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Handbuch Sound PDF

442 Pages·2018·8.48 MB·German
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Daniel Morat / Hansjakob Ziemer (Hg.) Handbuch Sound Geschichte – Begriffe – Ansätze Daniel Morat / Hansjakob Ziemer (Hg.) Handbuch Sound Geschichte – Begriffe – Ansätze Unter Mitarbeit von Rainer Rutz J. B. Metzler Verlag Gefördert mit Mitteln der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung Die Herausgeber Daniel Morat, PD Dr., ist Historiker, Privatdozent am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin und Ausstellungskurator. Hansjakob Ziemer, Dr., ist Historiker, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter »Kooperation und Kommunikation« am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet J. B. Metzler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer-Verlag GmbH, DE und ist Teil von Springer Nature www.metzlerverlag.de ISBN 978-3-476-02604-0 [email protected] ISBN 978-3-476-05421-0 (eBook) Einbandgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist (Foto: MoonRock / shutterstock) urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb Satz: Claudia Wild, Konstanz in Kooperation der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist mit primustype Hurler GmbH, Notzingen ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über- J. B. Metzler, Stuttgart setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung © Springer-Verlag GmbH Deutschland, und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ein Teil von Springer Nature, 2018 Inhalt Einleitung Daniel Morat / Hansjakob Ziemer VII 25 Neurowissenschaften Jonas Obleser / Stefan Koelsch 140 26 Philosophie Angela Grünberg 145 I M ethodisch-theoretische Zugänge 27 Physikalische Akustik Roland Wittje 151 28 Soziologie Dominik Schrage / 1 A kustemologie Steven Feld 2 Anne-Kathrin Hoklas 155 2 A uralität Veit Erlmann 8 29 Theaterwissenschaft Doris Kolesch / 3 E motionalität Marie Louise Herzfeld-Schild 14 Jenny Schrödl 162 4 G edächtnis Viktoria Tkaczyk 20 30 Wissenschaftsgeschichte Alexandra Hui 170 5 Körperlichkeit Jens Gerrit Papenburg 25 6 Materielle Kultur Rebecca Wolf 32 7 Performanz Mary Helen Dupree 39 IV A kustische Phänomene 31 Applaus Jutta Toelle 178 II Begriffe 32 Donner Nicola Gess 183 33 Echo Lino Camprubí 189 8 Akusmatik Christoph von Blumröder 48 34 Jingle Golo Föllmer 194 9 Dezibel Mara Mills 52 35 Lärm Sieglinde Geisel 199 10 Klangfarbe Julia Kursell 57 36 Rauschen Katja Stopka 205 11 M usicking Wolfgang Fuhrmann 63 37 Sirene Caroline Welsh 211 12 R esonanz Wolfgang Auhagen 67 38 Stille Karsten Lichau 217 13 R hythmus Rolf Großmann 71 39 Stimme Jenny Schrödl / Doris Kolesch 223 14 S onifikation Axel Volmar / 40 Tinnitus Uwe C. Steiner 230 Alexandra Supper 75 15 S ound Art Marcus Gammel 80 16 S ounddesign Jörg U. Lensing 85 V R äume 17 S oundscape Sabine Breitsameter 89 41 Archiv Britta Lange 236 42 Aufzug Alexandra Hui 242 III D isziplinäre Perspektiven 43 Auto Stefan Krebs 246 44 Diskothek Alexa Geisthövel 250 18 A rchitektur Sabine von Fischer 98 45 Fabrik Uta C. Schmidt 254 19 E thnologie Nepomuk Riva 102 46 Kino Anna K. Windisch 258 20 G eschichtswissenschaft 47 Kirche Anna Kvíčalová 262 Jan-Friedrich Missfelder 107 48 Konzentrationslager Juliane Brauer 266 21 K ulturwissenschaft Britta Lange 113 49 Konzertsaal Hansjakob Ziemer 271 22 L iteraturwissenschaft Claudia Hillebrandt 120 50 Krankenhaus Manuela Schwartz 277 23 M edienwissenschaft Axel Volmar / 51 Labor Alexandra Hui 282 Felix Gerloff / Sebastian Schwesinger 126 52 Meer Alexander Kraus 287 24 M usikwissenschaft Sebastian Klotz 134 53 Museum Steffi de Jong 291 VI Inhalt 54 O pernhaus Gesa zur Nieden 296 VII Politik 55 S alon Beatrix Borchard 302 56 S tadion Reinhard Kopiez / 69 Folter M. J. Grant 372 Christoph Reuter 307 70 Gender Karin Martensen 377 57 S traße Peter Payer 313 71 Herrschaftsrepräsentation 58 W ald Joeri Bruyninckx 318 Lena van der Hoven 382 72 Kolonialität Anette Hoffmann 387 73 Krieg Mark M. Smith 391 VI M edien 74 LautSprecher Cornelia Epping-Jäger 396 75 Nationalhymnen Sabine Mecking 401 59 C ompact Disc Axel Volmar / 76 Protest Beate Kutschke 405 Dominik Schrey 324 77 Rassismus Andi Schoon 410 60 G locken Jan-Friedrich Missfelder 329 78 Schweigen Theo Jung 414 61 K assette Heike Weber 332 79 Sklaverei Phillip Jay Richardson 419 62 M usikinstrumente Rebecca Wolf 338 63 N oten Nils Grosch 344 64 P honograph Patrick Feaster 348 Anhang 65 R adio Carolyn Birdsall 353 66 S challplatte Bodo Mrozek 360 Autorinnen und Autoren 426 67 S tethoskop Jens Lachmund 364 Personenregister 431 68 T elefon Daniel Morat 367 Einleitung Etwa seit den 1990er Jahren lässt sich ein verstärktes In- nen oder an der Gründung von Vereinigungen wie der teresse an Phänomenen des Akustischen und Auditi- European Sound Studies Association (ESSA) im Jahr ven in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften 2012, sondern auch an der Einführung von Sound- beobachten, das bisweilen als Ausdruck eines – ver- Studies-Studiengängen wie etwa an der Universität meintlichen oder tatsächlichen – »acoustic turn« (Mey- der Künste in Berlin. Diese Ansätze der disziplinären er 2008) oder »auditory turn« (Bull 2013b, 1) verstan- Etablierung spiegeln die ganze Breite an Wirkungs- den worden ist. Im englischsprachigen Raum hat diese möglichkeiten und Interessensgebieten wider, die die Entwicklung schon Anfang der 2000er Jahre zu ent- Soundforschung kennzeichnet. So umfassen die Stu- sprechenden Sammelbänden und Überblickswerken diengänge neben dem wissenschaftlichen Studium geführt (z. B. Bull/Back 2003; Drobnick 2004; Smith auditiver Kulturen auch praktische Ausbildungsantei- 2004; Erlmann 2005). In der folgenden Dekade kam es le für Sounddesign, Tontechnik oder Klangkunst. zu einer weiteren Konsolidierung des Forschungsfelds Schließlich gibt es auch Bestrebungen, die Sound Stu- durch die Publikation von Readern und Handbüchern dies als Form des artistic research von einer rein aka- (z. B. Pinch/Bijsterveld 2012; Sterne 2012; Bull 2013a; demischen Wissenschaft zu unterscheiden, etwa wenn Papenburg/Schulze 2016), durch die Etablierung eige- Holger Schulze betont: »Sound Studies sind nicht ner (Online-)Zeitschriften wie dem Journal of Sonic Klangwissenschaft« und »wollen keine Wissenschaf- Studies (2011 ff.) oder den Sound Studies. An Interdis- ten im bekannten Sinne mehr sein« (2012, 242; Her- ciplinary Journal (2016 ff.) und durch die Einrichtung vorh. im Orig.). von öffentlichen Sound-Datenbanken wie »Sound & Schon weil die anwendungsorientierte Perspektive Science: Digital Histories« der am Max-Planck-Institut im vorliegenden Handbuch weitgehend fehlt, verste- für Wissenschaftsgeschichte in Berlin angesiedelten hen wir es nicht als ein Sound-Studies-Handbuch. Im Forschungsgruppe ›Episteme der modernen Akustik‹. Unterschied zu den genannten Formen des disziplinä- Die Erforschung von Soundphänomenen ist zwar zu- ren »branding« (Latham 2017, 389) wollen wir auch nächst von nordamerikanischen Wissenschaftlerinnen keine Konsolidierung und damit Schließung einer und Wissenschaftlern ausgegangen, heute aber eine klar definierten Forschungsrichtung namens Sound transnationale Unternehmung und seit einiger Zeit Studies erreichen. Vielmehr möchten wir zur Kartie- auch mit Sammelbänden, Einzelveröffentlichungen rung eines offenen, dynamischen und interdisziplinä- und Themenheften im deutschsprachigen Raum ange- ren wissenschaftlichen Feldes beitragen, das seine kommen (z. B. Segeberg/Schätzlein 2005; Meyer 2008; Einheit durch den gemeinsamen Gegenstand ›Sound‹ Schulze 2008; Volmar/Schröter 2013; Paul/Schock bezieht, darüber hinaus aber ganz unterschiedliche 2014; Burschel/Missfelder 2015). Ansätze, Methoden und Disziplinen umfasst, die gele- Wie an den genannten Titeln ablesbar ist, hat sich gentlich auch im Widerspruch zueinander stehen im Laufe der Zeit der Begriff der ›Sound Studies‹ als können. Wir verfolgen mit diesem Handbuch, in dem Überbegriff für die hier behandelten Forschungen die unterschiedlichen Forschungsansätze und For- durchgesetzt. Parallel dazu wurde schon bald die schungsgegenstände überblicksartig dargestellt wer- Frage diskutiert, worum es sich bei den Sound Stu- den, somit einen integrativen Ansatz. Dabei wollen dies eigentlich handelt: um ein interdisziplinäres For- wir eine in den Sound Studies gelegentlich anzutref- schungsfeld, um eine eigene, neue Disziplin oder gar fende »uncritical romanticization of the sonic experi- um ein Ausbildungsfach? Tendenzen einer disziplinä- ence« (Johnson 2017, 15) und eine daraus resultieren- ren Institutionalisierung lassen sich nicht nur an den de Essenzialisierung des Gegenstands ebenso vermei- angeführten Sammelbänden und Zeitschriften erken- den wie den Ausschluss bestimmter Disziplinen wie VIII Einleitung der Musikwissenschaft, die sich in jüngster Zeit für spiegelt sich nicht nur in für die Sound Studies ein- Anregungen aus den Sound Studies geöffnet hat (vgl. schlägigen Begriffsprägungen wie »auditory culture« Sakakeeny 2015). (Bull/Back 2003), »aural culture« (Drobnick 2004) oder »hearing culture« (Erlmann 2005). Sie hat auch dazu geführt, dass dem Hören als zentraler Kategorie Sound – Gegenstand und Begriff der Sound Studies eine eigene Forschungsdiskussion gewidmet wurde, mit besonderer Aufmerksamkeit für Wenn sich die Gemeinsamkeit der hier versammelten die Geschichte des Hörens (vgl. Morat 2011; Thorau/ Beiträge also nicht aus der Zugehörigkeit zu einer neu- Ziemer 2018). Da es sich beim Hören um eine für die en Disziplin ›Sound Studies‹ ergibt, sondern aus dem Beschäftigung mit Sound konstitutive Dimension han- gemeinsamen Gegenstand ›Sound‹, dann muss im delt, wird es in mehr oder weniger allen Beiträgen die- nächsten Schritt genauer geklärt werden, worum es ses Handbuchs immer mitverhandelt, auch wenn ihm sich bei diesem Gegenstand eigentlich handelt. Das kein eigener Beitrag gewidmet ist (anders als etwa in englische Wort sound kann ins Deutsche als ›Klang‹, dem 2015 erschienenen Überblicksband Keywords in ›Geräusch‹, ›Ton‹, ›Laut‹ oder ›Schall‹ übersetzt wer- Sound von Novak/Sakakeeny). den. Als englisches Lehnwort ist es allerdings – etwa seit Selbst die möglichst allgemeine Definition von den 1950er Jahren – mit einem engeren Bedeutungs- Sound als ›gehörtem Schall‹ produziert allerdings noch umfang eingedeutscht worden. Laut Duden bezeichnet Rand- und Graubereiche. Wie verhält es sich mit den das deutsche Wort ›Sound‹ einen »für einen Instru- Schallwellen, die außerhalb des menschlichen Hör- mentalisten, eine Gruppe oder einen Stil charakteristi- spektrums liegen, aber dennoch – besonders als Infra- sche[n] Klang« bzw. eine »charakteristische Klangfar- schall im tiefen Frequenzbereich – körperlich wahr- be«, also eine bestimmte Eigenschaft von Musik (s. da- genommen werden können? Unter Begriffen wie ›so- zu auch Kap. 10, 24 und 28). Für die Zwecke dieses nic materialism‹ oder ›bass materialism‹ werden die Handbuchs wird ›Sound‹ jedoch im weiten Sinn des ›sonic effects‹ jenseits des kulturell codierten Hörens englischen Worts benutzt. Dieser Wortgebrauch hat diskutiert und somit die Bindung der Beschäftigung sich auch in der deutschsprachigen akademischen Dis- mit Sound an das menschliche Hören und besonders kussion weitgehend durchgesetzt – nicht zuletzt der an die damit verknüpften kulturellen Sinnzuschrei- Anschlussfähigkeit an die englischsprachigen Sound bungsprozesse infrage gestellt (vgl. Kane 2015). Gleich- Studies wegen –, selbst wenn (auch in diesem Hand- zeitig haben Jonathan Sterne und Mitchell Akiyama buch) häufig der Begriff des ›Klangs‹ im gleichen Sinn darauf hingewiesen, dass durch Sonifikationsverfah- verwendet wird. In den meisten Beiträgen dieses Hand- ren (s. Kap. 14) zuvor unhörbare Dinge hörbar ge- buchs sind die beiden Begriffe weitgehend synonym zu macht werden können, wodurch sich die Grenze zwi- verstehen. Das Bedeutungsspektrum von ›Sound‹ er- schen Sound und Nicht-Sound ständig verschiebt: scheint allerdings umfassender als das von ›Klang‹, da »[S]ound scholarship must be ever more vigilant about letzterer Begriff häufig eine bestimmte Eigenschaft ei- that shifting border between the sonic and the nonso- nes Geräuschs, einer Stimme oder eines Musikstücks nic« (Sterne/Akiyama 2012, 547). bezeichnet und nicht diese selbst. Für dieses Handbuch folgt daraus, dass wir zwar Wenn ›Sound‹ hier also im weiten Sinn von ›Klang‹, von Sound als gehörtem Schall ausgehen, dass grund- ›Geräusch‹, ›Ton‹, ›Laut‹ und ›Schall‹ benutzt wird, wie sätzlich aber die Frage nach dem Gegenstandsbereich lässt sich daraus dann ein Gegenstand für geistes-, kul- dessen, was unter dem Leitbegriff ›Sound‹ behandelt tur- und sozialwissenschaftliche Studien bestimmen? wird und behandelt werden kann, immer offen blei- Anders als in den Naturwissenschaften, die etwa die ben und diskutiert werden muss. Die Grenze dieses physikalischen Eigenschaften von Schall untersuchen, Gegenstandsbereichs – »that shifting border between wird Sound in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissen- the sonic and the nonsonic« – kann dabei je nach Fra- schaften immer als »artifact of the messy and political geperspektive und Methode unterschiedlich gezogen human sphere« behandelt, wie Jonathan Sterne (2003, werden. Das gilt allerdings nicht nur synchron, son- 13) es bezeichnet hat. Akustische Phänomene sind hier dern auch diachron: Die genannte Grenze wurde im also immer an menschliche Wahrnehmungen und Laufe der Zeit immer wieder verschoben und neu ge- Handlungen gebunden, und in diesem Sinn verstehen zogen, d. h. sie ist historisch variabel. Daraus folgt die wir – als einen Ausgangspunkt – Sound als gehörten Notwendigkeit einer grundsätzlichen Historisierung Schall. Diese Bindung des Akustischen an das Auditive von Sound. In diesem Sinn versteht sich das vorliegen- Einleitung IX de Handbuch als ein historisch ausgerichtetes. Damit theoretischen Ansätzen und Begriffen, die quer zu ist weder gemeint, dass alle darin behandelten Ge- disziplinären Traditionen liegen und die eine Leit- genstände in der Vergangenheit liegen, noch dass funktion in der Beschäftigung mit Sound einnehmen die Geschichtswissenschaft als Leitdisziplin fungiert. (Abschnitt I »Methodisch-theoretische Zugänge« und Vielmehr geht es darum, dass wir von einer grund- Abschnitt II »Begriffe«). sätzlichen historischen Wandelbarkeit nicht nur des Jenseits dieser methodischen und theoretischen Auditiven selbst ausgehen, sondern auch der Katego- Fragen wollen wir in diesem Handbuch einen weiten rien, in denen es beschrieben und untersucht werden Überblick über Beispiele aus der Forschung geben kann (vgl. dazu Netzwerk »Hör-Wissen im Wandel« und wissenschaftliche und ästhetische, technologi- 2017). Deshalb werden auch Soundphänomene der sche und politische, soziale und kulturelle Perspekti- Gegenwart – als explanans wie als explanandum – in ven miteinander verknüpfen. Die Beispiele zeigen, wie ihrer Historizität und ihrem historischen Herkom- bestimmten akustische Phänomene (Abschnitt IV men und Kontext erfasst, um Sinn und Bedeutung, »Akustische Phänomene«) durch verschiedene Dis- Struktur und Gebrauch, Strategien und Erfahrungen ziplinen, Provinzen des Wissens, kulturelle Praktiken miteinander in Beziehung zu setzen. oder ästhetische Formen hindurch wirken konnten – sie konnten erforscht und komponiert, literarisch ver- arbeitet und soziologisch gedeutet werden, an unter- Zum Aufbau des Handbuchs schiedlichen Orten erscheinen, hergestellt und wahr- genommen werden (Abschnitt V »Räume«). Die Au- Aus den angeführten Gründen beabsichtigen wir mit torinnen und Autoren tragen der Bedeutung von diesem Handbuch nicht, einheitliche Methoden, An- technischen Medien und Aufschreibesystemen in der sätze und Fragestellungen zu definieren. Vielmehr Erforschung von Sound genauso Rechnung wie den geht es darum, der Vielfalt der Forschung und ihrer politischen Strategien oder Praktiken, für die Sound Gegenstände Rechnung zu tragen, Querverbindun- in Anspruch genommen werden konnte (Abschnitt gen zu ziehen und Anregungen für eine Erforschung VI »Medien« und Abschnitt VII »Politik«). Während von Sound zu bieten. Dabei wollen wir die Dominanz sich die Stichworte um bestimmte Leitmotive wie einer einzelnen Perspektive vermeiden und ein Spek- ›Räume‹ oder ›Medien‹ sammeln, wollen wir die Lese- trum an Möglichkeiten aufzeigen, wie Soundwissen- rinnen und Leser dazu einladen, Querverbindungen schaftlerinnen und -wissenschaftler sich einem ephe- zwischen den Beiträgen zu entdecken und sich das meren und unsichtbaren Gegenstand in Vergangen- Feld der Soundforschung als Ganzes zu erschließen. heit und Gegenwart widmen können. Die Autorinnen Dazu dient besonders die Kategorie »Verwandte Bei- und Autoren des Handbuchs bemühen sich nicht nur träge« am Ende jedes Beitrags. darum, ihr jeweiliges Thema in einem weiteren his- In einer Zeit, in der sich die Soundforschung bestän- torischen Kontext zu verorten, sondern waren auch dig weiterentwickelt und viele neue Studien in Arbeit eingeladen, über ihren Begriff von ›Sound‹, ihre For- bzw. im Erscheinen sind, kann ein solches Handbuch schungsmethodik und den Stand der Diskussionen in schließlich keinen Anspruch auf enzyklopädische ihrem spezifischen Feld zu reflektieren. Gerade weil Vollständigkeit erheben. Die Zusammenstellung der ›Sound‹ nicht das Proprium einer bestimmten Dis- Beiträge und die darin gegebenen Praxisbeispiele spie- ziplin ist und der Status von Sound Studies offen dis- geln den aktuellen Stand der Forschung und damit kutiert wird, soll dieses Handbuch deutlich machen, nicht nur deren Breite und Vielfalt, sondern auch deren dass die Erforschung von Sound in der Tradition be- Traditionen und Perspektiven. Dies lässt sich an zwei stimmter disziplinärer Perspektiven stattfand und Schwerpunktsetzungen erkennen, die viele Beiträge stattfindet (Abschnitt III »Disziplinäre Perspekti- durchziehen: Zum einen hat die Mehrzahl einen geo- ven«). Wir haben die Autorinnen und Autoren daher graphischen Fokus auf europäische oder nordamerika- auch gebeten, wissenschaftshistorische Perspektiven nische Gegenstände; zum anderen befassen sich die in ihre Beiträge einzubeziehen und auf die Herausfor- meisten der Autorinnen und Autoren mit einer kriti- derungen und Schwierigkeiten einzugehen, die der schen Perspektive auf die Epoche der Moderne, nicht Gegenstand ›Sound‹ für die Forschung bedeutet, in- zuletzt, weil eine Vielzahl an Soundphänomenen eine dem er dazu zwingt, eigene epistemologische Grund- Folge oder Erfindung der Moderne war. annahmen zu reflektieren und anzupassen. Inzwi- Vor dem Hintergrund dieser Schwerpunkte benen- schen gibt es allerdings einen Fundus an methodisch- nen die Autorinnen und Autoren aus ihrer For- X Einleitung schungspraxis heraus die Desiderata für Methodik großer Umsicht und Beharrlichkeit geholfen hat, die und Thematik, die in Zukunft das Feld der Soundfor- Beiträge dieses Bandes zusammenzuführen, ohne da- schung prägen könnten, gerade auch mit Blick auf bei seinen Humor zu verlieren. die nicht-westlichen und vormodernen Traditionen. Literatur Hierzu finden sich im Handbuch selbst bereits Bei- Bull, Michael (Hg.): Sound Studies. Critical Concepts in spiele, von den mythologischen Sound-Konstruktio- Media and Cultural Studies. 4 Bde. London/New York nen der Antike über die Geschichte des Sounds in Or- 2013a. ten wie dem Wald oder der mittelalterlichen Kirche Bull, Michael: General introduction. In: Ders. (Hg.): Sound bis hin zu den Forschungsreisen der ersten Musiketh- Studies. Critical Concepts in Media and Cultural Studies. nologen. Vieles harrt jedoch noch der Erschließung. 4 Bde. London/New York 2013b, Bd. 1, 1–22. Bull, Michael/Back, Les (Hg.): The Auditory Culture Reader. Insofern hoffen wir, dass das Handbuch auch durch Oxford/New York 2003; überarb. Aufl. 22016. die Leer- und Blindstellen, die es notwendigerweise Burschel, Peter/Missfelder, Jan-Friedrich (Hg.): Sound His- hat, zur weiteren Erforschung von Soundphänome- tory (= Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 66/11– nen anregt. 12). Seelze 2015. Drobnick, Jim (Hg.): Aural Cultures. Toronto 2004. Dudenredaktion: [Art.] Sound. In: Duden Online, https:// www.duden.de/node/652950/revisions/1656565/view Danksagung (30.1.2018). Erlmann, Veit (Hg.): Hearing Cultures. Essays on Sound, Lis- Dieses Handbuch hat seinen Ursprung in den Diskus- tening and Modernity. Oxford u. a. 2005. sionen des Netzwerks »Hör-Wissen im Wandel«, ei- Johnson, Bruce: Sound studies today. Where are we going? nem internationalem und interdisziplinären For- In: Joy Damousi/Paula Hamilton (Hg.): A Cultural History of Sound, Memory and the Senses. New York/London scherverbund, der von 2012 bis 2016 von der Deut- 2017, 7–22. schen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde und Journal of Sonic Studies (2011 ff.). Hg. von Marcel Cobussen dem – neben den Herausgebern – Camilla Bork, Mary und Vincent Meelberg. In: http://sonicstudies.org/ Helen Dupree, Nicola Gess, Angela Grünberg, Ale- (30.1.2018). xandra Hui, Julia Kursell, Britta Lange, Jan-Friedrich Kane, Brian: Sound studies without auditory culture. A cri- Missfelder, Manuela Schwartz, Viktoria Tkaczyk, Axel tique of the ontological turn. In: Sound Studies. An Inter- disciplinary Journal 1/1 (2015), 2–21. Volmar, Caroline Welsh und Rebecca Wolf angehör- Latham, Clara Hunter: Listening to modernism. New books ten. Aus dieser langjährigen Zusammenarbeit ist nicht in the history of sound. In: Contemporary European His- nur ein gemeinsames Buch entstanden (Netzwerk tory 26/2 (2017), 385–395. »Hör-Wissen im Wandel« 2017); fast alle Netzwerk- Meyer, Petra Maria (Hg.): Acoustic Turn. München 2008. mitglieder sind auch Autorinnen und Autoren dieses Morat, Daniel: Zur Geschichte des Hörens. Ein Forschungs- Handbuchs und haben mit uns über dessen Konzept bericht. In: Archiv für Sozialgeschichte 51 (2011), 695– 716. diskutiert. Dafür sei ihnen herzlich gedankt. Morat, Daniel (Hg.): Sounds of Modern History. Auditory Darüber hinaus haben wir unseren Heimatinstitu- Cultures in 19th- and 20th-Century Europe. New York/ tionen, der Freien Universität Berlin und dem Max- Oxford 2014. Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, Netzwerk »Hör-Wissen im Wandel« (Hg.): Wissens- zu danken für die vielfältige Unterstützung in dem geschichte des Hörens in der Moderne. Berlin/Boston 2017. langen Prozess der Herausgeberschaft. Hier möchten Novak, David/Sakakeeny, Matt (Hg.): Keywords in Sound. wir uns insbesondere bei Agnes Bauer, Leon Kokko- Durham, NC 2015. liadis und Fabian Voigtschild für die Hilfe bei der Fer- Papenburg, Jens Gerrit/Schulze, Holger (Hg.): Sound as tigstellung des Manuskripts bedanken. Beim J. B. Popular Culture. A Research Companion. Cambridge, MA/ Metzler Verlag danken wir Ute Hechtfischer, die den London 2016. Anstoß zu diesem Projekt gegeben und es mit Geduld Paul, Gerhard/Schock, Ralph (Hg.): Sound der Zeit. Geräu- sche, Töne, Stimmen – 1889 bis heute. Göttingen 2014. gefördert und begleitet hat. Des Weiteren danken wir Pinch, Trevor/Bijsterveld, Karin (Hg.): The Oxford Hand- den beiden Übersetzern Gerhard Herrgott und Wil- book of Sound Studies. Oxford u. a. 2012. helm von Werthern sowie der Fritz Thyssen Stiftung Sakakeeny, Matt: Music. In: David Novak/Matt Sakakeeny für Wissenschaftsförderung für die Finanzierung (Hg.): Keywords in Sound. Durham, NC 2015, 112–125. nicht nur der Übersetzungen, sondern auch des Lek- Schulze, Holger (Hg.): Sound Studies. Traditionen – Metho- den – Desiderate. Eine Einführung. Bielefeld 2008. torats. Für das Lektorat möchten wir uns schließlich in Schulze, Holger: Sound Studies. In: Stephan Moebius (Hg.): besonderem Maße bei Rainer Rutz bedanken, der mit

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