Über dieses Buch Der Begriff der Geschlechterspannung, wie er in diesem Band entwickelt wird, steht in Kontrast zu sozialisationstheoretischen Rollen konzepten, die alles an Mann und Frau in »soziosexuellen Rollen« aufgehen lassen. Wie die Arbeit, so ist auch das Geschlecht an Naturbedingungen gebunden. Bereits die Rede von »zwei Geschlechtern« ist eigentlich nicht korrekt; biologisch korrekt ist zu sagen: Das Geschlecht erscheint in zwei Gestalten, es ist di-morph; daher der Terminus Geschlechtsdimorphismus. Die gesellschaftliche Erscheinungsform der biologischen Zweigeschlechtlich keit ist die Geschlechterspannung. Dieser Begriff hebt gleichermaßen ab auf eine Spannung zwischen den Geschlechtern und auf eine Spannung im einzel nen Individuum. - Dieses Programm wird in vier Kapiteln verfolgt. Im ersten wird das Machtverhältnis von Mann und Frau von seiner biologischen bis zu seiner psychischen Dimension theoretisch umrissen. Im zweiten Kapitel wer den die Methoden und die Grundannahmen der Psychoanalyse in bezug auf das Geschlechterverhältnis dargestellt. Diese Darstellung bildet zugleich die not wendige Einleitung zu den fünf psychoanalytischen Fallgeschichten des dritten Kapitels. In diesen Fallgeschichten wird die Geschlechterspannung im Indivi duum jeweils an einem besonderen Thema herausgearbeitet. Die fünf Themen sind: der Penisneid bei der Frau, der Vaginalneid beim Mann, die latente Per version bei der Frau, Perversion und Ubertragungsperversion beim Mann und der Schrecken der Kastration. Das abschließende vierte Kapitel gilt der Ausein andersetzung mit herrschenden Theorien des Geschlechterverhältnisses. Der Autor Reimut Reiche, Jg. 1941, promovierter Soziologe, zum Psycho analytiker ausgebildet am Sigmund Freud-Institut in Frankfurt am Main. Arbeitet als Psychoanalytiker in eigener Praxis. Veröffentlichungen besonders zu sexualwissenschaftlichen und massenpsychologischen Themen, u.a.: >Sexualität und Klassenkampf< (Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M., 1972), >Der gewöhnliche Homosexuelle< (S. Fischer Verlag, Frankfurt/M., 1974). Reimut Reiche Geschlechterspannung Eine psychoanalytische Untersuchung Fischer Taschenbuch Verlag Das erste Kapitel ist 1986 in der Zeitschrift Psyche erschienen; die dritte Fallgeschichte aus dem dritten Kapitel ebenfalls 1986, in dem Sammelband »Sexualität« (hrsg. v. Psychoanalytischen Seminar Zürich, Syndikat Verlag Frankfurt am Main). Originalausgabe Veröffentlicht im Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, November 1990 © 1990 Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main Alle Rechte Vorbehalten Lektorat Willi Köhler Umschlaggestaltung: Buchholz / Hinsch / Hensinger Abbildung: Joseph Beuys, >Objekt ohne Titels 1949-1950 © VG Bild-Kunst, Bonn, 1990 Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany 1990 ISBN 3-596-10329-0 Inhalt Vorbemerkung .............................................................................. 7 1. Kapitel: Mann und Frau Ein theoretischer Entwurf............................................................ 8 2. Kapitel: Psychoanalyse der Geschlechter Methodische Überlegungen........................................................... 49 3. Kapitel: Fallgeschichten ............................................................................... 75 Der Vaginalneid des Mannes ................................................................... 75 Der Penisneid der Frau.......................................................................... 87 Latente Perversion bei der Frau...........................................................107 Perversion und Übertragungsperversion..............................................125 Der Schrecken der Kastration...............................................................150 4. Kapitel: Schlußbetrachtung Zum Begriff der Geschlechterspannung.....................................165 Anhang Literaturverzeichnis.......................................................................188 Namen-und Sachregister . ............................................................197 Vorbemerkung Dies ist nicht in erster Linie ein Buch über die Beziehung zwischen den Geschlechtern, und überhaupt kein Buch über Beziehungen. Wer Wissen und Aufklärung über soziosexuelle Rollen und darüber sucht, wie Frauen und Männer miteinander, gegeneinander oder unter sich ihre Beziehungen gestalten, gestalten sollten, sich darin abquälen oder glücklich werden, der ist heute mit Literatur leicht versorgt. In diesem Buch wird in erster Linie eine innere Beziehung im Mann und in der Frau untersucht - und diese innere Beziehung wird als Geschlechterspannung benannt. Das andere Geschlecht »hat etwas«, das dem eigenen mangelt, und die aus dieser Differenz sich ergebende Spannung hat vielfältige historische, kulturelle, ökonomische und psychische Erscheinungsformen. Die Spannung, die letztlich aus der Zweigestaltigkeit des Geschlechts selbst herrührt, zeige ich in diesem Buch vor allem mit den methodischen Mitteln der Psychoanalyse auf. Mit und in der Psychoanalyse kann man nichts beweisen, sondern bestenfalls etwas evident machen. Darum enthält dieses Buch ein eigenes Kapitel über die Methode der Psychoanalyse. Herzlichen Dank den fünf Frauen und Männern, die hier als Prota gonisten der Fallgeschichten auf treten. Ich wünsche ihnen und mir, daß sie sich in diesen Geschichten wiedererkennen können. Herz lichen Dank Heinrich Deserno und Volkmar Sigusch, die alle Teile dieses Buches in den vier Jahren seiner Entstehung verfolgt und mit mir durchgesprochen haben. R. R.