ALBIN LESKY GESCHICHTE D ER GRIECHISCHEN LITERATUR DRITTE, NEU BEARBEITETE UND ERWEITERTE AUFLAGE K G SAUR MÜNCHEN 1999 DIESE AUSGABE IST EIN UNVERÄNDERTER NACHDRUCK DER DRITTEN, NEU BEARBEITETEN UND ERWEITERTEN AUFLAGE, ERSCHIENEN IM FRANCKE VERLAG BERN UND MÜNCHEN 1971. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lesky, Albin: Geschichte der griechischen Literatur / Albin Lesky. - Jubiläumsausg. - Unveränd. Nachdr. der 3., neu bearb. und erw. Aufl. - München : Saur, 1999 ISBN 3-598-11423-0 Θ Gedruckt auf säurefreiem Papier / Printed on acid-free paper © 1999 by Κ. G. Saur Verlag GmbH & Co. KG, München Part of Reed Elsevier Printed in the Federal Republic of Germany Alle Rechte vorbehalten / All Rights Strictly Reserved Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig Druck und Binden: Strauss Offsetdruck GmbH, Mörlenbach ISBN 3-598-11423-0 DEM ANDENKEN RUDOLF HEBERDEYS ZUR EINFÜHRUNG Die wahre Vermittlerin ist die Kunst. Über Kunst spre- chen heißt die Vermittlerin vermitteln wollen, und doch ist uns daher viel Köstliches erfolgt. Goethe, Maximen und Reflexionen über Kunst Die Organe der Erkenntnis, ohne die kein rechtes Lesen möglich ist, heißen Ehrfurcht und Liebe. Auch dieWissen- schaft kann ihrer nie entraten ; denn sie begreift und schei- det nur, was die Liebe besitzt; und ohne Liebe bleibt sie leer. Emil Staiger, Meisterwerke deutscher Sprache Literaturgeschichte zu schreiben halten heutzutage manche für unfein, andere schlecht- weg für unmöglich. Die zweite der genannten Meinungen hat einiges für sich, doch ist die Folge einer derart pessimistischen Haltung ein wenig erfreulicher Zustand. Wir haben für den Gegenstand knappe Übersichten, unter denen jene von WALTHER KRANZ als kleines Meisterwerk bei weitem voransteht, auf der anderen Seite aber die fünf Bände, die uns der gigantische Fleiß von WILHELM SCHMID geschenkt hat und deren letzter glücklich an das Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. herangekommen ist. Die Mitte zwischen diesen Extremen ist unbesetzt. Den handlichen Band, der unser Wissen um den Gegenstand so darstellte, daß er dem Studierenden Grundlage, dem wissenschaftlich Arbeitenden erster Behelf und jedem Interessierten Vermittler eines raschen und doch ausreichenden Zuganges zur Literatur der Griechen sein könnte, gibt es in deutscher Sprache nicht. Diese Lücke möchte miser Unternehmen füllen. Dabei ist die Bewältigung eines so umfangreichen Stoffes auf dem vorgesehenen Räume nur auf Grund einiger Ein- schränkungen möglich, die eine kurze Begründung verlangen. Die erste betrifft die griechisch-christliche Literatur, die den Rahmen dieses Bandes gesprengt hätte und an sich um ihrer Bedeutung willen eine gesonderte Behandlung verlangt. Nicht eben so leicht war es, Teile des jüdisch-hellenistischen Schrifttums auszuklammern, doch konnten sie nur in ihrer Randstellung zum Hauptthema Be- rücksichtigung finden. Man wird es ferner von keiner Geschichte irgendeiner Litera- tur verlangen, daß sie zu gleicher Zeit eine Darstellung des philosophischen Denkens und der Wissenschaften in dem betreffenden Gebiete sei. Nun sind diese Dinge für die Griechen vor allem in der Frühzeit schwieriger abzutrennen als sonstwo. Sie haben also ihre Behandlung gefunden, doch kann und will diese Literaturgeschichte nicht zugleich eine Geschichte der griechischen Philosophie und der griechischen Wissen- schaften sein. Während sich das alles weitgehend von selbst versteht, bedarf eine andere Maßnah- me eines besonderen Wortes. Dieses Buch stellt bewußt die großen und für das Wer- den des Abendlandes entscheidenden Leistungen in den Vordergrund. Hier abrißhafte Kürze zu vermeiden war nur möglich, wenn die Akzente nicht völlig gleichmäßig auf allen Erscheinungen lagen oder, um einen anderen Vergleich zu gebrauchen, wenn 8 ZUR EINFÜHRUNG das Kartenbild nicht in allen seinen Teilen auf denselben Maßstab gestellt wurde. Es ist nicht unsere Absicht, die Namen der rund 2000 griechischen Schriftsteller, die wir kennen, alle zu verzeichnen und die Werke vollständig anzuführen, von denen wir außer dem Titel nichts wissen. Auch sind die einzelnen Epochen nicht mit der gleichen Einläßlichkeit behandelt. Während der Archaik und der Klassik der größte in diesem Rahmen mögliche Raum vorbehalten ist und die tragenden Erscheinungen des Hellenismus ebenfalls ausreichend gewürdigt werden sollen, ist die kaum übersehbare Fülle literarischer Hervorbringungen der Kaiserzeit wesentlich kürzer behandelt. Wir meinen, dies mit den eingangs bezeichneten Zwecken dieses Bandes wohl vereinigen zu können. Die Wissenschaft vom Altertum darf es gewiß nie verleugnen, daß sie durch den Historismus gegangen ist, der das klassizistisch verengte Hellenenbild auf- sprengte und jeder Erscheinung an ihrem Orte volle wissenschaftliche Sorgfalt zu- wandte. Man ist sich aber seit der ersten Nachkriegszeit des Rechtes und der Pflicht, das historisch Erfaßte in seiner Bedeutung zu werten, erneut bewußt geworden. Ein Werk, das auf letzte Vollständigkeit angelegt ist, mag einen Cassius Dio mit der gleichen Ausführlichkeit behandeln wie Thukydides und einen Musaios wie Homer, in einer Darstellung, die das Wesentliche vermitteln will, wäre dies widersinnig. Durch Verzichte der angeführten Art sollte den großen, über die Zeiten wirk- samen Werken der griechischen Literatur der Raum für die Behandlung nach be- stimmten Grundsätzen gewonnen werden. Es war nicht die Absicht des Verfassers, hier mit Einzelheiten zu sparen. Unsere Zeit ist dem Geschichtlichen gegenüber träge geworden, und hinter all den geistvollen Subjektivismen und oft recht schiefen Popularisierungen wird eine Scheu vor ehrlicher Auseinandersetzung und eine Ver- dünnung tatsächlichen Wissens erkennbar, die in beklemmender Weise an Vorgänge in der sinkenden Antike erinnert. Entwicklungen solcher Art möchte dieses Buch zu seinem bescheidenen Teile dadurch begegnen, daß es an den entscheidenden Stellen Fülle des Tatsächlichen nicht meidet und ebenso die wissenschaftliche Problematik zeigt. Was WERNER JAEGER einmal geschrieben hat (Gnomon 1951, 247), ist uns ein Leitwort: *Das eigentlich Wichtige sind... die Probleme, und wir haben unser Bestes getan, wenn wir sie offen halten und künftigen Geschlechtern lebendig überliefern.» Das Recht des Autors, seine eigene Stellung zu vertreten, ist mit der Würdigung anderer Sehweise durchaus vereinbar, und nicht selten wird auch das Einbekenntnis unseres Nicht- wissens oder nicht gelöster Zweifel zur wissenschaftlichen Pflicht. Literaturgeschichte ist - und darum gehen ihr so viele aus dem Wege - heute mehr denn je in schwierige Antinomien gestellt. Genetische Entwicklung und Betrachtung der Erscheinungen in ihrer Eigenständigkeit, Bedingtheit durch die Umwelt und Ausprägung des Individuellen, Einfügung in das Genos und Durchbrechung seiner Schranken, unmittelbare Nähe zu den Werken auf Grund der allgemein menschlichen Voraussetzungen (aber Nietzsche hat vor der impertinenten Familiarität gewarnt!) und Distanz zu den Griechen als den von unserem Denken vielfach Getrennten: damit sind einige der gegensätzlichen Standpunkte bezeichnet, die ihren Anspruch anmelden. Wir vermeiden lange theoretische Auseinandersetzungen, bekennen es ZUR EINFÜHRUNG 9 jedoch als unsere Überzeugung, daß hier echte Gegensätze vorliegen und jede der bezeichneten Positionen ein Stück Recht für sich beanspruchen kann. Fruchtbare Auseinandersetzung mit ihnen ist nur durch die Darstellung selbst möglich. Ihre schwierigste und in gewissem Sinne unerfreulichste Aufgabe ist die Gliederung in Epochen und deren weitere Unterteilung, da bei solchem Beginnen in jedem Falle lebendige Zusammenhänge durchschnitten werden. Zwar bieten sich die großen Abschnitte im Falle der griechischen Literatur ohne weiteres an, ihre Teilung ist jedoch schwierig und gefährlich. Es schien uns richtig, hier keine starre Systematik zu erzwingen, sondern das Einteilungsprinzip nach der Natur der Dinge zu wechseln. In der Archaik, der großen Zeit des Werdens, empfiehlt es sich, die Trennung nach Arten in den Vordergrund zu stellen, die Zeit der Polis verlangt eine zeitliche Unter- teilung, während im Hellenismus zumindest anfangs die Entwicklung in starker örtlicher Trennung der Bereiche vor sich ging. In jedem Falle aber scheint es uns wichtig, durch diese und jede verwandte Gliederung nicht Sperren in einen Fluß einzubauen, der bald rascher, bald langsamer strömte, nie aber unterbrochen war. Mit dem Wunsche, die Problematik offenzuhalten, hängt es zusammen, daß dieses Buch auf Literaturangaben nicht verzichtet. Natürlich war nur eine Auswahl mög- lich, was unweigerlich ein subjektives Moment mit sich bringt. Im allgemeinen galt der Grundsatz, nach Möglichkeit die neuesten Zeugen der wissenschaftlichen Debatte anzuführen und neben der Bedeutung der einzelnen Arbeit auch das Maß in Rech- nung zu stellen, in dem sie den Zugang zu weiterer Literatur ermöglicht. Weit ent- fernt davon, auch nur für die letzten Jahre Vollständiges zu bieten, möchten die Literaturangaben dem wissenschaftlich Arbeitenden überall die Schrittsteine für wei- teres Vordringen zurechtlegen. Häufiger genannte Werke finden sich im Abkür- zungsverzeichnis, das ominöse «a. O.» ist nur gesetzt, wenn der Leser nicht weit zurückzugehen braucht, und häufig ist damit oder einem «s. o.» aus dem Anmerkungs- teil auf die unmittelbar voraufgehenden Literaturangaben verwiesen. Es ist hier nicht der Ort, die reichen bibliographischen Hilfsmittel der klassischen Philologie aufzuführen, doch sei neben L'année philologique als unentbehrlicher Grund- lage noch J. A. NAIRNS Classical Hand-List (Oxf. 1953) und als sehr nützlich Fifty Years of Classical Scholarship (Oxf. 1954) genannt. Über die Anführungen im Laufe der Darstellung hinaus möchten wir auch an dieser Stelle zweier Werke gedenken, die unser Verständnis der griechischen Literatur für weite Abschnitte gefördert haben; wir meinen WERNER JAEGERS Paideia und HERMANN FRANKELS Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. Eben weil das Werk außerhalb der philologischen Tradition steht, viele Dinge aber in origineller und überraschender Weise neu zur Debatte stellt, wollen wir schließlich einen Hin- weis auf ALEXANDER RÜSTOWS Ortsbestimmung der Gegenwart, Zürich 1950, nicht unterlassen. WIBN ALBIN LBSKY