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Hitler ging - sie blieben: Der deutsche Nachkrieg in 16 Exempeln PDF

157 Pages·2015·1.89 MB·German
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Preview Hitler ging - sie blieben: Der deutsche Nachkrieg in 16 Exempeln

Otto Köhler Hitler ging – sie blieben Der deutsche Nachkrieg in 16 Exempeln ORIGINALAUSGABE edition berolina eISBN 978-3-95841-518-8 1. Auflage Alexanderstraße 1 10178 Berlin Tel. 01805/30 99 99 FAX 01805/35 35 42 (0,14 €/Min., Mobil max. 0,42 €/Min.) © 2015 by BEBUG mbH / edition berolina, Berlin © 1996 by KVV konkret, Hamburg Umschlaggestaltung: BEBUG mbH, Berlin www.buchredaktion.de Der Führer der Konsorten Gestern noch sei er in Bologna gewesen und habe dort eine zweitausend Jahre alte römische Straße mit großen Steinen gesehen, erzählte Arbeitgeberchef Klaus Murmann1 den soeben aufgenommenen Noch-DDR- Mitgliedern des Gesamtverbandes der metallindustriellen Arbeitgeberverbände. Und vielleicht kannten, verkündete Murmann, die alten Römer schon »das alte Unternehmer-Credo, das da heißt: Wir Unternehmer stolpern nicht über die Steine, wir bauen eine Straße daraus. Und wir werden diese Straßen in der DDR gemeinsam mit unseren neu aufgenommenen Freunden bauen.« Erst Stasi in den Tagebau, jetzt Gesamtmetall in den Straßenbau. Keine schlechte Parole für den Neuanfang des neuen großen Deutschland. Aber so wörtlich war es schon bei den alten Römern nicht gemeint: Die Sklaven schleppten die Steine, und ihre – damals gab es den schönen Ausdruck noch nicht – Arbeitgeber standen mit der Peitsche daneben. Jetzt, im Großen Festsaal des Westberliner Interconti, wo die all-deutschen Metallindustriellen zusammengetreten sind, um 100 Jahre Gesamtmetall samt der bald vollendeten Zuführung der DDR zur Bundesrepublik zu feiern, jetzt und hier gilt unverbrüchliche Sozialpartnerschaft, Murmann sagt es: »Nicht erst das Verbot im Dritten Reich und der DDR hat deutlich gemacht, dass freie Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände ein gemeinsames Schicksal haben. Sie brauchen die Demokratie wie der Fisch das Wasser, und sie sind aufeinander bezogen wie Ebbe und Flut.« Das Fest kann heiter werden, aus Bonn ist der Chef des Kanzleramtes, Bundesminister Rudolf Seiters2, herbeigeeilt, um zu gratulieren. Der Kanzlerintimus bringt frohe Kunde aus unserer neuen Zone. Nur ein Jahr nach dem Fall der Mauer, freut sich Seiters, komme die Privatisierung voran: Sanierung und, »wo nötig, auch Stilllegung der 8.000 bisher volkseigenen Kombinate«. Die Stilllegung, damit unsere Brüder und Schwestern im Osten wirklich freigesetzt sind. Und aus dem fernen Europa trifft Martin Bangemann3 ein, der Vizepräsident der EG-Kommission, von Gesamtmetall-Chef Werner Stumpfe als »Mitgestalter des europäischen Einigungsprozesses« gepriesen. Dieser Mann, der schon als Wirtschaftsminister von nichts alles verstand, spricht jetzt beflissen nach, was ihm über die hundertjährige Geschichte von Gesamtmetall gesagt wurde: Es seien hundert Jahre Geschichte »im Dienste des Gemeinwohls« gewesen. Davon kündet tatsächlich die 600 Seiten dicke Festschrift 100 Jahre Gesamtmetall – Perspektiven aus Tradition, die im Foyer ausliegt und die ganz offensichtlich in der Hoffnung geschrieben wurde, dass – so formuliert das Vorwort – »die Vergangenheit des Gesamtverbandes der metallindustriellen Arbeitgeberverbände aus der Zeit vor 1945 weitgehend im Dunkel der Geschichte« liege. Fürs Gesamtwohl geschah schon die Gründung von Gesamtmetall: 1890 wurden Bismarcks Sozialistengesetze zur Unterdrückung der Arbeiterbewegung nicht noch einmal verlängert – stattdessen gründete sich im selben Jahr der »Gesamt-Verband Deutscher Metallindustrieller« als »Anti-Streik-Verein«. Die Unternehmer waren nämlich damals, erzählt uns Gesamtmetall heute, hilflos den schlimmsten Angriffen durch die Arbeiterschaft ausgesetzt: »Arbeitskampf war damals ein ständiger Kleinkrieg mit oft überfallartigen Aktionen. Arbeiter kündigten von einem Tag auf den anderen und blieben der Arbeit fern.« Das war vor hundert Jahren. Doch die Damen und Herren Arbeitgeber, die hier am 28. September 1990 im staubigen Reagan4-Charme des Berliner Nobel-Hotels samt ihren Verbündeten den hundertsten Geburtstag ihres Verbandes feiern, sie irren. Denn die Gründungsversammlung fand bereits am 19. März 1890 statt. Und doch, treffender als sie es tun, können sie gar nicht irren. Sie sind, wie ein bekannter Historiker am Ende ihrer Veranstaltung durchs eigene Beispiel klarlegen wird, auf der richtigen Feier. Denn auf diesen Tag genau vor hundert Jahren, am 28. September 1890, gründete sich der »Alldeutsche Verband«. Jene Organisation also, die Deutschland in den Ersten Weltkrieg trieb, weil sie die Welt neu verteilen wollte. Deutschland musste Großdeutschland, musste Weltmacht werden, denn, so hieß es in der Gründungserklärung: »Die Beschränktheit des deutschen Wirtschaftsgebietes führt zu einer Verzettelung seines Kapitals.« Der »alte Drang nach Osten« müsse wieder lebendig werden, verkündeten die Alldeutschen damals und verlangten: »Nach Osten und Südosten hin müssen wir Ellbogenraum gewinnen, um der germanischen Rasse diejenigen Lebensbedingungen zu sichern, deren sie zur vollen Entfaltung ihrer Kräfte bedarf, selbst wenn darüber solch minderwertige Völklein wie Tschechen, Slowenen und Slowaken … ihr für die Zivilisation nutzloses Dasein einbüßen sollten.« Aus dem Ellbogenraum wurde nichts – das Deutsche Reich kam 1918 in die Zwangsjacke, die es verdient hatte. Der damalige Gesamtmetall-Chef musste seine Verbündeten erst einmal bremsen. Es war der MAN- Generaldirektor Anton von Rieppel5, der, wie die Festschrift heute rühmt, sich »in vielen Organisationen und Vereinen für die Belange der Wirtschaft« einsetzte. Im Oktober 1918 empfahl von Rieppel im »Alldeutschen Verband« Vorsicht bei Aufrufen in der Öffentlichkeit, denn: »Das Volk hört jetzt nur noch die sozialistischen Führer. Alle Aufrufe von Professoren, Rittergutsbesitzern, Industriellen und Offizieren verpuffen spurlos oder können höchstens Schaden anrichten, wenn in ihnen alldeutsche, schwerindustrielle, konservative oder reaktionäre Ziele vermutet werden.« Die sozialistischen Führer wurden – darauf kommen wir noch – liquidiert. Die »Antibolschewistische Liga«, über ihre Finanzierung müssen wir auch noch reden, vereinbarte mit den künftigen Mördern von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht: »Wenn auf unserer Seite vorerst keine Führer zu sehen« seien, dann dürfe »wenigstens die Gegenseite auch keine haben«. Aber man hielt bereits fleißig Ausschau nach einem eigenen Führer, der im Ernstfall alle schwerindustriellen und alldeutschen Ziele vertrat und trotzdem einen annähernd sozialistischen Eindruck bei den Massen zu erwecken verstand. Der ließ sich gern finden. Rieppels Vertrauter, der verehrte MAN- Finanzdirektor Dr. Otto Gertung, bekam Ende Januar 1921 vom Anführer der Alldeutschen, dem Justizrat Heinrich Claß6, einen Bittbrief. Man habe doch schon verschiedentlich über die nationalsozialistische Bewegung unter Hitlers Leitung gesprochen, die den roten Terror in München gebrochen habe. Die Partei sei nun mit 100.000 Mark in Schwierigkeiten, weil sie den Völkischen Beobachter gekauft habe, um ihn in eine Tageszeitung umzuwandeln. Ob man da nicht aushelfen könne. Die Antwort des Rieppel- Vertrauten an den Chef der Alldeutschen: »Ich habe die Frage bei uns vorgebracht, und man war einer Unterstützung der Partei nicht abgeneigt. Wir müssen uns aber erst allgemein Gelder bewilligen lassen, und dann die Frage nochmals im Vorstand besprechen. Ich bitte daher noch um einige Geduld.« Die Geduld zahlte sich nicht aus. Die bayerischen Metallindustriellen hatten so ihre Bedenken: Sie betrachteten Hitler als Fehlinvestition. Claß musste seinem NS-Verbindungsmann am 8. Juni 1921 schreiben: »Es wurde mir gesagt, es lägen Berichte urteilsfähiger Männer aus München vor, die sich dahin aussprächen, dass die Bewegung um Drexler und Hitler dieselbe Entwicklung nehme wie bisher alle sogenannten nationalsozialistischen Versuche: Es gelingt nicht, aus der Arbeiterschaft in nennenswertem Maße Zuzug zu bekommen. Die Anhängerschaft beschränke sich auf kleinbürgerliche Kreise, und in München sei es besonders bedenklich, dass Beamte und vor allem Studenten irre gemacht und mit sozialistischen Gedanken verseucht würden … Mein Einwand, dass es sich jetzt in der Hauptsache darum handele, die breiten Massen gegen das Judentum mobil zu machen und Breschen in die sozialistischen Parteien zu legen, wurde mit dem Hinweis bekämpft, dass der Schaden einer sozialistischen Verseuchung der Studentenschaft auf die Dauer schwerer wiege als die vorübergehende Erfüllung von beiden anderen Zwecken.« Doch Hitler konnte schließlich nachweisen, dass die Herren ihm mit derlei Bedenken sehr unrecht taten. Er erwies sich als ehrlicher Antisemit und als unerbittlicher Kämpfer gegen jede Art von Sozialismus. Das sah Rieppels Nachfolger im Präsidium von Gesamtmetall, Ernst von Borsig7, denn auch ein, der, wie die Festschrift 100 Jahre Gesamtmetall – Perspektiven aus Tradition festlegt, »zu den großen Persönlichkeiten in der Sozialpolitik der Weimarer Republik zu zählen ist«. Niemand hat das besser bewiesen als Borsigs Privatsekretär Dr. Fritz Detert, der am 23. Oktober 1937 dem Sohn seines Anfang 1933 verstorbenen Chefs schrieb: »Wie ich Ihnen schon mündlich mitteilte, ist Ihr Herr Vater wohl einer der ersten gewesen, der hier in Berlin Beziehungen zu unserem Führer aufgenommen und seine Bewegung mit erheblichen Mitteln unterstützt hat. Dazu ist es wie folgt gekommen: Wie Sie wissen, bin ich Ende Februar 1919 direkt aus dem Corps Lüttwitz, und zwar Kavallerie-Schützen-Division, zu Ihrem Vater gekommen, um seine persönlichen, vertraulichen Angelegenheiten, die wegen ihrer Vertraulichkeit in der Firma nicht mitbearbeitet werden konnten, als Privatsekretär zu erledigen.« Das bedeutet: Der Chef von Gesamtmetall hielt sich für seine vertraulichsten Angelegenheiten den Angehörigen einer anerkannten Mordorganisation – die Kavallerie-Schützen-Division war es, die Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht umgebracht hatte. Er hatte schließlich auch die »Antibolschewistische Liga« Eduard Stadtlers8 finanziert, der von den Leuten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division verlangte, dass vor den Wahlen zur Nationalversammlung die bekanntesten Führer der Arbeiterschaft ermordet werden müssten: Es gingen »Umsturz- und Zusammenbruchsgefahren« von ihnen aus (und noch heute muss – Perspektiven aus Tradition – die Festschrift beklagen, dass bis 1921 »der Anteil der politischen Streiks an den Arbeitskämpfen außerordentlich hoch« gewesen sei. Gesamtmetall-Beispiele: »So wurde anlässlich der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht oder für die Räterepublik und gegen das Betriebsrätegesetz gestreikt.«) »An dieser Stelle«, vermerkt heute die Festschrift Hundert Jahre Gesamtmetall – Perspektiven und Tradition kann der Lebensweg des Ernst von Borsig »nur sehr grob nachgezeichnet werden«. Sein Privatsekretär Detert konnte es 1937 im Brief an den Borsig-Sohn umso feiner: »Ihr Herr Vater war in jener Zeit zum Teil gleichzeitig, zum Teil nacheinander Vorsitzender der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Präsidialmitglied im Reichsverband der Deutschen Industrie, Vorsitzender des Vereins Deutscher Maschinenbau-Anstalten, Vorsitzender des Gesamtverbandes Deutscher Metallindustrieller … usw. Er war also damals der führende deutsche Arbeitgeber und musste in seiner politischen Betätigung auf seine führende Stellung und die Zusammensetzung der Verbände und auf die damalige Regierung, von welcher das Werk mit seiner 7.000-köpfigen Belegschaft insbesondere bei der Vergebung der Lokomotivaufträge abhängig war, Rücksicht nehmen. Trotzdem hat er aus seiner nationalen Gesinnung niemals ein Hehl gemacht und alle nationalen Regungen und aktivistischen Kräfte unterstützt. Diese Unterstützungen gingen in den meisten Fällen mit Rücksicht auf die damaligen Verhältnisse durch meine Hand und unter meinem Namen. Um einige Beispiele anzuführen: So sind auch Ehrhardt, Roßbach, Oberland, der Abwehrkampf an der Ruhr, die Schwarze Reichswehr, der Stahlhelm u. a. durch erhebliche Geldzuwendungen gefördert worden.«

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