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Heterogenität - Diversity - Intersektionalität: Zur Logik sozialer Unterscheidungen in pädagogischen Semantiken der Differenz PDF

283 Pages·2013·1.791 MB·German
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Heterogenität – Diversity – Intersektionalität Marcus Emmerich • Ulrike Hormel Heterogenität – Diversity – Intersektionalität Zur Logik sozialer Unterscheidungen in pädagogischen Semantiken der Diff erenz Dr. Marcus Emmerich Dr. Ulrike Hormel Universität Zürich Pädagogische Hochschule Freiburg Schweiz Deutschland ISBN 978-3-531-17159-3 ISBN 978-3-531-94209-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-531-94209-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio- n a lbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in die- sem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürft en. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vs.de Inhalt Einleitung ..........................................................................................................................9 I. Ungleichheit – Klassifi kation – Diff erenzierung ..................................................19 1. Gesellschaft liche Ungleichheit und soziale Askription .......................................23 1.1. Dimensionen strukturierter Ungleichheit ...............................................25 1.2. Soziale Schließung und Askription ...........................................................27 1.3. Meritokratie und Ungleichheit ..................................................................34 1.4. Ungleichheit und Klassifi kation: Wissenssoziologische Problematisierungen ....................................................................................36 2. Soziale Wirklichkeit und soziale Klassifi kation ...................................................39 2.1. Wissen und Wirklichkeit ............................................................................41 2.2. Zur Logik sozialer Klassifi kation ..............................................................44 2.3. Klassifi kation und Institution ....................................................................48 2.4. Klassifi kation und Organisation ...............................................................52 2.5. Klassifi kation und Interaktion ..................................................................57 3. Klassifi zieren und Beobachten: Systemtheoretische Perspektiven ....................61 3.1. Jenseits des Gruppenparadigmas: Kommunikation und Sinn .............64 3.2. Funktionale Diff erenzierung und polykontexturale Ungleichheit ......68 3.3. Ungleiche Adressierung: Inklusion/Exklusion .......................................71 3.4. Organisation/Interaktion – Selektion/Vermittlung ...............................76 3.5. Abweichungserzeugung und Selbstdetermination im Erziehungssystem .........................................................................................79 3.6. Unterscheiden/Bezeichnen – Klassifi zieren/Askribieren: Beobachtungstheoretische Implikationen ...............................................82 Exkurs: Gesellschaft liche Diff erenzierung und die Diff erenzierung sozialer Klassifi kationen ...............................................................................91 4. Semantik und Diskurs: Soziale Unterscheidungen zwischen Systemreferenz und Klassifi kation......................................................................................................97 6 Inhalt II. Heterogenität – Diversity – Intersektionalität: Zur Logik sozialer Unterscheidungen in pädagogischen Semantiken der Diff erenz ....................107 1. Erziehungswissenschaft und gesellschaft liche Modernisierung .......................111 1.1. Bildungsplanung als Instrument gesellschaft licher Entwicklung ......113 1.2. Meritokratisierung des Schulwesens........................................................114 1.3. Sozialstruktur, Sozialisation und Lernfähigkeit ...................................115 1.4. Scheitern und Kritik der Bildungsreform ..............................................120 2. Erziehungswissenschaft und Migrationsgesellschaft ........................................121 2.1. Schulpolitik als Ausländerpolitik ............................................................126 2.2. Zwischen Unterschichtung und Kulturkonfl ikt: Die erziehungs- wissenschaft liche Konstruktion der ‚Zweiten Generation‘ .................129 2.3. Interkulturelle Pädagogik als Kritik der Ausländerpädagogik ..........131 2.4. Kulturalisierung als Refl exionsproblem .................................................132 3. Erziehungswissenschaft und Geschlechterverhältnisse ....................................137 3.1. Allokative Benachteiligung als Problematisierungsanlass ..................138 3.2. Schulkritik als Patriarchatskritik ............................................................139 3.3. Pädagogik und feministische Politik ......................................................141 3.4. Diff erenz und Gleichheit ...........................................................................142 3.5. Reifi zierung der Kategorie Geschlecht als Refl exionsproblem ...........143 3.6. Geschlechterdiff erenz und die Aporien pädagogischer Programmatik ............................................................................................147 4. Soziale Diff erenz und pädagogische Diff erenzierung: Zum Verhältnis von sozialer und schulischer Klassifi kation im Heterogenitätsdiskurs ..........149 4.1. Verschiedenheit als Problematisierungsanlass: Zur thematischen Kontur des Heterogenitätsdiskurses .......................................................152 4.2. Diff erenz und Gleichheit: Begründungsprobleme des Heterogenitäts- diskurses ......................................................................................................156 4.3. Homogenität/Heterogenität als Beobachtungsschema: Interaktions- basierte und organisationsbasierte Diff erenzierungsstrategien ..........161 4.3.1. Meritokratie ohne Selektion ..............................................................165 4.4. ‚Natürliche‘ Diff erenz und die Konstruktion eines pädagogischen ‚Realismus‘ ..................................................................................................168 4.4.1. Sozial-Ontologisierung von Diff erenz: Heterogenität als lern- relevante ‚Ungleichartigkeit‘ ..............................................................170 4.4.2. Prävention und Diagnostik ...............................................................173 4.4.3. Lernvoraussetzung Gesellschaft : Heterogenität als diff erenz- pädagogische ‚Soziologie‘ ..................................................................176 7 4.5. Soziale Klassifi kation und pädagogische Ordnung: Aporien des Heterogenitätsdiskurses .....................................................179 5. Diff erenz organisieren: Diversity zwischen Humanressource und Antidiskriminierung ...................................................................................................183 5.1. Begründungsprobleme des Diversity-Ansatzes .....................................185 5.2. Kulturalisierung von Diff erenz: Vielfalt als Organisationsressource ........................................................189 5.3. Diff erenz ohne Ungleichheit: Diversity und meritokratische Rationalität ..................................................................................................192 5.4. Diversity und (Anti-)Diskriminierung ...................................................194 5.5. Diversity im erziehungswissenschaft lichen Kontext ............................198 5.5.1. Diversity-Pädagogik als Auseinandersetzung mit sozialen Ungleichheiten und Diskriminierungen .........................................199 5.5.2. Diversity-Management im Kontext ‚Neuer Steuerung’ im Bildungswesen.....................................................................................203 5.6. Soziale Klassifi kation und organisierte Diff erenz: Aporien des Diversity-Diskurses ...................................................................................207 6. Die Komplexität sozialer Ungleichheit: Intersektionalität zwischen kategorialer Beobachtung und Klassifi kationskritik ..........................................211 6.1. Der ‚kategoriale’ Ansatz: Intersektionalität als Methodologie und Gesellschaft stheorie ....................................................................................214 6.1.1. Methodologische Perspektiven .........................................................215 6.1.2. Gesellschaft stheoretische Perspektiven ...........................................221 6.2. Intersektionalität und die Logik institutioneller Klassifi kation ........226 6.3. Refl exionsprobleme des Intersektionalitätsdiskurses ..........................230 6.4. Intersektionalität als erziehungswissenschaft liches Refl exions- angebot: Ungleichheit und Diff erenz im Bildungssystem ...................237 7. Schlussbetrachtung: Diff erenz beobachten – Diff erenz erzeugen ....................245 7.1. Die kategoriale Beobachtung von Bildungsungleichheit .....................246 7.2. Diff erenzierung und Diskriminierung: Bildungsungleichheit im Erziehungssystem .......................................................................................249 7.3. Die Struktur der Diff erenzdiskurse und ihre Systemreferenz ............254 7.4. Neue Diff erenzpädagogiken und die ‚meritokratische Modernisierung‘ des Bildungswesens .....................................................258 Literatur .........................................................................................................................265 Einleitung Die pädagogische Bezugnahme auf soziale Diff erenz hat seit der Wiederbeteili- gung der Bundesrepublik an internationalen Schulleistungsvergleichsstudien Ende der 1990er Jahre ersichtlich an Bedeutung gewonnen. Nicht zuletzt haben die ersten PISA-Studien maßgeblich dazu beigetragen, dass die Problematik so- zial ungleicher Bildungschancen erneut zu einer zentralen Referenz erziehungs- wissenschaft licher Forschung und bildungspolitischer Reformaktivität geworden ist. Seither lässt sich nicht nur eine zunehmende Th ematisierung von Bildungs- ungleichheit im Rahmen der Empirischen Bildungsforschung beobachten, deren Ausmaß eine historisch neue Dimension angenommen hat, sondern ebenso eine unerwartete Renaissance ‚klassischer‘ bildungssoziologischer Erklärungsansätze zu den sozialen Ursachen ungleicher Bildungsperformanz. Gleichzeitig ist soziale Diff erenz auch zu einem zentralem Bezugsproblem für die Gestaltung institutionalisierter pädagogischer Praxis avanciert: Begriff e wie Heterogenität, Diversität/Diversity, Verschiedenheit oder Vielfalt sind mittler- weile zu einem selbstverständlichen Bestandteil unterschiedlicher pädagogischer Diskurse geworden. Ein professioneller ‚Umgang mit Heterogenität‘ soll dabei nicht zuletzt zu einer Verbesserung von Bildungschancen und zur Verminderung von ‚Bildungsrisiken‘ beitragen. Off ensichtlich ist es im Zuge der durch PISA aus- gelösten erziehungswissenschaft lichen Diskussionen und bildungspolitischen Reformen gelungen, Diff erenzpädagogiken1 auch in Hinblick auf die Bearbeitung des insistierenden Problems der sozialen Selektivität im deutschen Bildungs- system Geltung zu verschaff en. 1 Als Differenzpädagogik oder differenzsensible Pädagogik kennzeichnen wir genera- lisierend Konzepte und Programme, die sich in ihren Selbstbegründungen auf sozial konturierte Differenzaspekte ihrer AdressatInnen beziehen und mit dieser Differenz spezifische pädagogische Problemstellungen verbinden. M. Emmerich, U. Hormel, Heterogenität – Diversity – Intersektionalität, DOI 10.1007/978-3-531-94209-4_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 10 Einleitung Wir nehmen die gegenwärtige Popularität pädagogischer Diskurse zu ‚Hete- rogenität‘, ‚Diversity‘ und in jüngster Zeit ‚Intersektionalität‘ vor diesem Hinter- grund zum Anlass, eine denkbar einfache Frage zu stellen: Welchen pädagogischen Sinn und welche pädagogische Plausibilität besitzen die sozialen Diff erenzkatego- rien, die innerhalb der diff erenzpädagogischen Literatur als Bezugspunkte päda- gogischer Praxis konstruiert werden? Heterogenität, Diversity, Intersektionalität treten als erziehungswissenschaft - liche Diskurse in Erscheinung, die ein spezifi sches Unterscheidungswissen for- mulieren, mit dem die Sozialität der AdressatInnen pädagogischen Handelns in den Blick genommen werden soll. Was mit diesem Wissen aufgerufen wird, sind Vorstellungen über die Bedeutung sozialer Unterschiede in der gesellschaft li- chen Wirklichkeit, von denen angenommen wird, dass sie auch die pädagogische Wirklichkeit mitkonstituieren. In der einschlägigen Literatur kommt Kategorien eine zentrale Bedeutung zu, die einem sozialwissenschaft lichen und/oder sozial- statistischen Vokabular entlehnt sind: Soziale Herkunft , Klasse, Schicht, Milieu, Geschlecht, Ethnizität, Kultur, Migrationshintergrund, Lebenswelt, Lebensstil etc. Dabei handelt es sich zunächst um begriffl iche Unterscheidungen, mit denen in den Sozialwissenschaft en der Gegenstand ‚Gesellschaft ‘ beobachtet und beschrie- ben wird. Das Ensemble der Kategorien, das in unterschiedlicher und mithin diff user Zusammenstellung kursiert, weist dabei einerseits eine diskursübergreifende Re- ferenz auf zentrale Unterscheidungen auf, andererseits lässt sich jedoch auch eine Selektivität in der Wahl der Kategorien feststellen: Geschlecht, Ethnizität, Mig- ration, soziale Herkunft , Behinderung, Alter kommen mit je unterschiedlicher Gewichtung in allen Diff erenzdiskursen vor. Während im schulpädagogischen Heterogenitätsdiskurs der Klassenbegriff nicht, der Schichtungsbegriff nur selten verwendet und stattdessen auf eher unbestimmte Kategorien wie ‚soziale‘ oder auch ‚kulturelle Herkunft ‘ Bezug genommen wird, stellt die Kategorie ‚Klasse‘ bspw. im Intersektionalitätsdiskurs eine zentrale Referenz dar. Im Kontext von Diversity wiederum spielen Schichtungs- oder Klassenunterschiede eine nur mar- ginale Rolle. Das Fehlen von Kategorien gibt hierbei einen Hinweis auf divergente Beobachtungsrationalitäten, die sich hinter den jeweiligen Kategorienensembles der Diskurse artikulieren. Das Charakteristikum des Heterogenitätsdiskurses besteht vor diesem Hintergrund insbesondere darin, dass neben den sozialen auch genuin schulpädagogische, kognitions- und lernpsycholog ische Kategorien herangezogen werden, um den Sachverhalt ‚Heterogenität‘ zu beschreiben. Die diff erenzpädagogische Konstruktion der ‚Unterschiedlichkeit‘ der AdressatInnen pädagogischer Praxis basiert folglich auf höchst selektiven, beo bachterabhängigen Einleitung 11 Unterscheidungen, die auf wissenschaft lich mitunter inkommensurablen Er- kenntnisprämissen beruhen. Spätestens mit der Rezeption kultursoziologischer und poststrukturalistischer Th eorieangebote in den Sozialwissenschaft en (vgl. dazu Moebius/Reckwitz 2008) steht die ontologisierende Tendenz sozialer Diff erenzkategorien grundlegend in der Kritik. Nicht zuletzt gehört seit den 1990er Jahren die Bezugnahme auf ‚De- konstruktion‘ und die Problematisierung kategorialer Konzeptualisierungen von Diff erenz auch zum Repertoire erziehungswissenschaft licher Refl exion (vgl. etwa die Beiträge in Fritzsche et al. 2001; Lutz/Wenning 2001). Im Kontext poststruk- turalistischer Perspektiven entfaltet der Begriff der Diff erenz sein erkenntniskri- tisches Potenzial, weil und indem er sich gegen fi xierende Bezeichnungspraxen und identitätslogische Repräsentationen wendet. Jacques Derridas Neologismus „diff érance“ (1988) verweist dabei auf jene iterative Dynamik, die symbolische Fixierungen faktisch subvertiert und dabei den Prozess des Bezeichnens zugleich unabschließbar werden lässt. Im Gegensatz zu dieser Logik der Diff erenz eignet Kategorien eine Logik der Identität, weil bestimmte Unterscheidungen selektiv auf Dauer gestellt werden. Kategoriales Bezeichnen basiert zudem weder auf Erfahrung noch auf Wahr- nehmung. Die Kategorie ‚Geschlecht‘ ist eine ebenso wenig aus empirischer Beob- achtung zu gewinnende Unterscheidung wie ‚Ethnizität‘ oder ‚soziale Herkunft ‘. Vielmehr setzt das Erkennen sozialer Unterschiede das Wiedererkennen kategori- aler Unterscheidungen voraus.2 Damit ist ein grundlegendes Erkenntnisproblem benannt, das die Sozialwissenschaft en, insbesondere jedoch die Soziologie, von Anfang an beschäft igt. Für die Erziehungswissenschaft bleibt es jedoch nicht le- diglich bei einer erkenntnistheoretischen Fragestellung, weil die kategoriale Per- spektive eine unaufl ösbare Subsumtionslogik in die pädagogische Beobachtungs- praxis einträgt. Mit der pädagogischen Bezugnahme auf soziale Diff erenz soll eine diff eren- ziertere Bestimmung der gesellschaft lichen Bedingungen von Erziehung und Bil- dung ermöglicht werden. Das argumentative Grundschema scheint damit dem bildungssoziologischen Erklärungsmuster zu folgen, dass unterschiedliche Sozi- alisationsbedingungen diff erentielle Bildungsvoraussetzungen konstituieren. Die Kategorienensembles zielen off ensichtlich darauf, das Diff erenzierungsvermögen in der pädagogischen Beobachtung zu erhöhen, indem sie soziale Unterscheidun- gen mit pädagogischen Relevanzsetzungen verknüpfen. Denn nur in Form einer 2 Im Sinne Louis Althussers geht hierbei das „Wiedererkennen/Anerkennen“ der „Evi- denz“ voraus (Althusser 1977: 141). 12 Einleitung solchen Verknüpfung kann die Bezugnahme auf soziale Diff erenz in der pädago- gischen Beobachtungspraxis mit Sinn und Plausibilität ausgestattet werden: „Unterscheidbare Merkmale wie das Geschlecht, das Alter, die Lebenslage und der soziale Status der Eltern oder ihre nationale Herkunft , mit denen man Kinder beob- achten kann, sind off enbar nicht ohne weiteres mit ihrer Lernfähigkeit oder ihren sozialen Kompetenzen zusammenzubringen. Man braucht theoretische Konstruk- tionen, die Zusammenhänge erst stift en: zwischen Geschlecht und sozialem Verhal- ten; zwischen Lebensalter und Auff assungskapazität; zwischen sozialer Schicht und Lernfähigkeit; zwischen äußeren, körperlichen Merkmalen und Charakter oder Temperament. Diese Aufgaben übernehmen in modernen Organisationen, die sich nicht mehr selbstverständlich auf tradiertes Wissen stützen können, wissenschaft - liche Th eorien, d.h. systematisch geordnete Aussagen über einen Teilausschnitt der Realität.“ (Diehm/Radtke 1999: 27) Die durch Th eorie allererst zu ‚stift ende‘ Verbindung von sozialem Unterschei- dungswissen und pädagogischem Diff erenzierungswissen führt entsprechend unweigerlich in das Problem der Konstruktion von Kausalität hinein: Erziehungs- wissenschaft liche Th eorien dienen der Bereitstellung systematischer Annahmen über Zusammenhänge zwischen ‚beobachtbaren‘ sozialen Merkmalen einerseits und pädagogisch relevanten Diff erenzierungsmerkmalen andererseits. Pädago- gik nimmt damit jedoch selektiv Bezug auf die Sozialität der AdressatInnen, sie tritt selbst als Beobachterin in eigener Sache auf und ihre Beobachtungsleistungen sind abhängig von den eigenen Beobachtungskategorien. Mit anderen Worten liegt die Bedeutung jener ‚systematisch geordneten Aussagen‘ gerade darin, dass sie soziale und pädagogische Kategorien selektiv miteinander verknüpfen. Das zentrale Dilemma, das sich im Kontext diff erenzpädagogischer Program- matiken abzuzeichnen scheint, besteht nicht zuletzt darin, dass die angebotenen sozialen Unterscheidungen immer schon die Möglichkeit der Abwertung derjeni- gen enthalten, die im Resultat unterschieden werden: Wenn LehrerInnen Jungen und Mädchen, MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen, arme und reiche Kinder voneinander unterscheiden, dann geschieht dies vor dem Hintergrund der An- nahme, dass diese Unterscheidungen pädagogische Relevanz besitzen. Faktisch handelt es sich jedoch zunächst um eine soziale Kategorisierung von SchülerIn- nen, der situationsbedingt und kontextabhängig ein asymmetrisierendes Moment innewohnt. Die programmatische Auff orderung, soziale Unterscheidungen im pädagogischen Handlungsgefüge zu nutzen, setzt auf der Ebene der pädagogi- schen Beobachtungspraxis kontingente Zuschreibungsoptionen frei. Und es bleibt letztlich der institutionalisierten pädagogischen ‚Praxis‘ überlassen, was sie aus dem sozialen Unterscheidungswissen macht.

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