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Goethe-Parodien: Zur Wirkungsgeschichte eines Klassikers PDF

436 Pages·1995·38.007 MB·German
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Waltraud Wende Waltraud Wende . Goethe-Parodien Waltraud Wende Goethe-Parodien Zur Wirkungsgeschichte eines Klassikers MJ> VERLAG FÜR WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnalune Wende, Waltraud: Goethe-Parodien : Zur Wirkungsgeschichte eines Klassikers / Waltraud Wende. - Stuttgart : M und P, Verl. für Wiss. und Forschung, 1995 ISBN 978-3-476-45138-5 ISBN 978-3-476-45138-5 ISBN 978-3-476-04234-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-04234-7 Dieses Werk ist einschließlich aller seiner Teile geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustim mung des V~~lages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Verviel fältigungen, Ubersetzungen. Mikroverfilmungen und Einspeicherung in elek tronischen Systemen. M &c P Verlag für Wissenschaft und Forschung ein Verlag der J.B. Metzlerschen Verlagsbuchhandlung und Garl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart © 1995 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und earl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1995 INHALT I. WR THEORIE DER PARODIE 1. Voruberlegungen 7 2. Begriffsgeschichte 11 3. Aktuelle Theorien zur Parodie 27 4. Die Parodie als literarische Kommunikationsform 50 5. Verwandte literarische Phänomene 90 5.l. hnitation 90 5.2. Kontrafaktur 92 5.3. Travestie 94 5.4. Cento und Pastiche 99 5.5. Groteske, Burleske und Karikatur 102 5.6. Satire und Ironie 106 11. EINGRENZUNG DES ANALYSEFELDES 111 III. PARODISTISCHE GOETHE-REZEPTION IM KONTEXT SOZIAL-UND KULTURGESCHICHT - LICHER PROZESSE 1. Ausdifferenzierung des Literatursystems und Institutio- nalisierung der Literaturkritik 118 2. Werther im Visier parodistischer Kritik 125 3. Entfaltung des Presse-und Zeitschriftenwesens in einer Phase politischer Restauration 158 4. Beginn der Literaturgeschichtsschreibung und damit ver- bundene Kanonisierungsprozesse 180 5. Schulpflicht, Bildungsidee und Deutschunterricht 186 6. Rezeptionsgeschichtliche Akzentsetzungen: Goethe oder Schiller? 202 7. Parodistisches Schreiben im neunzehnten Jahrhundert 219 7.1. Facetten des Parodierens 219 7.2. Fonnale Strenge und Trivialisierungstendenzen 220 7.3. Politisierung 227 7.4. Betonung des komischen Effekts und Rückzug ins Private 257 7.5. Literaturkritik 269 8. Leserprofile und Printmedien 282 9. Parodistisches Schreiben im zwanzigsten Jahrhundert 296 9.1. Spektren parodistischer Textverarbeitung 296 9.2. Der Klassiker kommentiert die Modeme 300 9.3. Erneute Politisierung 307 9.4. Kritik der Goethe-Rezeption 323 9.5. Infragestellen des Originalitätsdenkens 334 9.6. Emanzipationsversuche 345 9.7. Sensibilität für den Materialcharakter der Sprache 355 IV. EXKURS: GOETHE ALS PARODIST 389 V. LITERATURVERZEICHNIS 399 1 ZUR THEORIE DER PARODIE 1. VORÜBERLEGUNGEN Trotz einer umfangreichen und vielfältigen Materialbasis kann die Parodien Forschung nach wie vor als Randgebiet der germanistischen Forschung be trachtet werden. Wer sich mit Parodien beschäftigt, "tut das nicht ohne Gewissensbisse; er muß doch wenigstens gewärtig sein, von seriösen Litera turwissenschaftlern nicht mehr gegrüßt zu werden."l Das Interesse der litera tur- und kulturwissenschaftlichen Forschung an der Textsorte Parodie reicht zwar vereinzelt bis in ästhetische und poetische Schriften des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts zurück, etabliert sich aber zum größten Teil erst in der Zeit nach 1945. Die Parodie-Forschung kann auch heute noch nicht auf ein leicht zu gängliches Textkorpus anerkannter Standardwerke zurückgreifen, sondern sie muß ihre Materialbasis -und zwar sowohl das parodistische Textceuvre wie die wissenschaftliche Literatur über parodistisches Schreiben -immer erst mühsam recherchieren. Die mittlerweile durchaus fundierte -wenn auch kei neswegs einheitliche - Begriffsbestimmung2 der Textsorte Parodie müßte dringend durch eine literatur-, kultur-und sozialgeschichtlich orientierte Dar stellung des Phänomens ergänzt werden. Es fehlen Untersuchungen zu Funk tion und Stellung des parodistischen Schreibens im literarischen und gesell schaftlichen Wandel. Das aus den siebziger Jahren stammende Resümee Wolfgang Karrers über die Situation der Parodie-Forschung besitzt bedauer licherweise nach wie vor Gültigkeit: "Die Parodieforschung hat bis heute keine befriedigende Vermittlung von Varianten und Invarianten ihres Gegen standes, von Theorie und Geschichte gefunden. ( ... ) Kurz, ( ... ) den Aussa gen der Parodien forschung fehlt es an Beschreibungs- und Erklärungsad äquanz."J Wolfgang Hecht: Vorwort. In: Ders. (Hrsg.): Frei nach Goethe. Parodien nach klassi schen Dichtungen Goethes und Schillers. Berlin 1965, S. 8. 2 Vgl. z.B.: Theodor Verweyen: Eine Theorie der Parodie. Am Beispiel Peter Rühm korfs. München 1973; Wolfgang Karrer: Parodie, Travestie, Pastiche. München 1977; Theodor VerweyenJ Gunther Witting: Die Parodie in der neueren deutschen Literatur. Eine systematische Einführung. Darmstadt 1979; Winfried Freund: Die literarische Parodie. Stuttgart 1981. 3 Wolfgang Karrer: Parodie, Travestie, Pastiche. A.a.O., S. 11. 8 Zur Theorie der Parodie Die Spannbreite des parodistischen Textkorpus reicht von der wortge treuen Gegenversion bis zur radikalen Verknappung, von der gepflegten Hochsprache bis zum umgangssprachlichen Jargon, von der reinen Blödelei bis zum philosophischen Inhalt, von der völligen Tendenzlosigkeit bis zum leidenschaftlichen Engagement. Das 'offizielle' Ansehen der oftmals als 'pa rasitär' beschimpften parodistischen Schreibweise, deren faktische Beliebtheit bei den Lesern bereits aus der großen Zahl von Parodie-Anthologien abgele sen werden kann, ist relativ gering. Aussagen, die die literarischen Fähigkei ten und Kompetenzen des Parodisten im Vergleich mit dem Originalautor als geringer -weil nicht originalschöpferisch -veranschlagen, sind als versteckte Abwertung des parodistischen Schreibens zu sehen. Das Verhältnis der Par odie zu anderen literarischen Texten wird gern und immer wieder als Gegen satz von 'geniehafter' Originalität und 'frevelhafter' Imitation, 'erhabenem' Ernst und 'gemeiner' Lächerlichkeit, 'echtem' Kunstwerk und 'After'-Kunst, 'wahrer' Dichtung und 'uneigentlicher' Nachdichtung, 'hoher' Literatur und 'minderwertiger' Trivialität beschrieben. Ein "an der Goethezeit gebildete(s) Wertempfinden" und die damit ver bundene "Überbetonung des schöpferischen Individuums" haben zur Folge, daß die Literaturwissenschaft "lange Zeit keinen Sinn für die P(arodie) als kunstvolle Nachahmung" entwickelt. Darüber hinaus haben sicherlich auch der "Glaube an die Dichtung und die Vorstellung von der besonderen Würde des Dichterberufes " nicht wenig zur Abwertung parodistischen Schreibens beigetragen.4 Die Vorstellung, daß die Parodie keine "echte innovatorische Struktur" besitze und wegen fehlender Originalität "niemals als zentrales künstlerisches Genre auftreten"S könne, ist bis heute aktuell geblieben. Will man der Komplexität und Vielschichtigkeit parodistischer Textgestaltung nur annähernd gerecht werden, ist bei der Beurteilung der spezifischen Relation von Innovation und Imitation jedoch mit Emil Staiger davon auszugehen, "daß es reine Originalität und reine Nachdichtung nicht gibt und niemals geben kann, so lange der Mensch geschichtlich existiert. ( ... ) Wem nämlich ist damit gedient, wenn jeder, der Neues zu leisten versucht, nach neuen Gesetzen Ausschau hält oder lieber noch neue Gesetze erfindet, die nur für seinesgleichen gelten? Ihm selbst vielleicht; der Eigensinn mag 4 Alfred Liede: Parodie. In: ReaIlexikon der deutschen Literaturgeschichte. Begr. von Paul Merker und Wolfgang Stammler. Hrsg. von Wemer Kohlschmidt und Wolfgang Mohr. 2. Aufl., 111. Bd., 1. Ausl., Berlin 1966, Sp. 22. 5 Jurij M. Lotman: Die Struktur literarischer Texte. Übers. v. Rolf-Dietrich Keil. Mün chen 1972, S.415. Zur Theorie der Parodie 9 ihm sein schweres Werk erleichtern. Der Kenner der Geschichte wird sich nicht so leicht verblüffen lassen. Er weiß zwar, daß es nottut, immer wieder an Unerhörtes zu glauben. Er weiß aber auch, wie bald das Unerhörte, sofern ihm Dauer beschieden ist, sich wieder als Spielart des hocherhabenen Einerlei darstellt, das über den Menschen waltet und seine An maßungen und seine Schwächen früher oder später sühnt. "6 Harold Jantz fordert dazu auf, "unsere Auffassung von künstlerischer Origi nalität" zu berichtigen, "die Benutzung solcher Kunstbegriffe" sei "nicht mehr als Beweis für Abhängigkeit und Minderwertigkeit" zu interpretieren, die Parodie könne "nicht mehr bloß als eine witzige Art des Parasitismus -ledig lich der Belustigung dienend _"7 klassifiziert werden. Und dennoch zieht sich die immer wieder thematisierte Geringschätzung des Parodierens geradezu als historische Konstante durch die Bewertungsge schichte parodistischen Schreibens: Im Jahre 1792 verteidigt Friedrich Schil ler die 'Aeneis' des Vergil gegenüber der Parodie Aloys Blumauers, die vom "Geist der Frivolität"g getragen sei. Zweiunddreißig Jahre später erklärt sich der fünfundsiebzigjährige Johann Wolfgang von Goethe zum "Todfeind" von "allem Parodiren und Travestiren", da hierdurch das "Hohe, Grosse, Edle, Gute, Zarte" heruntergezogen und "ins Gemeine verschleppt"9 werde -ein Symptom dafür, "daß die Nation, die daran Freude hat, auf dem Wege ist, sich zu verschlechtern." In seiner 'Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen' 6 Emil Staiger: Dialektik der Begriffe Nachahmung und Originalität. In: Tradition und Ursprünglichkeit. Akten des 111. Internationalen Germanistenkongresses 1965 in Am sterdam. Hrsg. im Auftrage der Internationalen Vereinigung für germanistische Sprach und Literaturwissenschaft von Werner Kohlschmidt und Hermann Meyer. Bern und München 1966, S. 29 und S. 38. 7 Harold Jantz: Kontrafaktur, Montage, Parodie -Tradition und symbolische Erweite rung. In: Tradition und Ursprünglichkeit. Akten des 111. Internationalen Germanisten kongresses 1965 in Amsterdam. Hrsg. im Auftrage der Internationalen Vereinigung für germanistische Sprach-und Literaturwissenschaft von Werner Kohlschmidt und Her mann Meyer. Bern und München 1966, S. 54. 8 Friedrich Schiller: Vorrede zu .Die Zerstörung von Troja im zweiten Buch der Aeneide<. In: Ders.: Sämtliche Werke. Säkular-Ausgabe. Hrsg. v. Eduard von der Hei len. 16. Bd., Stuttgartl BerIin o.J., S. 113. 9 Johann Wolfgang von Goethe: Über die Parodie bei den Alten. In: Ders.: Sämtliche Werke. Jubiläums-Ausgabe. Hrsg. v. Eduard von der Hellen. Stuttgartl Berlin 0.1., 37. Bd., S. 292f; vgl. auch ders.: Brief an Zelter vom 26. Juni 1824. In: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter. Hrsg. von Max Hecker. 2. Bd., Frankfurt a.M. 1987, S. 391: "Wie ich ein Todfeind sey von allem Parodiren und Travestiren hab' ich nie verhehlt: aber nur deswegen bin ich's, weil dieses garstige Gezücht das Schöne, Edle, Grosse herunterzieht, um es zu vernichten." Ob sich in dieser Bewertung der parodisti schen Schreibweise durch Goethe die herrschende Meinung über die Parodie spiegelt oder ob diese durch Goethes Verdikt erst zur herrschenden wurde, läßt sich nicht mehr überprüfen. 10 Zur Theorie der Parodie (1857)10 charakterisiert Friedrich Theodor Vischer -obwohl selbst Verfasser mehrerer Goethe-Parodien -die parodistische Schreibweise als abgeleitete und uneigentliehe dichterische Form ohne literarischen Eigenwert. Eduard Grisebach bezweifelt sogar in der 'Einleitung' zur Neuausgabe der 'Aeneis' Travestie von Alois Blumauer (1872)11 den Wert einer Parodie, die, weil sie immer auf eine Vorlage bezogen sei, nicht zu einem selbständigen Kunstwerk avancieren könne.12 Weil die Parodie das Erhabene ausschließlich aus bloßem Ulk heraus zu verunglimpfen suche und sich nicht zu einer ernsthaften Kritik form innerhalb der Literatur entwickelt habe, spricht Heinrich Schneegans im Rahmen seiner 'Geschichte der grotesken Satire' (1894)13 der parodistischen Schreibweise kurzerhand die Existenzberechtigung ab. Hans Grellmann cha rakterisiert in der ersten Auflage des 'Reallexikons' aus dem Jahre 1926 die Parodie als ein literarisches Phänomen, das "unter den literarischen Gattun gen zweifellos eine niedrige Stelle"14 einnehme; die Parodie sei "nicht nur abhängig vom ernsten Vorbild", sondern zudem ihrem "Wesen nach ver pflichtet, diesen Ernst herabzuziehen und ins Triviale und Lächerliche zu ver kehren." Benno von Wiese -der Herausgeber der Anthologie 'Die deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse' -reiht die Parodie noch im Jahre 1965 in die Sparte "Zerfall der Dichtung und seine Überwindung"IS ein. Den lediglich auf den originalschöpferischen Einzeltext blickenden Lite ratur- und Textwissenschaftler mag die große Zahl parodistisch angelegter Texte 'überraschen'; vielleicht klassifiziert er Parodien sogar als 'anrüchig' oder 'dubios', so daß sich dann eine wissenschaftliche Analyse des Phä nomens für ihn erübrigt. Parodistisches Schreiben ist jedoch ein litera- 10 Friedrich Theodor Vischer: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Hrsg. v. Robert Vischer. VI. Bd., 2. Aufl., München 1923. 11 Eduard Grisebach: Einleitung über die Parodie und die Parodisten zu Alois Blumauers >Virgils Aeneis travestirt<. Hrsg. v. Eduard Grisebach. Leipzig 1872. 12 An anderer Stelle urteilt Grisebach: "In der stufenleiter der species des komischen muss die Parodie jedenfalls die unterste einnehmen, denn nur in voraussetzung und stetem bezug auf ein schon vorhandenes original ist sie überhaupt wirksam, ja verständlich. Jedes kunstwerk ist aber ein selbständiges ganzes, eine welt für sich und aus sich selber voll deutbar und erklärlich." Eduard Grisebach: Die Parodie in Österreich. In: Ders.: Die deutsche Literatur 1770-1870. Beiträge zu ihrer Geschichte mit Benutzung handschriftlicher Quellen. 2. theilweise umgearb. Aufl., Stuttgart 1877, S. 178. 13 Heinrich Schneegans: Geschichte der grotesken Satire. Straßburg 1894. 14 Hans Grellmann: Parodie. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Hrsg. von Paul Merker und Wolfgang Stammler. 11. Bd., Berlin 1926/28, S. 633. 15 Benno von Wiese (Hrsg.): Die deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse. 19. Jahrhun dert. München 1965. Einleitung.

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