Stefan Tetzlaff Heterotopie als Textverfahren Studien zur deutschen Literatur Herausgegeben von Georg Braungart, Eva Geulen, Steffen Martus und Martina Wagner-Egelhaaf Band 213 Stefan Tetzlaff Heterotopie als Textverfahren Erzählter Raum in Romantik und Realismus ISBN 978-3-11-047192-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-047573-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-047523-4 ISSN 0081-7236 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com Dank DievorliegendeStudiewurdeimSeptember2013vomFachbereich09Philologieder Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Mein Dankgiltallen,diealsWegbegleiterteilgenommenundmichgeförderthaben. AllenvoranMoritzBaßler,derdasProjektvonBeginnanunterstütztundin seinen Forschungskreis integriert hat; seine Anregungen haben die Studie sehr bereichertundvonseinemDenkstilhabeichvielgelernt. GenausoAlfredSproedeundHaniaSiebenpfeiffer,derenakribischeLektüre, interessiertesundgenauesNachfragenebensowertvollwarenwiediezahlreichen Hinweise.Ichkannesnursosagen:IchhatteausgesprochenesGlückmitmeinem Betreuungspanel. Ein entscheidender Faktor war darüber hinaus das Dach der Münsteraner Graduate School ›Practices of Literature‹, für dessen Möglichkeiten zum Aus- tausch und Anregungen allen Mitgraduierenden sowie den Federführenden Martina Wagner-Egelhaaf,Cornelia Blasbergund Klaus Stierstorfergedankt sei. FürdiegroßzügigefinanzielleUnterstützung,ohnediedieseArbeitnichthätte entstehenkönnen,seiausdrücklichderStiftungBildungundWissenschaftgedankt, deren Promotionsstipendium das konzentrierte Forschen erst ermöglichte. Die Fi- nalisierung schließlich verdankt sich dem Promotionsabschlussstipendium der WestfälischenWilhelms-UniversitätMünster,dasebenfallseinegroßeHilfewar. Für die Bereitstellung der Bilder Andreas Nesselthalers sei Birgit Verwiebe sowie für die Abdruckgenehmigung dem Kupferstichkabinett der Staatlichen MuseenzuBerlingedankt. Mein Dank gilt auch den Kollegen und Mitstreitern, mit denen ich in den vergangenen Jahren über das Projekt diskutieren oder dies für hervorragenden Kaffee einen wunderbaren Moment lang sein lassen konnte, allen voran Maren Conrad,StephanBrössel,AnnaStemmannundDanielEhrmann. Genauso seiJustusKalthoffgedankt fürden Besuchin benachbartenElfen- beintürmenunddafür,diesegemeinsamzuverlassen. UndbesondersDir,Jana.DankefürdasWichtigste. Berlin,März2016 Inhalt Begriffsgeschichtliches 1 Foucaults Heterotopien 15 . Heterotopie und Utopie 24 . Das paradigmatisch Andere 28 Metapher und Metonymie 34 Diorama. Der romantische Raum 73 Wirkraum 82 Romantische Infektionsheterotopie 86 . Eichendorff und die Metapher 123 . Sonderfall Hoffmann 135 Vitrine. Der realistische Raum 143 . Adressenlogik 145 . Inszenierung 150 . Ein Haus machen. Geprägter Raum 185 Realistische Erinnerungsheterotopie 202 . Erinnerung als Inszenierung 203 . Erinnerung als Blockade 213 Romantische Reminiszenzen 225 Schluss 255 Abbildungsverzeichnis 259 Literatur 260 Personen- und Werkregister 280 1 Begriffsgeschichtliches InseinesechsteAuflagenimmtderDuden2007dasLemma»Heterotopie«auf.¹Mit der medizinischen sowie der geologischen Bedeutung werden die hauptsächli- chenVerwendungendiesesTerminusaufgeführt,dessenBegriffsgeschichtenoch zu schreiben wäre. Während die Geologie solche Stoffe als heterotopisch be- zeichnet, die sich an verschiedenen Orten (Sedimentationsgebieten) gebildet haben, bezieht sich die Heterotopie im gegenwärtigen medizinischen Gebrauch aufeinenphysiologischenVorgangoderGewebeanuntypischerStelle.Sowirddie orthopevonderheterotopenHerztransplantationunterschieden.Dabeibezeich- netersteredenErsatzdesaltendurcheinSpenderherz,wohingegenderheterotope Eingriff darin besteht, an das eigene Herz des Patienten ein Spenderherz anzu- koppeln. Das zusätzliche Herz bildet, seiner untypischen Lage neben dem ei- gentlichen Herz entsprechend, eine Heterotopie.² Analog dazu beschreibt die heterotopeSchwangerschaftdas»gleichzeitigeAuftreteneinerintrauterinenund extrauterinen Gravidität«, also die simultane Befruchtung jeweils einer Eizelle innerhalb sowie außerhalb des Uterus.³ Die Beispiele lassen sich über Pankreas- heterotopien(BauchspeicheldrüsengewebebeispielsweiseimMagen)⁴undhete- rotopeOssifikation(KnochenbildunganfalscherStelle)⁵weiterführen. WährenddieErstverwendunguneinheitlichaufErnstHaeckel[1866],⁶Rudolf Virchow[1867]⁷oderEdmundMojsisovics[1897]⁸zurückgeführtwird,findetsich Duden.DeutschesUniversalwörterbuch,Mannheim,S.. Vgl. Hans Scheld, Dieter Hammel, Christof Schmid und Mario Denk, Leitfaden Herztrans- plantation,Berlin/Heidelberg,S.ff. Vgl.ClaudeHenriDiesch,HeterotopeSchwangerschaft.EineaktuelleLiteraturübersicht.In: Speculum,.,,S.. Vgl.Lemma»Pankreas«.In:Ursus-NikolausRiede,MartinWernerundNikolausFreudenberg, BasiswissenAllgemeineundSpeziellePathologie,Heidelberg,S.. Vgl. Franz Walter Koch, Heterotope postoperative Ossifikationen. In: Knochenkrankheiten. Klinik,Diagnose,Therapie,hg.vonKlausPeters,Berlin/Heidelberg,S.–. CharlesTung,ModernistHeterochrony,EvolutionaryBiology,andtheChimeryofTime.In:The Year’s Work in the Oddball Archive, hg.von Jonathan Eburn und Judith Roof, Indiana , S.:»ThetermfirstappearsinErnstHaeckel,›DieGastrulaunddieEifurchungderThiere‹, JenaischeZeitschriftfürNaturwissenschaft():–.ForitsfirstappearanceinEnglish, seeHaeckel,EvolutionofMan«.[Hervorh.i.Orig.]EbensoBrianK.Hall,Evo-Devo:evolutionary developmentalmechanisms.In:TheInternationalJournalofDevelopmentalBiology,,, S.sowieMiriamL.ZelditchundWilliamL.Fink,Heterochronyandheterotopy.Stabilityand InnovationintheEvolutionofForm.In:Paleobiology,.,,S.. Vgl.CharlesKarsnerMills,TheNervousSystemanditsDiseases.APracticalTreatiseonNeu- rologyfortheUseofPhysiciansandStudents,Philadelphia,S..Sowieinderrezenten DOI9783110475739-001 2 1 Begriffsgeschichtliches derBegriffnichtnurbeiVirchowschon1858,⁹alsodeutlichvorHaeckel,sondern auchbereits1843inWalterHayleWalshesThePhysicalDiagnosisofDiseasesofthe Lungs¹⁰sowie1849inChapinA.Harris’DictionaryofDentalScience.Biography, Bibliography and Medical Terminology.¹¹ Ob es sich hierbei um die terminologi- schen Ursprüngehandelt,wärenoch zu klären.Bezeichnend scheint aber,dass trotznachweislichemGebrauchinverschiedenenDiskursenThorstenArwidsson sichnoch1938wiederumaufdiespätereQuelleMojsisovicsbeziehtundfeststellt: DochscheintdasWortsogutwieunbekanntzuseinundhatsichnichtinderLiteratur eingebürgert.EsliegtoffenbarkeinAnlaßvor,inderBotanikundPflanzengeographiedas Wortheterotopzuverwerfen.¹² Diese Einschätzungist umso erstaunlicher,als es schon einhalbesJahrhundert zuvorinMeyersKonversationslexikonheißt: WennmanallebekanntenFormenderabnormenBehaarung(Hypertrichosis)zusammen- stellt,solassensiesicheinteilen1)insolche,welchesichaneineminderNormunbehaarten Körperteilfinden(Heterotopie),2)insolche,welcheaneineminspätererZeitbehaartenTeil vor der normalen Zeit auftreten (Heterochronie),und 3) in solche,welche bei Frauen an Stellensichentwickeln,welchezurselbenEntwickelungsperiodebeimandernGeschlecht behaartsind(Heterogenie).¹³ Womit Arwidsson jedoch Recht behält ist, dass sich die Karriere des Begriffs entfaltet, als die hier angesprochene hohe Adaptierbarkeit entdeckt wird. So entwirft Josh Kun für die Musikwissenschaft das an der Heterotopie orientierte Konzeptder Audiotopie.Gemeintsind sowohl der Klangraumals auch dieüber MusikorganisierteVergesellschaftung,diejeweilsheterogeneKulturenverbinden Forschung:Lemma»Heterotopie«.In:GünterKrämer,KleinesLexikonderEpileptologie,Stutt- gart/NewYork,S.. ThorstenArwidsson,KurzeMitteilungüberhomotopeundheterotopeParasiten.In:Zeitschrift fürParasitenkunde,.,,S..[Hervorh.i.Orig.] RudolfVirchow,DieCellularpathologieinihrerBegründungaufphysiologischeundpatholo- gischeGewebelehre,Berlin,S.. Vgl.WalterHayleWalshe,ThePhysicalDiagnosisofDiseasesoftheLungs,Philadelphia, S.. Vgl.Chapin A. Harris, Dictionaryof Dental Science. Biography, Bibliography and Medical Terminology,Philadelphia,S.. Arwidsson,KurzeMitteilung,S.. Lemma »Haarmenschen«. In: Meyers Konversationslexikon. Band . Gehirn-Hainichen, Leipzig/Wien,S..