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Golgatha in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit PDF

518 Pages·2017·25.065 MB·German
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Golgatha in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit Arbeiten zur Kirchengeschichte Begründetvon Karl Holl† und Hans Lietzmann† herausgegebenvon Christian Albrecht und Christoph Markschies Band 113 De Gruyter Golgatha in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit Herausgegeben von Johann Anselm Steiger und Ulrich Heinen De Gruyter Christian Tümpel in memoriam ISBN 978-3-11-022557-0 e-ISBN 978-3-11-022558-7 ISSN 1861-5996 LibraryofCongressCataloging-in-PublicationData ACIPcataloguerecordforthisbookisavailablefromtheLibraryofCongress. BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschen Nationalbibliografie;detailliertebibliografischeDatensindimInternet überhttp://dnb.d-nb.deabrufbar. (cid:2)2010WalterdeGruyterGmbH&Co.KG,Berlin/NewYork Druck:Hubert&Co.GmbHundCo.KG,Göttingen (cid:2)GedrucktaufsäurefreiemPapier PrintedinGermany www.degruyter.com Vorwort Der Kreuzigung Jesu als dem Heilsereignis des Neuen Bundes schlecht- hin kommt in der theologischen Reflexion seit jeher eine zentraler kaum denkbare Rolle zu. Leiden und Tod Jesu Christi auf der ‚Schädelstätte‘ sind so häufig im Medium ‚Bild‘ dargestellt worden wie keine andere Szene der Heilsgeschichte. In der spätmittelalterlichen Mystik sowie in der Reformationszeit erfuhr der auf Jesu Leiden und Tod blickende Chri- stozentrismus in Theologie, Frömmigkeit und Predigt eine vielschichti- ge Intensivierung, die auch im Reformkatholizismus, etwa im ignatia- nischen Exerzitienwesen, ihre Fortsetzung fand. Die Fokussierung der reformatorischen Theologie auf den Brennpunkt des solus Christus und die mit dem Ansatz der theologia crucis einhergehende schrifthermeneu- tische Konzentration auf den für die sündige Menschheit leidenden und sterbenden Sohn Gottes als die Mitte der Schrift sowie die spätmittelal- terliche und katholische Akzentuierung von Leidensmeditation, Reli- quienverehrung, Schaufrömmigkeit und Eucharistie, aber auch die neue antikenkundliche Erforschung des Kreuzigens, zeitigten facettenreiche Wirkungen. Dies gilt nicht nur innertheologisch im Rahmen der Predigt, der privaten pietas und der Meditationskultur, sondern auch in Bildender Kunst, geistlicher Musik, Schultheater und geistlicher Lyrik. Solche me- dialen Darstellungen der Kreuzigung Jesu folgten dabei nicht nur theo- logischen Reflexionen, sondern entfalteten eigenständige Auslegungen des biblischen Textes, die ihrerseits auf den inneren Kern der theologi- schen Auslegungsgeschichte zurückwirkten. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß die konfessionellen Unterschie- de und die jeweils charakteristischen Ausprägungen von Theologie und Frömmigkeit anhand der frühneuzeitlichen Behandlung des Golgatha- Erzählstoffes in besonders markanter Weise hervortreten. Um so erstaun- licher ist es vor diesem Hintergrund, daß dieser Sachzusammenhang bis- lang noch keineswegs in interdisziplinärer Breite und unter Beteiligung der diesbezüglich einschlägigen Kulturwissenschaften auf seine je un- terschiedlichen Kulturwirkungen hin befragt worden ist. Damit zu be- ginnen, den diesbezüglich herrschenden Nachholbedarf zu decken, war das Ziel einer fächerübergreifenden wissenschaftlichen Tagung, die vom 5. bis 8. März 2008 in der Johannes a Lasco-Bibliothek in Emden stattge- funden hat und deren Ertrag der vorliegende Band dokumentiert. VI Vorwort Die jüngere Forschung hat verstärkt auf die die verschiedenen Kon- fessionen vernetzenden Gemeinsamkeiten, insbesondere bezüglich der Rezeption älterer (patristischer und mittelalterlicher) Traditionslinien, hingewiesen und festgestellt, daß trotz (oder gerade wegen) der konfes- sionellen Abgrenzungsmechanismen die jeweils eine Seite sehr genau beobachtete, was die jeweils andere auch und gerade auf dem Felde der Passionspredigt und -frömmigkeit publizierte. Infolgedessen kam es zu vielschichtigen gegenseitigen Austauschprozessen, die die konfessionel- len Differenzen und die polemisch-theologischen Konflikte z. T. über- wölbten und auf eine gegenseitige Durchlässigkeit der Konfessionen hin- deuten, die einander keineswegs derart erratisch gegenüberstanden, wie noch immer vielfach angenommen wird. Die Emder Tagung zielte darauf, im interdisziplinären Gespräch von Theologen, Kunsthistorikern, Musik- und Literaturwissenschaftlern bei gleichzeitiger philologisch-historischer Konzentration auf einen im höch- sten Maße prominenten Erzählzusammenhang des Neuen Testaments der Frage nachzugehen, welche multimedialen Umsetzungen Passions- theologie und -frömmigkeit innerhalb der jeweiligen konfessionellen Mi- lieus erfuhren und welche Impulse sie für die Theologie setzten. Hierbei wurde das Augenmerk verstärkt darauf gerichtet, welche kulturellen und intermedialen Austauschprozesse die jeweiligen theologischen, fröm- migkeitlichen und mediencharakteristischen Identitäts- und Profilbil- dungen aus sich heraussetzten. Zugleich sollte hiermit ein Beitrag zur interdisziplinären Öffnung des spezifisch historisch-theologische Inter- essen verfolgenden auslegungsgeschichtlichen Ansatzes in bezug auf die benachbarten Kulturwissenschaften geleistet werden. Dank gebührt der Fritz Thyssen Stiftung, die die Tagung durch groß- zügige Förderung ermöglichte und auch die Finanzierung der Satzarbei- ten gewährleistete. Zu Dank verpflichtet sind wir ferner der Johannes a Lasco-Bibliothek, insbesondere Herrn Dr. h. c. Walter Schulz, der die Veranstaltung wohlwollend in das Veranstaltungsprogramm der Biblio- thek aufnahm und die Durchführung der Tagung tatkräftig begleitete. Herrn von der Lieth (Eutin) danken wir für die umsichtige Erledigung der Satzarbeiten und Herrn Dr. Albrecht Döhnert vom Verlag Walter de Gruyter für die verlegerische Betreuung. Schließlich bedanken wir uns bei allen Autorinnen und Autoren, die zu vorliegendem Band beigetra- gen und die Dokumentation einer fachlich wie menschlich überaus be- reichernden Tagung ermöglicht haben. Hamburg und Köln, im Mai 2010 Johann Anselm Steiger und Ulrich Heinen Inhalt Vorwort ........................................................................................................ V Thomas Söding Spaltung und Erschütterung. Golgatha in der Matthäuspassion ....... 1 Roland Krischel Gemalte Kulissen für das Kreuz. Mediensynthesen in der Kölner Sakralkunst des Spätmittelalters ............................................................. 25 Heike Schlie Exzentrische Kreuzigungen um 1500: Zur Erfindung eines bildlichen Affektraums ............................................................................. 63 Johann Anselm Steiger Christus pictor. Der Gekreuzigte auf Golgatha als Bilder schaffendes Bild. Zur Entzifferung der Kreuzigungserzählung bei Luther und im barocken Luthertum sowie deren medientheoretischen Implikationen ............................................................................................. 93 Franziska May Golgatha – Christus in der Kelter. Zu Entwicklung und Rezeption eines Bildmotives ....................................................................................... 129 Gabriele Wimböck Wort für Wort, Punkt für Punkt. Darstellungen der Kreuzigung im 16. Jahrhundert in Deutschland ......................................................... 161 Christian Tümpel (†) Golgatha bei Rembrandt und seinem Umkreis ..................................... 187 David Ganz Die Crux des wahren Bildes. Die Maler des kreuztragenden Christus in einem Titelkupfer Theodoor Galles ................................... 283 Thomas Illg „Diß Trawerbild gehet ihnen zu Hertzen.“ Gethsemane und Golgatha in der Theologie Johann Arndts.............. 325 Konrad Küster „Gebt mir meinen Jesum wieder“. Konzepte der Doppelchörigkeit in Bachs Matthäuspassion ........................................................................ 349 VIII Inhalt Jost Eickmeyer Golgatha zwischen zwei Marien. Zu lyrischen Frauenklagen deutscher Jesuiten ...................................................................................... 375 Jens Wolff Todeston und Morgenstern. Golgatha in Friedrich Gottlieb Klopstocks „Messias“ ............................................... 397 Seraphima Hoffmann Das ,gänzlich Andere’ in Eugène Delacroix‘ Golgatha ........................ 433 Wilhelm Kühlmann Das fremde eigene Leid. Zur Karwoche im ‚Geistlichen Jahr‘ (1851) der Annette von Droste-Hülshoff. Aus der Spätzeit der Perikopenlyrik ....................................................... 445 Personenregister ......................................................................................... 457 Register der Bibelstellen ............................................................................ 463 Autoren ........................................................................................................ 467 Abbildungsnachweise ............................................................................... 469 Tafeln ........................................................................................................... 473 Spaltung und Erschütterung Golgatha in der Matthäuspassion von Thomas Söding Die Passion Jesu ist ein erschütterndes Ereignis. Die Meinungen sind ge- spalten; am Kreuz scheiden sich die Geister. Ein Riß geht durch die Welt; in diesem Riß sind Himmel und Erde verbunden – weil der, den der Him- mel geschickt hat, die Hölle durchschreitet und den Widerspruch zwi- schen Mensch und Gott versöhnt. 1. Die Realität des Todes Jesu Alle Evangelien erzählen von der Verhaftung und Verurteilung Jesu, seiner Verhöhnung und Verspottung, von seinem Kreuzweg und sei- ner Kreuzigung, schließlich von seinem Tod und Begräbnis, dann aber auch von seiner Auferstehung. Kein anderer antiker Text schildert so ausführlich eine Hinrichtung am Kreuz. Die neutestamentlichen Dar- stellungen sind so detailliert, daß sie als wichtige Quelle nicht nur für die biblische Theologie, sondern auch für die römische Rechtsgeschich- te taugen. 1 Die Detailfreude der Evangelisten folgt einem theologischen Motiv: die Realität des Todes Jesu darzustellen. Es ist diese theologisch begründete Farbigkeit der Passionsgeschichten, die den Künstlern Stoff zur Darstellung gibt. Die Passionsgeschichten der Evangelien handeln vom Tod eines Men- schen. Der Tod Jesu ist das am sichersten bezeugte Ereignis seines Le- bens. Auch Tacitus (ann. XV, 44,3) und Flavius Josephus wissen davon (ant. XVIII, 63 f. [3,3]). Aber nicht nur Jesus ist hingerichtet worden. Die beiden Schächer zu seiner Rechten und Linken stehen stellvertretend für die vielen anderen Kreuze, die von den Persern, den Griechen, den Has- monäern, den Römern errichtet worden sind – und die in anderer Form 1 Theodor Mommsen, Römisches Strafrecht (Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft I/4), Leipzig 1899 (Nachdruck Aalen 1960). 2 Thomas Söding (Konstantin hat die Kreuzesstrafe abgeschafft) auch heute noch errich- tet werden. Pieter Brueghel der Jüngere hat 1617 auf seinem Ölgemälde mehr als nur die drei Kreuze der kanonischen Tradition dargestellt und deshalb von der Höhe Golgathas aus vor dem Hintergrund der großen Stadt gezeigt, daß Jesu Leidensgeschichte mit der Leidensgeschichte so vieler unschuldiger und schuldiger Menschen verwoben ist. 2 Die Qual des Kreuzestodes sprengt jedes Maß. In theologischer Hin- sicht ist jedes Kreuz unausdenkbar, unverzeihlich, unentschuldbar. Darin aber liegt gerade die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu. Paulus bespricht es als Skandalon (1Kor 1,18–2,5), Petrus als Stein des Anstoßes (1Petr 2,8). Denn daß der messianische Gottessohn, der Retter der Welt, gekreuzigt wird, sprengt jede Vorstellungskraft, jedes Gottesbild, jede Hoffnung auf Erlösung. Deshalb wird das factum brutum des Kreuzestodes zum Herz des Credo: „crucifixus est etiam pro nobis sub Pontio Pilato“ heißt es im Glaubensbekenntnis seit 381, dem Konzil von Konstantinopel, bis heute. Bis heute blühen auch wilde Phantasien, Jesus sei nicht wirklich gestor- ben, sondern irgendwie entkommen. Auch der Koran leugnet den Tod Jesu. Es will damals wie heute nicht in den Sinn kommen, weshalb ein Erlöser stirbt und wie ein Gekreuzigter der Retter der Welt sein kann. Gegen diese Verdrängung sind die Passionsgeschichten geschrieben. Ohne den Kreuzestod Jesu gäbe es die Kirche und den christlichen Glau- ben nicht, nicht die Kultur des Mitleids, die Einsicht in die Würde der ge- schundenen Kreatur, auch nicht den „Standard des Realismus“, wie Hans Blumenberg sagt, „an dem fortan alles zu messen war, was Wirklich- keit zu sein beanspruchte“, 3 schon gar nicht die Ästhetik des Häßlichen, des Gebrochenen, Gescheiterten, von der die ganze Moderne geprägt ist. Aber anders als der Philosoph meint, verdrängt die Auferstehung nicht die Passion Christi, sondern offenbart gerade ihre Irreversibilität, also ihre geschichtliche Substanz. Denn durch die Auferstehung wird of- fenbart, daß die Passion nicht nur ein, sondern das geschichtliche Ereig- nis ist, das sub specie Dei den Sinn von Geschichte überhaupt erschließt. 2 Pieter Brueghel d. J., Kreuzigung (1617), Öl auf Holz, 82 × 123 cm, Museum der Bilden- den Künste, Budapest. Vgl. Pieter Brueghel der Jüngere – Jan Brueghel der Ältere. Flämi- sche Malerei um 1600. Tradition und Fortschritt (Kulturstiftung Ruhr, Villa Hügel Es- sen, 16. August – 16. November 1997; Kunsthistorisches Museum, Wien, 9. Dezember 1997 – 14. April 1998. Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Antwerpen, 2. Mai – 26. Juli 1998). Redaktion des Kataloges: Klaus Ertz, Lingen 1997. 3 Hans Blumenberg, Matthäuspassion, Frankfurt a. M. 1988, 304.

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