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Haupt und Glieder der Altaischen Hypothese: die Körperteilbezeichnungen im Türkischen, Mongolischen und Tungusischen PDF

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.„ Sonderdruck Ural-Altaische Jahrbücher Internationale .Zeitschrift für uralische und altaische Forschung International Journal of Uralic and Altaic Studies Journal International des Etudes Ouraliennes et Altaiques Mem.IO'HapoAHl:tlit mypHa.TI ypa...i:o-11 anTaeBeAeHHH Im Auftrage der Societas Uralo-Altaica herausgegeben von HANS-HERMANN BARTENS - JANOS ÜULYA KLAUS RöHRBORN - KLAUS SAGASTER Neue Folge Band 16 1999/2000 In Kommission bei HARRASSOWITZ VERLAG URAL-ALTAISCHE JAHRBÜCHER NEUE FOLGE Herausgegeben von HANS-HERMANN BARTENS - JANOS ÜULYA KLAUS RöHRBORN - KLAUS SAGASTER Die Zeitschrift erscheint jährlich in einem Band von ca. 20 Druckbogen. Bestellungen werden in allen Buchhandlungen angenommen. Es wird gebeten, Manuskripte, Rezensionsexemplare, Dissertationen usw. direkt an die Her ausgeber der betreffenden Fachgebiete zu senden. Die Verfasser von Aufsätzen erhalten 20 Separata kostenfrei. Die Mitarbeiter am Berichts-und Besprechungsteil erhalten 10 Sonder- drucke. Anschriften und Fachgebiete der Herausgeber: Dr. Hans-Hermann Bartens (Finnougristik, Finnopermistik), Finnisch-ugrisches Seminar der Georg-August-Universität, Theaterstraße 14, D-37073 Göttingen Prof.Dr. J4nos Gulya {Uralistik, Ugristik, Samojedistik), Finnisch-ugrisches Seminar der Georg-August-Universität, Theaterstraße 14, D-37073 Göttingen Prof.Dr. Klaus Röhrbom (Turkologie), Seminar für Turkologie und Zentralasienkunde der Georg-August-Universität, Papendiek 16, D-37073 Göttingen Prof.Dr. Klaus Sagaster (Mongolistik, Tungusologie, Koreanistik, Altaistik), Seminar für Sprach-und Kulturwissenschaft Zentralasiens der Universität Bonn, Regina-Pacis-Weg 7, D-53113 Bonn Haupt und Glieder der Altaischen Hypothese: die Körperteilbezeichnungen im Türkischen, Mongolischen und Tungusischen 1 Von STEFAN GEORG (Bonn) Es gehört zu den Kuriositäten in der Geschichte der Altaischen Hypothese, daß einige der bis in unsere Tage von Skeptikern und Gegnern wiederholten Kritikpunkte an der Annahme, daß die Türkischen, Mongolischen und Tungusischen Sprachen (denen in machen Versionen noch das Koreanische und Japanische beigesellt wird) auf eine gemeinsame Grundsprache zurück führbar seien, tatsächlich älter zu sein scheinen, als irgendeine zusammen hängende Formulierung dieser Hypothese selbst. So finden wir schon bei PETER SIMON PALLAS, lange bevor WILHELM SCHOTT beginnt, die (ural-)altaischen Sprachen aus linguistischen Gründen für Glieder einer Sprachfamilie zu halten, lange auch bevor MATTHIAS ALE XANDER CASTREN hierfür den Begriff ,,Altaisch" prägt, der, von SCHOTT 1849 übernommen, im Laufe der folgenden Jahrzehnte die Bezeichnung "Tata risch" abzulösen beginnt - zunächst noch unter Einschluß des Uralischen-, ja, selbst lange bevor das wissenschaftliche Konzept der Sprachverwandt schaft, dem die moderne vergleichende Sprachwissenschaft ihre Existenz ver dankt, von WILLIAM JoNES in genialer Weise vorgeahnt und in der Folge von FRANZ BoPP auf tragfähige Füße gestellt wurde, hinsichtlich der Frage eines gemei~samen Ursprunges der Mongolen und Türken skeptische Bemerkun gen, wie "Die nicht sparsamen Worte, welche die tatarische Sprache mit der mongolischen gemein hat, und deren sich viele in der türkischen Sprache nicht antreffen lassen, können theils einer uralten Nachbarschaft und Gemeinsamkeit beyder Nationen, die wohl niemand leugnen wird, zugeschrieben werden, theils sind es die Spuren, welche die herrschende (sie) Mongolen bey den unterjochten Tataren hinterlassen musten (PALLAS 1776, 2-3)." 1 Alexis Manaster Ramer, Aleksandr Vovin und Paul Sidwell waren so freundlich, mir ihren in dieser Zeitschrift erschienenen Aufsatz "On Body Part terms as Evidence in Favor of the Al taic Hypothesis" (MANASTER RAMER et al. 1998), mit dem sich dieser Beitrag vornehmlich be faßt, in Manuskriptform zugehen zu lassen, wofür ihnen an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Da die endgültige Druckfassung mir zum Zeitpunkt des Manuskriptabschlusses noch nicht zur Vefügung steht, kann dieser Aufsatz nicht mit seiner korrekten Paginierung zitiert werden. UAJb N.F. 16, 1999/2000 144 STEFAN GEORG In diesen Worten mag - sauf erreur - der vielleicht froheste Beleg für die Annahme gesehen werden, daß die unbestrittenen Ähnlichkeiten und Über einstimmungen der in Rede stehenden Sprachen eher als Ergebnis langan dauernden Sprachkontakts, als auf gemeinsamer Abstammung beruhend, zu deuten seien. Es kann hier nicht der Ort sein, die gut zweihundertjährige Geschichte der altaischen Frage detailliert nachzuzeichnen2, erwähnt sei hier lediglich, daß die von PALLAS angedeutete Alternative zur Urverwandtschaftshypo these diese stets begleitet hat und ihre prominentesten Fürsprecher u. a. in JEAN PrnRRE ABEL-REM~SAT3, ÜTTo BöHTLINGK4, GYuLA NEMETH5, GERARD CLAusoN6, ALEKSANDR ScERBAK7, ANDRAS R6NA-TAs8 sowie vor allem GER HARD DoERFER9 gefunden hat. Die Auseinandersetzung über die Validität der Altaischen Hypothese ist auch am Ende des 20. Jahrhunderts ungebrochen, und die Disziplin ist im mer noch weit davon entfernt, dem ratsuchenden Nichtspezialisten eine ein deutige, die communis opinio der Forschergemeinde repräsentierende Ant wort auf die Frage nach der gegenseitigen Verwandtschaft des Türkischen, Mongolischen und Tungusischen (oder sogar des Koreanischen und Japani schen) geben zu können. Dabei bewegt sich die Diskussion auf zahlreichen Feldern; Kritiker wie Befürworter der Verwandtschaftshypothese - einig zu mindest dariiber, daß die in Rede stehenden Sprachen eine große Zahl von erkliirungsbedüiftigen Übereinstimmungen aufweisen - sind nach wie vor über die verschiedensten Teilgebiete uneins; lediglich eines dieser Teilgebiete ist das des Wortschatzes, und obwohl die meisten Vergleichenden Linguisten zuzugeben bereit sein werden, daß eben dem Lexikon unter allen Subsyste men der Sprache vielleicht die marginalste Rolle beim Nachweis von Sprach verwandtschaft zukommt, befaßt sich eine Reihe neuerer Arbeiten auf die sem Gebiet speziell mit der Frage, ob und inwieweit die Altaischen Sprachen unbestreitbare - und letztlich nur genealogisch deutbare - Korrespondenzen 2 Für einen gedrängten, eher aus proaltaistischer Gesicht verfaßten Überblick vgl. GEORG/ MANASTER RAMERIM1cttALOVEISmwELL 1998. 3 AnE1.-RF.MuSAT 1820, vgl. aber jetzt MANASTER RAMER 1996, wo einige Mißverständnisse hinsichtlich der Rolle Abel-Remusats in der Geschichte der Altaistik aufgeklärt werden. 4 BöHTLINGK 1851. 5 Nf.METH 1912. 6 U. a. CI.AusoN 1956, 1960, 1969 (vgl. dazu aber Ligeti 197 5 ). 7 SfrRBAK 1959, 1966 und jetzt 1997. 8 Besonders von diesem Gelehrten ist aber mehrfach betont worden, daß er zwar die meisten gewöhnlich für die Urverwandtschaft der altaischen Sprachen in Anspruch genommenen Ele mente für Entlehnungen hält, die Existenz einer dennoch diese Verwandtschaft bezeugenden, wenngleich notwendigerweise dünnen, lexikalischen Schicht keinesfalls grundsätzlich in Abrede stellt, vgl. u.a. RoNA-TAs 1976, 1982. 9 Aus der Fülle der Schriften, die DoERFER diesem Gegenstand gewidmet hat, seien hier nur exemplarisch DoERFER 1963-75, 1966, 197 4, l 988a erwähnt. UAJb N. F. 16, 1999/2000 Haupt und Glieder der Altaischen Hypothese 145 im Bereich des sogenannten Grundwortschatzes (und hier besonders im Teilbereich der Körperteilbezeichnungen) aufweisen. Der Einwand, dies sei nicht der Fall, ist alt und zieht sich wie ein roter Fa den durch die Geschichte der Altaistik10• Hier sollen besonders zwei Arbei ten aus jüngster Zeit (DoERFER 1988a und MANASTER RAMER/Vov1N/SmwELL 1998) betrachtet werden, deren Schlußfolgerungen aus nahezu identischem Material einander geradezu diametral entgegenstehen. Die systematische Studie von DoERFER unternimmt den Versuch, in großem Rahmen und auf bauend auf einer Fülle empirischer Daten aus den verschiedensten Sprachfa milien, die Quintessenz (DoERFER 1988a, 283 ): "Lexikostatistisch kann also die These von der altaischen Sprachverwandtschaft nicht bestätigt werden" zu begründen und basiert zunächst auf der Differenzierung des Grundwort schatzes in Kerngrundwörter (die fast nie entlehnt werden sollen), Rand grundwörter (bei denen Entlehnung generell häufiger erwartet werden kann) und eine Gruppe von Zwischengliedwörtern, für die keine klaren generellen Aussagen getroffen werden können (ibid. 56 ff.). Im weiteren wird gezeigt, daß die altaischen Sprachen signifikant weniger Kerngrundwörter gemein haben als solche der anderen Kategorien, und weiterhin, daß unkontroverse Sprachfamilien (Indogermanisch, Uralisch, Semitisch, Bantu, Kartwelisch) das umgekehrte Bild zeigen. Nachdem MANASTER RAMER et al. demonstrieren, daß auch im Bereich der Kerngrundwörter Entlehnung nicht selten vorkommt11, wodurch DoERFERS methodische Grundlage natürlich Sprünge bekommt, unternehmen sie den Versuch, DoERFER geradezu mit seinen eigenen Waffen zu schlagen12, indem die elf Kerngrundwörter13 des Türkischen, Mongolischen und Tungusi schen 14 aus proaltaistischer Sicht erneut untersucht und anschließend mit der Situation im Afro-Asiatischen und Indogermanischen konfrontiert wer den. Das Ergebnis, das die Autoren uns versprechen, ist nicht weniger als "entirely new support for Altaic", Grund genug, ihre Ausführungen sorgfäl tig zur Kenntnis zu nehmen und kritisch zu überprüfen. Im folgenden sollen die im Zentrum der These der Autoren stehenden Etymologien einzeln betrachtet werden. Ohne Zweifel muß MANASTER RA MER, VovIN und SmwELL als Fürsprecher der altaischen Hypothese das Recht 10 Vgl. GrnRc/MANASTER RAMERIM1cHALOVE/SmwELL 1998 für einen gedrängten histori schen Überblick. 11 Wozu vielleicht HMRMANN 1983 hätte beigezogen werden können. 12 "A careful examination of the Turkic, Mongolic, and Manchu-Tungusic material ( ... ) shows that Doerfer's method of argumentation actually strengthens the case for the relatedness of the Altaic languages, rather than the reverse." 13 KOPF, AUGE, OHR, NASE, MUND, ZUNGE, ZAHN, HAAR, HERZ, HAND, FUSS. 14 Obwohl, wie mich die Autoren wiederholt wissen ließen, sie keine Zweifel haben, daß auch Koreanisch und Japanisch zur altaischen Sprachfamilie gehören, spielen diese Sprachen in ihren Überlegungen keine Rolle, wohl auch, weil DoERFF.R sie völlig unberücksichtigt läßt. UAJb N.F. 16, 1999/2000 146 STEFAN GEORG eingeräumt werden, die ihrer Meinung nach diese Annahme am besten stüt zenden Beispiele selbst zu bestimmen, und somit ist ihre Kritik an DoERFERS Verfahren, das von ihm an Hand von Entlehnungen gewonnene Korrespon denzensystem seiner Zurückweisung jeglicher altaistischer Vorschläge zu grundezulegen, grundsätzlich berechtigt. Dies muß jedoch seine Grenze da finden, wo ihre Ansätze prototürkischer, -mongolischer und -tungusischer Rekonstrukte nicht mehr, oder nur mit einer unserer Auffassung nach unzu lässig großen Zahl an Hilfshypothesen, mit den tatsächlich beobachtbaren Formen und Erscheinungen dieser ~prachen in Einklang zu bringen sind. Die nachstehenden etymologischen Uberlegungen sollen zeigen, daß genau dies bei zahlreichen der neuen Vorschläge von MANASTER RAMER u. a. in der Tat der Fall ist, es mithin nicht leicht fällt, ihnen dahingehend zu folgen, daß ihre Reinterpretation der altaischen Körperteilbezeichnungen die altai sche Hypothese mit „gänzlich neuen Stützen" zu versehen imstande ist. Vorher seien noch einige grundsätzliche Bemerkungen gestattet: Leider versäumen es die Autoren - nach ihrer heftigen und berechtigten Zurückwei sung von DoERFERS „straw-man" -Korrespondenzsystem nicht ganz ver ständlich - dasjenige System regulärer Phonementsprechungen, auf dem ihre Vergleiche basieren, dem Leser in unmißverständlicher Weise mitzuteilen. Nach freundl. Auskunft der Autoren handelt es sich hierbei grosso modo15 · um das von S.A. STAROSTIN vorgeschlagene System, das sich in Tabellenform in STAROSTIN 1991, 21 (Konsonanten) und 24 (Vokale und Diphthonge) fin det. Des weiteren vermißt man dort, wo die Autoren solche prototürkischen, -mongolischen und - tungusischen Rekonstrukte dem weiteren Vergleich zu grunde legen, die von denen bei DoERFER abweichen 16, jedwede Begründung der alternativen Ansätze. Auch dies erschwert die Beurteilung der vorge schlagenen neuen Etymologien in nicht unbeträchtlichem Maße, kann doch nicht völlig ausgeschlossen werden, daß die folgenden Überlegungen Tatsa chen, die für die Neuansätze von Bedeutung waren, übersehen. Ich kann in diesem Fall nur der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß solche Mißverständ nisse im folgenden nicht zu zahlreich auftreten werden, muß aber wiederho len, daß hierfür dann das Versäumnis der genannten Autoren, ihre Vorschlä ge ausführlich zu begründen, verantwortlich gemacht werden muß. 15 Manaster Ramer und Vovin ließen mich mehrfach wissen (pers. Mitt.), daß sie jedoch kei nesfalls die Vorschläge Starostins ohne auch ihrer Meinung nach nötige Adjustierungen über nehmen. Es ist bedauerlich, daß die Gelegenheit hierzu nicht anläßlich des hier besprochenen Aufsatzes ergriffen wurde, so daß mir erlaubt sei, dies als dringendes Desiderat der (pro-)altai stischen Forschung hier nachdrücklich festzuhalten. 16 Sie sind ausdrücklich als „ Vovin's reconstructs" gekennzeichnet. UAJb N. F. 16, 1999/2000 Haupt und Glieder der Altaischen Hypothese 147 Die von den Autoren angeführten altaischen Etymologien sind im einzel nen: AUGE Mong. *ni(n)-dünl*nirnJ-dun Tung. *iia-sa Die erste der Etymologien, die MANASTER RAMER/SmwELL/VoVIN akzeptie ren, wird, da Doerfer sie bereits an anderer Stelle17 verwirft, für die Autoren zum Anlaß für folgende für ihre Methode wichtige Aussage (Hervorhebun gen von mir): "This is, of course, one of those cases where he (sc. DoERFER, St.G.) refuses to ac cept a match proposed by the Altaicists. In general, there would be nothing wrong with this, but, in the context of trying to judge whether, on its own terms, the Altaic hypothesis suggests that these languages are actually unrelated, this makes no sense. In order to apply Doerfer's observations regarding body terms to the Altaic situation, we must be willing to suspend disbelief and treat this set as a two-way match." MANASTER RAMER et al. ist hier teilweise durchaus Recht zu geben. Da, wie die Autoren and anderer Stelle formulieren, "it is the Altaic theory which is on trial, [„ .], the Altaicists should (be) allowed their due", ist eine apriori stische Zurückweisung der vorgeschlagenen Vergleiche (etwa ausgehend von der Vermutung, alle Gemeinsamkeiten zwischen den in Rede stehenden Sprachen seien prinzipiell als Entlehnungen zu werten, für die die entspre chenden Lautkorrespondenzen längst feststehen) durchaus als Verletzung der wissenschaftlichen Regeln zu werten. Neue Vorschläge müssen hinsicht lich ihrer internen Konsistenz und ihres Umganges mit den als Evidenz be trachteten Daten beurteilt werden; ihre Konformität mit früher geäußerten Hypothesen hinsichtlich der gegenseitigen Beziehungen der altaischen Spra chen kann hier kein ausschlaggebendes Evaluationskriterium sein. Erst in ei nem weiteren Schritt können - und müssen - dann die vorliegenden Hypo thesen dahingehend miteinander verglichen werden, welches der angenom menen Szenarien - Divergenz aus einer angenommenen gemeinsamen altai schen Ursprache oder Konvergenz ursprünglich separater Sprachen oder eine Kombination beider Szenarien für jeweils unterschiedliche Erscheinun gen - die beobachtbaren Daten am besten zu erklären vermag. Die vorgeschlagenen proto-türkischen (-mongolischen, -tungusischen) Wortformen als miteinander vergleichbar zu betrachten, muß den Vertretern der altaischen Urverwandtschaftshypothese daher im Prinzip zugestanden werden; eine gänzlich andere Frage jedoch, die zu stellen und zu beantwor ten durchaus keinen Eingriff in die reklamierte Autonomie der altaischen Hypothese darstellt, ist die nach der Gestalt der zu vergleichenden einzel sprachlichen Formen. Da es sich hierbei nicht um primär beobachtbare Da- 17 DoERFER 1988a, 172, 1995, 252. UAjb N.F. 16, 1999/2000 148 STEFAN GEORG ten handelt, sondern ihrerseits um Rekonstrukte aus beobachtbaren Sprach zuständen, können die input-Formen nicht der generellen Kritik entzogen bleiben. Es ist vielmehr erlaubt und geboten, die Berechtigung der die Basis des externen, altaischen Vergleichs bildenden Ansätze sowohl auf ihre lautli che als auch semantische Plausibilität hin zu überprüfen. Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, daß etwa prototürkische Formen, die, der besseren Ver gleichbarkeit mit dem Mongolischen oder Tungusischen wegen, auf dem Pa pier eine Gestalt zeigen, die durch den streng innertürkischen Sprachver gleich nicht zu gewinnen ist, nicht als Stützen irgendeiner Verwandtschafts hypothese herhalten können. Es muß auch im Interesse der Befürworter der altaischen Ursprache liegen, mangelhaft oder überhaupt nicht fundierte Ety mologien, die bereits auf einzelsprachlicher Ebene an unüberwindbaren Mängeln kranken, auszuscheiden, um somit zu einem zwar "verschlankten", aber letztlich aussagekräftigeren Hypothesenapparat zu gelangen, der letzt lich einmal in der Lage sein mag, zu den die Annahme von Urverwandtschaft vermeidenden - sie bisweilen auch entschieden in Abrede stellenden - alter nativen Positionen der sogenannten "Anti-Altaisten"18 in ernsthafte Konkur renz treten zu können. In diesem Sinne ist der hier vorgeschlagene Vergleich zwischen mong. *ni(n)-dün und tung. *iia-sa -vorausgesetzt, diese Ansätze sind und bleiben plausibel - selbstverständlich prinzipiell möglich und könnte dazu beitragen, die angenommene Verwandtschaftshypothese zu illustrieren bzw. zu stützen. Sollte sich allerdings herausstellen, daß diese einzelsprachlichen Rekon strukte auf unhaltbaren Voraussetzungen basieren, wichtige einzelsprachli che Fakten nicht in Betracht ziehen oder fehlerhaft interpretieren, mithin die tatsächlich zu rekonstruierenden Protoformen die für ihren weiteren Ver gleich entscheidenen Ähnlichkeiten bzw. systematischen Korrespondenzen nicht aufweisen, wird die Zurückweisung des externen Vergleichs nicht nur legitim, sondern nachgerade geboten sein. Ein solches Vorgehen kann dann sicher nicht als "not allowing the Altaicists their due" bezeichnet werden. Für die AUGE-Etymologie heißt dies im einzelnen: Der Vergleich beruht im wesentlichen auf nicht mehr als dem Anlaut der beiden Rekonstrukte: mong. *ni- : tung. *ii-. A priori kann ein proto-altaischer Ansatz, der dem Mongolischen hier größere Altertümlichkeit zuspricht und den tungusischen Anlautkonsonanten aus *ni- > *fi- entstanden sein läßt, sicherlich nicht ausgeschlossen werden. Entscheidend ist, ob dieser Anlaut für das Proto- 18 Ich betrachte diesen Terminus, der vor allem von RA. M1LLER (z.B. M1LLF.R 1991) in zahl reichen Arbeiten, oft in offensichtlich schmähender Absicht, verwendet wird, als ausgesprochen unglücklich. Die Bezeichnung ,,Altaisten" nur für Gelehrte reservieren zu wollen, die der Urver wandtschaftsthese positiv gegenüberstehen - ungeachtet der Qualität ihrer Arbeiten! -, demge genüber Forschem wie Gerhard Doerfer, Andras R6na-Tas oder Juha Janhunen dieses Prädikat zu verweigern, kann nicht im Sinne einer zivilisiert geführten wissenschaftlichen Diskussion sein. Im Hinblick auf ihre jeweiligen Arbeitsgebiete und Leistungen sind die genannten Wissenschaft ler selbstverständlich Altaisten. UAJb N.F. 16, 199912000 Haupt und Glieder der Altaischen Hypothese 149 tungusische anzusetzen ist, und hiergegen hat v. a. DoERFER, dessen Rekon struktion *jä -sa von VovIN, STAROSTIN (1991, 30, 275) folgend, veiworfen wird, schwerste Bedenken geäußert (s. Fn. 12), die hier gedrängt wiederholt werden können: Unter allen tungusischen Sprachen zeigt lediglich das Nanai - und diese Sprache auch nicht in allen ihren bekannten Dialekten - den angenommenen, für den altaischen Vergleich unentbehrlichen, Nasal konsonanten im Anlaut19: Ew. esa, Sol. fsal, Neg. ejan, Oroc. isa, Ud. jeh~, Ul'c. isal, Orok. fsa, Ma. yasa, Nan. nasal (aber Kur-Urmi daneben isal, in den Materialien GRuBEs20 auch yasar, im Bikin-Dialekt21 finden wir sowohl isala als auch iiisala ). Der Nasalanlaut ist mithin ausschließlich auf das Nanaische (und das Ki- li) beschränkt und umfaßt selbst dort nicht sämtliche Dialekte. Ihn als nur dort bewahrten Archaismus zu betrachten, mag prima facie nicht als unmög lich erscheinen, ein solches Verfahren wirft aber mehr Probleme auf der Ebene des tungusischen Sprachvergleichs auf, als es auf der des altaistischen Rekonstruktes zu lösen vermag. So nützlich dieser proto-tungusische Ansatz für den externen altaischen Vergleich auch sein mag, so wenig kann darüber hinweggegangen werden, daß das Fehlen jeden Reflexes dieses angeblichen *ii- in sä"mtlichen anderen tungusischen Sprachen nach einer Erklärung ver langt. Eine solche Erklärung könnte nur so aussehen: proto-tung. *ii- ist in diesem Fall überall > y-22, mit der Ausnahme des nanaischen Wortes für AUGE, das diesem Lautgesetz entgangen sein müßte. Ein Archaismus, d. h. eine belegte Form, die dem angenommenen Rekonstrukt näher steht als an dere, progressive Formen, kann nicht das Prinzip der Regelhaftigkeit bzw. Ausnahmslosigkeit der Lautenstsprechungen außer Kraft setzen. Wenn z.B., um ein (vereinfachtes) Beispiel aus der Indogermanistik zu wählen, das He thitische zwei der drei aus der Grundsprache stammenden Laryngale als seg mentale Phoneme bewahrt hat, dann ist diese Eigenschaft des Hethitischen sicherlich als Archaismus gegenüber dem progressiveren bzw. innovativeren Verhalten der übrigen Sprachen zu werten - ein Archaismus aber, der Regeln gehorcht und nicht einzelne Wörter oder Wortformen als erratische Blöcke dem Strom des regelhaften Lautwandels entzogen sein läßt23 Die nanaische • 19 Nach C1Nc1us 1975-77 I, 291 f., Dialektformen, die das Nasalanlautproblem nicht betref- fen wurden weggelassen. 20 GRUBE 1900, 51, hier finden sich noch weitere Belege, wie etwa Manegirisch yfse. 21 SEM 1976, 159. 22 C1Nc1us t 949, 213 nimmt *ii- > ii- (solon., orok. n-) an, BENZING 1955, 40 bleibt gegen über diesem prototungusischen Phonem generell skeptisch. 23 Prinzipiell anders liegt der Fall im Bereich der Morphologie. Hier sind durchaus einzel sprachliche, idiosynkratische Bewahrung älterer Bildungen nichts ungewöhnliches (was seine Begründung hauptsächlich darin findet, daß dem junggrammatischen Prinzip der Ausnahmslo sigkeit der Lautgesetze nicht ein ebenso rigoroses Prinzip des regulären morphologischen Wan dels gegenübersteht), so ist die Tatsache, daß einige Verba des Lateinischen reduplizierte Per fekta bilden, als archaisches Verhalten eben dieser Verba anzusehen, gegenüber den weiter ver- UAJb N.F. 16, 1999/2000 150 STEFAN GEORG Form bleibt also lautlich unverstanden und verlangt nach einer alternativen Erklärung. DoERFER (1995, 253) vermutet tabuistische Entstellung (etwa zur Vermeidung der Homonymie mit nan. yäyan "Schamanentrommel"), was aber m. E. nicht weniger ad hoc ist. Aber auch STAROSTIN ist sich der Proble matik bewußt und unternimmt einen Versuch, diesem Dilemma auf lautge setzlichem Wege zu entgehen. Er nimmt an (1991, 126), daß im Prototun gusischen die anlautende Verbindung *iiiä- nicht vorkomme, bzw. früh in solchen Kombinationen der Nasal ausgefallen sei und nur sporadisch in eini gen südlichen Sprachen erhalten sei. Als Beispiel dafür wird ul'c. iieokca- "( e. Boot o.a.) steuern" erwähnt, das zusammen mit ew. eni- und etwa oroc. iy kica- auf prototung. *iiiäni- zurückzuführen wäre (ähnlich CINcms 197 5- 77 1, 291 ). Dieses Szenario versäumt allerdings die Erklärung nahezu der ge samten beteiligten Derivationsmorphologie und kann auch sonst nicht durch weitere Beispiele erhärtet werden24• Darüber hinaus erscheint es als höchst problematisch, aufgrund eines in zahlreichen Einzelheiten unklaren etymo logischen Beispieles eine grundsprachliche Opposition zwischen *iiiä- und *iiä- anzunehmen, die darüber hinaus nur durch die Annahme sporadischer Nasalanlaute in jeweils verschiedenen südtungusischen Einzelsprachen zu stützen wäre. Eine lautgesetzliche Erklärung des Verhältnisses zwischen (rest-)tung. ya- und nan. na- muß daher ausscheiden25• Meiner Auffassung nach muß angesichts dieser Situation die Erklärung für Nanai nasal (dessen zweite Silbe hier als transparentes Suffix - des Plurals - abgetrennt werden kann: na-sal) innerhalb der Sprachgeschichte des Nanai gesucht werden und kann, wie ich zu zeigen hoffe, dort auch ohne Rückgriff auf zweifelhafte prototungusische Oppositionen bzw. lediglich sporadisch auftretende einzelsprachliche Lautvertretungen gefunden wer den. Interessanterweise bietet STAROSTIN selbst (1991, 30) den richtigen An satzpunkt für die Lösung. Um die Zusammenstellung von PT *(i)iiamu "Weinen, Träne" (ibid. 126, Fn. 62) mit der von ihm an anderem Ort favori sierten gemeinaltaischen Etymologie für "Träne" < ~ugenwasser" zu stüt zen, nimmt er an, daß PT *iiiämu analogisch von dem antonymischen Ver bum *iiie- "lachen" (Ew. iiie-, Mandschu inje- etc.) beeinflußt worden sei. Hierdurch erkläre sich der den einzelsprachlichen Belegen (Ew. iiiamu- breiteten spezifisch lateinischen, geneuerten, Perfektbildungen, die sich auf Kosten des alten Musters in steter Ausbreitung befinden. 24 Vielmehr scheint, auch wenn Einzelheiten unklar bleiben, der Nasal ursprünglich nach dem anlautenden Vokal gestanden zu haben: *eliN-(kica-) o.ä. 25 STAROSTIN (1991, 126) führt zwei weitere Belege an, die den sporadischen Erhalt des Na sals ( < *iiiä-) in südtungusischen Sprachen untermauern sollen, wobei sogar das AUGE-Ety mon beteiligt ist: Udi iii-jige „Iris" und Orok. na-rja "Augapfel". Beide Vergleiche kranken aber an der (bei Starostin nicht ungewöhnlichen) willkürlichen morphologischen Segmentierung. Solange keine überzeugende Erklärung für die bei dieser Analyse „gestrandeten" Elemente ud. -jige und orok. -rja geboten wird (Suffixe? Kompositionshinterglieder?), müssen diese Beispiele fernbleiben, bzw. gehören in das Schattenreich der Wurzeletymologie. N.F. UAJb 16, 1999/2000

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