Geschichte der antiken Biographie I Holger Sonnabend Geschichte der antiken Biographie Von Isokrates bis zur Historia Augusta Verlag J.B. Metzler Stuttgart · Weimar III Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Sonnabend, Holger: Geschichte der antiken Biographie : von Isokrates bis zur Historia Augusta / Holger Sonnabend. – Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2002 ISBN 978-3-476-01914-1 ISBN 978-3-476-01914-1 ISBN 978-3-476-04390-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-04390-0 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro- verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2002 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 2002 www.metzlerverlag.de [email protected] Vorwort Das vorliegende Buch basiert auf einer Vorlesung, die vor einigen Jahren am Historischen Institut der Universität Stuttgart gehalten wurde. Das Hauptziel bestand damals darin, den häufig unterschätzten historischen Quellenwert der antiken Biographie herauszustellen. Gleichzeitig ging es ganz allgemein darum, der Biographie im Rahmen der antiken Literatur jene Aufmerksamkeit zu schen- ken, die ihr, trotz vielfältiger Bemühungen von Althistorikern und Philologen, bis dahin versagt geblieben war. In der Zwischenzeit hat sich die Situation in erfreulicher Weise gewandelt. So- wohl in den Geschichts- als auch in den Literaturwissenschaften ist die Biographie zu einem vielbeachteten, freilich auch sehr kontrovers diskutierten Forschungs- gegenstand geworden. Von daher erscheint es an der Zeit, eine Gesamtdarstellung der Geschichte der antiken Biographie von den Anfängen bei den Griechen bis in die Spätantike vorzulegen. Angesichts der regen Debatten in der Forschung ist dies kein risikofreies Unternehmen. Jedoch darf eine Gesamtdarstellung das Privileg für sich in Anspruch nehmen, durchaus subjektive Akzente zu setzen. So bildet, wie in der Vorlesung, auch in diesem Buch der historische Ansatz die Grundlage, ohne allerdings die literaturwissenschaftliche Perspektive zu vernach- lässigen. Weiterhin war darauf zu achten, dass neben der notwendigen Detail- analyse der einzelnen Werke der Blick für das Ganze nicht verloren ging. Ein leitender Aspekt bei der Abfassung des Buches war es daher, die strukturellen, d.h. vor allem auch: die politischen und sozialen Bedingungen aufzuzeigen, die für das Genre der Biographie von Bedeutung gewesen sind. Zugunsten des um- fassenden Überblicks wurde, wie schon die relativ geringe Zahl der Anmerkungen zeigt, auf eine in die Einzelheiten gehende Debatte der Forschungspositionen verzichtet. Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass die Ausführungen im Text selbstverständlich auf einer kritischen Auseinandersetzung mit der relevan- ten Forschungsliteratur beruhen. Alle maßgeblichen Titel sind im Übrigen im Anhang sowohl unter den jeweiligen antiken Autoren als auch in einer allgemei- nen Bibliographie aufgeführt. Die Hoffnung, mit diesem Buch der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Biographie weitere Impulse zu verleihen zu können, verbinde ich mit einem speziellen Dank an Dr. Oliver Schütze. Bereits zum dritten Mal konnte ich bei einer Publikation für den Metzler-Verlag von seiner kompetenten und koopera- tiven Betreuung profitieren. Holger Sonnabend V Inhalt Einleitung 1 Das Unbehagen an der antiken Biographie 1 Biographie und Historiographie 4 Biographien als historische Quelle 8 Antike Biographie und moderne Biographik 13 Der Aufbau des Buches 15 Die Entstehung der Biographie bei den Griechen 17 Kriterien der Definition 17 Politische und literarische Rahmenbedingungen 19 Biographische Exkurse bei Herodot und Thukydides 21 Herodot: Kyros und Kambyses 21 Thukydides: Das Porträt des Themistokles 25 Biographien der klassischen Zeit 32 Isokrates 32 Die literarische Gattung des Enkomions 32 Der Epitaphios als spezielle Form der Lobrede 33 Der Autor 33 Euagoras als historische Persönlichkeit 36 Das Euagoras-Enkomion des Isokrates 37 Xenophon 41 Der Autor 42 Die literarische Produktion des Xenophon 45 Agesilaos als historische Persönlichkeit 46 Die Agesilaos-Biographie 48 Die Kyrupaideia 54 Autobiographien 59 Das Problem der Anfänge 59 Platons 7. Brief 61 Die Antidosis des Isokrates 61 VII Inhalt Die hellenistische Biographie 62 Politische und literarische Rahmenbedingungen 62 Theophrast 63 Aristoxenos 68 Hermippos 71 Satyros 75 Antigonos von Karystos 77 Autobiographien 79 Die Gattung der Hypomnemata 79 Aratos von Sikyon 80 Ptolemaios VIII. Euergetes II. 81 Zusammenfassung 82 Die Anfänge der Biographie bei den Römern 84 Allgemeine Überlegungen 84 Politische Rahmenbedingungen 84 Die Grabrede (laudatio funebris) als Vorläufer der römischen Biographie 87 Römische Autobiographien in der Zeit der Republik 89 Die Bedingungen der Entstehung 89 Scipio Africanus d. Ä. 89 Q. Lutatius Catulus 90 M. Aemilius Scaurus 92 P. Rutilius Rufus 92 L. Cornelius Sulla 93 Römische Biographien im Übergang von der Republik zur Kaiserzeit 99 Biographische Elemente im Werk des Historikers Sallust 99 M. Terentius Varro 103 Der Autor 103 Die »Imagines« 104 Cornelius Nepos 107 Der Autor 107 Werke 107 De viris illustribus 108 Die Autobiographie des Augustus 113 VIII Inhalt Nikolaos von Damaskus 119 Der Autor 120 Werke 120 Die Biographie des Augustus 121 Iulius Marathus 123 Geschichtsschreiber als Biographen in der römischen Kaiserzeit 125 Velleius Paterculus: Der Caesar-Exkurs 125 Flavius Josephus: Die Autobiographie 129 Tacitus: Die Biographie des Agricola 133 Werke 134 Karriere 135 Der Historiker Tacitus 137 Die Agricola-Biographie 137 Die Klassiker des Genres: Plutarch und Sueton 146 Plutarch 146 Der Autor 146 Die literarische Produktion 147 Die Kaiserbiographien 148 Die Parallelbiographien 149 Sueton 168 Der Autor 169 Werke 171 De viris illustribus 171 Die Kaiserbiographien 172 Die spätere Kaiserzeit 183 Politische und literarische Rahmenbedingungen 183 Marius Maximus 185 Die Philosophen-Biographie: Diogenes Laertios und Philostratos 190 Diogenes Laertios 191 Philostratos 195 Leben des Apollonios von Tyana 195 Vitae Sophistarum 196 Kaiser und berühmte Männer: Aurelius Victor 199 Die Heiligen-Biographie: Athanasios und die Vita des Antonios 209 Die Historia Augusta 214 IX Inhalt Einige Schlussfolgerungen 222 Anmerkungen 223 Anhang 226 Textausgaben, Kommentare, Übersetzungen, Sekundärliteratur 226 Allgemeine Bibliographie 240 Personenregister 242 Stellenregister 245 X Einleitung Das Unbehagen an der antiken Biographie Eine Geschichte der antiken Biographie zu schreiben, bedarf der Rechtfertigung. Dies wäre nicht notwendig, würde man sich dazu entschließen, eine Geschichte der antiken Historiographie vorzulegen. Herodot, Thukydides, Polybios, Sallust, Tacitus sind, um nur die berühmtesten Vertreter zu nennen, formidable Histo- riker gewesen. Sie haben wichtige, allgemein geschätzte Werke geschrieben. Dem- entsprechend haben sie in modernen Literaturgeschichten und Handbüchern zur Antike ausführlichste Behandlung gefunden. Mit der Biographie verhält es sich anders. Sie fristet in eben jenen Literaturgeschichten und Handbüchern ein eher kümmerliches Dasein. Was dort über die antiken Biographen gesagt wird, ist in der Regel nicht besonders schmeichelhaft. Gewicht hatte und hat immer noch das Wort Theodor Mommsens, der selbst mit seiner Römischen Geschichte in der Mitte des 19. Jahrhunderts historiogra- phische Maßstäbe setzte. Mit der ihm eigenen drastischen Diktion bezeichnete er die Historia Augusta, die spätantike Sammlung römischer Kaiserbiographien, als »eine der elendsten Sudeleien, die wir aus dem Altertum haben.«1 Mommsen durfte aufgrund seiner Autorität so urteilen. Andere Gelehrte, sowohl Philologen als auch Althistoriker, stimmten ihm bei dem Urteil über antike Biographien in der Tendenz zu, mussten in der Form aber etwas moderater sein. Über den spät- republikanischen römischen Biographen Cornelius Nepos lesen wir in einem jüngeren Lexikonartikel: »Der Stil des Cornelius Nepos ist schlicht und ohne sprachliche oder darstellerische Raffinesse, mitunter salopp und trivial. Senten- zen ... gehen über einfache, praktische Lebensphilosophie nicht hinaus. Obwohl nicht ohne Kenntnis historischer Literatur, betont er öfters, kein Historiker zu sein; in der Tat zwingt seine Verwendung historischen Materials zur Vorsicht. Eben- sowenig läßt sich ein Gestaltungsprinzip für die Anlage der Biographien erken- nen.«2 Es ist ausgeschlossen, dass Ähnliches einmal über Thukydides oder Tacitus gesagt worden ist. Nicht viel anders, eher noch schlimmer fällt in demselben Nachschlagewerk das Urteil über Sueton aus, den wohl bekanntesten römischen Biographen: »Nicht nur der Stil und die Darstellungsweise, ... sondern auch die Komposition und die gesamte Haltung erweisen die Caesares als Repräsentanten des genus tenue, als fast schon ›subliterarisches‹ Werk. Sueton hat nicht in dem Maße ›Geschichte‹ bringen wollen, wie gemeinhin vorausgesetzt wird; seine Caesares zielen vor allem auf Unterhaltung. So erklären sich einerseits das Fehlen jeglicher Tendenz oder Geschichtsauffassung, andererseits die Faktenfreudigkeit und die Vorliebe für Anekdoten, Klatsch und allzumenschliche Züge.«3 Diese wenigen 1
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