Bernd-Peter Arnold H6rfunk-lnformation Bernd-Peter Arnold Hbrfunk-Information Hinter den Kulissen des schnellsten Nachrichtenmediums Leske Verlag + Budrich GmbH, Opladen 1981 Der Autor Bernd-Peter Arnold (1939), Leiter der Nachrichtendienste beim Hessischen Rundfunk. CIP-Kurztitelaufnalune der Deutschen Bibliothek Arnold, Bernd-Peter: Horfunk-Infonnation: hinter d. Kulissen d. schnellsten Nacluichtenmediums./Bemd-Peter Arnold. - Opladen: Leske und Budrich, 1981. ISBN-13: 978-3-8100-0347-8 e-ISBN-13: 978-3-322-84313-5 DOl: 10.1007/978-3-322-84313-5 @ 1981 by Leske Verlag + Budrich GmbH. Opladen Inhalt Es wurde noch nie so viel Radio gehort wie heute . . . . . . .. 7 Information im Offentlich-rechtlichen System - eine gro~e Chance, doch nicht ohne Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11 Der Programmauftrag des Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . .. 14 Der Harer, das unbekannte Wesen ... . . . . . . . . . . . . . .. 20 Ausrufer oder Verfiihrer - die Wirkung der Information im Radio ..................................... 24 Der Rundfunkjournalist - Beruf zwischen Bewunderung und Milltrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 33 Die journalistische Recherche - professionelle Selbstverstlind- lichkeit, oft allzu leicht genommen ................. 37 Radio - das schnellste, aber auch das fliichtigste aller Medien .................................... 40 Nicht das Radio macht die Nachrichten - Die Abhlingigkeit von den Informationsquellen ..................... 43 Programmformen des Radios - gesprochene Zeitung oder mediengerechte Information? .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 51 Nachrichten - Schliisse1 zur Information. . . . . . . . . . . . .. 54 Die Reportage -leider verlernte Form der Berichterstat- tung ...................................... 68 Kommentar - hat der Rundfunk eine Meinung? . . . . . . . .. 77 Aktuelle Magazine - Unterhaltung mit Information oder In- formation mit Unterhaltung? ..................... 84 Das Interview - zu viele Reden statt Fragen ........... 91 Die Diskussion - wenn der Gesprlichsleiter selbst Partei ist . .. 97 Die Originaliibertragung - der Festakt im Wohnzimmer .... 101 Serviceprogramme - Lebenshilfe oder blo~e Unterhal- tung? ..................................... 103 Feature - Kunstform oder Hintergrundinformation? ...... 104 Information unter "falscher Flagge" - Unterhaltung als Transportmittel .............................. 108 Horerbeteiligung - Demokratisierung eines Mediums oder lahrmarkt der Eitelkeit? ........................ 113 5 Personalisierung des Radioprogramms - Vermenschlichung eines Mediums oder Schaffung von Supermiinnem? ....... 119 Gute Nachricht ist keine Nachricht - Tote beleben die Sendung ..........................•........ 121 Berichterstattung im Wahlkampf - sind die Medien an allem schuld? .................................... 124 Regionalinformation - Auftrag und Chance des offentlich- rechtlichen Rundfunks ......................... 127 Neue und sogenannte neue Techniken - Chance fUr den Rundfunkjoumalisten? ..•............•.....•... 132 Quellennachweis ..........................•... 136 6 Es wurde noch nie soviel Radio gehort wie heute Spiitestens Ende der sechziger Jahre, als niimlich nahezu alle Haushalte in der Bundesrepublik Uber ein Fernsehgeriit vendg ten, wurde in der breiten t>ffentlichkeit unseres Landes das Radio, der Horfunk fUr endgUltig tot erkliirt. Wer sich entschlo~, fUr dieses Medium zu arbeiten, galt als rUckstiindig, als jemand, der die Zeichen der Zeit einfach nicht begreifen will. Heute, zu Beginn der achtziger Jahre, Ubertrifft die Nutzungs dauer des Radios an Wochentagen die des Fernsehens. Die durch schnittliche Hordauer des iilter als 14jiihrigen BundesbUrgers betriigt tiiglich 137 Minuten, die Fernsehdauer nur 133 Minuten. Das Radio erreicht insgesamt an einem Durchschnittstag 76% der erwachsenen Bevolkerung, drei von vier Personen schalten tiiglich den Horfunk ein. Der Eindruck, das Radio wUrde im Zeit alter des Fernsehens nicht Uberleben, entstand in den Jahren, in denen sich der Hor funk nicht auf das neue Medium Fernsehen einzustellen ver mochte. Sogar viele Programmverantwortliche in Funkhiiusern verkannten zuniichst, daf.\ es sich bei Radio und Fernsehen urn echte Altemativmedien handelt, da~ nicht das eine durch das andere ersetzt werden kann. "Komplementiirmedium und nicht Substitution", Radio ist ein Medium mit eigenen GesetzmiifMgkeiten, mit besonderen Anforderungen und zugleich Chancen fUr die Programmmacher, ein Medium mit einem besonderen Leistungsangebot an den Konsumenten. Es ist unter gar keinen Umstiinden Fernseher satz. Es hat oft lange gedauert, bis sich die Verantwortlichen im Horfunk zu dieser Erkenntnis durchgerungen hatten, d~ die Eigengesetzlichkeiten das Radio zum typischen Komplemen tiirmedium machen. Dies gilt sowohl fUr die Programmproduk tion als auch - wie zahlreiche Untersuchungen zeigen - fUr die Nutzung durch das Publikum. Horfunk und Fernsehen bestehen selbstiindig nebeneinander. Dies schlie~t indes nicht aus, da~ sie ungeachtet im Grundsatz eigenstiindiger Funktionen sich ge legentlich in ihren Aufgaben auch Uberschneiden. Die aktuelle Berichterstattung beweist dies nahezu jeden Tag. Der Horfunk hat seine Rolle als komplementiires Medium Uber die Jahre erst lernen mUssen. Erst, als klar wurde, da~ die Haupt trennungslinie zwischen diesen beiden elektronischen Massen medien die Tageszeit ist, begann der Horfunk, sich wieder auf 7 sich selbst zu besinnen, aus dem Schatten des Fernsehens her auszutreten und sich fortzuentwickeln bis hin zu den heutigen modernen Radioformen. Es dauerte lange, bis man begriff, da1\ sich die Hauptradiozeit yom Abend auf den Tag verlagert hat und da1\ sich der Horfunk zu einem Medium entwickelt hat, das den Menschen den Tag iiber begleitet, bestimmte Zielgrup pen anspricht und regelma1\ig wichtige Servicefunktionen wahr nimmt. Die Chancen des Radios liegen in seiner Schnelligkeit und Be weglichkeit im Vergleich zum Fernsehen, und zwar bedingt durch den geringeren technischen und finanziellen Aufwand. Die Zahl der Empfangsgerate in den Haushalten und in Autos steigt rapide, die Menschen lassen sich buchstablich iiberall yom Radio begleiten. Aktuelle Berichterstattung, Unterhal tung und Entspannung ist demzufolge das, was die meisten Horer vorrangig yom Radio erwarten. Die steigenden Einschaltquoten beruhen auch auf der Tat sache, da1\ man Horfunk mit "geteilter" Aufmerksamkeit wahr nehmen kann, das hei1\t neben einer anderen, meist manuellen Tatigkeit. Zu 85% wird das Radio "nebenher" gen1.Jtzt, ein Umstand, der bei der Programmgestaltung eine Rolle spielen mu1\. Deshalb wird bei der Planung von Programmstrukturen immer starker der Tagesablauf des potentiellen Horers beriick sichtigt. Die Funktion des Radios in der Kommunikationsland schaft hat sich durch das Fernsehen ebenso wie durch die ver anderten Hormoglichkeiten und -gewohnheiten (Autoradios, billige trag bare Gerate, mehr Freizeit, Hormoglichkeit am Ar beitsplatz usw.) gewandelt. Dort, wo sich der Horfunk der ver iinderten Situation angepa1\t hat, konnte er sein Publikum nicht nur halten, er verzeichnet sogar eine Zunahme des Interesses. Die Zugriffsmoglichkeit zu diesem Medium an jedem Ort und zu jeder Zeit mit minimalem Aufwand verschafft dem Radio einen Vorsprung vor allen anderen Medien. Diesen Vorsprung gilt es zu nutzen, das hei1\t die Programme miissen so attraktiv sein, da1\ ein breites Publikum von diesem Angebot Gebrauch macht. Noch immer gibt es jedoch Sendungen, die am Adressaten vor bei produziert werden, die oft von hoher Qualitat, aber so wenig mediengerecht gestaltet sind, da1\ die einmalige Chance, viele Menschen gleichzeitig zu erreichen, vertan wird. Horfunkprogramme miissen sich - und sicherlich eines Tages entstehende kommerzielle Konkurrenz wird den Offentlich rechtlichen Rundfunk dazu zwingen - daran orientieren, was fiir den einzelnen Horer in seiner jeweiligen Lebenssituation wissenswert ist, und nicht an der individuellen Sicht des Pro grammproduzenten, das hei1\t daran, was er fiir mitteilenswert 8 halt. Der Ma&tab fUr das Anspruchsniveau des Gebotenen wird weniger der personliche Geschmack des Redakteurs (oder seine subjektive Einschiitzung des vermeintlichen Massengeschmacks) bilden als vielmehr die ermittelten beziehungsweise zu ermitteln den und damit nachpriifbaren Erwartungen und EinsteUungen der Horer in ihren Mehrheiten und Minderheiten.l Dabei wird es erforderlich sein, Inhalt und Form vieler Sendungen zu iiberprii fen und gegebenenfalls neu zu konzipieren. Neue, zum Teil technisch bedingte Nutzungsmoglichkeiten machen Information und Unterhaltung stets und iiberall verfiig bar. Durch die Mehrfachausstattung mit Geraten kann man sich selbst innerhalb einer Familie individuell fUr ein bestimmtes Programm entscheiden. Neben der kontinuierlichen Begleitung durch das Radio als stiindigen Informationslieferanten und Unter halter kann man sich zu feststehenden Zeiten durch sogenannte "Einschaltprogramme" ausfiihrlich iiber bestimmte Sachverhalte informieren lassen. Hinzu kommt die Moglichkeit, sich bei sogenannten "Feedbacksendungen" selbst an den Programmen zu beteiligen. Der Horfunk ist also nicht Fernsehen ohne Bild, sondern er unterliegt eigenen, vollig anderen Stilprinzipien. Dazu gehort auch, daf.\ der iiberkommene Satz "Das Radio hat's gesagt " , der als Synonym gilt fUr offiziell, amtlich und damit auch rich tig, aus den Kopfen der Horer, aber auch aus denen nicht weni ger Programmmacher in den Funkhiiusern verbannt werden mu1\. Das Verhliltnis des Horfunks zum neuen Medium Fernsehen hat sich in den vergangenen 25 lahren in verschiedenen Phasen entwickelt. Am Anfang stand die Verachtung gegeniiber dem Neuen, das da mit viel Aufwand und Getose daherkam und mit Hollywood- und Ufa-Gehabe einen Hauch von Kiinstler und Gauklertum in die Funkhiiuser brachte. Dann kam die Phase der Angst und Resignation bei den Horfunkleuten. Man war besorgt, das neue Medium wUrde dem iilteren die Basis. entziehen. Es folgte eine Zeit, in der man dann das Fernsehen als Konkurrenz annahm und versuchte, es ihm gleichzutun. Die Versuche, gleichsam Femsehen ohne Bild zu machen, muf.\ten scheitern. Nun kam, da man das Scheitern erkannt hatte, der Riickzug ins elitiire Ghetto. Man bediente Minderheiten und freute sich iiber Manuskriptanforderungen durch speziell in teressierte Horer. In den spiiten sechziger und friihen siebziger lahren kam es dann zur erst en Renaissance des Horfunks. Neue Formen (, die einige Anstalten wie etwa RIAS Berlin schon 1 Studie: "Kommunikationsziele des Horfunks" WDR Koln, Januar 1978 9 lange vorher entwickelt hatten,) wurden eingefilhrt. Magazine, das hei~t Mischformen aus Information und Unterhaltung, erschlossen dem Radio wieder ein gro~eres Publikum. Zuvor hatte die Einfilhrung des Stundenrasters bei Nachrichten den ersten Schritt zur Entwicklung des Radios zum Begleitmedium getan. Man konnte nun jede Stunde das Neueste erfahren und wu~te, "ob die Welt noch in Ordnung ist." Die neuen Radioformen entwickelten sich weiter in einer Zeit, in der das Fernsehen seine erste gro~e Krise erlebte. In der zweiten Halfte der siebziger Jahre gingen den deutschen Fern sehmachern aHem Anschein nach immer ofter die Ideen aus, Fernsehen sank in der Publikumsgunst, die aktuelle Bericht erstattung ging weg von der informativen Reportage der fiinf ziger und sechziger Jahre. Sie wurde nicht selten zum ,,foto grafierten Horfunk", sprechenden Kopfen wurde der Vorzug gegeben vor informativen Bildern. Das Radio holte in dieser Zeit auf, die Einschaltquoten stiegen weiter. Doch jetzt - am Beginn der achtziger Jahre - steht der Horfunk am Anfang einer zweiten Renaissance. Das Offentlich-rechtliche Rundfunk system sieht sich immer starkeren politischen Angriffen ausge setzt. Moglicherweise wird schon bald kommerzielle Konkurrenz mit publikumswirksamen Formen antreten. Wie diese Formen aussehen, zeigt der Blick ins Ausland. Der offentlich-rechtliche Rundfunk wird sich darauf einstellen mtissen. Er wird eine sinn volle Synthese finden mtissen zwischen attraktiven Vermittlungs formen und soliden Inhalten. Da1.\ dies kein Widerspruch sein mu1.\ zeigt sich tiberall dort, wo man sich in den Funkhausern mit radikalen Strukturreformen beschaftigt, zum Beispiel in England, aber keineswegs nur dort. 10 Information im offentlich-rechtlichen System - eine gro& Chance, doch nicht ohne Gefahren Niemals zuvor in seiner Geschichte ist das System des offent lich-rechtlichen Rundfunks in der Bundesrepublik Deutsch land von politischer Seite so stark kritisiert und sogar in Frage gestellt worden wie in jiingster Zeit. Dieses System eines staats femen, unabhangigen Rundfunks, der der Allgemeinheit gehort und gesellschaftlicher Kontrolle unterliegt, bietet insbesondere im Bereich der Berichterstattung, der Information iiber politi sche und gesellschaftliche Vo rgiinge grof.\e Chancen. Dies gilt auch fiir den gesamten kulturellen und kiinstlerischen Bereich. Der Rundfunk in unserem Lande kann ohne Riicksicht auf Interessengruppen, welcher Art sie auch immer sein mogen, seinen gesetzlichen Auftrag erfiillen und die Offentlichkeit umfassend und zutreffend informieren. In diesem Sinne kommt dem Rundfunk eine aktive integrierende Funktion zu. Programm auftrag ist die inhaltliche Pluralitat, die Aliseitigkeit der The menansprache und Themenbehandlung. Aber - und bier geht es urn einen Punkt, der die Kritik an der Berichterstattung in den Offentlich-rechtlichen Rundfunkan stalten oftmals provoziert -": das Programm ist kein Lehen an die Programmmacher, mit dem sie nach Gutdiinken und sub jektiver Bewertung verfahren konnen. Mag dieser Irrtum sich tiber einige Zeit stand haft gehaIten haben, wir wissen heute, daf.\ die Legitimation des offentlich-rechtlichen Systems in seinem gesamtgesellschaftlichen Auft rag und in seiner Tendenz freiheit liegt. Leidenschaft, Verpflichtung und Engagement des Programmmachers konnen nur solche fiir die Wahrheit sein. ,,2 Vergleicht man diese Grundsatze mit der Rundfunkwirklich keit, dann findet man die Forderungen in weiten Bereichen erfiillt. Die Kritiker des offentlich-rechtlichen Systems finden aber immer wieder Falle, in denen sich Rundfunkjoumalisten als Missionare verstehen. Mit Recht wird auf derartige Mi&tande aufmerksam gemacht, wenn Journalisten ihr eigenes politisches Anliegen zu einer Sache der Allgemeinheit machen, nur weil sie zufallig dank eines Dienst- oder Werkvertrages Zugang zu einem Mikrofon haben. Engagement darf nicht Qualitat ersetzen. 2 F.-W. von Sell, Vortrag an del Theodor-Heuss-Akademie Gummersbach, 6.10.1978 11