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Herrschaft und Krise: Beitrage zur politikwissenschaftlichen Krisenforschung PDF

235 Pages·1973·5.418 MB·German
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Uni-Taschenbiicher 189 UTB Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Birkhiiuser Verlag Basel und Stuttgart Wilhelm Fink Verlag Miinchen Gustav Fischer Verlag Stuttgart Francke Verlag Miinchen Paul Haupt Verlag Bern und Stuttgart Dr. Alfred Hiitig Verlag Heidelberg ].C.B. Mohr (Paul Siebeck) TUbingen QueUe & Meyer Heidelberg Ernst Reinhardt Verlag MUnchen und Basel F.K. Schattauer Verlag Stuttgart-New York Ferdinand Schiiningh Verlag Paderborn Dr. Dietrich Steinkopff Verlag Darmstadt Eugen Ulmer Verlag Stuttgart Vandenhoeck & Ruprecht in Giittingen und ZUrich Verlag Dokumentation Miinmen-Pullach Westdeutscher Verlag/Leske Verlag Opladen Herrschaft und Krise Beitrage zur politikwissenschaftlichen Krisenforschung Herausgegeben von Martin Janicke W estdeutscher Verlag 1973 @ 1973 by Westdeutsmer Verlag Opladen ISBN 978-3-531-11163-6 IS8N 978-3-322-85716-3 (eBook) 00110.10071978-3-322-85716-3 Inhalt Vorwort ................................................. 7 I. Krise und Entwicklung: Ansatze einer vergleichenden Krisen forschung Martin Janicke Krisenbegriff und Krisenforschung 10 Volker Rittberger Politische Krisen und Entwicklungsprobleme 26 Richard L;jwenthal Diskussionsbeitrag 39 II. Krise als Entscheidungssituation Charles F. Hermann Indikatoren internationaler politischer Krisen 44 Ted R. Gurr Vergleichende Analyse von Krisen und Rebellionen 64 Karl W. Deutsch Zum Verstandnis von Krisen und politischen Revolutionen . . . .. 90 III. Krise als revolutionare Situation WoljWagner Kybernetische Revolutionsanalyse und materialistische Geschichts- betrachtung .............................................. 102 5 Joban Galtung Eine strukturelle Theorie der Revolution .................... 121 IV. Krise und Krisenmanagement im entwickelten Kapitalismus Elmar Altvater Zu einigen Problemen des »Krisenmanagement« in der kapita listischen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 170 Claus Offe »Krisen des Krisenmanagement«: Elemente einer politischen Krisentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 197 Wolf-Dieter Narr Zur Genesis und Funktion von Krisen - einige systemanalytische Marginalien ...................... ....................... 224 6 Vorwort Die vorliegenden Texte sind die z. T. iiberarbeiteten Referate einer uni versitatsoffentlichen internationalen Konferenz des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universitat. Diese von der Projektgruppe »Vergleichende Krisenforschung« des Fachbereichs Politische Wissenschaft durchgefiihrte Tagung hat ein breites fachliches Interesse gefunden. Zugleich erhielt sie allerdings auch eine von ihrem Gegenstand abgehobene Publizitat durch die Tatsache, daB eine maoistische Gruppe glaubte, dieses angebliche Stell dichein internationaler Experten von Krisenmanagement und Massenunter driickung - an dem sich unglaublicherweise sogar Vertreter eines marxi stischen Ansatzes beteiligten! - verhindern zu miissen. Die Krisenkonfe renz wurde so zum Thema fiir diejenigen Journale, die sich· fiir Univer sitatsfragen nur dann interessieren, wenn Spektakulares zu berichten ist. Urn so dringlicher scheint es, dem an der Sache selbst Interessierten die Referattexte zuganglich zu machen. Dabei ist zu beriicksichtigen, daB es sich bei der »innenpolitischen« Krisen forschung nicht urn eine etablierte Spezialdisziplin handelt, die hier ihren neuesten Forschungsstand prasentiert und diskutiert. Die Krisenkonferenz hatte vielmehr weitgehend Neuland zu betreten. Dies bedeutet, daB nicht nur die wenigen vorhandenen Ansatze zur Analyse politischer System krisen zu referieren waren. Krisentheoretische Spezialgebiete der Politolo gie wie die Theorie Internationaler Krisen oder die polit-okonomische Krisentheorie waren ebenso auf ihre Brauchbarkeit fiir eine komparati stische Analyse innerer Krisen politischer Systeme hin auszuwerten wie bestimmte krisentheoretisch relevante Ansatze, insbesondere der System w. theorie und der vergleichenden Analyse kollektiver Gewalt. (Karl Deutsch und Ted R. Gurr haben ihren Ansatz aus AnlaB der Konferenz erstmals ausdriicklich krisentheoretisch formuliert). Diese notwendige Aus beutung ganz unterschiedlicher Ansatze gibt der vorliegenden Textsamm lung eine gewisse Heterogenitat, die noch durch die Verschiedenheit der normativen Ansatze vergroBert wird. Die Integration wird dem Leser ebenso iiberlassen wie der Vergleich der Starken und Schwachen der hier vereinten marxistischen und »biirgerlichen« Beitrage. Ich nehme die Gelegenheit wahr, denen, die die Durchfiihrung der Krisen konferenz moglich gemacht haben, fiir ihre Unterstiitzung zu danken. Dies gilt fiir die Teilnehmer, fiir die Deutsche Gesellschaft fUr Friedens- und Konfliktforschung (als Geldgeber), fiir das Prasidialamt der FU, fiir die Mitglieder der Projektgruppe »Vergleichende Krisenforschung« am Otto- 7 Suhr-Institut, insbesondere fiir Knuth Dohse, den (damaligen) Koordina tor des Projekts, und Frau Irmgard Crisp, ohne deren organisatorisches Talent ein erfolgreicher Ablauf der Tagung nicht moglich gewesen ware. Die Dbersetzungen besorgten Claudia Wormann, Ingrid Lehmann und Erik NohaTa. M.J. 8 1. Krise und Entwicklung: Ansatze einer vergleichenden Krisenforschung Martin Janicke (Berlin) Krisenbegriff und Krisenforschung Auf den ersten Blilk gesehen, scheint es kaum notig, die Relevanz einer internationalen politologischen Konferenz zum Thema »Herrschaft und Krise« zu begriinden. SchlieBlich ist der Krisenbegriff heute in aller Munde. Und in dem Gefiihl, in einer heilen Welt zu leben, befinden sich gewiB nur wenige. Die Neigung, von der Wissenschaft entsprechende Lo sungsvorschHige zu erwarten, ist also nicht eben gering. Paradoxerweise erhalt eine wissenschaftliche Tagung iiber politische Sy stemkrisen derzeit gerade dadurch ihre Legitimation, daB sie Losungs vorschlage noch nicht zu bieten hat, weil die vergleichende Krisenfor schung, die sich eben erst konstituiert hat, noch mit Startschwierigkeiten ringt. Gerade wei! das sprachliche Reizsymbol »Krise« heute fiir fast jede politische Gruppe in der Welt als Alarmglocke zur Anpreisung ihrer jeweiligen politischen Therapien unverzichtbar ist, ist die vergleichende politologische Krisenforschung zur Zeit noch weitgehend damit beschaf tigt, an ihrem begrifflichen Instrumentarium herumzubuchstabieren (und die Begriffe sind nun einmal unser wichtigstes Instrumentarium). Ein weiteres Problem ergibt sich - scheinbar - aus dem diametral ver schiedenen Erkenntnisinteresse, das sich mit dem Krisenbegriff verbindet. Die Krisentagung des Otto-Suhr-Instituts hat dies hinreichend verdeut licht. Selten ist iiber Sinn und mogliche Funktion politikwissenschaftlicher Krisenforschung mit solcher Leidenschaft diskutiert worden wie bei dieser Gelegenheit. Zur Verdeutlichung dieser Problematik solI hier - ideal typisch - zwischen einem optimistischen und einem pessimistischen Krisen begriff unterschieden werden, dem jeweils ein unterschiedliches Erkennt nisinteresse entspricht. Wird im einen Fall Krise als Chance einer umfassen den Systemtransformation gesehen, so ergibt sie sich im anderen Fall als Bedrohung essentieller Werte. Die Besonderheit der Berliner Krisentagung bestand nicht nur darin, daB sie Vertreter beider Krisenbegriffe an einen Tisch brachte. Nicht weniger relevant war die von auBen an sie herange tragene dogmatische Behauptung, daB zwischen Vertretern eines so unter schiedlichen krisentheoretischen Erkenntnisinteresses eine wissenschaftliche Kommunikation nicht nur unmoglich, sondern verraterisch sei, zumindest soweit es sich urn Vertreter eines marxistischen Ansatzes handle. Hier geht es nicht urn die in solchen Auffassungen zum Ausdrulk kommende, eher psychologisch zu interpretierende Beriihrungsfurcht gegeniiber kontrover sen Auffassungen. Wichtiger erscheint mir, daB die Behauptung der Un moglichkeit einer intersubjektiven Kommunikation auf einem brisanten 10 Gebiet wie der Krisenanalyse durch den Konferenzverlauf nicht erwiesen wurde. Was sich in diesem Zusammenhang gezeigt hat, ist die Armlichkeit einer sich »revolutionar« verstehenden Position, die sich weigert, die standigen Innovationen im Bereich des Krisenmanagements zur Kenntnis zu nehmen und in ihr strategisches Kalkiil einzubeziehen. Dies fiihrt zu der weitergehenden Frage, was denn eigentlich auf seiten derjenigen, die sich die fundamentale Veranderung der bestehenden Macht und Produktionsverhaltnisse zum Ziel setzen, an strategischen Erfindun gen hervorgebracht wurde. Gibt es in den entwickelten Industriesystemen nicht eine wachsende Kluft zwischen der Lernkapazitat der systemstabili sierenden Krisenmanager einerseits und ihrer »revolutionaren« Heraus forderer auf der anderen Seite? Es sieht so aus, als nehme die taktische und strategische Innovationsfahigkeit der zweiten Gruppe in dem MaBe ab, in dem sich ihre Position dem Punkt der eschatologischen, undialek tischen Totalnegation des Status quo nahert. Genaugenommen gibt es hier sogar einen Bereich riicklaufiger Lernprozesse, etwa im FaIle des Riickfalls in die Kampftechniken des Anarchismus. Hier kann dann auch unbedenk lich von einer Gratisstabilisierung der bestehenden Systeme gesprochen werden. In jedem Fall ist die relative politische Stabilitat der entwickelten Industriesysteme - relativ im Vergleich zur restlichen, weder monopol sozialistisch noch interventionsstaatlich-kapitalistisch organisierten Welt - eine leicht zu belegende Tatsache. Die Krisenforschung hat hiervon aus zugehen. Sie erhalt durch diesen Umstand sogar, wie zu zeigen sein wird, einen besonderen Stellenwert. Hier ist zunachst auf die paradoxe Situation zu verweisen, daB in den westlichen Landern seit den sechziger Jahren das Thema »Revolution« von Marxisten und Liberalen, unter normativen wie analytischen Aspekten, immer haufiger erortert wird, obwohl in diesen Landern im genannten Zeitraum nur ein - reaktionarer - Umsturz stattgefunden hat (der griechi sche Militarputsch von 1967). Eine sozialistische Revolution hat es nicht gegeben, wohl aber eine vorrevolutionare Krise (Frankreich). Krisenhafte Unruhen gab es auch im sozialistischen Polen. Sie fiihrten nicht zur Revo lution, wohl aber schufen sie einen starken Veranderungsdruck, auf den das Regime reagieren muBte. In Prag schlieBlich fiihrte der totale Auto ritatsverlust des Novotny-Regimes im Zeichen einer krisenhaften Akku mulation okonomischer, sozialer und kultureller Dysfunktionen und Kon flikte zum bisher einzigen Modell einer systemiiberwindenden Reform eines politischen Systems poststalinistischen Typs. Die krisenhaften Vor stadien der Revolution haben also in den entwickelten kapitalistischen und sozialistischen Landern eine ungleich groBere Aktualitat und empi rische Relevanz erhalten als die Faktizitat des revolutionaren Prozesses selbst. 1st es da nicht erstaunlich, daB der westliche Biichermarkt mit Wer ken zur Revolution iiberschwemmt wird, aus deren Registern der Krisen begriff zunehmend verschwindet? Fur die Politologie ist diese Entwicklung noch aus anderen Grunden pa radox. Unter den vielen Disziplinen, die sich des Krisenbegriffs bedienen, 11

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