Roman Böckmann (Hrsg.) Gesundheitsversorgung zwischen Solidarität und Wettbewerb Roman Böckmann (Hrsg.) Gesundheits- versorgung zwischen Solidarität und Wettbewerb Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1.Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2009 Lektorat:Frank Schindler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werkeinschließlichallerseiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspei- cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen,Handelsnamen,Warenbezeichnungen usw.in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung:Krips b.v.,Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16206-5 Vorwort In kaum einem Politikfeld wird so leidenschaftlich und emotional gestritten wie in der Gesundheitspolitik. Die Frage nach der „optimalen“ Gestaltung des Ge- sundheitswesens beschäftigt Ärzte und Patienten, Politiker und Wähler, Versi- cherungen und Versicherte, Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie Experten aus Wissenschaft und Praxis gleichermaßen. Das Verhältnis von Solidarität und Wettbewerb ist dabei einer der zentralen Streitpunkte. Obwohl die Wettbe- werbslogik dem Solidarprinzip auf den ersten Blick entgegenzustehen scheint, ist das deutsche Gesundheitswesen durch Elemente beider Prinzipien gekenn- zeichnet. Wie aber passen so unterschiedliche Steuerungsinstrumente zusam- men? Welche Spannungen resultieren daraus? Lassen sich Solidarität und Wett- bewerb zum Wohl von Patienten und Versicherten vereinen? Wie könnte ein mögliches Gesundheitssystem aussehen, das die Vorteile beider Prinzipien mit- einander vereinbart? In diesem Buch versuchen die Autoren, Antworten auf diese und weitere Fragen zu finden. In neun aufeinander bezogenen Beiträgen wird das Span- nungsverhältnis von Solidarität und Wettbewerb im Gesundheitswesen themati- siert. Am Beispiel der verschiedenen Versorgungsbereiche und Akteure im Gesundheitswesen werden aktuelle Reformentwicklungen einer umfassenden Analyse unterzogen und kontrovers diskutiert. Die Idee zu diesem interdiszipli- när angelegten Band ist auf der gleichnamigen Tagung entstanden, die in Ko- operation von Graduate School of Politics (GraSP) der Westfälischen Wilhelms- Universität Münster und dem Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen am 14. November 2007 in Münster stattgefunden hat. Mein ganz besonderer Dank gilt allen Autoren dieses Bandes, die ihre Bei- träge zur Verfügung gestellt haben und bereit waren, meinen zum Teil umfang- reichen Bitten um Überarbeitungen sorgfältig und geduldig nachzukommen. Mein aufrichtiger Dank gebührt auch Prof. Dr. Klaus Schubert, der die Entste- hung dieses Buches mit vielen konstruktiven Verbesserungsvorschlägen beglei- tet hat. Als Promotionsstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung danke ich vor allem Werner Fiedler und Dr. Eike Hebecker, die als Referatsleiter in der Promotions- förderung viele stipendiatische Projekte – so auch die Tagung im November 2007 – gefördert und unterstützt haben. Ein ganz herzlicher Dank gilt auch Prof. Dr. Karl-Heinz Stange für die kritische Durchsicht und Kommentierung meines Beitrags in diesem Band. Meinen Kollegen Florian Blank und Hendrik Meyer verdanke ich unzählige wertvolle Diskussionen zu aktuellen Problemen der Sozialpolitik, die mir beim Erstellen dieses Buches eine außerordentliche Hilfe waren. Astrid Sauermann danke ich ganz herzlich für ihre unkomplizierte und verlässliche Hilfe beim Umsetzen der Layoutvorgaben für dieses Buch. Münster, im September 2008 Roman Böckmann Inhalt Vorwort................................................................................................................5 Einleitung: Solidarität und Wettbewerb im Gesundheitswesen Roman Böckmann..................................................................................................9 Wettbewerb und Patientenorientierung in der gesetzlichen Krankenversicherung Thomas Gerlinger...............................................................................................19 Verbesserung des Risikostrukturausgleichs als Instrument zur Sicherung der Balance zwischen Solidarität und Wettbewerb Rebecca Jahn/Susanne Staudt/Jürgen Wasem....................................................43 Die Private Krankenversicherung – weder Solidarität noch Wettbewerb? Roman Böckmann................................................................................................63 Wettbewerbliche Transformation im ambulanten Sektor: Governanceformen und gesundheitspolitische Zielpräferenzen im Wandel Nils C. Bandelow/Mathieu Schade......................................................................91 Krankenhaus unter DRG-Bedingungen: Zwischen Ökonomisierung, Unwirtschaftlichkeit, Veränderungsresistenz und Desorganisation Bernard Braun..................................................................................................117 Die Preispolitik der Hersteller – Totengräber unseres Systems? Zur Effizienz der Arzneimittelversorgung in Deutschland Gerd Glaeske.....................................................................................................141 Pharmaunternehmen im Spannungsfeld von Shareholdern und Stakeholdern Claudia Heilig...................................................................................................159 Vereinbarkeit von Wettbewerb und Solidarität in der sozialen Krankenversicherung? Gesundheitsreformen in den Niederlanden und Deutschland Simone Leiber/Maral-Sonja Manouguian........................................................175 Solidarität in der europäisierten Gesundheitspolitik? Zum Verhältnis von Wettbewerb und Solidarität im europäischen Binnenmarktprojekt Rolf Schmucker..................................................................................................203 Autorenverzeichnis.........................................................................................233 Einleitung: Solidarität und Wettbewerb im Gesundheitswesen Roman Böckmann „Gesundheit wird teurer“, „Weniger Arzt fürs Geld“, „Arzneimittel treiben die Kosten“, „Am Quartalsende ist die Praxis dicht“, „Kliniksterben erwünscht“, „Krankenversicherer erwägen Selbstabschaffung“, „Feuer im Ärztehaus“, „Der Patient ist der Verlierer“ – wer in großen, überregionalen Tageszeitungen nach Informationen über die derzeitige Gesundheitspolitik sucht, könnte leicht den Eindruck gewinnen, das deutsche Gesundheitssystem befände sich kurz vor seinem Untergang. Die Liste der Schlagzeilen, die vom nahen Ende des einst so vorbildlichen Gesundheitssystems künden, ließe sich beinahe beliebig fortfüh- ren. So manchem kritischen Leser dürften beim Anblick dieser Überschriften jedoch berechtigte Zweifel kommen, ob solch dramatische Untergangsszenarien tatsächlich den realen Gegebenheiten entsprechen. Über eines kann aber auch der sachlichste Analytiker kaum hinwegsehen: Das deutsche Gesundheitssystem steht unter einem erheblichen Kosten- und Veränderungsdruck, so dass grundle- gende Reformen überfällig erscheinen. Über die richtigen Mittel, die besten Lösungskonzepte und die nachhaltigsten Reformvorschläge wird dabei unter Bürgern, Politikern und Wissenschaftlern leidenschaftlich und kontrovers ge- stritten. Einer der zentralen Gegenstände dieser Auseinandersetzungen ist das „optimale“ Verhältnis von Solidarität und Wettbewerb. Dem deutschen Gesundheitswesen wird im Allgemeinen eine starke Ver- ankerung solidarischer Elemente attestiert, die vor allem in den Umverteilungs- mechanismen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ihren Ausdruck findet. Das konkrete Ausmaß der Solidarität ist dabei weder maximal noch ist es in irgendeiner Weise dauerhaft festgeschrieben. Vielmehr ist der solidarische Gehalt des Gesundheitswesens je nach historischer, politischer und ökonomi- scher Situation starken Schwankungen unterlegen. Dass das Solidarprinzip in weiten Teilen der Bevölkerung eine relativ große Zustimmung erfährt, ist inso- fern bemerkenswert, als die gesetzliche Krankenversicherung mit ihrer weitge- hend einkommensabhängigen Beitragserhebung und der bedarfsabhängigen Leistungsgewährung vergleichsweise hohe Anforderungen an die Solidaritätsbe- reitschaft der Versicherten stellt. Während z.B. in der privaten Krankenversiche- 10 Roman Böckmann rung ebenso wie in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung ein wesentlich stärkerer Zusammenhang zwischen Beitragszahlung und Leistungs- gewährung besteht, ist das Ausmaß der umverteilenden Elemente in der GKV relativ hoch. In der Betonung solidarischer Elemente spiegelt sich nicht zuletzt die hohe gesellschaftliche Wertschätzung für das „Gut“ Gesundheit wieder. Daher entspricht es in nahezu allen modernen Gesellschaften einem weitgehend geteilten Werteverständnis, dass im Bedarfsfall jeder Kranke unabhängig von seiner Zahlungsfähigkeit medizinisch versorgt wird – auch wenn hinsichtlich des Versorgungsumfangs und des Ausmaßes distributiver Elemente erwartungs- gemäß erheblicher Dissens herrscht. Trotz der starken normativen Verankerung des Solidarprinzips haben marktwirtschaftliche Steuerungsinstrumente in vielen Bereichen der Gesund- heitsversorgung zugenommen. Dabei scheinen die Reformen jedoch keineswegs einem einheitlichen Trend zu folgen. Vielmehr lassen sie eine „neue Unüber- sichtlichkeit“ in diesem ohnehin für viele Menschen schwer durchschaubaren Politikfeld entstehen. Nicht zuletzt durch die europäische Integration und die zunehmende Regulierungstätigkeit der Europäischen Union hat die Gesund- heitspolitik an Komplexität und Undurchsichtigkeit gewonnen. Die gegenwärti- gen Veränderungen können daher kaum noch mit Hilfe eines Markt-Staat- Verständnisses erklärt werden, bei dem es nur um quantitative Variationen ent- lang einer bipolaren Markt-Staat-Achse geht. „Mehr Markt“ bedeutet ganz of- fensichtlich nicht zwangsläufig „weniger Staat“ und auch die Frage nach dem Stellenwert korporatistischer Gremien kann nicht einfach im Sinne eines Aus- baus oder Abbaus beantwortet werden. Viele Begriffe, mit denen diese Entwick- lungen häufig beschrieben werden, legen Zeugnis von der Komplexität der aktu- ellen Entwicklungen im Gesundheitswesen ab. Schlagworte wie „Deregulie- rung“, „Re-Regulierung“, „Ökonomisierung“, „Privatisierung“, „Liberalisie- rung“, „Vermarktlichung“ oder „wettbewerbliche Transformation“ sind nur einige der Vokabeln, die zur Erklärung der jüngsten Veränderungen im Gesund- heitswesen herangezogen werden. Ähnliches gilt für Beschreibungen institutio- neller Arrangements, die mit Definitionen wie „regulierter Gesundheitsmarkt“, „Wettbewerbskorporatismus“ oder „solidarische Wettbewerbsordnung“ erahnen lassen, wie stark die Reformen der vergangenen Jahre das institutionelle Gefüge des Gesundheitssystems verändert haben. Bei genauerer Betrachtung der gesundheitspolitischen Reformen seit den 1990er Jahren zeigen sich vor allem qualitative Veränderungen von Markt-, Selbstverwaltungs- und Regulierungselementen. Eine zentrale Rolle wurde da- bei ganz offensichtlich dem Wettbewerb zugedacht. Dabei gilt es zu beachten, Einleitung: Solidarität und Wettbewerb im Gesundheitswesen 11 dass der Wettbewerb zwar eine notwendige Bedingung für einen funktionieren- den Markt darstellt, jedoch das Vorhandensein von marktwirtschaftlichen Struk- turen keine Voraussetzung für die Existenz von Wettbewerb darstellt. Dement- sprechend trifft die Forderung nach „mehr Wettbewerb“ die Akteure des Ge- sundheitswesens erstens vor dem Hintergrund höchst unterschiedlicher gesell- schaftlicher Problemwahrnehmungen und zweitens vor dem Hintergrund höchst unterschiedlicher Ausgangsbedingungen. Die Ziele, die mit Hilfe des Wettbe- werbs erreicht werden sollen, gleichen sich jedoch in vielerlei Hinsicht: Die verstärkte Ausrichtung an wettbewerblichen Handlungsmustern soll dem Ge- sundheitssystem zu mehr Effizienz verhelfen, eine hohe Versorgungsqualität gewährleisten und den Menschen individuelle Entscheidungskompetenzen zubil- ligen. Während die gesundheitspolitischen Ziele Effizienz, Qualität und Wahl- freiheit keineswegs im Widerspruch zur solidarischen Finanzierung stehen, ist die auf politischer Ebene forcierte Wahl des Steuerungsinstruments Wettbewerb zumindest auf den ersten Blick bemerkenswert, denn die Wettbewerbslogik steht dem normativen Postulat einer solidarischen Absicherung grundlegender Le- bensrisiken ganz offensichtlich entgegen. Wie passen normativer Anspruch und steuerungspolitische Realität also zusammen? Lassen sich sozialpolitische Ziele im Rahmen eines wettbewerblich ausgestalteten Gesundheitssystems erreichen? Welche Voraussetzungen und Bedingungen müssten hierfür erfüllt sein? Gibt es Strukturen, die eine Vereinbarkeit von Solidarität und Wettbewerb begünstigen? Die Autoren in diesem Band versuchen Antworten auf diese Fragen zu fin- den, indem das Spannungsverhältnis von Solidarität und Wettbewerb am Bei- spiel verschiedener Akteure und Versorgungsbereiche des Gesundheitswesens diskutiert wird. Dabei werden aktuelle Gesundheitsreformen ebenso berücksich- tigt wie der zunehmende Regulierungseinfluss der Europäischen Union. In neun ausgewählten Beiträgen wird der Frage nachgegangen, wie sich das Verhältnis von Solidarität und Wettbewerb gewandelt hat, welche Konsequenzen sich dar- aus ergeben und wie möglicherweise die Vorteile beider Koordinationsformen miteinander kombiniert werden können. Thomas Gerlinger analysiert in seinem Beitrag die gesundheitspolitischen Wirkungen wettbewerblicher Transformationsprozesse im Hinblick auf ihre Patientenorientierung. Ausgehend von der Feststellung, dass das deutsche Ge- sundheitssystem trotz hoher Ausgabenquoten nur mittelmäßige Behandlungser- gebnisse erzielt, wird der Frage nachgegangen, ob und inwiefern wettbewerbli- che Steuerungsinstrumente tatsächlich zur Effizienzsteigerung und der Verbes- serung der Behandlungsqualität beitragen. Hierzu wird zunächst ein differen- ziertes Bild der Vor- und Nachteile korporatistischer Steuerung entworfen und