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Grenzen von Netzwerken PDF

222 Pages·2009·1.486 MB·German
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Roger Häußling (Hrsg.) Grenzen von Netzwerken Netzwerkforschung Band 3 Herausgegeben von Roger Häußling Christian Stegbauer In der deutschsprachigen Soziologie ist das Paradigma der Netzwerkforschung noch nicht so weit verbreitet wie in den angelsächsischen Ländern. Die Reihe „Netzwerk- forschung“ möchte Veröffentlichungen in dem Themenkreis bündeln und damit dieses Forschungsgebiet stärken. Obwohl die Netzwerkforschung nicht eine einheitliche theoretische Ausrichtung und Methode besitzt, ist mit ihr ein Denken in Relationen verbunden, das zu neuen Einsichten in die Wirkungsweise des Sozialen führt. In der Reihe sollen sowohl eher theoretisch ausgerichtete Arbeiten, als auch Methoden - bücher im Umkreis der quantitativen und qualitativen Netzwerkforschung erscheinen. Roger Häußling (Hrsg.) Grenzen von Netzwerken Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfälti gungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinn e der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16308-6 Inhalt Einleitung ............................................................................................................................... 7 Roger Häußling Praktikable vs. tatsächliche Grenzen von sozialen Netzwerken. Eine Diskussion zur Validität von Schulklassen als komplette Netzwerke ........................................................... 15 Thomas N. Friemel und Andrea Knecht Die räumlichen Grenzen persönlicher Netzwerke ................................................................ 33 Jan Mewes Lässt sich die Netzwerkforschung besser mit der Feldtheorie oder der Systemtheorie verknüpfen? .......................................................................................................................... 55 Jan Fuhse Zur Bedeutung von Emotionen für soziale Beziehungen. Möglichkeiten und Grenzen der Netzwerkforschung ........................................................................................................ 81 Roger Häußling Entkopplung und Kopplung - Wie die Netzwerktheorie zur Bestimmung sozialer Grenzen beitragen kann ...................................................................................................... 105 Athanasios Karafillidis Grenzen der Erfassung = Grenzen von Netzwerken? Schnittmengeninduzierte Bestimmung von Positionen ............................................................................................... 133 Christian Stegbauer und Alexander Rausch Aus den Augen, aus dem Sinn? Zum Verhältnis von Clustertheorie und Clusterpraxis .... 155 Martin Wrobel und Matthias Kiese Selektivitäten des Netzwerkes im Kontext hybrider Strukturen und systemischer Effekte – illustriert am Beispielen regionaler Kooperation................................................. 183 Jens Aderhold Netzwerkforschung auf einem Auge blind? Ein Beitrag zur Rolle von Netzwerken bei Stellenbesetzungsprozessen ............................................................................................... 209 Anja Kettner und Martina Rebien Verzeichnis der Autorinnen und Autoren........................................................................... 225 Einleitung Roger Häußling „A social network consists of a finite set or sets of actors and the relation or relations de- fined on them.” Gemäß dieser Aussage von WASSERMANN und FAUST (1994: 20) sind Netzwerke von methodologischer Seite her eindeutig definiert. Häufig gehen Forscher so vor, dass sie ein „network in a box“ untersuchen. Die Mehrzahl an Beziehungsnetzen ist jedoch nicht derart abgrenzbar, dass sie sich der methodologischen Annahme entsprechend aus einer eindeutigen und endlichen Zahl an Teilnehmern zusammensetzt. Ein Internetfo- rum einer bestimmten Subkultur hat beispielsweise sichtbare Nutzer, die sich rege an der Diskussion mit eigenen Beiträgen beteiligen, und andere Nutzer, die sich nur sporadisch zu Wort melden, und dann noch das Heer der so genannten ‚Lurker’, die in den Diskussionen nicht sichtbar auftauchen, von denen also am wenigsten gesagt werden kann, ob sie der Subkultur überhaupt angehören oder nur aus Neugierde die Website besucht haben (vgl. STEGBAUER/RAUSCH 2001). Netzwerke können also an ihren Rändern Elemente mit sich führen, die nur sehr bedingt von den Netzwerkprozessen tangiert werden. Noch komplexer wird das Grenzziehungsproblem, wenn man ein multiplexes1 Netz- werk zum Untersuchungsgegenstand hat. Ja, die „small world“-Studien (vgl. BUCHANAN 2002; WATTS 1999; WATTS/STROGATZ 1998; BARABÁSI/ALBERT 1999) legen sogar den Schluss nahe, dass das soziale Beziehungsgefüge über indirekte und heterogene Verbin- dungen eigentlich grenzenlos ist. Sind also Netzwerkgrenzen das Produkt einer Vernachläs- sigung der Multiplexität eines globalen sozialen Beziehungsgefüges? Für DIRK BAECKER hat diese grenzbezogene Unschärfe von Netzwerken weit reichen- de Konsequenzen. Denn Netzwerke müssen deshalb nach einem anderen Prinzip operieren als Systeme. Während die Selbstorganisation von Systemen über „Grenzziehung“ bzw. genauer über das Prozessieren einer System-Umweltgrenze erfolge, sind Netzwerke auf- grund ihrer größeren Heterogenität und von außen kommender und nach innen sich fortset- zender Turbulenzen auf eine „interne Kontrollstruktur“ angewiesen (BAECKER 2006: 45). Unter Berufung auf WHITE sieht BAECKER darin die einzige Möglichkeit, ‚trotzdem’ eine Identität aufzubauen. Aber wie man schon aus der Identitätsphilosophie weiß, ist eine Iden- tität nur in Abgrenzung zu einem Umfeld identifizierbar (vgl. HEIDEGGER 1957). Und die- ser Unterschied wird nun in das kontrollbezogene Prozessieren verlagert, wobei die peri- pheren Bereiche des Netzwerks immer weniger von diesen Kontrollbemühungen tangiert werden (wie z.B. die oben genannten ‚Lurker’ im Internetforum). Die Peripherien von Netzwerken sind – wie auch STEPHAN FUCHS konstatiert – stärker den Einflüssen von au- ßen unterworfen, während der Netzwerkkern (bzw. die Netzwerkkerne) den eigenen Ein- flüssen unterliegt (bzw. unterliegen) (FUCHS 2001: 273f. und 281ff.). Es lassen sich demzufolge Zonen des Netzwerks ausmachen, in denen eine Verdich- tung von relationalen Strukturen und damit netzwerkadäquaten Prozessen vorliegen, und 1 Mit „Multiplexität“ ist die Vielfalt sozialer Beziehungsformen, die gleichzeitig bei einer Netzwerkanalyse be- trachtet werden, gemeint (also z.B. Freundschafts- und Arbeitsbeziehungen). 7 ‚äußere’ Bereiche des Netzwerks, in denen eine Ausdünnung von Beziehungen zu konsta- tieren ist (vgl. ebd.: 191f.). In der Netzwerkanalyse spricht man in Bezug auf die dichten Zonen von Cliquen und Clustern. In seiner Metaphorik der Gele spricht WHITE von Zonen, in denen eine Aushärtung stattgefunden hat, sodass sie im Inneren ein homogenisierendes Arrangement von Kontrollprojekten institutionalisiert und sich damit eine eigene ‚kollekti- ve’ Identität verschafft haben, um sich nach außen hin, also gegenüber dem Umfeld, abzu- heben. ANDREW ABBOTT bringt diese Sichtweise in seinem programmatischen Aufsatz „Things of boundaries – Defining the Boundaries of Social Inquiry“ gleich zu Beginn auf den Punkt: „In this paper, I shall argue that it is wrong to look for boundaries between pre- existing social entities. Rather we should start with boundaries and investigate how people create entities by linking those boundaries into units. We should not look for boundaries of things but for things of boundaries.” (ABBOTT 1995: 857). Eine wesentliche Funktion spielt dabei für ABBOTT der narrative Aspekt im Sinne der WHITEschen „Story“-Produktion. Denn zu Beginn ergeben sich zufällige Differenzen im sozialen Raum, was Praktiken und Sinnsetzungen anlangt. Durch die Bezeichnung dieser Differenzen werden – ABBOTT zu- folge – „proto-boundaries“ (ebd.: 867) erzeugt, die zunächst einmal nur auf der semanti- schen Ebene Grenzen darstellen. Da diese für ABBOTT wieder in das Intervenieren und die Interaktionen einfließen, verfestigen sich diese Differenzen auch auf der operativen und strukturellen Ebene. Nun begreift sich beispielsweise eine Jugendgruppe nicht nur anders als die anderen, sondern sie gibt sich ein anderes Outfit, verhält sich anders, präferiert ande- res etc.2 Dies kann zu faktischen sozialen Schließungsvorgängen führen. Die Identität wur- de dabei zunächst nur semantisch instanziiert, auf die sich die Interventionen der Beteilig- ten beziehen, sodass durch die daraus sich ergebenden Interaktionsdynamiken und -strukturen faktische Grenzen herausbilden. Jetzt wird nicht nur postuliert, dass man anders ist, jetzt ist man anders, aufgrund des handlungs- und kommunikationsleitenden Aspekts dieser Postulate. Selbst derartige in sich abgekapselte Netzwerke wie Jugendsubkulturen sind aber nie in dem Sinn hermetisch geschlossen, dass es für die Akteure nur diese soziale Wirklichkeit gäbe. Vielmehr zeichnet sich die Identität der Akteure gerade durch die Teilhabe an ver- schiedenen Netzwerken aus (vgl. SIMMELs „Kreuzung sozialer Kreise“ und WHITE 1992: 106f.). Die Frage nach der Offenheit von Netzwerkgrenzen stellt sich dann in zweifacher Weise: Zum einen in Bezug auf die Peripherien, deren Kennzeichen ja ein erhöhtes Maß an Einflussnahmen von Außen bildet. Zum anderen geht es um Relationen zwischen Netzwer- ken, die durchaus auch gerade vom Kern eines Netzwerks gepflegt werden können, durch Mehrfachmitgliedschaften der Partizipanten. Man denke zum Beispiel an einen Abteilungs- leiter, der gute Kontakte zur Unternehmensleitung besitzt. In der Netzwerkforschung im Unternehmenskontext wurde dabei insbesondere die Kooperation zwischen Unternehmen sowie der Zusammenschluss von Unternehmen zu so genannten Unternehmensnetzwerken untersucht (vgl. z.B. SYDOW/WINDELER 2000). Dabei werden in der Regel eine Aggregati- onsstufe höher ganze Unternehmen als Knotenpunkte eines – wenn man so will – interme- diären Netzwerks konzipiert. Dies ist auch eine sinnvolle Aggregierung, wenn man dabei 2 ABBOTT selbst wählt das Beispiel verschiedener Berufe, die sich über Berufsvereinigungen und professionsspezi- fische Bestimmungen unterscheiden. 8 nicht vergisst, dass die Knotenpunkte als black boxes zu behandeln sind, die selbst wieder Netzwerke darstellen, bei denen intern zu klären ist, welcher Stelleninhaber für welche Aufgaben die Kontaktpflege zum Unternehmen Y betreibt. Grenzen von Netzwerken können aber auch im Sinne der Grenzen ihrer Integrations- und Leistungsfähigkeit verstanden werden. Wer fällt gleichsam durch das Netz, das eigent- lich für ihr Auffangen sorgen sollte? Zu denken wäre hier an Familien-, Verwandtschafts-, Freundschaftsnetzwerke, solidarische Gemeinschaften etc. Aus den bisherigen Ausführungen dürfte deutlich geworden sein, dass Grenzen bei Netzwerken eine andere Bedeutung haben als bei Systemen, aber es ist unter Netzwerkfor- schern noch keineswegs eine Einigkeit erzielt, was Netzwerkgrenzen bedeuten und welchen Status man ihnen zusprechen muss. Es liegt allerdings nahe, dass aus diesem anderen, neu- en, noch zu bestimmenden Grenzverständnis eine Profilierung der Netzwerkforschung selbst zu erwarten ist. Zurzeit koexistieren jedoch noch verschiedene Verständnisse, die kaum in eine integrative Sichtweise integrierbar zu sein scheinen. Auch die hier versammelten Beiträge zeugen von den verschiedenen Grenzverständ- nissen unter Netzwerkforschern. So lassen sich hier die Positionen wiederfinden, dass die Grenzen von Netzwerken forschungspraktische Artefakte sind (z.B. FRIEMEL/KNECHT), dass Netzwerke überhaupt keine Grenzen besitzen (z.B. MEWES), dass Netzwerke selbst Grenzen sind (KARAFILLIDIS) sowie dass Netzwerke über unscharfe Grenzen verfügen (z.B. HÄUßLING). Als ein erster Systematisierungsvorschlag dieser vermeintlich disparaten Grenzver- ständnisse könnte man die gängigen Netzwerkperspektiven heranziehen: die Perspektive auf die Knoten eines Netzwerkes, die Perspektive auf seine Relationen bzw. Kanten sowie die Perspektive auf das gesamte Netzwerk als Strukturgebilde. (A) Bislang habe ich weitgehend die Grenzthematik auf der Netzwerkebene entfaltet. Demgemäß werden Netzwerkgrenzen durch Kontrollprojekte von Netzwerkkernen er- zeugt. Zu diesen Kontrollprojekten sind auch „stories“, also identitätsstiftende und damit abgrenzende Geschichten gemeint. Führt man diese Gedanken ABBOTTS, WHI- TES und FUCHS weiter, so kann man sagen, dass Netzwerke durchaus Grenzen ziehen und damit Geschlossenheit produzieren können. Diese Grenzen müssen allerdings so- wohl semantisch als auch interaktiv erzeugte sein, damit soziale Schließungsprozesse stattfinden können. Solche selbstinaugurierten Grenzen sind gleichwohl störanfälliger gegenüber äußeren Einflüssen als die Umweltgrenzen in LUHMANNs Systemtheorie. Eine gewisse Schließung ist auch in Netzwerken nötig, damit sie überhaupt eine ge- wisse Gebildeidentität erlangen können, und nicht einfach alles in ihnen passieren kann. In diesem Sinn ist Geschlossenheit eines Netzwerks zunächst einmal keine wer- tende Kennzeichnung, sondern eine Frage der Sichtbarkeit des Gebildes nach außen und der Kohäsionsfähigkeit nach innen hin. Netzwerkkerne können dann im Sinn von Attraktoren begriffen werden, die eine Sogwirkung auf das Umfeld ausüben können. Die meisten der hier versammelten Beiträge betrachten Grenzen auf dieser Aggregati- onsstufe von Netzwerken. Dies soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich noch zwei andere Grenzdiskussionen innerhalb der Netzwerkforschung ausmachen lassen. (B) So stellt sich in Bezug auf Knoten die Frage, was als Knotenpunkt in einem sozialen Netzwerk gelten kann? Hier hat vor allem die Actor Network Theory (ANT) für Ver- unsicherung gesorgt, erscheinen doch aus ihrer Sichtweise nicht nur Menschen son- 9 dern auch technische Artefakte sowie Naturphänomene als prinzipiell relevante Netz- werkaktanten (vgl. z.B. Latour 1998; Callon 1986).3 Durch die damit postulierte Hyb- ridisierung von Prozessen werden Begriffe wie „Soziales“, Gesellschaft und (soziales) Handeln entgrenzt. Die damit eingehandelten Probleme werden gegenwärtig breit dis- kutiert und verdeutlichen, dass ein anything goes bei der Modellierung von Netzwerk- knoten eine umfassende Aufweichung soziologischer Grundbegriffe nach sich zöge. Die Grenzen bisheriger Soziologie würden damit bei weitem überschritten. Will die ANT quasi alles prinzipiell als Knotenpunkt in einem Netzwerk modellieren können, tun sich demgegenüber systemtheoretisch geprägte Zugänge zur Netzwerkthematik schwer, Knotenpunkte überhaupt akteursspezifisch zu fassen. An ihre Stelle treten Ad- ressen, Positionen, Systeme (z.B. Organisationen). Der methodologische Individua- lismus wiederum favorisiert in mehr oder weniger expliziter Form eine Vorstellung von Netzwerkgrenzen als Resultate individueller Entscheidungen. Diese Vorstellung steht im diametralen Gegensatz zu der bereits erwähnten These ABBOTTs, dass es die Grenzen sind, die Identitäten erzeugen und nicht umgekehrt. Mit anderen Worten wird wohl die sozialwissenschaftliche Netzwerkforschung nicht über den Weg der Knoten- punkte sich Klarheit darüber verschaffen können, wie man Grenzen von Netzwerken bestimmen kann. (C) Ein dritter Fokus würde den Relationen bzw. Kanten von Netzwerken gelten. Bereits erwähnt wurde, dass sich Netzwerkgrenzen je nach gleichzeitig betrachteten Bezie- hungsformen („Multiplexität“) anders gestalten. Ebenso verhält es sich mit Bezie- hungsketten. Wo sind die Grenzen zu ziehen bei der Frage, mit wem man indirekt in Beziehung steht. Die „small world“-Studien (s.o.) legen den Schluss nahe, dass bei ei- ner vollständigen Betrachtung indirekter Beziehungen zwar strukturelle Löcher aber keine Grenzen mehr ausmachen lassen. Sturkturelle Löcher weisen zudem auf die zentrale Bedeutung von nicht existierenden Beziehungen für die Netzwerkforschung hin. Die Nicht-Beziehung als ein konstitutiver Grenzfall einer netzwerkforscherisch zu berücksichtigenden Beziehung! Denn sie besitzen Aussagegehalt. Insofern kommt man auch über die Klärung der Frage, was als soziale Beziehung gelten kann, nicht an ein allgemeinverbindliches Verständnis für Netzwerkgrenzen. Auf der Ebene des Gesamtnetzwerks ist mit anderen Worten am ehesten damit zu rechnen, dass sich die Netzwerkforschung bezüglich der Grenzthematik auf eine die Netzwerkfor- schung instruierende und explizierende Sichtweise einigt. In diesem Sinn lassen sich die Beiträge des vorliegenden Bandes lesen. Dazu ist einerseits nötig, Netzwerkgrenzen von regionalen Grenzen zu differenzieren (vgl. die Beiträge von MEWES und WROBEL/KIESE in diesem Band), andererseits ist auf theoretischem Feld die Mesoebene als die oftmals ange- führte Betrachtungsebene der Netzwerkforschung an ihren „Rändern“/(Grenzen) zu expli- zieren: hin zu Makrostrukturen (vgl. den Beitrag von FUHSE in diesem Band) und hin zu Interaktionen (vgl. den Beitrag von ADERHOLD in diesem Band). Als empirisch ausgerich- tetes Paradigma hat die Netzwerkforschung aber auch Grenzen als forschungspraktische Artefakte (vgl. die Beiträge von STEGBAUER/RAUSCH und FRIEMEL/KNECHT in diesem 3 Bereits bei ALFRED SCHÜTZ findet sich in Grundzügen diese radikale Sichtweise: Mit Bedeutungen versehene Artefakte stehen – gemäß Schütz – für indirekte soziale Beziehungen. Diese Objekte verbinden den Wahrnehmen- den mit einer Deutungsgemeinschaft und mit denjenigen, die diese Artefakte mit Bedeutungen versehen haben. Vgl. SCHÜTZ/LUCKMANN 1975. 10 Band) bzw. durch Forschungstraditionen erzeugte Selbstbeschränkungen der Sichtweise (vgl. Beitrag von KETTNER/REBIEN in diesem Band) zu thematisieren. Denn Grenzen kön- nen durch die Art und Weise der Erhebung (egozentrierte vs. ‚ganze’ Netzwerke), durch die Analyse (z.B. Blockmodellanalyse) und durch die Darstellung von Netzwerken (Visualisie- rung) zumindest miterzeugt werden. CHRISTIAN STEGBAUER und ALEXANDER RAUSCH befassen sich in ihrem Beitrag mit der Frage, ob Grenzen von Netzwerken forschungspraktischen Umständen geschuldet sind und was sich ändert, wenn man die Forschungspraxis ändert. Dazu analysieren sie drei unterschiedliche Aktivitätsfelder von Wikipedia-Aktivisten gleichzeitig, um Führungsposi- tionen innerhalb der Wikipedia-community ausfindig zu machen. Gegenüber der konventionellerweise üblichen attributiven Vorgehensweise (bei dem mittels Fragebogen ein Verhaltensmuster erfasst wird) liefert das von den Autoren favorisierte relationale Vor- gehen (bei dem der tatsächliche Kontakt zwischen Akteuren herangezogen wird) Aufklä- rung in Bezug auf den harten Kern der Wikipedia-Akteure. Für STEGBAUER und RAUSCH stehen diese Ergebnisse auch für die Überlegenheit relationaler Betrachtungsweisen gegen- über einer individualisierenden Betrachtung, um von Verhaltensmustern auf Positionen zu schließen. Damit wären auch bisherige Grenzen der Umfrageforschung ausgemacht. Der Beitrag von THOMAS FRIEMEL und ANDREA KNECHT hinterfragt ebenfalls Netz- werkgrenzen unter dem Aspekt forschungspraktischer Gegebenheiten. Sie nehmen zu die- sem Zweck Schulklassen in den Fokus ihrer Betrachtung, die gemeinhin als komplette Netzwerke aufgefasst werden. An diese Sichtweise knüpfen die beiden Autoren ein großes Fragezeichen und schlagen ein Validierungskonzept vor, um getätigte Grenzziehungen auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. Einerseits wird dabei das zu prüfende Primärnetzwerk in Bezug zum umfassenderen Sekundärnetzwerk gebracht, in das das Primärnetzwerk ein- gebettet ist. Andererseits schlagen die Autoren vor, stets eine Kombination von Erhebungs- instrumenten einzusetzen (z.B. eine Listenfrage und eine offene Frage), um nach gleichen Beziehungsformen zu fragen. Anhand zweier Fallbeispiele aus der Schweiz und den Nie- derlanden zeigen die Autoren auf, dass zwar die Schulklasse eine bedeutsame Bezugsgrup- pe für die Schüler darstellt, aber bei weitem nicht die einzige ist, an denen sie sich orientie- ren. Entsprechend entscheidet die konkrete Forschungsfrage, ob Schulklassen eine geeigne- te Erhebungseinheit bildet oder ob die Grenzen weiter zu setzen sind. ANJA KETTNER und MARTINA REBIEN befassen sich mit der Frage, welche Rolle sozi- alen Netzwerken bei Stellenbesetzungsprozessen zukommt. Die beiden Autorinnen nehmen entgegen der gängigen Praxis allerdings nicht die Arbeitssuchenden sondern die suchenden Betriebe in den Fokus ihrer Betrachtung. Ihre Ergebnisse verdeutlichen, dass es nicht aus- reicht nur die eine Gruppe in diesem Matchingprozess zu betrachten. Sie sehen hier eine nicht nachvollziehbare Selbstbegrenzung der bisherigen Netzwerkforschung in diesem Themenfeld. Zur Plausibilisierung ihrer These können KETTNER und REBIEN auf die reprä- sentative IAB-Erhebung des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots zurückgreifen. Auf Basis dieser Ergebnisse wird nachvollziehbar, warum welche Unternehmen Suchstrategien über Netzwerke verfolgen und welche Vorteile diese Suchstrategie gegenüber anderen (z.B. Ausschreibung) besitzt. Sie plädieren also für die Aufhebung der von der Forschungstradi- tion geschuldeten Grenzen. JAN MEWES befasst sich in seinem Beitrag mit dem „Verhältnis von räumlicher Nähe und Distanz innerhalb persönlicher Netzwerke“. Hierbei interessieren ihn vor allem fern- räumliche Beziehungen, die er in den Diskussionszusammenhang der „Transnationalisie- 11

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