Gesellschaftsspiel Fußball Christian Brandt • Fabian Hertel Christian Stassek (Hrsg.) Gesellschaftsspiel Fußball Eine sozialwissenschaftliche Annäherung Herausgeber Voestalpine Christian Brandt, Linz, Österreich Fabian Hertel, Christian Stassek, Bernhard Schmidt Hamburg, Deutschland Langenhagen, Deutschland ISBN 978-3-531-19676-3 ISBN 978-3-531-19677-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-531-19677-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandabbildung: Die Herausgeber Einbandentwurf: KünkelLopka GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vs.de Inhalt Einleitung Christian Brandt, Fahian He11el & Christian Stassek Vorwort 7 Christian Brandt, Fahian He11el & Christian Stassek Einleitung - Zur Popularität des Fußballs 9 Theorie Ste/an Hebenstreit Sozialwissenschaftliehe FußbalIforschung 19 Timo Tabery Apotheose: Fußball als Lebens-Schau-Spiel 39 Fabrizio Maser Das FußbalIritual als negativer Spiegel der Gesellschaft 67 Gabriel Zimmerer Existenzphilosophie des Fußballs 85 Philipp-Daniel Fischer Moral im Profifußball 107 Interview Interview mit Uwe Harttgen, Hansruedi Hasler & RolfH usmann Innenansichten zur Fußballpopularität 125 6 Inhalt Empirie Christian Brandt & Fabian Hertel Fußballbegeisterung in Schottland 139 Leona Dotterweich Fußball in Indien - Vom nationalen Symbol ins Abseits 159 Lutz Scharj' Aus der Tiefe des urbanen Raumes 177 RoySiny Tbe Gold Mine ofthe Next Revolution 195 Ste/an Heissenberger Entgrenzte Emotionen 209 Johannes Breuer & Jessica Trixa 11.000 Freunde müsst ihr sein 227 Register 249 Autor innenverzeichnis 253 Vorwort ,,Ihr drei Lausejungen veröffentlicht also dieses Buch!?" (Fabrizio Moser) Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Die Mannschaften Frankreichs und Uruguays stehen sich am ersten Spieltag der Gruppe A gegenüber. Weltweit verfolgen Millionen Menschen an den TV- Geräten diesen abendlichen Vergleich zwischen einem Topfavoriten auf den Turniersieg und dem Altmeister aus Süd amerika. Les Bleues und La Celeste lassen sich von diesem schönen Rahmen allerdings nicht beeinflussen. Es schleppt sich ein dröger Kick zwischen einer unmotivierten Equipe Tricolore und destruktiven CharrUas dem todosen Ende entgegen. Warum wenden sich Menschen weltweit, auch wir drei Hersusgeber, nicht Spannenderem zu? Wieso überhaupt interessieren sich die Menschen fiir den Fußballsport? Fußball ist heute vielerorts allgegenwärtig. Kein Wahlkampf ohne Fotos von Politiker_innen auf dem Fußballplatz. Der Hamburger Sportverein verfügt über einen c\ubeigenen Friedhof und in den Zimmern der Jugendlichen hängen neben Popstars Fußballer an den Wänden. Weshalb ist der Fußball so populär? Eine Frage, die uns nicht nur am Abend des obigen Spiels umtrieb. Wir suchten nach Erklärungen, in Bibliotheken und Gesprächen. Schließlich beschlossen wir, diese Diskussion öffentlich zu führen und in ein Buch münden zu lassen. Das Ergebnis dieses Prozesses halten Sie nun in den Händen. Das Werk richtet sich zum einen an Sozialwissenschaftier_ innen. Zum anderen an alle Fußballfans, die mehr über ihren Sport erfahren möchten. Die meisten Autoren_innen, wie auch wir Herausgeber, waren während der Arbeit an Gesellschaftsspiel Fußball parallel mit dem Stodium beschäftigt, was den Prozess der Entstehung nicht vereinfachte. Umso mehr gilt es dem Team von Springer VS fiir deren Vertrauensvorschuss und Hilfe zu danken. Ohne die Unterstützung vieler Menschen wäre die Realisierung von Gesell schaftsspiel Fußball eine Herkulesaufgabe gewesen. All den Autoren und Autor innen, die mit ihren nachfolgenden Artikeln die Notwendigkeit und Frende an der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem fußball beweisen und stets, naja einigermaßen, die Deadlines und Vorgaben einhielten, gebührt Applaus. Wir danken Dr. Uwe Harttgen, Dr. Hansruedi Hasler und Dr. Rolf Husmann fiir an regende Fachgespräche. Unser besonderer Dank gilt Lea Christoph, die mit küh lem Kopf das ganze Buch fantastisch lektorierte. Ein großes Dankeschön gilt 8 Christian Brand!, Fabian Hertel & Christian Slassek ebenfalls den vielen Freunden, die uns entweder intellektuell durch kritische Diskussionen oder sonstige Hilfe unterstützten, besonders: Tobi, Jonathan, Mario, Fowzia und Sven. Danke. Hamburg, März 2012 Christian Brandt, Fabian Hertel & Christian Stassek Einleitung - Zur Popularität des Fußballs Christian Brandt, Fabian Hertel & Christian Stassek In nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens lassen sich Beispiele fiir die Wirkungskraft des Fußballs finden. Entsprechend umfangreich ist auch die sozialwissenschaftliehe' Literatur zum Thema. Die gesellschaftspolitische Di mension des Fußballs legen bspw. Klein und Meuser in ihrem Sammelband Ernste Spiele. Zur politischen Soziologie des Fußballs (2008) dar. Hervorragend veranschaulicht werden die Zusammenhänge zwischen Fußball und Globalisie rung von Giulianotti und Robertson (2009). Diese zwei Bände sind Beispiele fiir viele honorable Fußballpublikationen, die unzählige Regaimeter in den Biblio theken fiillen. Allen diesen Bänden ist die Beschäftiguug mit dem Sport gemein und doch verlieren sie oft den Fußball aus den Augen: Wichtige Publikationen über Fußball und Diskriminierung (z. B. BleckinglDembowski 2010) oder Fan chöre (z. B. BrinkIKopiez 1998) geben wichtige Einblicke in die Felder Diskri minierung und Fanchöre. Unter dem Oberbegriff des Fußballs werden oft andere gesellschaftliche Phänomene erklärt - nicht aber der Fußball an sich. Eine be sondere Stellung unter den Fußballpuhlikationen nimmt der von Wilhlem Hopf herausgegebene Sammelband Fußball. Soziologie und Sozialgeschichte einer populären Sportart ein (1979), da er die Popularität des Fußballs explizit thema tisiert. Doch über weite Strecken argumentiert der Band beschreibend und streift Erklärungsmodelle nur am Rande. Die Erklärung der Popularität des Fußballs möchten wir mit der vorliegenden Publikation vertiefen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen Ladewig und Vowinckel mit ihrem Sammelband Am Ball der Zeit. Fußball als Ereignis und Faszinosum (2009). Auch sie widmen sich der Erklä rung der Popularität des Fußballs. Von uns unterscheiden sich deren Ansätz durch die stärkere Akzentnierung von Fußball "als Körperpraxis, als kiinstle risch-ästhetische Performance, als Medienereignis und Imaginationsraum" (ebd.: 16). Überscimeidungen mit unserem Werk finden sich in medialen und drarna turgischen Erklärungen. Darüber hinaus betonen wir u. a. historische, zivilisato rische und funktionalistische Aspekte. I Unter Sozialwissenschaften verstehen wir jene theoretischen Erfahrungswissenschaften, die reale Erscheinungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens systematisch erforschen (vgl. HillmaJm 2007: 833). Dazu zählen unter anderem Soziologie, Ethnologie, Politikwissenschaften oder auch Medien wissenschaften. Außerdem sind in diesem. Band Beiträge aus der Philosophie zu finden, da sie für uns eine wichtige Komplementärdisziplin für sozialwissenschaftliche Fächer darstellt, C. Brandt et al. (Hrsg.), Gesellschaftsspiel Fußball, DOI 10.1007/978-3-531-19677-0_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012 10 Christian Brandt, Fabian Hertel & Christian Slassek Zunächst werden in diesem Kapitel in Auszügen sozialwissenschaftliehe Erklärungen zur Popularität des Fußballs vorgestellt. Die hier behandelten An sätze sind zum einen nicht erschöpfend. Zum anderen sind sie keine abgeschlos senen Systeme: Ein Erklärungsmodell steht nicht alleine, sondern wird stets von anderen Thesen begleitet. In anderen Fällen wiederum können sich Ansätze widersprechen. Deshalb handelt es sich bei dem vorliegenden Sammelband nur um eine Annäherung an die Popularität des Fußballs. Es steht dabei jene Varian te des Fußballs im Fokus, über den jeder Mensch eine Vorstellung besitzt, die in nahezu jedem Staat über einen Verband verfUgt, aber auch in jedem Hinterhof gespielt wird. Der Fußball, bei dem sich eine Gruppe gemeinsam körperbetont mit einer anderen misst, indem sie einen Ball zielgerichtet hauptsächlich mit dem Fuß bewegt. Auch wenn sich dem Fußball verwandte Sportarten bereits früh in vielen Kulturen nachweisen lassen2, so gilt doch allgemein als gesichert, dass der mo derne Fußball in den elitären englischen Public Schools zwischen 1830 und 1840 entstanden ist (Dunning 1998: 46). Rasch verbreitete er sich, beflügelt durch die Industrialisierung und die damit einhergehende Urbanisierung, in weiten Teilen der britischen Bevölkerung, sowie in Folge des Kolonialismus weltweit. Es ließe sich also sagen, dass der Fußball ein Phänomen des britischen Imperialismus ist, da er durch Schulen in den Kolonien, durch Soldaten, Seeleute und Migranten global verbreitet wurde. Wäre der Fußball nicht gerade in der Blütezeit des Em pires in Mode gekommen, hätte der Sport die Insel vielleicht nie verlassen. In Europa wurde er v. a. durch Pädagogen verbreitet, die sich Anregungen aus dem wirtschaftlich und sozial fiihrenden Empire holten (Giulianotti 1999: 6ff.; vgl. Dunning 2006: 28). Detlev Clausen weist in einem Gespräch mit Diethelm Ble cking darauf hin, dass Fußball in besonderem Maße mit dem englischen Gent leman in Verbindung gebracht wurde. Dies Gentlemen-Ideal versuchten viele zu übernehmen. Gleichzeitig gab es im Fußball aber auch das Leistungsprinzip, das Mannschaften dazu brachte, starke Arbeiter in den Sport zu integrieren (Ble ckinglClausen 2010: 20f.). Diese soziale Dichotomie kann erklären, warum der Fußball schichtübergreifend Popularität erlangte. Über den Fußball machten sich schon die Soziologen Norbert Elias und Eric Dunning Gedanken (1984). Sie schreiben, dass die Gesellschaft, der Sport und v. a. der Fußball einem Prozess der Zivilisation unterworfen waren und sind. Aus den urspriinglich weit verbreiteten wilden Volksspielen, bei denen Tote und Verletzte billigend in Kauf genommen wurden, entwickelte sich im Laufe der 2 Nach Eduardo Galeano wurde bereits 1000 v. C. im. Amazonasraum eine Art Fußball gespielt. J. Walvin beschreibt, dass in der Han-Dynastie in China 206 v. C. bis 220 n. C. ein Spiel mit Steinbällen gespielt wurde, das in seinen Regeln dem. modernen Fußball gleicht (zitiert nach Giulianotti 1999: 1).