Peter N oller Globalisierung, Stadträume und Lebensstile Peter Noller Globalisierung, Stadträume und Lebensstile Kulturelle und lokale Repräsentationen des globalen Raums Leske + Budrich, Opladen 1999 Für Fritz, für den alles nur ein Spiel ist! Gedruckt auf säurefreiem und alters beständigem Papier. ISBN 978-3-8100-2179-3 ISBN 978-3-663-01293-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-01293-1 © 1999 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt Einleitung ................................................................................................... 9 Teilt: Soziologie als kulturelle Praxis ..................................................... 19 1. Globalisienmg und Soziologie ............................................................. 19 2. Soziologie als Repräsentationsarbeit ... .... ....... ....... ...... ... ......... ............. 23 3. Kulturelle Moderrtität .......................................................................... 25 4. Soziologie des Postmoderrtismus ......................................................... 27 5. Der urbane Raum als Untersuchungsfeld globalen Wandels ............... 30 6. Zur Methode ... ....... .................... ........... ...... ................ ... .... .... ...... ..... ... 35 Teil 2: Kultur der Modeme und kallitalistische Ökonomie .................. 41 1. Pluralisienmg und Fragmentierung ..................................................... 41 2. Kultur als konstitutives Element der Gesellschaft ............................... 44 3. Gesellschaftstheoretische Ansätze zu einer Theorie der Modeme 50 Teil 3: Globalität: Repräsentationen eines veränderten WeItverständnisscs 61 1. Gesellschaftlicher Wandel und sozialwissenschaftliche Theoriebildung .......... ............ ............... ......... ......... ...... ............ ............ 62 2. Postfordislnus.............. .......... ...... ....... .................... ...... ........ ... ...... ....... 67 3. Postmoderrtislnus ................................................................................. 72 4. Vom organisierten zum desorganisierten Kapitalismus ...................... 78 5. Globalisierung ...................................................................................... 84 6. Diskussion der Ansätze ........................................................................ 95 7. Ansätze zu einer Soziologie des globalen und postmodernen Raums.................. .............................. ......... .... .... .......... 98 Teil 4: Stadt-Räume: Globale Repräsentationen im lokalen Raum 107 A: Die globale Stadt ................................................................................. 108 1. Repräsentationen des Ramnes .............................................................. 108 5 2. Neue Raulntypen................................ ........ .................. ............ ............. 115 3. Der global city-Ansatz ......................................................................... 118 4. Beispiel: Frankfurt am Main ................................................................ 126 B: Die postmoderne Stadt ......................................................................... 135 21.. PSotasdtmtlaonddesrcnhea Aftrecnh diteerk Mtura cuhntd .......................................... . 135 Ök~'~~;ci~':" Frankfurt als "gemütliches New York" ............................................... 140 3. Hedonistischer Erlebniskonsum ........................................................... 148 4. Nicht-Orte und liminale Räume .......................................................... 151 5. Zwischen Massenkultur und Kunst: Museum und Kaufhaus .............. 155 6. Repräsentationen von Öffentlichkeit .................................................... 161 7. AIlsätze zu einer Theorie des konsumptiven RaUlns ........................... 168 TciI 5: Lebcnsstil: RCI)räscntationcn global o';cnticl1cr Bcmfsmilicus ......... .............. .............. ............ 179 A: Global orientierte Berllßmilielis ......................................................... 179 I. Transnationale Klasse oder Elite? ........................................................ 181 2. AIlgestellte in Deutschland .................................................................. 185 3. Lebensstile und Berufsmilieus 187 B: Dienstleister in FranJ..:Iilrt alll A1ain .................................................... . 196 a. Berufszentrierte Lebensstile ................................................................ . 196 I. Ramn der Berufsmilieus ..................................................................... . 196 2. Raum der Lebensstile und der Lebensziele ......................................... . 201 b. Weltbilder und Einstellungen ............................................................. . 203 1. Arbeitswelt .......................................................................................... . 204 2. Technikbilder ...................................................................................... . 220 3. Städtische Raumbilder ........................................................................ . 227 4. Multikulturalität .................................................................................. . 236 C: Globale Postmoderne ......................................................................... . 245 Schlußbetrachtung ... ...... ..... ......... .......................... ... .......... .............. .... ...... 253 Literatur 257 Anhang ....................................................................................................... 288 6 Danksagung Die Forschungen zu den vorliegenden Studien gehen zum Teil auf Projektar beiten am Institut für Sozialforschung in Frankfurt zurück. Mein Dank gilt den Mitarbeitern sowie dem Direktorium des Instituts für die Unterstützung der Arbeit. Mein besonderer Dank gilt Klaus Ronneberger, von dem ich viel über die global city gelernt habe. Auf ihn gehen zahlreiche Gedanken zurück, die ich mir im Laufe der jahrelangen intensiven Zusammenarbeit zu eigen gemacht habe. Werner Georg, Marianne Rodenstein, Tilla Siegel und Heinz Steinert haben die Studien kritisch kommentiert und mir wertvolle Anregun gen gegeben. Das lebhafte Interesse von Studierenden in meinen Seminaren an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt hat mich zur Wei terarbeit motiviert. RUtil Fühner habe ich zu danken, daß sie das ganze Manu skript durchgelesen und mit mir diskutiert hat. Ulrike Schöbel hat mit viel Sorgfalt und Geduld die Druckvorlage erstellt. 7 Einleitung Wissenschaftliches Forschen ist methodisch kontrolliertes Lernen. Die Er gebnisse eines solchen Lernprozesses entspringen nicht dem "objektiven" Geist einer internen wissenschaftlichen Logik, sondern der von professionel ler Praxis, individuellen Interessen und diskursiven Interventionen geleiteten Aneignung von Wissen über einen längeren Zeitrawn hinweg. So haben auch die nachfolgenden Studien ihre Geschichte. Sie sind das Fazit einer For schungsarbeit, die den ursprünglichen Rahmen der empirischen Analyse von Phänomenen des globalen Wandels im städtischen Raum überschritt, weil in ihrem Verlauf sich zunehmend Fragen nach den theoretischen und methodi schen Grundlagen einer Soziologie des Globalen stellten. Das Projekt nahm seinen Ausgangspunkt Anfang der neunziger Jahre mit einer Studie über den Zusammenhang zwischen der weltweiten Ausweitung der neuen Technologien und der Entfaltung von Urbanität und Lebensstilen (vgl. NollerfRonneberger 1995). Die Untersuchung knüpfte an Hypothesen der Stadt-, Ramn- und Lebensstilforschung an, wonach die Auswirkungen der neuen Teclmologien sowohl Prozesse der Enträumlichung als auch neue Formen der Konzentration an spezifischen Orten und Städten hervorbringen. Vermutet wurde, daß sich in den sogenannten global eities die Berufsgruppen der global orientierten Dienstleister konzentrieren und verändern. Damit wurde ein Wandel sozialer Beziehungen und alltäglicher Lebenszusmmnen hänge in den neuen städtischen Zentren als Folge des Globalisierungsprozes ses prognostiziert. Im Verlauf des Forschungsprozesses hat sich gezeigt, daß die in den Blick genOlmnenen Veränderungen nicht allein als Resultat einer Determi nante betrachtet werden können, sondern auf eine Vielzalll von Bestimmun gen zurückgeführt werden müssen, die sich über eine längere Zeitspanne hinweg aus den Wechselwirkungen von ökonomischen, kulturellen und poli tischen Prozessen herausgebildet haben. Ich kaIn schließlich zu der Überzeu gung, daß Globalisierung einen sozialwissenschaftlichen Perspektivenwech sel provoziert - nicht im Sinne eines umfassenden Paradigmenwechsels, sondern als Reflexion der Veränderung der Bedingungen sozialwissenschaft licher Praxis und Wissensproduktion. Damit rückten zunelunend Fragen der sozialtlleoretischen Konstruktion globaler Wirklichkeit ins Zentrum des For- 9 schungsinteresses. Was bedeutet es für sozialwissenschaftliche Praxis, wenn lokale soziale Zusammenhänge wie zum Beispiel der Umgestaltung des städ tischen Raumes und die Formierung global orientierter Milieus als Resultat globaler Veränderungen gedacht werden? Wie ist das Verhältnis von Gesell schaft und Sozialwissenschaften unter globalen Bedingungen zu bestimmen? Was bedeutet dies für die Anwendung zum Beispiel von stadt-, lebensstil und arbeitssoziologischen Ansätzen, die weitgehend von den Diskursen na tional organisierter Soziologien geprägt sind und spezifische Repräsentatio nen des nationalen Raumes darstellen? Welche theoretischen und methodi schen Konsequenzen ergeben sich daraus? Welches empirische Verständnis von der Globalisierung entwickeln wir im Rahmen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Phänomen? Mit dieser Verschiebung der Sichtweise war zugleich ein konzeptioneller Wandel der Forschungsarbeit verknüpft: Die Herausbildung moderner Ge seIlschaftsfonnationen sollte nun weder in der Tradition Max Webers auf die Wirkung von Prozessen technologischer, ökonomischer, kultureller oder politischer Differenzierungen noch in der Nachfolge von Marx auf die Pro duktionsverhältnisse bezogen werden, sondern auf die multiplen Effekte der Dynamik der Moderne. Zwei bedeutsame Konstruktionserweiterungen waren damit verbunden: erstens die theoretische und methodische Aufwertung des Kulturellen gegenüber der materiellen Basis und zweitens die Erweiterung des Untersuchungsralunens vom nationalen auf den globalen Raum. Die kulturtheoretische Diskussion werde ich im folgenden im Rückgriff auf Theorien aufgreifen, die in ganz unterschiedlicher Weise unterstellen, daß das Kulturelle nicht olme weiteres den Formbestimmungen der polit ökonomischen Logik subsumiert werden kann, sondern darüber hinausweist. Kultur stellt aus dieser Sicht keine passive Widerspiegelung einer gesell schaftlichen Materialität dar, sondern ist als Agent geschichtlicher Verände rung und Schöpfung zu begreifen. Denn als eine nicht in Kapitalformen auf gehende Instanz stellt Kultur überhaupt erst die interpretative und durch Pra xis konstituierte Erschließung alternativer Deutungs- und Lebensformen zur Verfügung. Mein Vorschlag läuft deshalb auch darauf hinaus, verstärkt die imaginären und kreativen Impulse moderner Kultur für die Konstitution des Sozialen im Kapitalismus hervorzuheben. Mit dieser Sichtweise ist ein theo retisches und metllodisches Konzept verbunden, das Kultur ebenso wie Öko nomie und Politik als konstitutives Element für die Entstehung von neuen Formationen der modernen Welt tllematisiert (vgl. auch Hall u.a. 1995), wo bei sich die nachfolgenden Studien auf die Beziehung von Ökonomie und Kultur konzentrieren. Kultur wird verstanden als gesellschaftliche Institution des Symbolischen, die soziale Interpretations-und Praxisformen hervorbringt - und zugleich als gesellschaftliche Sphäre, die gemeinsame Züge mit dem Kapitalismus als ökonomischer Form aufweist. Ich gehe dabei davon aus, daß die Kultur des Kapitalismus einerseits aus der Dynamik ökonomischer Pro- 10 zesse (Akkumulation, Ausbeutung) hervorgeht, andererseits den Effekten der Selbstdifferenzierung der Modeme und der Mehrdeutigkeit gesellschaftskon stitutiver Sinnstrukturen unterliegt - eine Position, die eine relativ offene Strukturierungsdynamik kapitalistischer Gesellschaften unterstellt. Im Fortgang der Forschungsarbeit galt es nun in einem nächsten Schritt zu überprüfen, wie diese sozialtheoretischen Grundannahmen fiir die sozial wissenschaftliehe Analyse konkreter Phänomene nutzbar gemacht und wie der sich abzeichnende globale und postmoderne Wandel dargestellt werden kann. Als fruchtbar erwiesen sich Theorien der Modeme, die die fragmen tierten Erfahrungen einer Kultur des Kapitalismus betonen (Berman 1982; Jameson 1984) und in einem erweiterten Modernitätsverständnis die Dyna mik des modemen Kapitalismus nicht, wie in den Sozialwissenschaften tra diert, in mehr oder weniger monokausalen, sondern in einem multikausalen und pluralistischen Konzept gesellschaftlicher Entwicklung zu erklären ver suchen.I Die Entstehung neuer gesellschaftlicher Formationen ist von daher als Konsequenz einer mehrdeutigen und auf der Trennung von Raum und Zeit, der Entankerung sozialer Bezüge aus tradierten Zusammenhängen und der reflexiven Erweiterung gesellschaftlicher Gestaltungsprozesse basieren den Modeme (vgl. Giddens 1990) zu deuten - und nicht als Ergebnis einer einzigen in letzter Instanz detenninierenden Entwicklungsdynamik. In der Untersuchung werde ich diese Leitidee weiterentwickeln, indem ich die Ent stehung neuer gesellschaftlicher Fonnen des "desorganisierten" Spätkapita lismus (Flexibilisierung und Desorganisierung) (Lash/Urry 1987 und 1994) auf die Ausbreitung kultureller Strukturen beziehe. Ich gehe davon aus, daß diese kulturellen Strukturen konstitutiv sind fiir den gegenwärtigen gesell schaftlichen Wandel und die Basis bilden für die Durchsetzung eines domi nanten ökonomischen und kulturellen Entwicklungsmodells und damit auch für neue Fonnen sozialer Differenzierung und Ungleichheit. Zur Beschreibung und Interpretation dieses Wandels bietet sich ,Globali sierung' als analytisches Konzept an. Nicht nur, weil die unter Stichworten wie Postfordismus, postindustrielle Gesellschaft oder Postmoderne geführten Transfonnationsdebatten zwangsläufig darauf hinführen, sondern auch, weil Globalisierung als Konzept den Einstieg in eine globale Sozialtheorie und - forschung anbietet, die die Walrrnehmung der Welt "as a single place" (Ro land Robertson) als zentrales henneneutisches Prinzip zu erfassen vermag. Und dies, obwohl Globalisierung ein schillernder Begriff ist, der derzeit kaum mehr als vage Vermutungen über die Zukunft des komplexen gesell schaftlichen Wandels zuläßt (vgl. Wiesenthal 1996). Was sich durch Globali sierung wie verändert, darüber können gegenwärtig kaum gesicherte Aussa- Besonders anregend fiir meine Arbeit sind die kultursoziologischen Debatten, die sich seit Anfang der achtziger Jahre im Umkreis der englischen Zeitschrift .. Theory, Culture & So ciety" herausbildeten und von Autoren wie Scott Lash, John Urry, Mike Featherstone, Da vid Held, Bryan S. Tumer, Douglas Kellner u.v.a.m geprägt werden. 11 gen gemacht werden. Und dennoch ist Globalisierung als sinnvoller und produktiver Schlüsselbegriff in den aktuellen Debatten der Sozialwissen schaften weitgehend anerkannt. Dies weist darauf hin, daß Globalisierung (unabhängig davon, ob es sich dabei um eine Ideologie, einen Mythos von der Weltgemeinschaft handelt, um einen nur vorgestellten Sachverhalt oder um bereits objektiv überprüfbare oder mögliche Entwicklungsprozesse) als soziale Konstruktion globaler Erfahrungswirklichkeiten zu begreifen ist, die in ihren Konsequenzen real sind, weil sie von sozialen Akteuren als real definiert werden und damit ihr Handeln mitbestimmen (Thomas-Theorem). Die Vagheit und Offenheit des Begriffs der Globalisierung spricht deshalb auch nicht zwingend gegen seine sozialwissenschaftliehe Brauchbarkeit, sondern erst einmal nur dafur, daß wir uns inmitten eines weltweiten gesell schaftlichen Umbruchs befinden, der mit den alten wissenschaftlichen Be griffe nicht mehr erfaßt und beschrieben werden kann. Was wir statt dessen beobachten, ist die Zirkulation zahlreicher Ansichten, Interpretationen und Handlungsvorschläge zur Herstellung einer Welt-Struktur, die an praktische Interessen von Beteiligten gebunden sind und damit den Phänomenen über haupt erst eine konkrete und diskursive Gestalt geben. Die Art und Weise, wie in der Globalisierungsdebatte über Globalisierung geredet und geschrie ben wird, ist also selbst als ein wesentlicher Teil des Phänomens zu begrei fen, das wir zu verstehen versuchen; es bestiInmt Init darüber, was Globali sierung ist und in Zukunft sein wird (WiesenthaI 1996). Globalisierung ist folglich nicht einfach das Resultat eines funktionalen Strukturwandels, sondern eines intersubjektiv und intertextuell erzielten Be deutungsregimes. Begreift man die Sozialwissenschaften als reflexive Praxis der Wissensproduktion, bestimmt von der unausweichlichen Tatsache, daß sie ihre theoretischen Konzepte, ihre empirischen Beobachtungen, ihre me thodische Vorgehensweise wie auch ihre Fragestellungen jenem Teil der Gesellschaft zu verdanken hat, dem sie angehört, dann bedeutet dies zweier lei. Erstens, daß jeder Rekonstruktionsversuch der Welt "as a single place" mit einer Selbstverständigung über die Position der Sozialwissenschaft in der Gegenwart einherzugehen hat. Soziologie muß deshalb angesichts der glo balen Veränderungen verstärkt das von ihr mittels Sprache, Bedeutungen, Interpretationen und im sozialkulturellen Kontext des Wissen-Macht Komplexes Soziologie produzierte Globalisierungswissen auf die eigene gesellschaftliche Positionierung im sozialen Raum reflektieren. Hierzu müs sen sozialwissenschaftliehe Theorien einerseits als Quellen flir das Verständ nis von Gesellschaft, andererseits als Indikatoren fur die Art und Weise gele sen werden, wie gesellschaftliche Zusammenhänge in globalem Konte~1 gesehen werden. Zweitens werden die Sozialwissenschaften im Sinne einer doppelten Henneneutik reflektieren müssen, daß ihr Wissen jeweils mit den alltagsweItIichen Sozialverhältnissen verknüpft ist und durch die Produktion von globalem Wissen nicht nur der Alltag, sondern auch die Wissenschaft 12