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Hans Kelsen und die offene Gesellschaft PDF

311 Pages·2017·1.999 MB·German
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Robert Chr. van Ooyen Hans Kelsen und die offene Gesellschaft 2. Auflage Hans Kelsen und die offene Gesellschaft Robert Chr. van Ooyen Hans Kelsen und die offene Gesellschaft 2., überarbeitete und erweiterte Auflage Robert Chr. van Ooyen Berlin, Deutschland ISBN 978-3-658-17306-7 ISBN 978-3-658-17307-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-17307-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010, 2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Lektorat: Dr. Jan Treibel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Erster Teil Demokratietheorie ohne Volk, Staatstheorie ohne Staat: Kelsens postnationale und demokratisch-pluralistische Verfassungstheorie 1 Staat und pluralistische Gesellschaft bei Kelsen . . . . . . . . . . . . 7 2 Der Streit um die Staatsgerichtsbarkeit in Weimar aus demokratietheoretischer Sicht: Triepel – Kelsen – Schmitt – Leibholz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3 Exkurs: Relativismus, Positivismus und Demokratie bei Radbruch und Thoma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Zweiter Teil Gott, Staat und Totalitarismus: Die dunkle Seite des Kritischen Rationalismus bei Kelsen und Popper 1 Staatstheologie – politische Theologie – politische Religionen: Von Kelsen über Schmitt zu Voegelin . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2 Rückfall in die Barbarei ? Leistungen und Grenzen der „Offenen Gesellschaft“ von Popper als Werk der Totalitarismustheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 VI Inhalt Dritter Teil Rezeptionslinien in der Verfassungs- und politischen Theorie pluralistischer Demokratie 1 Verfassungspolitologie des demokratischen „Verfassungsrealismus“: Von Lassalle über Kelsen zu Loewenstein . . . . . . . . . . . . . . . 105 2 Neo-Pluralismus als „Anti-Anti-Pluralismus“: Die Bedeutung von Kelsen und Schmitt für die politische Theorie von Fraenkel . . . . 127 3 Die dunkle Seite des Rechtsstaats: Kirchheimers „Politische Justiz“ zwischen Freund-Feind (Schmitt), Klassenjustiz (Fraenkel) und Zivilisierung (Kelsen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4 Häberle, die Wiener-Weimarer Staatsklassik und die offene Gesellschaft der europäischen Verfassungs-Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 5 Demokratische Partizipation statt „Integration“: Normativ-staatstheoretische Begründung eines generellen Ausländerwahlrechts nach Kelsen . Zugleich eine Kritik an der Integrationslehre von Smend . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Vierter Teil „Anti-Kelsen“ und „Kelsen-Rückkehr“ in der Staatsrechtslehre und beim Bundesverfassungsgericht 1 Viel Smend (und auch Schmitt), wenig Kelsen: Zur Rezeption in der deutschen Staatsrechtslehre . . . . . . . . . . . 219 2 Homogenes Staatsvolk statt EU-Bürgerschaft: Das BVerfG zitiert Heller, meint Schmitt und verwirft Kelsens postnationales Konzept demokratischer Rechtsgenossenschaft . . . . 233 3 Kein Ausländerwahlrecht: Der Staatsgerichtshof Bremen entscheidet gegen Kelsens demokratische Avantgarde – oder: Was ist ein (europäisches) Volk ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Inhalt VII 4 Die „Kopftuch-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts zwischen Pluralismustheorie (Kelsen/Fraenkel) und Staatstheologie (Hegel/Schmitt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 5 Die andere Demokratietheorie des BVerfG: Popper/Häberle und eine (unbewusste) Kelsen-Rezeption im Brokdorf-Beschluss (1985) als Alternative zum Legitimationskettenmodell von Schmitt/Böckenförde . . . . . . 285 6 „Weimar“ – ein Paradigmenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 7 Die „Rückkehr“ Kelsens Zur deutschsprachigen Forschung (2005 – 2015) . . . . . . . . . . . . 311 Vorwort Seit ein paar Jahren verstärkt sich die Rezeption Kelsens in Deutschland. Der Prä- sident des Bundesverfassungsgericht, Andreas Voßkuhle, sprach in einem Spie- gel-Interview sogar von Kelsen als dem „wohl größte(n) Demokratietheoretiker des 20. Jahrhunderts“1 – eine Aussage, die noch vor zehn Jahren von einem Rich- ter gerade des „staatstragenden“ Zweiten Senats kaum zu hören gewesen wäre, und schon gar nicht öffentlich. Erfreulich ist es daher, dass Springer VS nach einer Neuauflage meiner 2010 erschienenen Aufsatzsammlung anfragte. Bei der Durchsicht infrage kommender, neuerer Aufsätze über und um Kelsen ergab sich schnell, dass die Anzahl der Beiträge sich nahezu verdoppeln und die bisherige Konzeption sich grundsätzlich verändern würde. Gegenüber der ursprünglichen, bloß chronologischen Reihung ergibt sich nun ein systematischer Aufbau in vier Hauptteilen: 1 Demokratietheorie ohne „Volk“, Staatstheorie ohne „Staat“: Kelsens post- nationale, demokratisch-pluralistische Verfassungstheorie In diesem Teil gebe ich eine grundständige Einführung in die Demokratie- und Verfassungstheorie mit der von mir vertretenen These, dass sich Kelsens Staats- und Rechtstheorie erst richtig erschließt, wenn man sie entgegen der üblichen rechtswissenschaftlichen Lesarten von ihrer politischen Seite, nämlich als Demo- kratietheorie einer offenen, pluralistischen Gesellschaft liest. Grundlage hierfür ist meine erste Monographie zu Kelsen2. Von hier aus wird auch die Bedeutung der Verfassungsgerichtsbarkeit im Werk viel klarer, da dieser institutionalisier- te Schutz des Vorrangs der Verfassung sich bei Kelsen nicht traditionell juris- tisch aus dem Rechtsstaats-, sondern gerade aus der Demokratieprinzip herlei- 1 47/2015, S. 37. 2 Der Staat der Moderne. Hans Kelsens Pluralismustheorie, Duncker & Humblot, Berlin 2003. 1 2 Vorwort tet. Das macht ihn auch zu einem bahnbrechenden Vordenker der Theorie der Verfassungsgerichtsbarkeit als Funktion der pluralistischen Demokratie. Eine Rei- he noch heute anzutreffender Missverständnisse ließe sich vermeiden, wenn man seine Arbeiten hierzu – und nicht nur den x-mal neu aufgelegten „Hüter der Ver- fassung“ von Carl Schmitt – nur einmal wirklich lesen würde3. 2 Gott, Staat und Totalitarismus: Die dunkle Seite des Kritischen Rationalis- mus bei Kelsen und Popper Die „Wiener“ Kelsen und Popper sind zentrale Vordenker der „offenen Gesell- schaft“ und des Kritischen Rationalismus. Die Bezeichnung „(Rechts-)Positivist“ ist bei beiden insofern etwas ungenau, da sie das naturwissenschaftliche Paradig- ma nicht einfach „naiv“, unreflektiert auf rechts- bzw. sozialwissenschaftliche Be- züge übertragen. Kelsen und Popper sind sich als kritische Rationalisten darüber bewusst, dass ihr Verständnis von Positivismus auf Grundlagen fußt, die selbst gerade nicht wertfrei sein, sondern nur irrational begründet werden können. So ist die „Grundnorm“ bei Kelsen letztendlich einfach eine bloß noch axiomatisch vorauszusetzende Norm, die vom irrationalen „Glauben“ an die Normativität des Rechts ausgehen muss – so wie bei Popper das Falsifikationsprinzip zu bloß (vor- läufig) bewährten, nicht aber wahren Aussagen führt, an deren Rationalität inso- fern „geglaubt“ werden muss. Trotzdem bleiben Kelsen und Popper der positivis- tischen Methodenreinheit, Wertfreiheit, Rationalität und ihrer für die Moderne typischen Fortschrittsgläubigkeit durch Vernunft verhaftet. Auf dieser Basis sind sie scharfe Kritiker des Faschismus und Marxismus gewesen. In der griechischen Philosophie etwa, namentlich Platon, sehen sie daher beide fast synchron den „Urahn“ der vormodernen „Horde“, die von Hegel bis zur Massengesellschaft des 20. Jahrhunderts als „Atavismus“ neu auflebt. Im zweiten Teil zeige ich daher die Leistungen aber auch Grenzen dieser Totalitarismuskritik von Kelsen und Popper angesichts der „Dialektik der Moderne“, die von „links“ durch Max Horkheimer/ Theodor Adorno und von „rechts“ in der Positivismuskritik des einstmaligen „Kelsen-Schülers“ Eric Voegelin aufgedeckt wurde. 3 Rezeptionslinien in der Verfassungs- und politischen Theorie pluralistischer Demokratie Im dritten Hauptteil werden vor allem die Rezeptionen weiterer Theoretiker her- ausgearbeitet, für die als Teil der jüngeren Staatsrechtlergeneration die Weima- rer-Wiener Kontroversen zwischen Kelsen und Schmitt prägend gewesen sind und die nach 1945 in die Politikwissenschaft wechselten: Karl Loewenstein, Ernst 3 Die beiden grundlegenden, theoretischen Texten sind von mir neu editiert worden in: Hans Kelsen: Wer soll der Hüter der Verfassung sein ? Mohr Siebeck, Tübingen 2008. Vorwort 3 Fraenkel und Otto Kirchheimer. Loewenstein und Fraenkel suchen ihrerseits Plu- ralismustheorien der konstitutionellen Demokratie zu entwickeln, die z. T. an den von Kelsen erreichten Stand der Demokratietheorie anknüpfen, zugleich aber als Konsequenz aus dem Scheitern Weimars eine Abkehr vom Kelsenschen Positi- vismus vollziehen. Kirchheimer schließlich, Schmitts Bonner „Lieblingsschüler“, ist nicht nur durch das „Freund-Feind-Axiom“ des Politischen geprägt, sondern entdeckt in seinem Hauptwerk „Politische Justiz“ die „dunkle“ Seite des Rechts- staats, der in „zivilisiert-rationaler“ Weise im Sinne eines Kelsen seine „Feinde“ bekämpft. Explizite Popper- und („subkutane“) Kelsen-Rezeption findet sich auch bei Peter Häberle, dem wohl aus pluralismustheoretischer Sicht einer „offenen Gesellschaft“ interessantesten Verfassungstheoretiker der hierauf nachfolgenden Staatsrechtlergeneration mit sozialwissenschaftlicher Ausrichtung4. Zum Schluss zeige ich exemplarisch am Thema „Ausländerwahlrecht“ die aktuelle Anschluss- fähigkeit der normativen Theorie Kelsens für die pluralistische Demokratie einer Zuwanderungsgeselschaft. 4 „Anti-Kelsen“ und „Kelsen-Rückkehr“ in der Staatsrechtlehre und beim Bun- desverfassungsgericht Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist Kelsen nach 1945 in Deutschland regel- recht persona non grata gewesen: Schmitts Staatstheorie blieb über seine Schü- ler „subkutan“ gerade in Sachen Demokratie einflussreich (u. a. Ernst-Wolfgang Böckenförders „Legitimationsketten-Modell“); Smends gemeinschaftsbezogene, ursprünglich „deutschnationale“ Verfassungstheorie der Integration, die sich in Weimar noch gegen die pluralistische Demokratie positionierte, avancierte in ver- änderter Form zur „offiziösen“ Staatsdoktrin der Bundesrepublik5. Diese Einflüs- se, die sich explizit von der modernen Theorie Kelsens distanzierten und an „Staat“ und „Volk“ als substanzialisierte, souveräne bzw. homogene politische Einheiten festhielten, lassen sich – bis heute – in „verdünnter“ Form auch beim Bundesver- fassungsgericht, namentlich beim Zweiten Senat, nachweisen. In verschiedenen Publikationen habe ich versucht, das ausführlich zu zeigen6. Vorliegend beschrän- ke ich mich exemplarisch auf zwei Gegenstände verfassungsgerichtlicher Recht- 4 Für Leser/innen, die das näher interessiert, sei auf den jeweils von mir (mit)herausgegebe- nen Band zu Loewenstein, Fraenkel, Kirchheimer und Häberle in der Reihe „Staatsverständ- nisse“ bei Nomos verwiesen. 5 Ausführlicher: Integration. Die antidemokratische Staatstheorie von Rudolf Smend im poli- tischen System der Bundesrepublik, Springer VS, Wiesbaden 2014. 6 Der Begriff des Politischen des Bundesverfassungsgerichts, Duncker & Humblot, Berlin 2005; Bundesverfassungsgericht und politische Theorie, Springer VS, Wiesbaden 2015; Die Staatstheorie des Bundesverfassungsgerichts und Europa, 6. Aufl., Nomos, Baden-Baden 2016.

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