Ansgar Beckermann Glaube Grundthemen Philosophie Herausgegeben von Dieter Birnbacher Pirmin Stekeler-Weithofer Holm Tetens Ansgar Beckermann Glaube ISBN 978-3-11-027985-6 e-ISBN 978-3-11-030879-2 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: // dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin / Boston Satz: fidus Publikations-Service GmbH, Nördlingen Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com Für Demokrit, Epikur und besonders Lukrez mit seinem wunderbaren Lehrgedicht De rerum natura Inhalt 1. Einleitung 1 2. Wovon dürfen wir überzeugt sein? 9 2.1 Religiöse Überzeugungen 9 2.2 Vernunft und Glaube 16 2.3 Gründe 18 2.4 Clifford und James 19 2.5 Epistemische und nicht-epistemische Gründe 26 3. Empirische Belege für die Existenz des Übernatürlichen 39 3.1 Kann das Eingreifen übernatürlicher Kräfte empirisch nachgewiesen werden? 40 3.2 Hilft Beten? 43 3.3 Gibt es Belege für das Eingreifen übernatürlicher Kräfte? 47 4. Ontologische Argumente für die Existenz Gottes 51 4.1 Argumente 51 4.2 Anselms Gottesbeweis 52 4.3 Kants Kritik am ontologischen Gottesbeweis und Freges Begriff der Existenz 57 4.4 Modallogische Versionen des ontologischen Gottesbeweises 62 5. Kosmologische Argumente für die Existenz Gottes 67 5.1 Die fünf Wege des Thomas von Aquin 67 5.2 Leibniz’ Version des kosmologischen Arguments 73 5.3 Das Prinzip vom zureichenden Grund 76 6. Teleologische Argumente für die Existenz Gottes 85 6.1 Die Grundstruktur teleologischer Argumente 85 6.2 Humes Kritik an teleologischen Argumenten für die Existenz Gottes 87 6.3 Darwin 90 6.4 Intelligent Design 97 6.5 Fine Tuning 104 6.6 Gott und die Evolution 105 VIII Inhalt 7. Das Problem des Übels 109 7.1 Versionen des Problems des Übels 109 7.2 Das evidentielle Problem des Übels 112 7.3 Theodizeeversuche 116 7.4 Das logische Problem des Übels 128 7.5 Analoge Begriffsverwendung und negative Theologie 132 8. Religiöse Erfahrungen 137 8.1 Sinnliche Wahrnehmung 137 8.2 Religiöse Wahrnehmung 142 8.3 Reformierte Erkenntnistheorie 147 9. Nachwort: Ohne Glauben leben 151 Anmerkungen 161 Literatur 171 Personenregister 177 Sachregister 181 1. Einleitung Bertrand Russell, ein dezidierter Atheist, wurde anlässlich eines Dinners der Voltaire Society, deren Schirmherr er war, von jungen Studenten gefragt: Ange- nommen, Sie haben in Hinblick auf die Existenz Gottes Unrecht und die ganze Geschichte ist doch wahr. Sie kommen an die Himmelspforte, wo der heilige Petrus auf Sie wartet. Was würden Sie Gott sagen – Sie, der sein ganzes Leben die Existenz Gottes geleugnet hat? Russell antwortete ohne zu zögern: „Well, I would go up to Him, and I would say, ,You didn’t give us enough evidence!‘“.1 Für Russell ist also entscheidend, welche Belege, welche epistemischen Gründe es gibt, die für und die gegen die Existenz Gottes sprechen. Gibt es Tatsachen, die eindeutig für die Existenz eines christlich verstandenen Gottes sprechen? Oder überwiegen die Tatsachen, die eher die Annahme stützen, dass es diesen Gott nicht gibt? Es geht um religiöse Überzeugungen und darum, was für und was gegen diese Über- zeugungen spricht. Russell hat Recht. Wer immer einer Religion anhängt, kann der Frage nicht ausweichen, welche Gründe für die Überzeugungen sprechen, die für diese Reli- gion konstitutiv sind. Es gibt keine Religion, die nicht mit bestimmten Überzeu- gungen einher geht, die jeder Anhänger dieser Religion teilt.2 Und wenn es um Überzeugungen geht, geht es immer auch um Gründe. Welche Gründe sprechen für die Wahrheit dieser Überzeugungen, welche dagegen? Gibt es überhaupt Gründe, die sich für oder gegen religiöse Überzeugungen anführen lassen? In den letzten Jahren ist – besonders in der deutschsprachigen Diskussion – diese entscheidende Frage allerdings mehr und mehr in den Hintergrund getre- ten. Man könnte sagen, dass die Frage, welche Gründe für die Wahrheit religiöser Überzeugungen sprechen, aus der Mode gekommen ist. So schrieb etwa Mathias Schreiber im April 2007 im Magazin Der Spiegel in einem Artikel zum Osterfest: [Bei Spaemann] begegnet der verblüffte Leser einem alten Bekannten, der längst vom Zweifel der Moderne zermalmt schien: einem Gott, der den Tod besiegt. Spaemann […] bekennt sich ohne dialektische Verrenkungen zu der Überzeugung, „dass das Grab leer war“, ebenso zu dem Glauben, dass auch die naturwissenschaftlich erkaltete Welt als „Wirkung eines kon- tinuierlichen Aktes göttlicher Freiheit“ gedacht werden könne; dass es „eine Auferstehung der Toten gibt“; und dass das endliche Subjekt Unendlichkeit ahnt, indem es „sich selbst erfährt als ein solches, das nicht nur weiß, sondern das gewusst wird“. Bei alldem geht es nicht nur um Beweise und Gegenbeweise. Wie sich einer entscheidet, hängt auch davon ab, was für ein Charakter er ist. Des Menschen bester Freund ist noch immer einer, der die Unsterblichkeit der Seele für möglich hält. (Schreiber 2007, 134 – meine Hervorh.) Doch die Frage ist nicht, wovon es abhängt, ob jemand an Gott glaubt, sondern wovon es abhängen sollte. Und hier sollten „Beweise und Gegenbeweise“ – oder 2 1. Einleitung besser: Argumente und Gegenargumente – in der Tat eine entscheidende Rolle spielen. Wenn Spaemann glaubt, dass Jesus wirklich von den Toten auferstan- den ist, darf man fragen, was für und was gegen diese Überzeugung spricht. Und dieser Frage könnte Spaemann nicht mit der Bemerkung ausweichen, entschei- dend sei allein, was für einen Charakter er habe und mit welchem Glauben er sich wohl fühle. Und: Selbst wenn es wahr wäre, dass des „Menschen bester Freund […] noch immer einer [ist], der die Unsterblichkeit der Seele für möglich hält“, würde das dafür sprechen, dass wir tatsächlich eine unsterbliche Seele besitzen? Dass eine Überzeugung nützlich oder hilfreich ist, spricht nicht per se für ihre Wahrheit. Nur einen Monat später schrieb Alexander Smoltczyk am Ende eines Artikels über die Religionskritiker Onfray, Odifreddi und Dawkins: Der Glaube wird nicht aussterben, jedenfalls nicht, solange wir noch Angst vor dem Sterben haben und vor dem Dunkel und vor dem Unbekannten und voreinander. Nichts spricht gegen die tiefe Gewissheit, dass alle Erfahrung und Wissen nicht der Weisheit letzter Schluss sind. Alles Weitere ist Privatsache. (Smoltcyk 2007, 69) Psychologisch gesehen mag diese Bemerkung richtig sein. Und es mag auch sein, dass „alle Erfahrung und Wissen nicht der Weisheit letzter Schluss sind“. Aber bedeutet das wirklich, dass Religion in dem Sinne Privatsache ist, dass man über dieses Thema nicht rational diskutieren kann? Bedeutet das, dass man nicht nach den Gründen fragen darf, die für und die gegen religiöse Überzeugungen sprechen? Bedeutet das, dass diese Gründe letzten Endes irrelevant sind? Nicht nur in der allgemeinen Presse, auch in fachspezifischen Veröffentli- chungen findet die Frage nach den Gründen für religiöse Überzeugungen immer weniger Gehör. Ich will das an zwei weiteren Beispielen belegen – Richard Schröders Buch Abschaffung des Glaubens? Wissenschaftlicher Fanatismus und die Folgen und Michael Pawliks Rezension des Buches Die Frage nach Gott von Norbert Hoerster. Schröders Buch ist eine polemische Antwort auf die polemische Provokation Richard Dawkins’ (2007). Daran ist nichts auszusetzen. Schröder macht gegen Dawkins geltend, dass nicht alle Übel und Verbrechen dieser Welt der Religion angelastet werden können. Vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrung mit dem real existierenden Sozialismus führt er all die Grausamkeiten und Verbre- chen ins Feld, die atheistische Ideologien wie der Kommunismus zu verant- worten haben. Und damit hat er sicher Recht. Zweitens kritisiert Schröder, dass Dawkins’ vollkommen auf die Naturwissenschaften fixiert sei und damit den ganzen Bereich der Kultur ausblende. Menschen haben zu ihrer Kultur ein Ver- hältnis. Kultur beruhe geradezu darauf, dass Menschen zu sich und ihrer Welt