Gesellschaft und Tiere Birgit Pfau-Effi nger • Sonja Buschka (Hrsg.) Gesellschaft und Tiere Soziologische Analysen zu einem ambivalenten Verhältnis Herausgeber Prof. Dr. Birgit Pfau-Effi nger M.A. Sonja Buschka Universität Hamburg, Deutschland ISBN 978-3-531-17597-3 ISBN 978-3-531-93266-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-531-93266-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio- nalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 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Hierbei danken wir insbesondere der Group for Society and Animals Studies (GSA) für ihre unermüdliche und kritische Diskussion und ihre organisatorische Hilfe sowie Christine Fischer und Macide Yurdakul für ihre Unterstützung bei der Formatierung. Ferner danken wir der Fakultät Wirtschaft s- und Sozialwis- senschaft en der Universität Hamburg für ihren fi nanziellen Beitrag zur Überar- beitung und Editierung des Buches und seiner Inhalte. Inhalt Einleitung: Ambivalenzen in der sozialen Konstruktion der Beziehung von Gesellschaft und Tieren Birgit Pfau-Effi nger und Sonja Buschka ................................................................ 9 I. Das Gesellschaft s-Tier-Verhältnis als sozial konstruiertes Machtverhältnis Hirnloser Aff e? Blöder Hund? ‚Geist‘ als sozial konstruiertes Unterscheidungsmerkmal Sonja Buschka und Jasmine Rouamba .................................................................. 23 Die vergessenen ‚Anderen‘ der Gesellschaft – zur (Nicht-)Anwesenheit der Mensch-Tier-Beziehung in der Soziologie Julia Gutjahr und Marcel Sebastian ...................................................................... 57 Das Tierbild der Agrarökonomie. Eine Diskursanalyse zum Mensch-Tier- Verhältnis Achim Sauerberg und Stefan Wierzbitza .............................................................. 73 Das Mensch-Tier-Verhältnis in der Kritischen Th eorie der Frankfurter Schule Marcel Sebastian und Julia Gutjahr ...................................................................... 97 II. Die soziale Beziehung der Gesellschaft zu ihren ‚Haustieren‘ Der Hund in der Erwerbsarbeit der Dienstleistungsgesellschaft . Eine Untersuchung der Merkmale und Bedingungen qualifi zierter Tätigkeiten von Tieren am Beispiel von Hunden Katja Wilkeneit und Bärbel Schulz ........................................................................ 123 8 Inhalt Welchen kommunikativen Stellenwert haben Haustieren? Eine kommuni- kationssoziologische Betrachtung der Mensch-Tier-Beziehung Judith Muster ........................................................................................................... 165 Geschlecht als Prädiktor für Einstellungsunterschiede gegenüber eigenen Haustieren Tom Töpfer und Anne Beeger-Naroska ................................................................. 193 Die soziale Konstruktion des Erziehungsverhältnisses am Beispiel der Erziehung von Kindern und Hunden in der Gegenwartsgesellschaft Maren Westensee ..................................................................................................... 219 III. Ausblick auf das Gesellschaft s-Tier-Verhältnis Tiere sind Lebewesen mit Geist. Und jetzt? Gesellschaft liche Konsequenzen eines neuen Umgangs mit Tieren Sonja Buschka und Jasmine Rouamba .................................................................. 247 Herausgeberinnen, Autorinnen und Autoren ............................................... 275 Einleitung: Ambivalenzen in der sozialen Konstruktion der Beziehung von Gesell- schaft und Tieren Birgit Pfau-Effi nger und Sonja Buschka 1 Zur Vernachlässigung der Thematik in der sozio- logischen Forschung und Theorie Die Soziologie befasst sich nicht nur mit dem Zusammenleben der Menschen, mit ihrem Verhältnis zu den Dingen und ihrer räumlichen Umwelt, sondern auch mit der Beziehung der Menschen zur Natur. Vor dem Hintergrund ist es erstaunlich, dass das Verhältnis der Menschen zu den Tieren, die oft der Natur zugerechnet werden, in der neueren deutschen Soziologie kaum thematisiert wird. Dagegen spielte es bei den „Vätern“ der Soziologie wie Max Weber (1984: 33f.) und Th eodor Geiger (1931) sowie in der Soziologie der Nachkriegszeit, insbesondere auch in theoretischen Arbeiten von Protagonisten der Frankfurter Schule wie Horkhei- mer und Adorno (2004) teilweise eine wichtige Rolle. Eine Erklärung für diese Ausblendung könnte darin liegen, dass die Soziologie auf einer westlich-okziden- talen Denkordnung beruht, die von der Annahme einer strikten Mensch-Tier- Dichotomie ausgeht (Gutjahr/Sebastian und Buschka/Rouamba in diesem Band; Mütherich 2005). Während in der American Sociological Association schon seit längerem eine Sektion „Animals and Society“ existiert, die auch auf den Jahres- tagungen präsent ist, wurde das Th ema in Deutschland erstmals 2006 auf einem Soziologie-Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie behandelt. Dabei ist das Zusammenleben mit Tieren ein wichtiger Bestandteil des All- tagslebens der Menschen: In knapp 30% der deutschen Haushalte, also in nahezu jedem dritten Haushalt, leben Hunde oder Katzen.1 Tiere übernehmen auch Ar- beiten im Dienst der Menschen: So arbeiten Hunde als Suchhunde und Blinden- hunde, und Delphine werden für Th erapiezwecke eingesetzt, und immer mehr Menschen verbringen ihre Freizeit mit Pferden. Diese Liste ließe sich beliebig verlängern. Aus soziologischer Sicht stellt sich in dem Zusammenhang insgesamt 1 Insgesamt leben in Deutschland über 8.2 Mio. Katzen, die sich auf 16,5 % der Haushal- te verteilen, 5.4 Mio. Hunde, die sich auf 13.3 % der Haushalte verteilen, sowie 5.6 Mio. Kleintiere (vgl. Studie des Industrieverband Heimtierbedarf 2009; laut Mitteilung des Pressedienstes vom 04.05.2010). B. Pfau-Effi nger, S. Buschka (Hrsg.), Gesellschaft und Tiere, DOI 10.1007/978-3-531-93266-8_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 10 Ambivalenzen in der Gesellschafts-Tier-Beziehung die Frage, in welcher Weise die Gegenwartsgesellschaft en ihr Verhältnis zu den Tieren defi nieren und ausgestalten. Diese Frage steht im Zentrum des hier vor- liegenden Bandes. Adorno und Horkheimer, die beiden Sozialphilosophen der „Frankfurter Schu- le“, haben in ihren Schrift en in der Mitte des 20. Jahrhunderts herausgearbeitet, dass die Beziehung der Menschen zu den Tieren von der modernen Gesellschaft als eine asymmetrische angelegt ist und auf einer generellen Abwertung der Tiere beruht. Tiere werden zwar einerseits in vielfältiger Hinsicht in die menschliche Gesellschaft einbezogen, dort werden sie aber generell auf der untersten Stufe der Hierarchie verortet; der Charakter des tierlichen Individuums als Subjekt wird dabei negiert. Dieses Mensch-Tier-Verhältnis, so Adorno und Horkheimer, hat seine Basis in der antiken Stoa, in der jüdischen und christlichen Religion sowie im bürgerlichen Denken der Aufk lärung und der Moderne, das durch Bestrebun- gen, die Natur zu beherrschen und durch die Herausbildung instrumenteller Ver- nunft geprägt ist. Den beiden Sozialphilosophen zufolge unterdrücken Menschen die Tiere und nehmen sich das Recht, Tiere für ihre Zwecke zu funktionalisieren und zu töten. Dieses Vorgehen, so die beiden Th eoretiker der „Frankfurter Schu- le“, erscheint als ein Bestandteil der Naturaneignung und als ein legitimes Recht der menschlichen Gesellschaft , über die „natürlichen“ Ressourcen zu verfügen. Indem dieses Verhältnis naturalisiert wird, verlieren die Menschen die Einsicht in dessen Charakter als eine soziale Beziehung. Darin spiegelt sich, so Horkheimer und Adorno, der generelle Charakter des Verhältnisses der Menschen zu ihrer äußeren und inneren Natur im Zeitalter von Aufk lärung und Rationalisierung wider (Horkheimer/Adorno 2004; vgl. auch Mütherich 2004; Sebastian/Gutjahr in diesem Band, Kapitel 5.). Seitdem Adorno und Horkheimer diese Diagnose vorgelegt haben, hat sich allerdings in den westlichen Industriegesellschaft en ein tiefgreifender gesell- schaft licher Wandel vollzogen, der mit der Begriffl ichkeit des Wandels von der Industriegesellschaft zur postindustriellen Gesellschaft nur unzulänglich charak- terisiert wird. Die Entwicklung war insbesondere auch von umfassenden Verän- derungen in den kulturellen Werten und Lebensbedingungen der Menschen ge- prägt, die Prozesse der Individualisierung (Beck 1986), der Enthierarchisierung, der Abkehr von einem autoritären Erziehungsstil und der Ausweitung der Parti- zipation der Bürger und ihrer Organisationen an politischen Entscheidungspro- zessen umfassen. Allgemein wird ein Wandel zu postmodernen, eher liberalen und partizipativen Werten konstatiert (Inglehart 1998). Auch wenn angesichts aktueller Diskussionen um Überwachungsstrategien und die Aushöhlung von Bürgerrechten die Frage umstritten ist, inwieweit liberale und partizipative Wer- te in den Gegenwartsgesellschaft en wirklich eingelöst wurden (vgl. z.B. Brodocz/ Birgit Pfau-Effi nger und Sonja Buschka 11 Llanque/Schaal 2008), kann man doch davon ausgehen, dass diese Ideen in viel- fältiger Weise zum Tragen kommen. Auch das Verhältnis der Gesellschaft zu den Tieren erfuhr in dem Prozess einen Wandel. Tiere wurden in neuen Formen in das Alltagsleben der Menschen einbe- zogen. So hat es hat den Anschein, als werde zumindest den größeren Haustieren wie Hunden, Katzen und Pferden ansatzweise ein Status als Partner und Famili- enmitglied und damit auch ein größeres Maß an Partizipation und Selbstbestim- mung eingeräumt. Dabei erscheint die Beziehung der Menschen zu den Tieren aber zutiefst ambivalent. Denn bei der „Haustierhaltung“ überlagern sich zwei Dimensionen der Mensch-Tier-Beziehung in der Moderne in teilweise äußerst widersprüchlicher Art und Weise. Ist es einerseits möglich, von einer Inklusion und Individualisierung der Haustiere zu sprechen, so wird die Gestaltung ihres Lebens, ihrer Reproduktion und ihres Sterbens andererseits doch menschlichen Interessen untergeordnet; sie werden ihren menschlichen „Besitzern“ bzw. „Hal- tern“ im Rahmen eines speziesistischen Herrschaft sverhältnisses untergeordnet. So lässt sich etwa der Trend zu einer „artgerechten“ Haltung von Reitpferden als Ausdruck einer erhöhten Bereitschaft der menschlichen Gesellschaft interpretie- ren, den Bedürfnissen von Tieren eine stärkere Beachtung zu schenken. Ande- rerseits könnte sich darin auch eine anthropozentrische Sichtweise ausdrücken, bei der es darum geht, eine romantisierte, „natürliche“ Umwelt des Menschen zu inszenieren, die den ästhetischen Bedürfnissen der aufgeklärten Bürgerinnen und Bürger der postindustriellen Gesellschaft des beginnenden 21. Jahrhunderts entgegenkommt. Dahinter bleibt die Tatsache bestehen, dass Reitpferde als Waren gehandelt werden und dass es im Ermessen ihrer Besitzerinnen und Besitzer liegt, über den Körper und das Leben der tierlichen Subjekte auf der Grundlage ihrer eigenen Interessen zu verfügen. 2 Überblick über den Stand der Forschung Wie bereits angedeutet, fi ndet das Verhältnis der Gesellschaft zu den Tieren und die Art, in der es sozial konstruiert ist, seine konkreten Ausformungen und die damit verbundenen Ambivalenzen in der soziologischen Forschung, in den füh- renden wissenschaft lichen Fachzeitschrift en und in den Diskursen der Soziologie erstaunlich wenig Beachtung. Angesichts der großen Bedeutung, die diesem Ver- hältnis im Alltagsleben postindustrieller Gesellschaft en zukommt, erscheint dies paradox. Selbst dort, wo sich internationale wissenschaft liche Zeitschrift en mit Fragen der Mensch-Tier-Beziehung befassen, wie etwa in den interdisziplinär an- gelegten Fachzeitschrift en „Animal“, „Animal Welfare“ oder „Animal Cogniti-
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