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Goethe und Schiller im wechselseitigen Vor-Urteil PDF

65 Pages·1967·1.742 MB·German
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ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN GEISTESWISSENSCHAFTEN 117. SITZUNG .AM 20. OKTOBER 1965 IN DüSSELDORF ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN GEISTESWIS SENSCHAFTEN HEFT 135 BENNO VON WIESE Goethe und Schiller im wechselseitigen V or-Urteil HERAUSGEGEBEN IM AUFTRAGE DES MINISTERPRÄSIDENTEN HEINZ KüHN VON STAATSSEKRETÄR PROFESSOR Dr. h. c. Dr. E. h. LEO BRANDT BENNO WIESE VON Goethe und Schiller im wechselseitigen Vor-Urteil SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH ISBN 978-3-663-00600-8 ISBN 978-3-663-02513-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-02513-9 © 1967 by Springer Facbmedien Wiesbaden Ursprunglicherschienenbei Westdeutsmer Verlag, Köln und Opl.den 1967 Richard Alewyn zum 65. Geburtstag zugeeignet INHALT Benno von Wiese, Bonn Goethe und Schiller im wechselseitigen Vor-Urteil. . . . . . . . . . . . . . . . 9 Diskussionsbeiträge Professor Dr. phi!. Paul Böckmann; Professor Dr. phi!. Benno von Wiese; Professor Dr. phi!. Hans loachim Schrimp/; Professor Dr. phi!. Walter Hinck; Professor Dr. phi!. Richard Alewyn; Professor Dr. med. et Dr. phi!. Alwin Diemer; Professor Dr. phi!. lose/ Kroll; Prof. Dr. phi!. Klaus Günther lust; Dr. phi!. Karl Konrad Pohlheim 41 Abkürzungen: GA = Goethe, Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, hrsg. von E. Beutler, 24 Bde. u. 2 Erg.bde., Zürich 1948-64. NA = Schiller, Werke, Nationalausgabe, hrsg. von J. Petersen u. H. Schneider, fortgef. von L. BlumenthaI u. B. v. Wiese, Weimar 1943 H. WA = Goethes Werke. Weimarer Sophien-Ausgabe, Weimar 1887 H. Jonas = Schillers Briefe, hrsg. von F. Jonas, 7 Bde., Stuttgart 1892-96. Schiller-Humboldt = Briefwechsel, hrsg. von A. Leitzmann, Stuttgart 1900. In dem späteren Bericht Goethes über seine erste Bekanntschaft mit Schiller erwähnt er dessen Aufsatz »über Anmut und Würde" und spricht von ge wissen harten Stellen, die ihm sein eigenes Glaubensbekenntnis in ein fal sches Licht zu rü<:ken schienen Damit war wohl jene Anmerkung über das 1. Genie gemeint, von dem Schiller als "bloßem Naturerzeugniß" recht gering schätzig gesprochen hatte Zwar dürfte er damit kaum Goethe gemeint 2. haben, aber dieser reagierte trotzdem empfindlich. Nur ein Jahr später, am 23. August 1794, folgt jener berühmte Geburtstagsbrief Schillers an Goethe, in dem, wie es in der Antwort hieß, "die Summe" der Goetheschen Existenz gezogen wurde; ein weiteres Jahr darauf erscheint die Schrift "über naive und sentimentalische Dichtung", die mit ihrer Zweiteilung der Dichter auch noch den Gegensatz zwischen Goethe und Schiller zum mindesten indirekt andeutet 3. Seitdem haben zahlreiche Generationen vom "Idealisten" Schiller und vom "Realisten" Goethe, vom sentimentalischen Dichter Schiller und vom naiven Dichter Goethe gesprochen. Das leuchtete um so mehr ein, als Schiller in seiner Schrift die Dichter als die "Bewahrer der Natur" definiert hatte, eine Umschreibung, die so weit gefaßt war, daß die beiden Großen sich nun mehr das Königreich der Dichtung teilen durften: der eine ist die Natur selbst, existiert in übereinstimmung mit ihr; der andere ist suchend zu ihr auf dem Wege, weil Natur in der neueren Welt bereits verloren ist und es nunmehr einer besonderen Kühnheit bedarf, um sie auf dem Wege über ein denkendes Dichten erneut zurü<:kzugewinnen. Die Natur sein und die verlo rene Natur suchen, beides wird von Schiller als dichterische Bewahrung der Natur verstanden. 1 In: Erste Bekanntschaft mit Smilier (GA 12, S. 621); fast gleimlautend in: Glücklimes Ereignis (GA 16, S. 866). 2 Vgl. NA 20, S. 275. a Vgl. Goethe an Smilier vom 29. November 1795 (GA 20, S. 132), Tagebumnotiz vom 15. Juni 1797 (GA, Erg.bd. 2, S. 211); ferner: Einwirkung der neueren Philosophie (GA Nr. 16, S. 876 f.) und: Goethe zu Eckermann am 21. März 1830 (GA 24, S. 405 f.). 10 Benno von Wiese Vergleicht man den Geburtstagsbrief von 1794 mit den typologischen Un terscheidungen der Schrift von 1795, so ergeben sich merkwürdige Wider sprüche. Was Schiller dort und im Brief vom 31. August 1794 über Goethe gesagt hat, macht diesen weit mehr zum sentimentalischen als zum naiven Dichter, während er hier, in der Schrift von 1795, Goethe als den Prototyp des naiven Dichters, selbst noch in unnaiver Zeit, begreift. In erster Linie dürfte Schiller bei seiner früheren Charakteristik an Goethes "Iphigenie" gedacht haben. Und eben von ihr hat Goethe ja später selbst gemeint, sie sei "verteufelt human" und modern 4. Worin lag für Schiller das rätselhaft Großartige und zugleich Beunruhi gende, das ihn zur spekulativen Deutung der Goetheschen Existenz ver lockte? Er fühlte sich ihr fern und nah zugleich: fern, weil Goethe in seiner Dichtung ohne das analytisch unterscheidende Denken auskam und sein An schauen immer schon ein Erkennen, sein Erkennen immer zugleich auch ein Anschauen war; nahe, weil Schiller, wie als erster Wolfgang Schadewaldt richtig gesehen hat das Verständnis der Goetheschen Art zu dichten mit 5, Forderungen an sich selbst vermischt hat und daher in Goethe ein geheimes Wunschbild hineinträgt, dem nacheifernd er, Schiller, sich selbst als Dichter eigentlich verstehen und verwirklichen möchte. Denn schon in den Jahren 1788 bis 1794 ging er den Weg zur "Classizität" und "Simplicität" und 6, nicht so sehr Goethe, sondern er selbst war es, der, was die Wirklichkeit ihm vorenthielt, "durch Nachhilfe der Denkkraft" zu ersetzen suchte, um "so gleichsam von innen heraus und auf einem rationalen Wege ein Griechenland zu gebären" 7. Dies freilich wird in den beiden Briefen verschwiegen. Was Schiller am 31. August 1794 über sich selbst sagt, klingt nicht nur kritisch, sondern gera dezu herabsetzend. Während Goethe seine Anschauung generalisiere und I Brief an Schiller vom 19. Januar 1802 (GA 20, S. 872). Für den Einfluß des Protestantis mus, des Pietismus und der Empfindsamkeit auf die Goethesche "Iphigenie" sowie für die Verwandtschaft noch mit der Ethik Kants vgl. Arthur Henkel, Goethe, Iphi genie auf Tauris, in: Das deutsche Drama, hrsg. von B. von Wiese, Bd. 1, Düsseldorf 1958, S. 169 H., außerdem: Rudolf Alexander Schröder, Ges. Werke, Bd. 2, Frankfurt/M. 1952, S.495 H. 5 Wol/gang Schadewaldt, Schillers Griechentum, in: Schiller, Reden im Gedenkjahr 1959, Stuttgart 1961, S. 258 H.; die erwähnte Beobachtung ebd., S. 261; ähnlich jetzt auch bei Erich Heller, Geteilter Meinung über Schiller, in: Die Reise der Kunst ins Innere und andere Essays, Frankfurt/M. 1966, S. 60 f. 6 Vgl. dazu Schiller an Körner vom 20. August 1788 (Jonas 2, S. 106), an Herder vom 4. November 1795 (Jonas 4, S. 313 f.); außerdem: Benno von Wiese, Friedrich Schiller, Stuttgart 1959, S. 395 H. 7 Schiller an Goethe vom 23. August 1794 (GA 20, S. 14). Goethe und Smiller im wemselseitigen Vor-Urteil 11 seine Empfindung gesetzgebend mache, schwebe er nur als eine "Zwitter-Art, zwischen dem Begriff und der Anschauung, zwischen der Regel und der Emp findung, zwischen dem technischen Kopf und dem Genie". Ja, die Selbst unterbietung äußert sich noch krasser: "Sie haben ein Königreich zu regie ren, ich nur eine etwas zahlreiche Familie von Begriffen, die ich herzlich gern zu einer kleinen Welt erweitern möchte." Ausdrücke wie "technischer 7a Kopf", "Familie von Begriffen", "Zwitter-Art", die der Autor von 1794 hier auf sich selbst anwendet, haben später bedenklich dazu beigetragen, das Vorurteil zu verfestigen, Schiller sei mehr Denker als Dichter gewesen, ein kalter Rationalist und Techniker, dem das übermaß an Reflexion den Weg zum Ursprünglichen und Intuitiven verbaut habe. Dabei übersah man je doch, wie situationsbedingt dieses Bekenntnis war, wie sehr hier der Schiller der philosophischen Schriften, das heißt der Jahre von 1793 bis etwa 1796 spricht, der damals in der Tat seine "Familie von Begriffen" zu einer Welt im Kleinen zu erweitern suchte, während er später ganz andere Wege ging. Aber auch Psychologisches spielt hier mit hinein. Gewiß: dieser Brief wirbt um Goethe auf dem Wege der Selbstherabsetzung. Jedoch ist diese nur schein bar; denn indem Schiller den Dichter Goethe in ein so strahlendes Licht setzt, erhebt er zugleich als Denker und Analytiker einen imperatorischen Anspruch, weil er sogar einen Goethe mit seinem Schillerschen Weltentwurf, mit seiner "Familie von Begriffen" souverän zu deuten und damit indirekt zu beherrschen wagt. Zielt ja doch Schillers Intention in ihrem Endziel auf nichts Geringeres als auf den umfassenden Entwurf einer ihn immer mehr beschäftigenden "Metaphysik des Schönen" 8. Schon im Jahre 1795 hat sich Schillers Bild von Goethe gewandelt. Mit Hilfe der Kategorien des Naiven und des Sentimentalischen wird jetzt Goethe als der große Sonderfall des naiven Dichters in einem durchaus nicht mehr naiven Zeitalter verstanden. Goethe bleibt der Zeitgenosse der Grie chen, sogar noch in ungriechischer Welt. Eigentlich jedoch sind "Dichter von dieser naiven Gattung ... in einem künstlichen Weltalter nicht so recht mehr an ihrer Stelle" Schiller nennt zwar Goethe hier nicht mit Namen; aber 9. es kann kaum ein Zweifel sein, daß er in erster Linie ihn, vielleicht allerdings auch Shakespeare meint. Das Kompliment, das er ihm damit macht, ist nicht frei von Zweideutigkeit. Auf jeden Fall hat der sentimentalische Dichter dem naiven ein hohes Maß an Aktualität und Modernität voraus. Erst auf einem 7a GA 20, S. 19 f. 8 Vgl. Brief an Goethe vom 7. Januar 1795 (GA 20, S. 55). 9 NA 20, S. 435.

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