Dietmar Braun Grenzen politischer Regulierung Der Weg in die Massenarbeitslosigkeit am Beispiel der Niederlande Dietmar Braun Grenzen politischer Regulienlng Der We, in die Massenarbeitslosi,keit am .eispiel der Niederlande I()fl r:\n DeutscherUniversitatsVerlag ~ GABLER 'VIEWEG ·WESTDEUTSCHER VERLAG ClP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Braun, Dietmar: Grenzen politischer Regulierung : der Weg in die Massenarbeitslosigkeit am Beispiel der Niederlande / Dietmar Braun. - Wiesbaden : Dt. Univ.-Verl., 1989 (DUV : Sozialwissenschaft) Zugl.: Amsterdam, Univ., Diss., 1988 Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann International. © Deutscher Universitats-Verlag GmbH, Wiesbaden 1989 Das Werk einschlie51ich aller seiner Te ile ist urheberrechtlich ge schOtzt. Jede Verwertung au5erhalb der engen Grenzen des Ur heberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fOr Vervielfaltigungen, Ober setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Ver arbeitung in elektronischen Systemen. ISBN-13: 978-3-8244-4034-4 e-ISBN-13: 978-3-322-85660-9 DOl: 10.1007/978-3-322-85660-9 VORWORT Aueh wenn es immer mehr ErkHirungen fiber Ursaehen und Verlauf der Arbeitslosigkeit gibt, lohnt es sieh, angesiehts der gesellsehaftliehen Tragweite und der Beharrliehkeit dieses Problems, weiterzuforsehen. Politikwissenschaft liche Ansatze scheinen dabei in erster Instanz wenig zu konkreten Hand lungsempfehlungen beitragen zu konnen. Dies liegt nieht zuletzt daran, daj3 sie hiiufig wenig kurzfristig beeinfluj3bare Faktoren in den Vordergrund schieben wie Institutionen und MachtverhaItnisse, wabrend okonometrische Berechnungen der Wirtschaftswissenschaften scheinbar konkret und pranse die Parameter angeben konnen, deren Einhaltung zu den gewiinschten Resul taten fiihren sollen. Daj3 dies nicht genfigt, zeigen 15 Jahre Arbeitslosigkeit in den Niederlanden. Der springende Punkt ist, daj3 okonomische Aggregat groj3en wie Investitionen, Konsum, Staatsausgaben, Lohnentwicklungen usw. nicht ohne handelnde Personen in Bewegung gesetzt werden konnen. Die aktive Beseitigung der Arbeitslosigkeit durch die Politik bedeutet zuerst die Beeinflussung des Verhaltens von Akteuren, deren Interessen einerseits gruppengebunden sind und andererseits kulturell und institutionell struktu riert werden. Vnd an dieser Stelle kann die Politikwissenschaft und insbe sondere die jfingere (vergleichende) Policy - Forschung eine fruchtbare Erganzung der Wirtschaftswissenschaften darstellen. Sie kann den politischen Entscheidungstragem sowohl die politikimmanenten wie die extemen Hand lungsspielraume vor Augen fiihren und damit die Erreichbarkeit der politi schen Ziele begreiflich machen. Wissen um die Mogliehkeiten und Restrik tionen des eigenen Handelns bedeutet aber immer eine erhOhte Fahigkeit zur Planung und so moglicherweise zur Pravention des erkannten drohenden Unheils. Diese Arbeit wird also alle diejenigen enttauschen, die zum Beispiel wissen wollen, ob man Arbeitslosigkeit in den Niederlanden besser fiber eine Umverteilung der Arbeit oder fiber eine Senkung der Mindestlohne bekampfen sollte. Mich hat viel eher besehaftigt, ob die niederlandisehen Politiker, die fUr den Abstieg in die Massenarbeitslosigkeit in den 70er Jahren verantwortlieh waren, denn auch wirklieh schuldig zu spreehen sind. Mit anderen Worten, hiitte es denn aueh andere Politiklosungen fUr das Problem Arbeitslosigkeit in den Niederlanden geben konnen und warum wurden diese nieht gewahlt? Wieviel vom Politikversagen auf dem niederlandisehen Arbeitsmarkt ist eigentlieh politiseh - institutionell hausgemaeht und wieviel ist den sogenannten auj3eren Umstanden, im Fall der Niederlande also dem Weltmarkt gesehuldet? VI Diese Arbeit ist zeitlich beschrlinkt und bereichsspezifisch eingegrenzt. Ich habe mich fUr die 70er Jahre entschieden, well aus verschiedenen Policy - Analysen deutlich wird, da13 gerade in diesem J ahrzehnt politische Fakto ren einen hohen Erklarungswert fUr Varianzen in der Arbeitsmarktperfor manz geblldet haben, wahrend die politischen Handlungsspielraume in den 80er Jahren eindeutig wesentlicheingeengter sind. Diese Analyse stellt dem nach eine Nachlese dar, die allerdings gewappnet ist mit dem theoretischen Wissen und Erkenntnisfortschritt der BOer Jahre. Trotzdem meine ich, kann man iiber den begrenzten Geltungsbereich der Erklarungen hinausgehen: Die hier entwickelten Thesen lassen sich zeitlich und raumlich transformie ren, d.h. es lohnt sich, auch fUr die BOer Jahre und in anderen Uindern danach zu schauen, inwiefern die Thesen verallgemeinerungsfahig sind. Eine zeitlich begrenzte Liinderstudie kann sehr wohl weitere Horizonte eroffnen. In diesem Sinne kann die Studie moglicherweise durchaus als ein Lehrbei spiel fUr einen Weg in die Massenarbeitslosigkeit gelten. Das Thema Niederlande habe ich aus zwei Griinden gewahlt. Den ersten mag man als ein genuin wissenschaftliches Interesse ansehen. Es war, so weit ich mich erinnere, im FrUhjahr auf einer ECPR-Konferenz in Salzburg als Manfred Schmidt, Hans Keman und ich zu der Schlul3folgerung kamen, da13 die Niederlande gerade in der Policy - Forschung und hier insbesondere beim Thema Arbeitslosigkeit ein weithin unbeschriebenes Blatt sind. Diese Forschungsliicke sollte geschlossen werden. Zum anderen war es mir ein Bediirfnis, nach jahrelangem Aufenthalt in den Niederlanden die fUr einen Deutschen schwer zugiingliche politische Kultur dieses Landes endlich verstehen zu lernen. In der Bundesrepublik an den scharfen rhetorischen Biirgerkrieg gewohnt, Mrte man in den Niederlanden selten offene Konflikte, mu13te man auf Zwischentone und Schattierungen in den gesellsehaftlichen und politischen Auseinandersetzungen achten. Die politisehen Spielregeln verliefen offensichtlich ganz anders als in der Bundesrepublik. Dieses Interesse fiihrte schnell zu Themen wie Konkordanzdemokratie und Korporatismus, die den wesentlichen Erklarungsrahmen dieser Arbeit abgeben. Nach vier Jahren Besehaftigung mit den Niederlanden ist vieles begreiflicher geworden, ebensoviel bleibt einem Au13enstehenden aber auch heute noch verborgen. Das Resultat des Forsehungsprojektes war ein langer Weg mit vielen Veriinderungen in Konzeption und Fragestellung. Alleine hatte ich ihn gewi13 nicht beschreiten konnen. Ieh mochte insbesondere Frans Heere, Hans Ke man und Kees van Kersbergen danken, die zu meinem besseren Verstiindnis der Niederlande beigetragen haben und zusatzlich bereit waren, eine friihere (zugegebenerma13en zu lange) Version der Arbeit mit fruehtbaren Kommen- VII taren und Vorschlagen zu versehen. Uwe Becker, Gerd Junne, Hanspeter Kriesi, Manfred G. Schmidt und Goran Therborn haben wesentliche Verbes serungsvorschlage beigetragen, fUr die ich ebenfalls meinen Dank ausspre chen mochte. Weiterhin gab es zahlreiche Personen, die mich in verschiede ner Weise im Laufe der letzten Jahre bei der Fertigstellung der Arbeit unterstiitzt haben und ebenso meinen aufrichtigen Dank verdienen. Das sind (in alphabetischer Reihenfolge): Roland Czada, Tibert van Dijk, Joke Heij, Jochen Hucke, Susanne Koebbel, Maike Koper - Sluyter, Domien Marlet, Rosita Mertens, Andr~ Mommen, Ton Notermans, Claudia Rose, Fritz W. Scharpf, Hans-Peter Ulrichs und Jiirgen Veser. Ein gesonderter Dank kommt meinem Vater zu. Bleibt zu bemerken, da(3, trotz aller kritischen Bestandsaufnahme und Kommentare von anderer Seite, die Verantwortung fUr den Text einzig und allein bei mir liegt. Diese Arbeit hat au(3erdem 1988 in fast unveranderter Form an der Universitat von Amsterdam als Dissertation unter dem Titel "Der niederlandische Weg in die Massenarbeitslosigkeit (1973-1981). Eine politisch - institutionelle Analyse" vorgelegen. INHALTSVERZEICHNIS KAPITEL 1 EINLEITUNG ................. 1 ERSTER TElL ARBEITSLOSIGKEIT, ARBEITSMARKT UND ARBEITSMARKTPOLITIK IN DEN NIEDERLANDEN 1M INTERNATIONALEN VERGLEICH ................... 14 KAPITEL 2 OKONOMISCHE, DEMOGRAPHISCHE UND WELTWIRTSCHAFfLICHE RAH MENBEDINGUNGEN DER ARBEITS MARKTENTWICKLUNG UNO DIE NIE DERLANDISCHE ARBEITSMARKTPER- FORMANZ ...................... ~ 2.1 Die Arbeitsmarktperformanz der Niederlande im internationalen Vergleich .......... 15 2.2 Der Problemdruck auf dem Arbeitsmarkt 23 2.3 Die Auswirkungen des Weltmarktes auf die Ar beitsmarktperformanz der Niederlande im internationalen Vergleich ............ 33 2.3.1 Oualitat und Ouantitat der Exportabhangig- keit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.3.2 Wirtschaftliche und monetare Abhiingigkeiten von der Europaischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik .................. 40 2.3.3 Energieabhangigkeit und die "Dutch Disease" 47 x 2.3.4 Die Konkurrenzposition auf dem Weltmarkt 52 2.3.5 SchluJ3folgerung .................. 55 KAPITEL 3 DAS POLITISCH - SOZIALE ZUORDNUNGS- SYSTEM. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.1 Die Geschichte der Vollbeschaftigung ......... 60 3.2 Das Vollbeschaftigungsziel in den 70er Jahren 63 3.3 Sozialstaatliche Abfederung der Arbeitslosigkeit 68 3.4 Restriktionen eines keynesianischen Krisenmanagements in den Niederlanden ................... 71 3.4.1 Fehlende Erfahrungen mit keynesianischer Politik ....................... 75 3.4.2 Die Staatsverschuldung als Restriktion 77 3.4.3 Das stabilitatspolitische Ziel 78 3.4.4 Der Sozialstaat als Restriktion der Beschiiftigungspolitik .............. 82 3.4.5 Zwischenbilanz .................. 86 3.5 Die Arbeitsmarktpolitik in den Niederlanden 88 3.5.1 Die politische Steuerung der Nachfrage nach Arbeitskraften .................. 88 3.5.2 Die aktiven ArbeitsmarktmaJ3nahmen auf der Angebotsseite ................... 96 XI 3.5.3 Restriktive Arbeitsmarktpolitik und Umverteilung der Arbeit ..................... 104 3.5.4 Die kompensatorische Politik ......... 108 3.5.5 Die niederHindische Arbeitsmarktpolitik im internationalen Vergleich ............ 109 ZWEITER TElL STEUERUNGSMOGLICHKEITEN UNO STEUERUNGSDEFIZITE KORPORA TISTISCHER KONZERTIERUNG: DIE POLITISCH -INSTlTUTIONELLEN HINTER GRUNDE DER NIEDERLA..NoISCHEN POLITIKFORMULIERUNG ......... 117 KAPITEL 4 REFLEXIONEN OBER KONZER TIERUNG UNO POLITISCHE STEVE- RUNGSFAHIGKEIT ................ 118 4.1 Formen der Konzertierung: Steuerungspotentiale und Steuerungsdefizite ..................... 119 4.1.1 Die ideologische Dimension cler Konzertierung 120 4.1.2 Die institutionelle Dimension cler Konzertierung 128 4.1.3 Die politische Dimension cler Konzertierung 128 4.1.4 Die Spannweite der Konzertierung 129 4.2 Politikresultate korporatistischer Konzertierung 130 XII 4.3 Konzertierung: Struktur oder ProzeJ3 ? 132 4.4 Beharrungsvermogen und Destabilisierung der Konzertierung ........................ 138 4.4.1 Das institutionelle Argument 139 4.4.2 Das klassenpolitische Argument 142 4.4.3 Das spieltheoretische Argument 146 4.5 Schlu~folgerungen 149 KAPITEL 5 KONKORDANZDEMOKRATIE UNO KORPORA· TISTISCHE KONZERTIERUNG. DER INSTITU· TIONELLE KONTEXT VOR DER WIRTSCHAFfS· KRISE ............................ 153 5.1 Die konkordanzdemokratische Strukturierung der Konzertierung ........................ 154 5.1.1 Versaulung und konkordanzdemokratische Entscheidungsverfahren ............. 155 5.1.2 Konkordanzdemokratie und Konzertierung. 157 5.2 Konzertierungssysteme im Vergleich .......... 159 5.3 Schlu~folgerungen 162