zum bloßen der Mimesis und schließlich, in der historischen, die rationale Verhängnis, die Versagung ist so total geworden, daß sie Praxis, die Arbeit, gesetzt. Unbeherrschte Mimesis wird ver- nicht mehr zum bewußten Vollzug gelangt. Die von Zivili- femt. Der Engel mit dem feurigen Schwert, der die Menschen sation Geblendeten erfahren ihre eigenen tabuierten mimeti- aus dem Paradies auf die Bahn des technischen Fortschritts schen Züge erst an manchen Gesten und Verhaltenweisen, die trieb, ist selbst das Sinnbild solchen Fortschritts. Die Strenge, ihnen bei anderen begegnen, und als isolierte Reste, als be- mit welcher im Laufe der Jahrtausende die Herrschenden schämende Rudimente in der rationalisierten Umwelt auffal- ihrem eigenen Nachwuchs wie den beherrschten Massen den len. Was als Fremdes abstößt, ist nur allzu vertraut.1 Es ist Rückfall in mimetische Daseinsweisen abschnitten, angefan- die ansteckende Gestik der von Zivilisation unterdrückten gen vom religiösen Bildverbot über die soziale Ächtung von Unmittelbarkeit: Berühren, Anschmiegen, Beschwichtigen, Zu- Schauspielern und Zigeunern bis zur Pädagogik, die den Kin- reden. Anstößig heute ist das Unzeitgemäße jener Regungen. dern abgewöhnt, kindisch zu sein, ist die Bedingung der Zivi- Sie scheinen die längst verdinglichten menschlichen Beziehun- lisation. Gesellschaftliche und individuelle Erziehung bestärkt gen wieder in persönliche Machtverhältnisse zurückzuüber- die Menschen in der objektivierenden Verhaltensweise von setzen, indem sie den Käufer durch Schmeicheln, den Schuld- Arbeitenden und bewahrt sie davor, sich wieder aufgehen zu ner durch Drohen, den Gläubiger durch Flehen zu erweichen lassen im Auf und Nieder der umgebenden Natur. Alles Ab- suchen. Peinlich wirkt schließlich jede Regung überhaupt, gelenktwerden, ja, alle Hingabe hat einen Zug von Mimikry. Aufregung ist minder. Aller nicht-manipulierte Ausdruck er- In der Verhärtung dagegen ist das Ich geschmiedet worden. scheint als die Grimasse, die der manipulierte — im Kino, Durch seine Konstitution vollzieht sich der Übergang von re- bei der Lynch-Justiz, in der Führer-Rede — immer war. Die flektorischer Mimesis zu beherrschter Reflexion. Anstelle der undisziplinierte Mimik aber ist das Brandzeichen der alten leiblichen Angleichung an Natur tritt die »Rekognition im Herrschaft, in die lebende Substanz der Beherrschten einge- Begriff«, die Befassung des Verschiedenen unter Gleiches. Die prägt und kraft eines unbewußten Nachahmungsprozesses Konstellation aber, unter der Gleichheit sich herstellt, die durch jede frühe Kindheit hindurch auf Generationen ver- unmittelbare der Mimesis wie die vermittelte der Synthesis, erbt, vom Trödeljuden auf den Bankier. Solche Mimik for- die Angleichung ans Ding im blinden Vollzug des Lebens wie dert die Wut heraus, weil sie angesichts der neuen Produk- die Vergleichung des Verdinglichten in der wissenschaftlichen tionsverhältnisse die alte Angst zur Schau trägt, die man, um Begriffsbildung, bleibt die des Schreckens. Die Gesellschaft in ihnen zu überleben, selbst vergessen mußte. Auf das setzt die drohende Natur fort als den dauernden, organisier- zwangshafte Moment, auf die Wut des Quälers und des Ge- ten Zwang, der, in den Individuen als konsequente Selbster- quälten, die ungeschieden in der Grimasse wieder erschei- haltung sich reproduzierend, auf die Natur zurückschlägt als nen, spricht die eigene Wut im Zivilisierten an. Dem ohn- gesellschaftliche Herrschaft über die Natur. Wissenschaft ist mächtigen Schein antwortet die tödliche Wirklichkeit, dem Wiederholung, verfeinert zu beobachteter Regelmäßigkeit, Spiel der Ernst. aufbewahrt in Stereotypen. Die mathematische Formel ist be- Gespielt wirkt die Grimasse, weil sie, anstatt ernsthaft Arbeit wußt gehandhabte Regression, wie schon der Zauber-Ritus zu tun, lieber die Unlust darstellt. Sie scheint sich dem Ernst war; sie ist die sublimierteste Betätigung von Mimikry. Tech- des Daseins zu entziehen, indem sie ihn fessellos eingesteht: nik vollzieht die Anpassung ans Tote im Dienste der Selbst- so ist sie unecht. Aber Ausdruck ist der schmerzliche Wider- erhaltung nicht mehr wie Magie durch körperliche. Nachah- hall einer Übermacht, Gewalt, die laut wird in der Klage. mung der äußeren Natur, sondern durch Automatisierung Er ist stets übertrieben, wie aufrichtig er auch sei, denn, wie der geistigen Prozesse, durch ihre Umwandlung in blinde Ab- in jedem Werk der Kunst, scheint in jedem Klagelaut die läufe. Mit ihrem Triumph werden die menschlichen Äuße- 1 Vgl. Freud, Das Unheimliche. Gesammelte Werke. Band xn. S. 254, 259 u. a. 162 163 ganze Welt zu liegen. Angemessen ist nur die Leistung. Sie läge, nachzuahmen, was ihm Jude heißt. Das sind immer und nicht Mimesis vermag dem Leiden Abbruch zu tun. Aber selbst numerische Chiffren: die argumentierende Handbewe- ihre Konsequenz ist das unbewegte und ungerührte Antlitz, gung, der singende Tonfall, wie er unabhängig vom Urteils- schließlich am Ende des Zeitalters das Baby-Gesicht der Män- sinn ein bewegtes Bild von Sache und Gefühl malt, die Nase, ner der Praxis, der Politiker, Pfaffen, Generaldirektoren und das physiognomische principium individuationis, ein Schrift- Racketeers. Die heulende Stimme faschistischer Hetzredner zeichen gleichsam, das dem Einzelnen den besonderen Charak- und Lagervögte zeigt die Kehrseite desselben gesellschaftlichen ter ins Gesicht schreibt. In den vieldeutigen Neigungen der Sachverhalts. Das Geheul ist so kalt wie das Geschäft. Sie ent- Riechlust lebt die alte Sehnsucht nach dem Unteren fort, nach eignen noch den Klagelaut der Natur und machen ihn zum der unmittelbaren Vereinigung mit umgebender Natur, mit Element ihrer Technik. Ihr Gebrüll ist fürs Pogrom, was Erde und Schlamm. Von allen Sinnen zeugt der Akt des Rie- die Lärm Vorrichtung für die deutsche Fliegerbombe ist: der chens, das angezogen wird, ohne zu vergegenständlichen, am Schreckensschrei, der Schrecken bringt, wird angedreht. Vom sinnlichsten von dem Drang, ans andere sich zu verlieren und Wehlaut des Opfers, der zuerst Gewalt beim Namen rief, gleich zu werden. Darum ist Geruch, als Wahrnehmung wie ja, vom bloßen Wort, das die Opfer meint: Franzose, Ne- als Wahrgenommenes — beide werden eins im Vollzug — mehr ger, Jude, lassen sie sich absichtlich in die Verzweiflung von Ausdruck als andere Sinne. Im Sehen bleibt man, wer man Verfolgten versetzen, die zuschlagen müssen. Sie sind das fal- ist, im Riechen geht man auf. So gilt der Zivilisation Geruch sche Konterfei der schreckhaften Mimesis. Sie reproduzieren als Schmach, als Zeichen niederer sozialer Schichten, minde- die Unersättlichkeit der Macht in sich, vor der sie sich fürch- rer Rassen und unedler Tiere. Dem Zivilisierten ist Hingabe ten. Alles soll gebraucht werden, alles soll ihnen gehören. Die an solche Lust nur gestattet, wenn das Verbot durch Ratio- bloße Existenz des anderen ist das Ärgernis. Jeder andere nalisierung im Dienst wirklich oder scheinbar praktischer »macht sich breit« und muß in seine Schranken verwiesen wer- Zwecke suspendiert wird. Man darf dem verpönten Trieb den, die des schrankenlosen Grauens. Was Unterschlupf sucht, frönen, wenn außer Zweifel steht, daß es seiner Ausrottung soll ihn nicht finden; denen, die ausdrücken, wonach alle gilt. Das ist die Erscheinung des Spaßes oder des Ulks. Er süchtig sind, den Frieden, die Heimat, die Freiheit: den No- ist die elende Parodie der Erfüllung. Als verachtete, sich maden und Gauklern hat man seit je das Heimatrecht ver- selbst verachtende, wird die mimetische Funktion hämisch wehrt. Was einer fürchtet, wird ihm angetan. Selbst die letzte genossen. Wer Gerüche wittert, um sie zu tilgen, »schlechte« Ruhe solle keine sein. Die Verwüstung der Friedhöfe ist Gerüche, darf das Schnuppern nach Herzenslust nachahmen, keine Ausschreitung des Antisemitismus, sie ist er selbst. Die das am Geruch seine unrationalisierte Freude hat. Indem Vertriebenen erwecken zwangshaft die Lust zu vertreiben. Am der Zivilisierte die versagte Regung durch seine unbedingte Zeichen, das Gewalt an ihnen hinterlassen hat, entzündet Identifikation mit der versagenden Instanz desinfiziert, wird endlos sich Gewalt. Getilgt soll werden, was bloß vegetieren sie durchgelassen. Wenn sie die Schwelle passiert, stellt La- will. In den chaotisch-regelhaften Fluchtreaktionen der nie- chen sich ein. Das ist das Schema der antisemitischen Reak- deren Tiere, in den Figuren des Gewimmels, in den konvul- tionsweise. Um den Augenblick der autoritären Freigabe sivischen Gesten von Gemarterten stellt sich dar, was am ar- des Verbotenen zu zelebrieren, versammeln sich die Antise- men Leben trotz allem sich nicht ganz beherrschen läßt: der miten, er allein macht sie zum Kollektiv, er konstituiert die mimetische Impuls. Im Todeskampf der Kreatur, am äußer- Gemeinschaft der Artgenossen. Ihr Getöse ist das organisierte sten Gegenpol der Freiheit, scheint die Freiheit unwidersteh- Gelächter. Je grauenvoller Anklagen und Drohungen, je grö- lich als die durchkreuzte Bestimmung der Materie durch. Da- ßer die Wut, um so zwingender zugleich der Hohn. Wut, gegen richtet sich die Idiosynkrasie, die der Antisemitismus Hohn und vergiftete Nachahmung sind eigentlich dasselbe. als Motiv vorgibt. Der Sinn des faschistischen Formelwesens, der ritualen Die seelische Energie, die der politische Antisemitismus ein- Disziplin, der Uniformen und der gesamten vorgeblich irra- spannt, ist solche rationalisierte Idiosynkrasie. Alle die Vor- tionalen Apparatur ist es, numerisches Verhalten zu ermög- wände, in denen Führer und Gefolgschaft sich verstehen, tau- lichen. Die ausgeklügelten Symbole, die jeder konterrevolu- gen dazu, daß man ohne offenkundige Verletzung des Reali- tionären Bewegung eigen sind, die Totenköpfe und Vermum- tätsprinzips, gleichsam in Ehren, der mimetischen Verlockung mungen, der barbarische Trommelschlag, das monotone nachgeben kann. Sie können den Juden nicht leiden und imi- Wiederholen von Worten und Gesten sind ebensoviel orga- tieren ihn immerzu. Kein Antisemit, dem es nicht im Blute nisierte Nachahmung magischer Praktiken, die Mimesis der 164 165 Mimesis. Der Führer mit dem Schmierengesicht und dem ren genau den antisemitischen Wunschtraum und bleiben hin- Charisma der andrehbaren Hysterie führt den Reigen. Seine ter seiner Verwirklichung zurück. Ist es einmal so weit, dann Vorstellung leistet stellvertretend und im Bilde, was allen an- erscheint das bloße Wort Jude als die blutige Grimasse, deren deren in der Realität verwehrt ist. Hitler kann gestikulieren Abbild die Hakenkreuzfahne — Totenschädel und gerädertes wie ein Clown, Mussolini falsche Töne wagen wie ein Pro- Kreuz in einem — entrollt; daß einer Jude heißt, wirkt als vinztenor, Goebbels geläufig reden wie der jüdische Agent, die Aufforderung, ihn zuzurichten, bis er dem Bilde gleicht. den er zu ermorden empfiehlt, Coughlin Liebe predigen wie Zivilisation ist der Sieg der Gesellschaft über Natur, der alles nur der Heiland, dessen Kreuzigung er darstellt, auf daß stets in bloße Natur verwandelt. Die Juden selber haben daran wieder Blut vergossen werden. Der Faschismus ist totalitär durch die Jahrtausende teilgehabt, mit Aufklärung nicht we- auch darin, daß er die Rebellion der unterdrückten Natur niger als mit Zynismus. Das älteste überlebende Patriarchat, gegen die Herrschaft unmittelbar der Herrschaft nutzbar zu die Inkarnation des Monotheismus, haben sie die Tabus in machen strebt. zivilisatorische Maximen verwandelt, da die anderen noch Dieser Mechanismus bedarf der Juden. Ihre künstlich gestei- bei der Magie hielten. Den Juden schien gelungen, worum gerte Sichtbarkeit wirkt auf den legitimen Sohn der gentilen das Christentum vergebens sich mühte: die Entmächtigung der Zivilisation gleichsam als magnetisches Feld. Indem der Ver- Magie vermöge ihrer eigenen Kraft, die als Gottesdienst sich wurzelte an seiner Differenz vom Juden die Gleichheit, das wider sich selber kehrt. Sie haben* die Angleichung an Natur Menschliche, gewahrt, wird in ihm das Gefühl des Gegen- nicht sowohl ausgerottet als sie aufgehoben in den reinen satzes, der Fremdheit, induziert. So werden die tabuierten, Pflichten des Rituals. Damit haben sie ihr das versöhnende der Arbeit in ihrer herrschenden Ordnung zuwiderlaufenden Gedächtnis bewahrt, ohne durchs Symbol in Mythologie zu- Regungen in konformierende Idiosynkrasien umgesetzt. Die rückzufallen. So gelten sie der fortgeschrittenen Zivilisation ökonomische Position der Juden, der letzten betrogenen Be- für zurückgeblieben und allzu weit voran, für ähnlich und trüger der liberalistischen Ideologie, bietet dagegen keinen unähnlich, für gescheit und dumm. Sie werden dessen schul- zuverlässigen Schutz. Da sie zur Erzeugung jener seelischen dig gesprochen, was sie, als die ersten Bürger zuerst in sich Induktionsströme so geeignet sind, werden sie zu solchen gebrochen haben: der Verführbarkeit durchs Untere, des Funktionen willenlos bereitgestellt. Sie teilen das Schicksal Dranges zu Tier und Erde, des Bilderdienstes. Weil sie den der rebellierenden Natur, für die sie der Faschismus einsetzt: Begriff des Koscheren erfunden haben, werden sie als Schwei- sie werden blind und scharfsichtig gebraucht. Es verschlägt ne verfolgt. Die Antisemiten machen sich zu Vollstreckern wenig, ob die Juden als Individuen wirklich noch jene mime- des alten Testaments: sie sorgen dafür, daß die Juden, da sie tischen Züge tragen, die böse Ansteckung bewirken, oder ob vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, zu Erde wer- sie jeweils unterschoben werden. Haben die ökonomischen den. Machthaber ihre Angst vor der Heranziehung faschistischer Sachwalter erst einmal überwunden, so stellt sich den Juden gegenüber die Harmonie der Volksgemeinschaft automatisch VI her. Sie werden von der Herrschaft preisgegeben, wenn diese kraft ihrer fortschreitenden Entfremdung von Natur in bloße Der Antisemitismus beruht auf falscher Projektion. Sie ist Natur zurückschlägt. Den Juden insgesamt wird der Vor- das Widerspiel zur echten Mimesis, der verdrängten zutiefst wurf der verbotenen Magie, des blutigen Rituals gemacht. verwandt, ja vielleicht der pathische Charakterzug, in dem' Verkleidet als Anklage erst feiert das unterschwellige Gelüste diese sich niederschlägt. Wenn Mimesis sich der Umwelt ähn- der Einheimischen, zur mimetischen Opferpraxis zurückzu- lich macht, so macht falsche Projektion die Umwelt sich ähn- kehren, in deren eigenem Bewußtsein fröhliche Urständ. Ist lich. Wird für jene das Außen zum Modell, dem das Innen alles Grauen der zivilisatorisch erledigten Vorzeit durch Pro- sich anschmiegt, das Fremde zum Vertrauten, so versetzt diese jektion auf die Juden als rationales Interesse rehabilitiert, so das sprungbereite Innen ins Äußere und prägt noch das Ver- gibt es kein Halten mehr. Es kann real vollstreckt werden, trauteste als Feind. Regungen, die vom Subjekt als dessen und die Vollstreckung des Bösen übertrifft noch den bösen eigene nicht durchgelassen werden und ihm doch eigen sind, Inhalt der Projektion. Die völkischen Phantasien jüdischer werden dem Objekt zugeschrieben: dem prospektiven Opfer. Verbrechen, der Kindermorde und sadistischen Exzesse, der Dem gewöhnlichen Paranoiker steht dessen Wahl nicht frei, Volksvergiftung und internationalen Verschwörung definie- sie gehorcht den Gesetzen seiner Krankheit. Im Faschismus 166 167 Die physiologische Lehre von der Wahrnehmung, die von den wird dies Verhalten von Politik ergriffen, das Objekt der Philosophen seit dem Kantianismus als naiv realistisch und Krankheit wird realitätsgerecht bestimmt, das Wahnsystem als Zirkelschluß verachtet wurde, erklärt die Wahrnehmungs- zur vernünftigen Norm in der Welt, die Abweichung zur welt als die vom Intellekt gelenkte Rückspiegelung der Daten, Neurose gemacht. Der Mechanismus, den die totalitäre Ord- die das Gehirn von den wirklichen Gegenständen empfängt. nung in Dienst nimmt, ist so alt wie die Zivilisation. Die- Nach dieser Ansicht erfolgt die Anordnung der aufgenom- selben geschlechtlichen Regungen, die das Menschengeschlecht menen punktuellen Indizes, der Eindrücke, durch Verstand. unterdrückte, wußten bei Einzelnen wie bei Völkern in der Beharren auch die Gestaltleute darauf, daß die physiologische vorstellungsmäßigen Verwandlung der Umwelt in ein dia- Substanz nicht bloß Punkte sondern schon Struktur empfange, bolisches System sich zu erhalten und durchzusetzen. Stets so haben Schopenhauer und Helmholtz trotz und gerade we- hat der blind Mordlustige im Opfer den Verfolger gesehen, gen des Zirkels doch mehr von der verschränkten Beziehung von dem er verzweifelt sich zur Notwehr treiben ließ, und die von Subjekt und Objekt gewußt als die offizielle Folgerich- mächtigsten Reiche haben den schwächsten Nachbarn als un- tigkeit der Schule, der neupsychologischen wie der neukanti- erträgliche Bedrohung empfunden, ehe sie über ihn herfielen. schen: das Wahrnehmungsbild enthält in der Tat Begriffe Die Rationalisierung war eine Finte und zwangshaft zugleich. und Urteile. Zwischen dem wahrhaften Gegenstand und dem Der als Feind Erwählte wird schon als Feind wahrgenommen. unbezweifelbaren Sinnesdatum, zwischen innen und außen, Die Störung liegt in der mangelnden Unterscheidung des Sub- klafft ein Abgrund, den das Subjekt, auf eigene Gefahr, über- jekts zwischen dem eigenen und fremden Anteil am projizier- ten Material. brücken muß. Um das Ding zu spiegeln, wie es ist, muß das Subjekt ihm mehr zurückgeben, als es von ihm erhält. Das In gewissem Sinn ist alles Wahrnehmen Projizieren. Die Pro- Subjekt schafft die Welt außer ihm noch einmal aus den Spu- jektion von Eindrücken der Sinne ist ein Vermächtnis der tie- ren, die sie in seinen Sinnen zurückläßt: die Einheit des Din- rischen Vorzeit, ein Mechanismus für die Zwecke von Schutz ges in seinen mannigfaltigen Eigenschaften und Zuständen; und Fraß, verlängertes Organ der Kampfbereitschaft, mit der und es konstituiert damit rückwirkend das Ich, indem es nicht die höheren Tierarten, lustvoll und unlustvoll, auf Bewegung bloß den äußeren, sondern auch den von diesen allmählich reagierten, unabhängig von der Absicht des Objekts. Projek- sich sondernden inneren Eindrücken synthetische Einheit zu tion ist im Menschen automatisiert wie andere Angriffs- und verleihen lernt. Das identische Ich ist das späteste konstante Schutzleistungen, die Reflexe wurden. So konstituiert sich Projektionsprodukt. In einem Prozeß, der geschichtlich erst seine gegenständliche Welt, als Produkt jener »verborgenen mit den entfalteten Kräften der menschlichen physiologischen Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Konstitution sich vollziehen konnte, hat es als einheitliche Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten und sie unverdeckt vor Augen legen werden«2. Das System der Din- und zugleich exzentrische Funktion sich entfaltet. Auch als selbständig objektiviertes freilich ist es nur, was ihm die Ob- ge, das feste Universum, von dem die Wissenschaft bloß den jektwelt ist. In nichts anderem als in der Zartheit und dem abstrakten Ausdruck bildet, ist, wenn man die kantische Er- Reichtum der äußeren Wahrnehmungswelt besteht die innere kenntniskritik anthropologisch wendet, das bewußtlos zu- Tiefe des Subjekts. Wenn die Verschränkung unterbrochen standekommende Erzeugnis des tierischen Werkzeugs im Le- wird, erstarrt das Ich. Geht es, positivistisch, im Registrie- benskampf, jener selbsttätigen Projektion. In der menschli- ren von Gegebenem auf, ohne selbst zu geben, so schrumpft chen Gesellschaft aber, wo mit der Herausbildung des Indivi- es zum Punkt, und wenn es, idealistisch, die Welt aus dem duums das affektive wie das intellektuelle Leben sich diffe- grundlosen Ursprung seiner selbst entwirft, erschöpft es sich in renziert, bedarf der Einzelne steigender Kontrolle der Projek- sturer Wiederholung. Beide Male gibt es den Geist auf. Nur tion, er muß sie zugleich verfeinern und hemmen lernen. in der Vermittlung, in der das nichtige Sinnesdatum den Ge- Indem er unter ökonomischem Zwang zwischen fremden und danken zur ganzen Produktivität bringt, deren er fähig ist, eigenen Gedanken und Gefühlen unterscheiden lernt, entsteht und andererseits der Gedanke vorbehaltlos dem übermächti- der Unterschied von außen und innen, die Möglichkeit von gen Eindruck sich hingibt, wird die kranke Einsamkeit über- Distanzierung und Identifikation, das Selbstbewußtsein und wunden, in der die ganze Natur befangen ist. Nicht in der das Gewissen. Um die in Kontrolle genommene Projektion und vom Gedanken unangekränkelten Gewißheit, nicht in der ihre Entartung zur falschen zu verstehen, die zum Wesen des Antisemitismus gehört, bedarf es der genaueren Überlegung. vorbegrifflichen Einheit von Wahrnehmung und Gegenstand, 8 Kant, Kritik der reinen Vernunft. 2. Auflage. Werke. Band in. S. 180 f. sondern in ihrem reflektierten Gegensatz zeigt die Möglich- 168 169
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