Geschmack und Geruch. Physiologische Untersuchungen über den Geschmackssinn von Dr. Wilhelm Sternberg. Mit 5 Textfiguren. SpringerVerlag Berlin Heidelberg GmbH 1906 ISBN 978-3-662-32131-7 ISBN 978-3-662-32958-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-32958-0 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Herrn Prof. Dr. Fedor Krause, dirigierendem Arzt der chirurgischen Abteilung des Augusta-Hospitals in Berlin m Verehrung gewidmet vom Verfasser. Vorwort. Die folgenden Untersuchungen behandeln einige Probleme aus der Physiologie des Geschmackssinnes. Von rein theoretischen Betrachtungen ausgehend, führen sie zu einer neuen Untersuchungsmethode, welche für die Praxis zur pathologischen Prüfung dieses Sinnes geeignet erscheint. Die klinische funktionelle Prüfung sowie die Pathologie des Geschmacks, wie ja auch die Physiologie hat man bisher ganz vernachlässigt. Die Bedeutung der Störungen auch dieses Sinnes für die Praxis und den Wert der Untersuchungen für die Klinik hat als erster und fast einziger der Chirurg, Prof. Fedor Krause, erkannt. Vor anderen dazu berufen, den armen Leidenden, welche von der schmerzreichsten und qualvollsten aller Krankheiten geplagt sind, Hilfe und Heilung zu bringen, war es der Praktiker, der zugleich der theoretischen Erkenntnis über den Geschmackssinn, der physiologi schen Wissenschaft, neue Wege und Anregungen gab, indem er an den Ausfallserscheinungen, welche die Kranken nach der Exstirpation des Ganglion Gasseri darboten, die Funktionen jenes Nervenstammes besser festzustellen vermochte, als das vordem beim Tierexperiment möglich war. Die neue Untersuchungsmethode einem größeren ärztlichen Leserkreise zu unterbreiten, habe ich diese Studien, die an sich nicht in unmittelbarem Zusammen hange stehen, zu einer gemeinsamen Veröffentlichung zusammengefaßt. Berlin, im Januar 1906. Der Verfasser. Inhaltsverzeichnis. Seite Einleitung Erstes K apltel. Schmeckstofte und Riechstofl'e . . . . . 7 Zweites Kapitel. Der Geschmack riechender Schmeckstofl'e bei Ageusie 37 Drittes Kapitel. Der Geruch schmeckbarer Riechstofte bei Anosmie 50 Viertes Kapitel. Die Prüfung des Geschmackssinnes . . . . 69 I. Die physiologische Saporimetrle 70 A. Die qualitative Saporimetrie . . 70 a) Die allgemeine Geschmacksprüfung 70 Reizung durch adäquate Reize . . 70 1. Reizung mit Schmeckstoffen von festem Aggregatzustande . . . . 70 2. Reizung mit Schmeckstoffen von flüssigem Aggregatzustande . . . . . . . . . . 71 3. Reizung mit Schmeckstoffen von gasförmigem Aggregatzustande . . . 74 Reizung durch inadäquate Reize . 75 4. Elektrische Reizung . . . 75 b) Die Isolierte Erregung der Papillen 87 Reizung durch adäquate Reize . . 87 1. Reizung mit Schmeckstoffen von festem Aggregatzustande . . . . 87 2. Reizung mit Schmeckstoffen von flüssigem Aggregatzustande . . . . . . . . . . 90 3. Reizung mit Schmeckstoffen von gasförmigem Aggregatzustande . . . 99 Reizung durch Inadäquate Reize 99 4. Elektrische Reizung 99 VIII Seite B. Die quantitative Saporimetrie 103 Reizung durch adäquate Reize . 105 1. Reizung mit Schmeckstoffen von festem Aggregatzustande 105 2. Reizung mit Schmeckstoffen von flüssigem Aggregatzustande . . . . . . . . . . 108 3. Reizung mit Schmeckstoffen von gasförmigem Aggregatzustande 116 Reizung durch inadäquate Reize 116 4. Elektrische Reizung 116 li. Die klinische Gustometrie 117 A. Die qualitative Gustometrie 117 a) Die allgemeine Gustometrie 117 Reizung durch adäquate Reize . 117 1. Reizung mit Schmeckstoffen von festem Aggregatzustande 117 2. Reizung mit Schmeckstoffen von flüssigem Aggregatzustande 118 3. Reizung mit Schmeckstoffen von gasförmigem Aggregatzustande 125 Reizung durch inadäquate Reize 125 4. Elektrische Reizung 125 b) Die lokalisierte klinische Geschmacksprüfung 128 Reizung durch adäquate Reize . 128 1. Reizung mit Schmeckstoffen von festem Aggregatzustande 128 2. Reizung mit Schmeckstoffen von flüssigem Aggregatzustande 128 3. Reizung mit Schmeckstoffen von gasförmigem Aggregatzustande 133 Eine neue Methode zur Untersuchung des Ge- schmackssinnes mittels eines Gustometers 133 B. Die quantitative klinische Gustometrie 142 Reizung durch adäquate Reizung . 142 1. Reizung mit Schmeckstoffen von festem Aggregratzustande . 142 2. Reizung mit Schmeckstoffen von flüssigem Aggregatzustande 143 3. Reizung mit Schmeckstoffen von gasförmigem Aggregatzustande 147 Ein neues quantitatives Gustometer . 147 E.i n I e it u n g. Die Wissenschaften haben sich dem Studium der ver schiedenen Funktionen der Mundhöhle, im besonderen dem jenigen der objektiven funktionellen Prüfung der Zunge, in geteiltem Maße zugewandt. Die eine Leistung der Zunge, die geistige Nahrung, die Gedanken, zu verarbeiten, nämlich die Sprache, fand das tiefste und nachhaltigste Interesse, so daß die Physiologie, die Psychologie und auch die Pathologie der Sprache in dem kurzen Zeit raum der Begründung dieser Wissenschaften, nach kaum einem halben Jahrhundert, eine außerordentlich hohe Ent wickelung erfahren haben. Im merkwürdigen Gegensatz dazu steht der langsame Fortschritt der Kenntnisse be züglich der zweiten Funktion der" Zunge, die von den Wissenschaften eine stiefmütterliche Behandlung gefunden hat. An der Eingangspforte zum Verdauungskanal, ist die Zunge dazu bestimmt, auch die leibliche Nahrung zu prüfen, mittels des Geschmackssinnes. Die Physiologie, die Psychologie und noch mehr die Pathologie des Geschmackssinnes hat bisher eine un vollkommene Entwickelung erfahren. Der Grund hierfür ist zu einem Teil darauf zurückzuführen, daß man die Reiz mittel des Geschmackssinnes bisher gar nicht genügend untersucht, gesammelt und beachtet hat. Die Unter suchung der Reize leistet naturgemäß für die Physiologie und Pathologie des chemischen Sinnes das nämliche wie Sternberg, Geschmack und Geruch. 1 - 2 diejenige für die Physiologie und Pathologie der physi kalischen Sinne. Sind doch aber überhaupt noch nicht einmal die Geschmacks-Qualitäten der bekanntesten und für die Prüfung gebräuchlichsten Schmeckstoffe mit einiger maßen präziser Schärfe übereinstimmend angenommen. Michelson verwendet auch Chinin als Kostflüssigkeit, hält aber den Geschmack für "süßbitterlich". Ober steiner1) hält die stärkste Chininlösung für geschmack los, wenn der vordere Teil der Zunge sie kostet, und fügt noch hinzu: "Wenn wir mit der stärksten Chininlösung selbst den vorderen Teil der Zunge bestreichen können, ohne die Empfindung des Bitteren zu haben, so wird uns das nicht wundern." Auch Zwaardemaker schreibt dem C-hinin die beiden diametral entgegengesetzten Geschmäcke zu, süß und bitter, und hebt noch als eine höchst auffallende Tatsache hervor, daß im Laufe der Zeit immer mehr Stoffe bekannt geworden sind, die an den verschiedenen Stellen der Mundhöhle eine verschiedene Empfindung zustande bringen. Auf meine Arbeiten hinweisend, meint Zwaardemaker1), daß von mir eine ganze Liste derartiger Verbindungen, so auch Chinin, angeführt sei: "Höchst auffallend ist es, daß im Laufe der Zeit immer mehr Stoffe bekannt geworden sind, die an unter schiedlichen Stellen der Mundhöhle eine verschiedene Empfindung zustande bringen. Auch für einheitliche chemisch vollkommen reine Stoffe hat sich dies bewährt, ') 0 berste in er, Zur vergleichenden Physiologie der ver schiedenen Sinnes-Qualitäten. (Loewenfeld-Curella, Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens, 1905, pag. 6). ") Zwaardemaker, Geschmack. (Ergebnisse der Physiologie. II. Jahrg. 1903, pag. 711). 3 - so z. B. für Brom-Saccharin, das auf der Zungenbasis bitter, auf der Spitze süß schmeckt, und Sternberg (54) gibt sogar eine ganze Liste derartiger Verbindungen (Chinin, Dulcamarin usw.)." In derselben Weise äußert sich auch Nagel 1), indem er den alten Standpunkt von Horn und Picht vertritt, daß nämlich ein und derselbe Stoff an den ver schiedenen Stellen der Zunge einen grundsätzlich ver schiedenen Geschmack erzeugen könne. "Diese letztere Erfahrung", fährt Nage 1 fort, "ist durch neuere Erfahrungen (vgl. z. B. Sternberg, Archiv für Physiologie 1898 und 1903) so erweitert worden, daß man fast sagen kann, alle Substanzen erzeugen je nach der Applikationsstelle ver schiedenen Geschmack." Denselben Standpunkt nimmt Fick 2) ein: "Gestützt wird diese Hypothese von den verschiedenen Fasergattungen auch noch durch die Tatsache, daß manche Körper je nach Umständen verschiedene Ge schmacks-Qualitäten erregen, z. B. zeigt Schwefelsäure in nicht allzu verdünnter Lösung an der Zungenspitze neben dem sauren auch den süßen Geschmack, was sich im Sinne der Hypothese leicht so deutet, daß diese Säure bei einiger Konzentration neben den sauer schmeckenden Fasern auch noch die süß schmeckenden erregt." Wären diese Angaben richtig, so würde dies, auf andere Sinnesgebiete übertragen, folgendes bedeuten: Das, was das linke Auge mit der rechten Retina als rot erkennt, das sieht die linke Retina-Seite des andern Auges blau, die ') Nage I, Der Geschmackssinn. (Handbuch der Physiologie des Menschen. 1904, pag. 64). I) Fick, Compendium der Physiologie des Menschen, 1891, 4. Auf!., pag. 156. 1*