Karl Lenz / Robert Hettlage (Hg.) Goff man Handbuch Leben – Werk – Wirkung Goffman-Handbuch Karl Lenz · Robert Hettlage (Hrsg.) Goffman-Handbuch Leben – Werk – Wirkung Hrsg. Karl Lenz Robert Hettlage Technische Universität Dresden Basel, Schweiz Dresden, Deutschland ISBN 978-3-476-05870-6 ISBN 978-3-476-05871-3 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-476-05871-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2022 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 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Metzler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany Vorwort Anlässlich seines 100. Geburtstages erscheint das Goffman-Handbuch. Er- ving Manual Goffman – so sein voller Geburtsname, den er mit Ausnahme seiner Masterarbeit bei allen Publikationen auf den ersten Vornamen ein- gekürzt hat – ist 1922 in dem kanadischen Dorf Mannville in der Provinz Alberta geboren. Alberta ist die westlichste der sog. Prärieprovinzen Ka- nadas mit Edmonton als Hauptstadt. Vielfach – und nicht nur in deutsch- sprachigen Publikationen – wird sein Geburtsort falsch geschrieben, was aufgrund des in der englischen Sprache ungewöhnlichen Doppel-N auch nicht verwundert. Mannville wurde noch zu dessen Lebzeiten nach dem ka- nadischen Eisenbahnpionier Donald Mann (1853–1934) benannt und wird entsprechend der deutschen Schreibweise seines Namens geschrieben. Im deutschsprachigen Raum hat sich ein weiterer Fehler eingeschlichen, der z. T. fortgeschrieben wird. Dieser betrifft Goffmans Geburtsdatum: Er ist nicht im Juli 1922 geboren, sondern am 11. Juni. An seinen Geburtsort dürfte er nur wenig Erinnerung gehabt haben, da seine Eltern schon als er vier Jahre alt war, in die Kleinstadt Dauphin in der Provinz Manitoba umzogen. Zur Kernfamilie gehörte seine drei Jahre äl- tere Schwester Frances, die später unter dem Namen Frances Bay als Schau- spielerin Karriere machte, wie ihre 2008 – drei Jahre vor ihrem Tod – er- folgte Aufnahme in Canada’s Walk of Fame deutlich macht. (In Deutsch- land dürfte ihre Rolle als schrullige Großmutter in dem Film Happy Gilmore, der 1996 in die deutschen Kinos kam, ihr größter Erfolg gewesen sein). Seine Mutter Anne – manchmal auch nur Ann – mit Geburtsnamen Aver- bach (1899–1989) und sein Vater Max Goffman (1890–1954) stammen aus dem ausgedehnten russischen Zarenreich, näher geografisch lokalisiert aus der heutigen Ukraine (der oder die Herkunftsort/e ist/sind nicht verbürgt). Beide waren jüdischen Glaubens, sind getrennt im Zuge einer großen Aus- wanderungswelle vor dem Ersten Weltkrieg nach Kanada emigriert und hei- rateten gegen Ende des Weltkrieges. Während sein Vater mehr oder minder auf sich gestellt war, gehörte seine Mutter einer erweiterten Familie an, die auf dem neuen Kontinent sehr schnell wirtschaftlich Fuß fasste. Dieses unter- schiedliche soziale Kapital hatte auch auf die Machtbalance in der Familie V VI Vorwort Auswirkung; seine Mutter wird als die starke Person beschrieben (Cavan 2014). Mithilfe ihrer Familie konnte sein Vater zunächst ein Geschäft in Mannville gründen und später ein Bekleidungsgeschäft in Dauphin, das er auch fortführte, als die Familie 1937 in die 350 km entfernte Hauptstadt von Manitoba und Metropole Winnipeg zog – in die Stadt, in der die Eltern sich auch kennenlernten. Der Wunsch, Anschluss an eine größere jüdische Ge- meinde zu bekommen, dürfte für diesen Ortwechsel ausschlaggebend ge- wesen sein. Der Antisemitismus war in dieser Zeit in Kanada stark verbreitet (Cavan 2014, 49 f.) und dieser dürfte schon früh – wie auch seine geringe Körpergröße – zu Goffmans Grunderfahrung des Andersseins beigetragen haben. (Alle seine überlieferten Kosenamen, z. B. „peerie Goffman“ aus der Zeit auf der Insel Unst, nehmen auf seine Körpergröße Bezug). Nach einem abgebrochenen Chemiestudium, einer biografischen Such- phase, in der er auch bestrebt war, dem Militärdienst während des Zwei- ten Weltkriegs – verbunden mit seiner großen Angst, als kleingewachsene Person besonders leicht zum Opfer zu werden – zu entgehen, hat Goffman 1943 begonnen, Soziologie zu studieren, zunächst in Toronto und dann spä- ter in Chicago. Dort schloss er 1949 sein Masterstudium und 1953 seine Promotion erfolgreich ab (ausführlicher s. Kap. 1; zur Aufhellung seiner Biografie, die Goffman selbst im Verborgenen halten wollte, haben ganz wesentlich die zahlreichen Interviews und Materialsammlungen von Yves Winkin sowie das Erving Goffman Archives, kurz EGA, mit vielen Lebens- erinnerungen beigetragen. Mehr zu seiner Biografie: Winkin 2022). Vom Außenseiter zum Klassiker der zweiten Generation Nach einem eher schleppenden Start nahm seine wissenschaftliche Karriere dann rasch an Fahrt auf. Seine erste Buchveröffentlichung The Presentation of Self in Everyday Life – zunächst 1956 in einer Schriftenreihe der Uni- versity Edinburgh und 1959 in einer überarbeiteten Fassung auf dem ame- rikanischen Buchmarkt erschienen – hatte bereits eine hohe Aufmerksam- keit erlangt. Für dieses Werk wurde er von der American Sociological As- sociation 1961 mit dem McIver Award ausgezeichnet. Auch der Sprung an eine Universität gelang Ende der 1950er Jahre. Er bekam eine Anstellung an der University of Berkeley, an der Herbert Blumer bereits tätig war. Blumer hatte diese Anstellung aber offenkundig nicht gefördert, sondern verhehlte seine Skepsis gegenüber der Person Goffmans nicht (Winkin 1999). Nach kontroverser Diskussion entschied sich die Kommission mit starker Unter- stützung durch ein Gutachten von Everett C. Hughes für Goffman als Nach- folger von Tamotsu Shibutani (1920–2004), zunächst als Visiting Assistant Professor und ab 1962 als Full Professor. In Berkeley wurde dann der Mythos Goffman geboren. In den 1960er Jahren avancierte er für die Studierenden zu einer Art Kultfigur. Für die im Aufbruch befindlichen Student/innen verkörperte Goffman den Norm- konformismus (Lofland [1984], 2000; Marx [1984], 2000). Diese Haltung hat Bennett M. Berger (1973) bereits im Titel des Aufsatzes A Fan Letter on Erving Goffman zum Ausdruck gebracht. Die frühen 1960er Jahre waren zu- gleich für seinen wissenschaftlichen Output eine enorm produktive Zeit; in den Jahren 1961 und 1963 veröffentlichte er jeweils zwei Bücher (AS; EN Vorwort VII bzw. BP und ST). Trotz alledem hatte Goffman noch lange das Image eines Außenseiters, der sich mit den kuriosen Details des Alltags befasst, der wegen seines guten Schreibstils als eine Art soziologisch inspirierter – und vielleicht auch inspirierender – Belletrist gelesen wird (Hettlage/Lenz 1991; Raab 2014). Verbreitet war eine Steinbruch-Rezeption, bei der einzelne Konzepte aus dem Werk aufgegriffen wurden, ohne dass deren Verankerung weiter gewürdigt worden wäre. Sein Schaffen galt primär als soziologisches Unterhaltungsprogramm, das für eine Hinführung zur Soziologie wertvoll sein kann und aus dem man gelegentlich auch etwas schöpfen kann, das aber vom harten Geschäft der Disziplin – sei es die soziologische Theorie oder die quantifizierende Empirie – weit entfernt sei. Ein grundlegender Umschwung setzte erst in den späten 1970er Jah- ren ein, vor allem nach seinem frühen Tod 1982. Möglicherweise war seine Präsidentschaft in der American Sociological Association bereits Ausdruck dieses Wandels, auch wenn diese für viele damals noch überraschend war. Voraussetzung für diesen Umschwung war eine starke Pluralisierung des Faches sowohl in der Theorie wie auch in der Empirie. Die Dominanz des Strukturfunktionalismus endete zugunsten einer theoretischen Perspektiven- vielfalt und die stark an den Rand gedrängte qualitative Sozialforschung er- lebte eine Wiedergeburt. Inzwischen hat Goffman nicht nur durch seine em- pirischen Studien, sondern ebenso als soziologischer Theoretiker einen Stammplatz in der soziologischen Ahnengalerie (Collins [1980], 2000; Gid- dens [1988], 2000). Nur einige wenige Belege mögen dafür ausreichen: Im Wiley-Blackwell Companion to Major Social Theorists, herausgegeben von George Ritzer und Jeffrey Stepnisky (2011) ist Goffman ebenso vertreten wie in Klassiker der Soziologie von Dirk Kaesler (2020). In einer Reihe von Ein- führungsbüchern zur soziologischen Theorie (z. B. Turner 2003; Gertenbach/ Kahlert/Kaufmann u. a. 2009; Keller 2012; Schroer 2017) wird das Werk von Erving Goffman inzwischen als ein eigenständiger Theorieansatz aufgeführt. Für die Entdeckung und Verbreitung Goffmans in Deutschland kommt sicherlich Jürgen Habermas eine große Bedeutung zu, der mit ihm auch in einem persönlichen Austausch stand (s. Kap. 1). Schon früh hat Haber- mas ([1968], 1973) Konzepte von Goffman aufgegriffen, so das der Rollen- distanz sowie der persönlichen und sozialen Identität, letztere wenngleich mit verändertem Bedeutungsgehalt. Nach einer anfänglichen „Steinbruch“- Rezeption hat er später auch den theoretischen Anspruch Goffmans an- erkannt. Das Grundkonzept seines Hauptwerkes – das kommunikative Han- deln – kontrastiert Habermas (1981) mit drei Handlungsbegriffen, darunter das dramaturgische Handeln. In dieser Form kommt dieser Begriff bei Goff- man zwar nicht vor; deutlich erkennbar ist allerdings, dass damit Bezug ge- nommen wird auf den in seinem Erstlingswerk ausführlich beschriebenen unausweichlichen Zwang zur Darstellung des Selbst in Interaktionen. Zu vermuten ist, dass Habermas entscheidenden Anteil daran hatte, dass das im Original 1963 veröffentlichtes Werk Stigma als erste deutschsprachige Übersetzung in der Reihe Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft (stw) er- schienen ist. Fünf weitere Bücher aus der Feder von Goffman (in die- ser Reihenfolge: IR; AS; RP; FA und GA) wurden in der Folgezeit im Suhrkamp-Verlag publiziert. VIII Vorwort Dass Goffman in Deutschland mittlerweile eine hohe Anerkennung als Theoretiker besitzt, dazu hat auch der von den Herausgebern dieses Hand- buches publizierte Reader Erving Goffman. Klassiker der zweiten Gene- ration (Hettlage/Lenz 1991) beigetragen. Aufbauend auf der im amerika- nischen Raum bereits angelaufenen Entdeckung und Anerkennung von Goffman als soziologischen Theoretiker wollten wir gegen die in Deutsch- land damals noch dominante verkürzte Rezeption und die verengte Zu- ordnung zum Symbolischen Interaktionismus auf den theoretischen Ge- halt seines Werkes und auf seine Originalität aufmerksam machen. Mit der Formel ‚Klassiker der zweiten Generation‘ sollte deutlich werden, dass er zwar nicht wie Max Weber,Georg Simmel oder Émile Durkheim einen Beitrag zur Grundlegung des Faches geleistet hat, von ihm jedoch wesent- liche Impulse für die Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung der Sozio- logie ausgegangen sind. Seine bleibende Leistung ist die Etablierung der Interaktion als eigenständiger Gegenstandsbereich der Soziologie, der sich weder durch Rekurs auf die Subjektivität der einzelnen Beteiligten noch durch die Einbettung in umfassendere soziale Einheiten (soziale Organisa- tion oder Gesellschaft) hinreichend erfassen lässt. Wie die – in seiner Dis- sertation (Communication Conduct in an Island Community) und in sei- ner Präsidentenadresse (The Interaction Order) verwendete – Benennung seines Theorie- und Forschungsprogrammes als interaction order (Inter- aktionsordnung) zum Ausdruck bringt, geht es ihm vor allem um wieder- kehrende Ordnungsmuster – um Strukturen – in den Begegnungen mehre- rer Personen in einer sozialen Situation. Diese Ordnungsmuster – Goffman spricht vielfach auch von Regeln – ergeben sich für ihn vor allem aus dem wechselseitigen Anspruch der Subjekte auf rituelle Sorgfalt. Deutlich wird, dass für ihn die Subjekte immer Teil der Interaktion sind. Die rituellen An- forderungen verweisen auf kulturelle Grundlagen, die diese nicht erst ge- schaffen haben, sondern stets bereits vorfinden. Bei der Erschließung Goffmans für das Lesepublikum im deutsch- sprachigen Raum und damit auch für die Anerkennung als Theoretiker kommt zweifellos Hubert Knoblauch eine herausragende Stellung zu. Unter dem Titel Interaktion und Geschlecht hat er 1994 die Präsidentenadresse The Interaction Order und den Artikel Arrangement between the Sexes in deut- scher Übersetzung mit einem eigenverfassten Vorwort und einem Nach- wort von Helga Kotthoff (mit Fokus auf den zweiten Text) herausgegeben. Der nach einem Jahr Amtszeit scheidende Präsident der American Socio- logical Association hält am Ende der Jahrestagung traditionsgemäß einen Vortrag. Goffman hatte diesen noch geschrieben, konnte ihn aber auf- grund seiner weit fortgeschrittenen Krebskrankheit nicht mehr selbst hal- ten. Einer langen Tradition folgend wird dieser Vortrag dann im ersten Heft des neuen Jahrgangs der Zeitschrift American Sociological Review veröffent- licht. Goffmans nicht gehaltene Präsidentenadresse ist 1983 erschienen und ist gleichsam ein Vermächtnis, da er in weiten Teilen einen Überblick über das Anliegen seines Lebenswerkes gibt. Der zweite Text in diesem Über- setzungsband hat in der Geschlechterforschung eine breite Aufnahme ge- funden. Knoblauch hat darüber hinaus weitere Goffman-Texte übersetzt und herausgegeben. So die vergriffene Übersetzung von Behavior in Public Vorwort IX Places – ursprünglich auf Deutsch 1971 erschienen, aber wenig beachtet – in einer verbesserten Fassung mit dem neuen Titel Interaktion im öffentlichen Raum. In seinem herausgegebenen Sammelband Kommunikative Lebens- welten (1996) hat Knoblauch die postum erschienene, von Lyn H. Lofland herausgegebene Mitschrift eines Vortrags von Goffman zur Feldforschung dem deutschen Lesepublikum zugänglich gemacht. Bei diesem Text handelt es sich um eine heimliche Aufzeichnung seines Vortrages beim Treffen der Pacific Sociological Association 1976. Goffman hatte die Publikation seines Vortrages ausdrücklich abgelehnt. Entgegen seiner Verfügung, dass aus sei- nem Nachlass nichts veröffentlicht werden darf, konnte dieser Text mit Zu- stimmung seiner Witwe Gillian Sankoff erscheinen. Schließlich hat Knob- lauch zusammen mit Christine Leuenberger und Bernt Schnettler auch Goff- mans letztes Buch Forms of Talk in einer Teilübersetzung – die ersten drei der insgesamt fünf Beiträge –, ergänzt mit Goffmans letzten Artikel Felicity’s Condition im Buch Rede-Weisen. Formen der Kommunikation in sozialen Si- tuationen (2005) übersetzt und mit einem Vorwort herausgegeben. Goffman hat nicht nur Eingang in Überblicksdarstellungen gefunden, es liegen mittlerweile auch mehrere deutschsprachige Einführungen in sein Werk vor. Die erste hat der Wiener Soziologe Horst Reiger 1992 (3. Aufl. 2000) vorgelegt, welche auf das Kernprogramm Goffmans Bezug nimmt, aber sich vor allem auf die frühen Arbeiten konzentriert. Auf das Gesamt- werk von Goffman mit reichhaltigen Bezügen und eine breitere Rezep- tion der internationalen Diskussion nimmt die Einführung von Jürgen Raab ([2008] 2014) Bezug, die in der Reihe Klassiker der Wissenssoziologie, herausgegeben von Bernt Schnettler, erschienen ist. Raabs Einführung liegt inzwischen (2019) unter dem Titel Erving Goffman: From the Perspective of the New Sociology of Knowledge in einer englischsprachigen Übersetzung vor. Eine weitere Einführung hat 2014 Michael Dellwing veröffentlicht, in dem ebenfalls der gesamte Goffman behandelt wird, wobei es das besondere Anliegen ist, den Empiriker sichtbar und verständlich zu machen. Weit mehr als eine Einführung ist das Buch Rahmen und Habitus (1997) von Herbert Willems. Willemsʼ Anliegen ist es, die Systematik im Werk Goffmans aus der Rahmenanalyse, das als sein Hauptwerk aufgefasst wird, zu rekonstru- ieren. Dabei wird verdeutlicht – mit ausführlichen Bezügen auf Pierre Bour- dieu –, dass seine Rahmentheorie eine Habitustheorie einschließt. Neben die- ser theoretischen Rekonstruktionsarbeit möchte Willems Goffmans methodi- sches Programm aufzeigen, das dieser weitgehend verborgen gehalten hat. Noch deutlich umfangreicher ist die Sekundärliteratur zu Goffman im englischsprachigen Raum. An erster Stelle ist die vierbändige Sammlung von Aufsätzen zum Werk von Erving Goffman zu nennen, die Gary Alan Fine und Gregory W.H. – oft auch nur Greg – Smith im Jahr 2000 in der Reihe Sage Masters of Modern Social Thought zusammengestellt haben. Die vier Bände umfassen neben der Einführung, an der neben den Heraus- gebern auch Philip Manning mitgeschrieben hat, 91 thematisch geordnete Aufsätze, die in den 1980er und 1990er Jahren entstanden sind. Auch wenn seither zwei Jahrzehnte mit einer Fülle neuer Publikationen vergangen sind, bildet diese Aufsatzsammlung weiterhin einen Grundstock für das Ver- ständnis des Werkes von Goffman. Im englischsprachigen Raum gibt es zu- X Vorwort dem eine ganze Reihe von Einführungen. Schon Anfang der 1990er Jahre hat Tom Burns eine umfangreiche Einführung vorgelegt, die heute noch mit ihren Detailkenntnissen beeindruckt. Burns (1913–2001) hatte von 1964 bis zu seiner Emeritierung 1981 an der University of Edinburgh eine Soziologieprofessur inne. Da Burns an dieser Universität schon seit 1949 als Lecturer tätig war, hatte er Goffman in dessen Zeit in der schottischen Hauptstadt auch persönlich kennengelernt. Smith (2013, 58) äußert sogar die Vermutung, dass der Titel für Goffmans erstes Buch, der ursprünglich The Management of Impressions in Social Establishments lauten sollte, auf einen Vorschlag von Burns zurückgeht. Burns hatte das Manuskript für die Erstveröffentlichung an das Social Sciences Research Centre der University of Edinburgh weitergeleitet. Im gleichen Jahr wie Burns verfasste auch Phi- lip Manning (1992) eine sehr profunde Einführung. Weitere wichtige und sehr lesenswerte Einführungen stammen von Gregory W.H. Smith (2006), Yves Winkin/Wendy Leeds-Hurwitz (2013), Michael Hviid Jacobsen/Søren Kristiansen (2015), Ramon Vargas Maseda (2017) und Anders Persson (2019). Schon die Internationalität dieser Autor/innen, die neben den USA aus Großbritannien, Frankreich, Dänemark, Mexiko und Schweden stam- men, lässt die Breite der Rezeption seines Werkes erkennen. Darüber hinaus sind noch einige Sammelbände zu nennen. Der erste Sammelband The View of Goffman ist noch zu Goffmans Lebzeiten erschienen, herausgegeben vom schottischen Kriminologen Jason Ditton (1949–2015). Als weitere wichtige Sammelbände sind zu nennen: Erving Goffman: Exploring the Interaction Order herausgegeben von Paul Drew und Anthony Wootton (1988), Beyond Goffman von Stephen Harold Riggens (1990), Goffman and SocialOrgani- zation von Smith (1999), Goffman’s Legacy von A. Javier Treviño (2003) und The ContemporaryGoffman von Michael Hviid Jacobsen (2010). Hingewiesen werden soll auch noch auf das Erving Goffman Archives (EGA), das unter der Adresse http://cdclv.unlv.edu/ega/ verfügbar ist. Auf- gebaut wurde es von dem aus Russland stammenden Dmitri Shalin, der eine Professur für Soziologie an der University of Nevada, Las Vegas (UNLV) inne hatte. Auch wenn das Archiv aktuell nicht mehr gepflegt wird und folg- lich einige Links ins Leere führen, ist es weiterhin eine wichtige Quelle. Neben biografischen Informationen finden sich dort eine Reihe von Auf- sätzen und unveröffentlichten Texten, so z. B. seine Dissertation (CCoIC) und der dieser Arbeit vorausgehende „Draft“. Anliegen und Aufbau des Handbuches Was ist das Anliegen dieses Handbuches? Es möchte einen Zugang zu Goff- mans Werk vermitteln, die theoretischen Kontexte aufzeigen, die auf sein Werk eingewirkt haben, und zugleich auch seine Wirkungen innerhalb und außerhalb des Faches nachzeichnen. Das Handbuch ist sehr breit angelegt, die einzelnen Beiträge sind allerdings kurz gehalten und sollen einen kom- pakten Überblick zum Einstieg in das Thema und in die Debatte ermög- lichen. Durch eine straffe Gliederung der Beiträge soll das Handbuch ein nützliches Arbeitsinstrument sein, das dazu beitragen kann, sich leichter in das Gesamtwerk Goffmans einzuarbeiten und es für eigene wissenschaft- liche Zwecke zu erschließen.