# Gruppen, Ringe, Körper Die grundlegenden Strukturen der Algebra von Heinz Lüneburg R. Oldenbourg Verlag München Wien 1999 DieDeutsche Bibliothek CIP-Einheitsaufnahme - Lüneburg, Heinz: Gruppen, Ringe, Körper : diegrundlegenden Strukturen derAlgebra/ von HeinzLüneburg. München ; Wien : Oldenbourg, 1999 ISBN 3-486-24977-0- © 1999 R. OldenbourgVerlag RosenheimerStraße 145, D-81671 München Telefon: (089)45051-0, Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werkeinschließlich allerAbbildungen isturheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen. Mikroverfilmungen und dieEinspeicherungund Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: AndreasTürk Herstellung: RainerHaiti Satz: HeinzLüneburg, Kaiserslautern Umschlagkonzeption: KraxenbergerKommunikationshaus, München Gedrucktaufsäure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: R. OldenbourgGraphische BetriebeGmbH. München Vorwort Ohne Internet gäbe es dieses Buch nicht. Die Beschreibung meiner Vorlesung gleichen Namens aufmeiner Homepage veranlassteHerrn Andreas Türk, Lektordes Oldenbourg Verlages, mich zu fragen, ob ich diese Vorlesung nicht publizieren wolle. Nach einigem Zögern nahm ich den Vorschlag an. Das Zögern rührte daher, dass ich mit einem sehr umfangreichen Buchprojekt zur Geschichte der Körpertheorie beschäftigt bin. Doch nach einigem Überlegen unterbrach ich die Arbeit an genanntem Projekt und schrieb dieses Buch auf. Dabei kam mir zugute, dass ich meine Vorlesungen schon seit Jahren sorgfältig aufschreibe, so dass ich mit dem Formulieren keine Zeit mehr verlor. Was ist das Besondere an diesem Buch? Sicherlich die ersten Abschnitte über das Auswahlaxiom und die Maximumprinzipien der Mengenlehre. Der Algebraiker benutzt meist das zornsche Lemma, doch an manchen Stellen bieten sich andere Maximumprin- zipien als die viel natürlicheren Werkzeuge an. Ich möchte daher aufkeines verzichten. Den Abschnitt über Unabhängigkeitsstrukturen finde ich sehr reizvoll. Hinter ihm verbergen sich unter anderem die Mengen linear unabhängiger Teilmengen von Vek- torräumen, die Wälder genannten Teilstrukturen von Graphen und die Mengen alge- braisch unabhängiger Teilmengen von Körpererweiterungen, welch letztere Gegenstand unserer Untersuchungen im vorletzten Abschnitt sein werden. Die allgemeine Theorie liefert dann Existenz und Gleichmächtigkeit von Basen in all diesen Fällen. Sieht man sich an, was heute alles unter dem Begriff Algebra subsumiert wird, so ist kaum noch zu erkennen, dass die Frage nach der Auflösbarkeit von algebraischen Gleichungen durch Radikale am Anfang der Algebra stand. Lineare Gleichungssys- teme wurden von Beginn an mit immer größerer Virtuosität gelöst. Auch Gleichungen zweiten Grades boten nie Schwierigkeiten bei ihrer Lösung. Für Gleichungen dritten und vierten Grades fanden erst Scipione del Ferro, Nicolo Tartaglia, Girolamo Car- dano und Ludovico Ferrari im 16. Jahrhundert Lösungsformeln. Doch Gleichungen fünften und höheren Grades boten scheinbar unüberwindliche Schwierigkeiten. Die Un- tersuchungen von Joseph Louis Lagrange, Paolo Ruffini und insbesondere Niels Hen- rik Abel und Evariste Galois vom Ende des 18. bzw. Anfang des 19. Jahrhunderts zeigten dann schließlich, dass Gleichungen mit rationalen Koeffizienten nicht immer durch Radikale lösbar sind. Dabei stellte sich heraus, dass es wichtig ist, zu fixieren, woher die Koeffizienten der Gleichungen stammen, so wie gerade geschehen, da wir von rationalen Koeffizienten sprachen. Dass dies wirklich wichtig ist, sieht man daran, dass über dem Körper der reellen Zahlen irreduzible Gleichungen den Grad 1 oder 2 haben, also durch Radikale lösbar sind. Hier beginnt implizit, was wir heute Körpertheorie nennen. Als man mit der Frage nach der Auflösbarkeit von algebraischen Gleichungen durch Radikale nicht weiter kam, stellte man andere Fragen, zum Beispiel die, ob Gleichungen überhaupt Lösungen haben und woman sie zu suchen habe. Die Antwort hieraufist der Fundamentalsatz der Algebra, der besagt, dass jede algebraische Gleichung über dem vi Gruppen, Ringe, Körper Körper der komplexen Zahlen eine Lösung in diesem Körper hat. Alle Beweise dieses Satzes erste Beweisversuche unterschiedlicher Qualität stammen von Jean-Baptiste leRond—d'Alembert, Leonhard Euler, Joseph LouisLagrange,PierreSimon Laplaceund Carl Friedrich Gauß aus dem 18. Jahrhundert, erste Beweise von Jean Robert Argand & Augustin-Louis Cauchy und Gauß aus dem 19. Jahrhundert sind Existenzbeweise und geben bestenfalls Hinweise, wie man die Lösungen approxi—mieren kann. Sie liefern keinen BeitragzurerstenFrage. Einen sehreleganten Beweis dieses Satzes, dervon Emil Artin und Otto Schreier stammt, findet der Leser hier wiedergegeben. Er macht vom Hauptsatz der Galoistheorie Gebrauch, der einen Zusammenhang herstellt zwischen der Menge der Lösungen einer algebraischen Gleichung und ihrer Galoisgruppe. Die Gruppen, die zu Gleichungen gehören, die durch Radikale lösbar sind, lassen sich rein gruppentheoretisch beschreiben. Diese Gruppen heißen naturgemäß auflösbare Grup- pen und sind schon seit langem Gegenstand eigenständiger gruppentheoretischer Un- tersuchungen. Die Abschnitte des vorliegenden Buches über Gruppen dienen nun dazu, die galois- sche Theorie, die, wie schon gesagt, jeder algebraischen Gleichung eine Gruppe zuord- net, mit Leben zu erfüllen. Die Einfachheit der alternierenden Gruppen vom Grade größer als vier zeigen die Nichtauflösbarkeit der symmetrischen Gruppen entsprechen- den Grades, so dass man sehr rasch zu Gleichungen kommt, die nicht durch Radikale lösbar sind. Um diese Beispiele zu konstruieren, bedient man sich der Polynomringe in n Unbestimmten über einem Körper und ihrer Quotientenkörper sowie der Ringe der symmetrischen Polynome und deren Quotientenkörper, so dass auch diese Gegen- stand unserer Untersuchungen sein werden. Diese Beispiele lösen aber nicht das alte Problem, ob nicht vielleicht doch algebraische Gleichungen über dem Körper der ra- tionalen Zahlen immer durch Radikale lösbar sind. Sie sind es nicht, wie an Hand von irreduziblen Gleichungen von Primzahlgrad gezeigt wird. Polynomringe werden sorgfältig definiert und ihre grundlegenden Eigenschaften be- wiesen. Kommt man dann zu den Mengen algebraisch unabhängiger Mengen, so stellt sich heraus, dass man auch etwas über die feinere Struktur der Polynomringe wissen muss, dass sie nämlich Integritätsbereiche sind, in denen der Satz von der eindeuti- gen Primfaktorzerlegung gilt. Dieses Wissen wird in dem Abschnitt über ggT-Bereiche bereitgestellt. In den letzten beiden Abschnitten schließlich wird dann auf die men- gentheoretischen Methoden zurückgegriffen, über die zu Anfang berichtet wurde. Ins- besondere wird im letzten Abschnitt gezeigt, dass jeder Körper einen algebraischen Abschluss hat. In den Aufgaben wird manches dargestellt, was in anderen Texten integriert er- scheint. Der Leser nehme die Aufgaben daher zumindest zur Kenntnis. Bei ihrer Aus- wahl war Frau Dr. PetraMeyereinegroßeHilfe. Siebetreutedie Übungenzur Vorlesung und reagierte sehr sensibel aufdie Lücken und Schwierigkeiten der Teilnehmer, so dass die Aufgaben zum Teil gezielt auf deren Probleme eingingen in der Hoffnung, sie zu beseitigen. So erklärt sich insbesondere auch die Vielzahl von Aufgaben, die Metho- den der linearen Algebra zu ihrer Lösung erfordern. Ich nehme an, dass der Leser sie begrüßen und zur Festigung seiner Kenntnisse in linearer Algebra nutzen wird. FrauMeyerlasundkritisierteauchdenText diesesBuches, worausvieleVerbesserun- gen des Textes sowiedes Indexes resultierten. Ihr sei auch an dieser Stelle recht herzlich Vorwort vii für ihre Unterstützung gedankt Die grobe Skizze, die ich oben. machte, um ein wenig den Hintergrund dieses Buches zu erhellen, kommt aus der Unternehmung, die ich unterbrochen habe, um dieses Buch zu schreiben. Wer mehr über jene Unternehmung wissen möchte, schaue sich meine Homepage auf dem Netz an. Die Adresse ist www.mathematik.uni-kl.de/~luene und dann weiter zu: Bücher, die ich geschrieben habe und noch schreiben möchte. Es bleibt mir nur noch, dem Buch viele Leser zu wünschen, und Ihnen, lieber Leser, dass Sie an diesem Buch Gefallen finden. Kaiserslautern, im Oktober 1998 Heinz Lüneburg 1. Relationen und Abbildungen Wir gehen mit dem Begriff der Menge und der Relation „ist Element von" ganz naiv um, dh., wir machen keine Axiomatik der Mengenlehre. Dennoch wollen wir ein wenig mehr über die Begriffe „Relation" und „Abbildung" reflektieren als dies in Anfängervorlesungen und einführenden Algebravorlesungen und den einschlägigen Büchern gemeinhin üblich ist. Zunächst wollen wir mit Kuratowski zeigen, dass man den Begriffdes geordneten Paares aufmengentheoretische Begriffe zurückführen kann. Es seien A und B Mengen. Ist a € A und b G B, so definieren wir das geordnete Paar (a,b) durch (a,6) {{a},{a,b}}. := Es ist also (a,b) die Menge aus den beiden Mengen {a} und {a,b}. Ist a = b, so sind sie nicht verschieden. Es gilt der wichtige Satz von der eindeutigen Lesbarkeit. Es seien A und B Mengen. Sind a, o! G A und b, b' G B, so gilt genau dann [a,b) = (a',b'), wenn a = a' und b = b' ist. Beweis. Ist a = a' und b = b1, so ist natürlich (a,b) = {a',b'). Es sei also (a,b) = (a1,b'). Dann ist {a} = {a}n{a,b} = f] x = f) x = {a1} n {a',b'} = {a1}. xe(a,b) xe(a',b') Also ist a = a'. Ferner ist {a,b} = {a}Ll{a,b} = [j x = {J x = {a1} U {a\b'} = {o',6'}. x(z(a,b) x£(a',br) Es folgt b' G {a,b}. Ist b' = b, so sind wir fertig. Es sei also b' a. Wegen a = a' ist dann b' = a' und somit — {a,b} {a',b'} {a',a'} {a'} {a}. = = = = Also ist b = a und folglich auch hier b' = b. Damit ist alles bewiesen. Sind A und B Mengen, so setzen wir Ax B := {{a,b) | a G A,b G B). Die Menge A x B heißt cartesisches Produkt der Mengen A und B. Ist A = 0 oder B = 0, so ist auch A x B = 0. Sind A und B Mengen und ist R C ,4x B, so nennen wir R binäre Relation zwischen A und B. Da wir meist nur binäre Relationen betrachten, lassen wir das Adjektiv „binär" fast immer weg. 2 Gruppen, Ringe, Körper Ist A eine Menge, so setzen wir 1A := {(a,a) | a £ .4}. Dann nennt man 1^ C .4 x A je nach Kontext die Diagonale von A oder die Identität auf -4. Offenbar ist 1^ die Gleichheitsrelation aufA. Ist nämlich (a,b) £ 1,4, so gibt es ein c G A mit (a,6) = (c,c). Mit dem Satz von der eindeutigen Lesbarkeit folgt daher a = c = b. Sind .A, 73, C drei Mengen, ist R C .4 x 7? und 5 C 73 x C, so definieren wir die Relation 7?o 5 zwischen A und C durch Ro S := {x | es gibt o £ 5,c6 C mit (a,b) G R, {b,c) G S und £ = (a,c)}. RoSheißt Produkt der Relationen 7? und 5. Die Operation o heißt auch Multiplikation von Relationen. Satz 1. Es seien A und B zwei Mengen. Ist R C A x B, so ist lA ° R = R = R° Iß Beweis. Es sei x G 7?, also £ = (a,6) mit a £ A und 6 G 73. Wegen (a,a) G 1,4 ist dann (a,b) G l/i o7?. Also ist R C lA o7?. Es sei y G 1^o7?. Wegen 1,4 oR C ^4 x 73 gibt es ein a G A und ein 6 G 73 mit y = (a,b). Es gibt aber dann ein a' G A mit (a,a') G l..i und (a',b) G 7?. Mit dem Satz von der eindeutigen Lesbarkeit folgt a = a' und damit (a,b) G R. Die zweite Aussage beweist sich analog. Satz 2. Es seien A, 73, C, D Mengen. Ist R C .4 x 73, S C 73 x C imd T C C x D, so ist {R°S)oT Ro(S°T). = Die Verknüpfung von Relationen ist also assoziativ. Beweis. Es sei x G 7?o (5oT). Es gibt dann a G 4, b G 73 und d £ D mit x = (a,d) und (a,b) £ R und (&,d) G SoT\ Es gibt weiter ein c £ C mit (6,c) £ S und (c,d) £ T. Es folgt (a,c) G RoS und damit (a,d) G (7?o5) oT. Also ist 7?o(5oT) C (7?o5) oT. Es sei y G (7? o 5) o T. Es gibt dann a £ A, 7 G C und 8 £ D mit ?/ = (a,6) und (q,7) G 7? o S und (7,6) £ T. Es gibt weiter ein ß £ 73 mit (a,ß) £ R und (/3,7) G 5. Es folgt (/3,<5) £ SoT und weiter (a,<J) G Ro(SoT). Also ist {RoS) oT C Ro (SoT). Insgesamt also (7? o 5) o T = Ro (5 o T). Ist 7? C .4 x 73, so setzen wir 7?A- {(6,a) | («,i)eJ?} := und nennen Rk die zu 7? konverse Relation. Es gilt (Rk)k = R. Satz 3. SindA, 73, C Mengen, ist R C AxB undS C BxC, so ist (RoS)k = SkoRk. Beweis. Es sei x £ (RoS)k. Es gibt dann ein a £ A und ein c £ C mit (o,c) G 7?o5 und x = (c,a). Es gibt folglich ein 6 G 73 mit (a,b) £ R und (6,c) G 5. Es ist somit (c,b) £ Sk und (b,a) £ Rk. Es folgt (c,a) G 5A' o 7?fr. Also ist {RoS)k 5A' o7?fc. C 1. Relationen und Abbildungen 3 Nach dem gerade Bewiesenen ist {SkoRk)k C RkkoSkk =R°S. Nun folgt aus X C Y C A x 73, dass Xk C Yk ist. Also gilt auch Sk oRk (Sk Rk)kk C(Ro S)k. = o Damit ist alles bewiesen. Ist R eine Relation zwischen ,4 und B und ist A C A', so ist auch 7? C .4' x 73, so dass 7? auch eine Relation zwischen A1 und 73 ist. In diesem Zusammenhang kann 7? durchaus andere Eigenschaften haben. Es ist also stets wesentlich zu wissen, zwischen welchen Mengen R Relation ist. Dass dies wesentlich ist, zeigt der folgende Satz. Satz 4. Es seien A und 73 Mengen. Ferner sei R C A x 73. a) Genau dann ist 1a C R o Rk, wenn es zu jedem a £ A ein b £ 73 gibt mit (a,b) G R. b) Genau dann ist lß Q Rk o R, wenn es zu jedem b G 73 ein a G A gibt mit (a,b) G 7?. Beweis, a) Es sei 1a Q Ro Rk. Ferner sei a G A. Dann ist (a,a) G l^i und somit (o,a) £ Ro Rk. Es gibt also ein b £ 73 mit (a,i>) G TZ und, was wir nicht brauchen, (b,a) £ Rk. Dies zeigt die Existenz von b. Es gebe umgekehrt zu jedem a £ A ein b £ 73 mit (o,b) £ R. Dann ist natürlich (a,a) £ RoRk und folglich lAQRoRk. b) Vertauscht man in a) die Rollen von A und 73 und ersetzt 7? durch 7?^, so gibt es also zu b £ 73 genau dann stets ein a £ A mit (b,a) £ Rk, dh., mit (a,b) £ R, wenn 1B C Rk oRkk = Rk oR ist. Satz 5. Es seien A und 73 Mengen und es sei R C A x 73. a) Genau dann ist Ro Rk C 1a, wenn es zu b £ 73 höchstens ein a £ A gibt mit (a,b) £ R. b) Genau dann ist Rk o R C 1b, wenn es zu a £ A höchstens ein b £ 73 gibt mit (a,b) £ R. Beweis, a) Es sei Ro Rk C 1a. Ferner seien (a,b), (a',b) £ R. Dann ist (a,b) £ R und (6,a') £ Rk. Es folgt (a,a') £ Ro Rk C 1a. Dies hat wiederum a = a1 zur Folge. Es gebe umgekehrt zu jedem b £ 73 höchstens ein o G A mit (a,6) G R. Es sei a; G 7? o 7?*. Es gibt dann ein b £ 73 und a. a' £ A mit x = (a,a') und (a,b) £ R und (6,a') G 7?*. Es folgt (o,6), (a',6) G 7? und daher a = a', so dass x £ 1a ist. Damit ist a) bewiesen. b) folgt mittels a), wenn man die Rollen von Aund 73 vertauscht, Rdurch Rk ersetzt und Rkk = R beachtet. Es seien A und 73 Mengen und a C .4 x 73 sei eine binäre Relation zwischen A und 73. Genau dann heißt a Abbildung von A nach 73, falls gilt: