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Grundlagen der Gestaltung PDF

215 Pages·2012·30.301 MB·German
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Grundlagen der Gestaltung Ulf Jonak Grundlagen der Gestaltung 2. Aufl. 2012 Prof. Ulf Jonak Universiät Siegen ISBN 978-3-8348-1836-2 ISBN 978-3-8348-2256-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-8348-2256-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden 2009, 2012 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheber- rechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbei- tungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besonde- re Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Lektorat: Dipl.-Ing. Ralf Harms | Annette Prenzer Einbandentwurf: KünkelLopka GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Vieweg ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media www.springer-vieweg.de Vorwort Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zu Rande. Goethe, Maximen und Reflexionen Wer den Anfang falsch setzt, dem droht das Weitere zu misslingen. Wem die Grundlagen der Gestaltung fehlen, dem gelingt kein befriedigendes Werk. Dies Buch kann als Protokoll eines über Jahre hinweg sich wiederholenden, aber stets sich verändernden und zugleich neu beginnenden Sehtrainings ver- standen werden. Dies Buch ist kein Rezeptbuch. Dies Buch ist auch kein Reiseführer. Rezepte mindern die Eigeninitiati- ve, Reiseführer machen es uns bequem. Es bahnen sich die wenigsten den mühsamen Weg durch un- erforschtes Gelände, wenn ein leicht zu gehender Weg schon nebenan bereitet ist. Schöpferische Ge- staltung ist aber zweifellos eine Gratwanderung. Abstürze sind jederzeit möglich, mitunter sogar un- vermeidlich. Aus Niederlagen die Kraft zum Durch- halten schöpfen und sich abenteuerlustig auf unbe- kanntes Terrain begeben, das sind metaphorische Umschreibungen, wie wir uns dem vielschichtigen Vorgang künstlerischen Gestaltens annähern. Unfer- tiges, Unbeholfenes, Unzugängliches, Irrwege und Stolpersteine gehören zur allmählichen Wegfindung, gehören zum Prozess der Gestaltung dazu. Mit welchen Mitteln und Techniken der unüber- sichtliche und steinige Weg zu ‚Maß und Ziel’ be- gehbar zu machen ist, davon handelt dieses Buch. Das Wort „Gestaltung“ bezieht sich hier nicht nur auf Architektur im weitesten Sinne, nicht nur auf de- ren Darstellung und Ausformung, sondern auch auf die ‚bildhauerische’ Gestaltung des Bauwerks und dessen Teilhabe an den anderen Künsten. Allerdings haben die Grundlagen, nämlich das Zeichnerisch- malerisch-skulpturale den Vorrang. Motivation: Vielfalt der Veranstaltung V Dies Buch gründet auf der ‚Siegener Lehre’ im Fach Es gibt ein englisches Sprichwort: Der Zwerg, der auf Gestaltung am Fachbereich Architektur und Städte- den Schultern eines Riesen steht, sieht weiter als die- bau. Da es ein Grundlagenfach für die ersten drei ser. Um weiter zu sehen, um zu wissen, was man da Semester ist, müssen sich alle Studierenden des eigentlich tut und um sich mit anderen vergleichen Fachbereichs durch dieses Gebiet hindurcharbei- zu können, sollten die studentischen Übungen (es ist ten. In Siegen herrscht Platzmangel – wie in vielen hier von der Siegener Lehre die Rede) ergänzt wer- Hochschulen. Es gibt keinen eigenen Raum für das den von Vorlesungen zur Gestaltungstheorie, von Fach, so dass nach Ende einer Veranstaltung der Ausstellungen und von Broschüren im Eigenverlag, Raum aufgeräumt zu hinterlassen ist. Daraus folgt, in denen studentische Arbeiten publiziert werden. dass es das beständige, kreative Chaos eines Ate- Nur von solchen begleitenden Veranstaltungen, die liers nicht gibt, aber auch keine ausufernde Belie- doch immer als Höhepunkte im Semestertrott gese- bigkeit. Die Beschränkung verlangt Konzentration hen werden, werden Begabte, aber auch Lustlose und Bestimmtheit, was keineswegs Improvisation zur Lust am Gestalten motiviert. Motivation geht ausschließt. vom Lehrenden aus. Allerdings gelingt ihm das nicht allein. Ohne die Hilfe der Studierenden wäre all dies Zum Sehen lernen (dem Hauptgeschäft vom Leh- nicht möglich. renden und den Lernenden) könnte im Grunde ein unter Anleitung geführtes Skizzenbuch genügen. Eines soll noch festgestellt sein: Im Folgenden wird Der Gesichtssinn ist aber nur einer unter fünfen. Se- oft vom Architekten die Rede sein, nie von der Ar- hen lernen heißt auch Be’greifen‘. Deshalb dürfen chitektin. Sie ist selbstverständlich immer dabei. Die Malerei und modellhafte Skulpturen nicht unter den wahltaktische Umständlichkeit, wie sie unsere Poli- Tisch fallen, sind sie doch Verwandte und künstle- tiker pfl egen („Bürgerinnen und Bürger draußen im rische Beiträger zur Architektur. Für das Verstehen Lande“) schien mir auch in diesem Zusammenhang räumlich-plastischer Details reicht das Zeichnen eher heuchlerisch als aufrichtig zu sein, um die oft nicht aus. Einfühlsam müssen Materialien, deren immer noch mangelnde Gleichstellung der Frauen Fügungen, Verspannungen, Knoten und Kontraste im Beruf zu verharmlosen. Beiläufi ge Erwähnung, erkundet werden. So gut es geht, muss auch dies in um umso ungenierter den Status quo beibehalten die Lehre aufgenommen werden. zu können. INHALT 1 Sehen Lernen 1 | Zeichnen als Denkakt 2 | Exkurs: Über die Neugier 6 2 Komposition 11 | Struktur und Ordnung 12 | Wahrnehmung 13 | Spannungsaufbau 15 | Blickführung 16 | Exkurs: Symmetrie 19 | Kontrastbedingtes Gleichgewicht 22 | Licht und Schatten 23 | Tiefe 26 | Motiv- wiederholung 28 | Bildanalyse 30 | Exkurs: Diagonale 32 | Mittelpunkt 34 | Goldener Schnitt 35 | Collagen 36 | Über das Fragment 40 3 Freies Zeichnen 45 | Interpretierendes Zeichnen 46 | Notiz, Skizze, Gedankensplitter 47 | Zeichnen im Skizzenbuch 50 | Bestandsaufnahme 52 | Sequenz 53 | Exkurs: Empathie 58 | Axonometrische Darstellung 59 | Themenübung: Rekonstruierendes Zeichnen 62 | Perspektivische Darstellung 64 | Grundlagen der Per- spektive 66 | Freihandperspektive 71 | Figürliches Zeichnen 72 | Bekleidete Personen 72 | Aktzeichnen 73 | Themenübung: Lebende Skulpturen 78 | Bäume zeichnen 82 | Themenübung: Skulpturenwald 86 | Häuser zeichnen 90 | Surreale Interpretationen (assoziative Erweiterung) 93 | Transparente Ebenen (Schichtungen) 96 | Kunst der Reduktion (Linie und Kontur) 97 | Kunst der räumlichen Vergewisserung (Schraffur, Lavie- rung) 99 | Stillleben zeichnen 104 4 Malen 113 | Realität und Abbild 114 | Farbe 116 | Aquarellieren 120 | Schichtenmalerei 123 | Farbkom- position 130 5 Grafisches Gestalten 135 | Plan und Darstellung 136 | Schrift am Bau 138 | Handschriften 141 6 Bildnerisches Gestalten 147 | Skulptur und Architektur 148 | Exkurs: Modellbau 150 | Körperskulp- turen 153 | Themenübung: Kopfbauten 155 | Themenübung: Brustkorb 157 | Themenübung: Schulterschluss 160 | Apparative Skulpturen 163 | Themenübung: Klangskulptur 164 | Themenübung: Stuhlobjekt 166 | Konzeptuelle Skulpturen 170 | Themenübung: Dreidimensionale Sequenz 172 7 Gestaltbezogene Architekturtheorie 175 | Praktische Architekturkritik 176 | Themenübung: Vorbild und Sinnbild 179 | Themenübung: Carceri 182 8 Zeichenmittel 187 | Bleistift 189 | Buntstift 190 | Spitzer 190 | Radiergummi 191 | Radierschablone 191 | Zeichenbesen 192 | Füllfederhalter und andere 192 | Aquarellkasten, -Farben und -Pinsel 192 | Messer (Skalpell) 193 | Lineal und Dreieckswinkel 193 | Zirkel 194 | Papier, Skizzenrolle, Skizzenbuch 194 | Zeichen- lampe 195 Statt eines Nachworts – Über den Zufall 197 Anmerkungen 201 Danksagung 203 Literatur 204 Bildnachweis 205 Sach- und Personenregister 206 VII 1 Sehen lernen U. Jonak, Grundlagen der Gestaltung, DOI 10.1007/978-3-8348-2256-7_1, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012 Zeichnen als Denkakt To open eyes. Das war mein Ziel und ist es noch immer. Josef Albers, Interaction of Color Jedes Jahr, jedes Wintersemester vier/fünf/sechs Dutzend neue Studierende, mehr oder weniger ge- staltungsresistent, mehr oder weniger erfahren im Freihandzeichnen. Die meisten haben ihre Zeichen- karriere im Grundschulalter aufgeben müssen, denn Alphabetisierung hatte Vorrang. Nun müssen sie die Spanne von anderthalb Jahrzehnten Nichtzeichnen im Geschwindschritt überwinden. Und sie stellen fest, so geschwind lässt sich Verschüttetes nicht ans Tageslicht holen. Augen öffnen, Sehen lernen, um schließlich Gese- henes mit dem Stift wiedergeben zu können, ist des- halb das hervorstechendste Ziel der Lehre im Fach ‚Grundlagen der Gestaltung’ für Architekturstudie- rende. Wie verkleistert sind anfangs unsere Augen. Wir sehen das, was man uns beigebracht hat zu se- hen. Wir sehen das, was wir brauchen. Wenn uns et- was bedroht, beglückt oder innerlich bewegt, färbt das unsere Wahrnehmung der Umwelt. Wie sagt der Volksmund? „Der Furchtsame sieht schwarz“ oder „Liebende sehen durch eine rosarote Brille.“ Der Zeichnende aber braucht klare, ungefärbte Sicht. Er muss sich auf die Klarheit seiner Wahrnehmung verlassen können. Sein Denken beruht auf der fast gleichzeitigen Bewegung von Auge und Hand. Er steuert unbeirrt seinen Kurs durch das unübersicht- liche Gewimmel der visuellen Eindrücke. Kreidezeichnungen von Kindern auf dem Straßenasphalt Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp weist nach, dass selbst abstrakt denkenden Wissenschaftlern (Darwin, Hobbes, Leibniz, Galilei u. a.) das Zeichnen zum „zentralen Medium der Weltaneignung“1 wird. Der Zeichner erklärt sich und anderen die Welt. Schon für Giorgio Vasari (1511-74) war die Zeichenkunst „die Mutter der Malerei“ und – darüber hinaus – 2 die notwendige Vorraussetzung für Bildhauerei und Architektur. Der Künstler ist wie der Wissenschaftler ein Welterklärer. Sehen ist demnach zu recht Gegenstand dieses Lehr- und Lernfachs Gestaltung. Die Lehre des Se- hens fängt unspektakulär an, weniger mit der Wie- dergabe des Vorhandenen, als mit der Lust am Wie- dergeben, spontan und präzis: fast ein Fingertanz (Punktgeschwader, Strichwirbel, Schraffuren, kräf- tig und sanft, kreuz und quer). Aber die Finger sind nicht nur im Zeichen- und Schreibgestus befangen; sie beschreiben die Dinge nicht nur in der zweiten Dimension, sondern sie verformen auch Material. Das Gedankengespinst auf der Fläche ist zwar äu- ßerst anschaulich, aber in der dritten Dimension ge- winnt es noch an Komplexität. Dort erst wird es zum Simulacrum der Welt. Gehirn und Finger, das heißt, Logik, Anschauung und Darstellung sind untrennbar voneinander abhängig, ebenso wie Linie, Fläche und Volumen. Gallileo Gallilei, Mondphasenzeichnungen Das eine braucht das andere. Zeichnen ist Gehirn- Anfangsübung: Bleistiftmonument training. Eine wissenschaftliche Studie an der Berke- ley University ergab, dass derjenige Chancen hat, bis ins hohe Alter fit und vital zu bleiben, der sein Leben lang darauf achtet, gelenkige und flinke Finger zu behalten2. Vitalität bedeutet auch Gelenkigkeit im Denken, also Phantasie. Sie entsteht nicht allein im Kopf, sondern ist ebenso abhängig von unserem Sechsten Sinn, dem Körpersinn. Jegliche körperliche Tätigkeit, auch wenn es nur das Abtasten von Ober- flächen ist, kann zur Entwicklung von komplexen Denken, von Kreativität und Phantasie beitragen. Am Anfang der Gestaltungslehre steht deshalb auch das ans Licht stellen der eigenen Phantasie: Ich schmücke mich mit einem gefundenen und kreativ ergänzten Stein. Ich inszeniere das Denkmal eines Bleistifts, ich lasse aus einer Tube etwas Architekto- nisches herausquellen, ich erfinde einen Eierbecher oder ich erkläre einem Kind an einem handteller- 3

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