GermanischeAltertumskundeimWandel Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Sebastian Brather, Wilhelm Heizmann und Steffen Patzold Band 100/1 Germanische Altertumskunde im Wandel Archäologische, philologische und geschichtswissenschaftliche Beiträge aus 150 Jahren Herausgegeben von Sebastian Brather, Wilhelm Heizmann und Steffen Patzold Teil 1: Einleitung, archäologische und geschichtswissenschaftliche Beiträge ISBN978-3-11-056185-2 e-ISBN(PDF)978-3-11-056306-1 e-ISBN(EPUB)978-3-11-056197-5 ISSN1866-7678 LibraryofCongressControlNumber:2020947328 BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschenNationalbibliografie; detailliertebibliografischeDatensindimInternetunterhttp://dnb.dnb.deabrufbar. ©2021WalterdeGruyterGmbH,Berlin/Boston Satz:IntegraSoftwareServicesPvt.Ltd. DruckundBindung:CPIbooksGmbH,Leck www.degruyter.com Inhaltsverzeichnis SebastianBrather,WilhelmHeizmannundSteffenPatzold ‚GermanischeAltertumskunde‘imRückblick.Einführung 1 ZurEinrichtungderTexte 37 I Etablierung(ca.1850 bis1900) GeorgWaitz ZurDeutschenVerfassungsgeschichte(1845) 41 Kommentar 70 LudwigLindenschmitundWilhelmLindenschmit ZeitbestimmungunsererAlterthümer(1848) 75 Kommentar 85 II Verfestigung(um 1900) GustafKossinna DievorgeschichtlicheAusbreitungderGermaneninDeutschland(1895) 91 Kommentar 104 IIINeuansätze undihr Fortwirken(1930erbis1950erJahre) HansZeiß DiegeschichtlicheBedeutungderVölkerwanderungskunst(1937) 111 Kommentar 122 HeinrichDannenbauer Adel,BurgundHerrschaftbeidenGermanen.Grundlagenderdeutschen Verfassungsentwicklung(1941) 127 Kommentar 174 WalterSchlesinger HerrschaftundGefolgschaftindergermanisch-deutschen Verfassungsgeschichte(1953) 179 Kommentar 221 VI Inhaltsverzeichnis IVNeueAkzente(1970erund1980erJahre) ReinhardWenskus Einleitungzu:StammesbildungundVerfassung.DasWerdender frühmittelalterlichengentes(1961) 227 Kommentar 239 HeikoSteuer FrühgeschichtlicheSozialstruktureninMitteleuropa.ZurAnalyseder AuswertungsmethodendesarchäologischenQuellenmaterials(1979) 243 Kommentar 281 VNeuausrichtungen (1990–2010) WalterPohl VomNutzendesGermanenbegriffeszwischenAntikeundMittelalter:eine forschungsgeschichtlichePerspektive(2004) 287 Kommentar 304 JörgJarnut Germanisch.PlädoyerfürdieAbschaffungeinesobsoletenZentralbegriffes derFrühmittelalterforschung(2006) 307 Kommentar 316 HubertFehr GermanischeEinwanderungoderkulturelleNeuorientierung?Zuden AnfängendesReihengräberhorizontes(2008) 319 Kommentar 351 PhilippvonRummel TheFadingPowerofImages.Romans,Barbarians,andtheUsesofa DichotomyinEarlyMedievalArchaeology(2013) 355 Kommentar 393 NachweisderOriginalpublikationen 397 Sebastian Brather,Wilhelm HeizmannundSteffen Patzold ‚ ‘ Germanische Altertumskunde im Rückblick. Einführung Vorspann WasderBegriff‚germanisch‘bezeichnetundwelcheVorstellungensichmitGerma- nenverbinden,dashatsichimmerwiederverändert.UmdieMittedes19.Jahrhun- dertsbegannendiedeutschePhilologie,dieGeschichteunddieArchäologiegerade erst,sichalswissenschaftlicheDisziplinenimheutigenSinnezuetablieren.Biszur Wende zum20.Jahrhundert aberwarendannschonetlichejenerInstitutionen ge- gründet,dienochbisheutefürdieFächervonBedeutungsind.Esentstandennicht nur spezialisierte Lehrstühle und Universitätsinstitute für die Geschichte und die PhilologiendesMittelalters,sondernauchdieverschiedenenHistorischenKommis- sionen, auf Dauer angelegte Großunternehmen wie die „Monumenta Germaniae Historica“ (ab1826), die „Regesta Imperii“ (ab1839) oder das „GrimmscheWörter- buch“ (ab 1854), Institutionen wie das Römisch-Germanische Zentralmuseum in Mainz (1852) oder das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg (1852), zentrale Publikationsorgane wie die „Zeitschrift für deutsches Altherthum“ (ab 1841), die „Historische Zeitschrift“ (ab 1859), die „Zeitschrift für deutsche Philologie“ (ab 1869),außerdemdiverseHandbücherundFachlexika. AlseinenTeildiesesInstitutionalisierungsprozesseskannmanauchden„Hoops“ begreifen, der in den Jahren 1911 bis 1919 erschien:1 jenes umfassende „Reallexikon derGermanischenAltertumskunde“,dasab1968ineinerzweitenAuflageüberarbei- tet wurde2 und seit 2011, nunmehr elektronisch, als „Germanische Altertumskunde Online“ stetig aktualisiert und ergänzt wird.3 Seit 1986 wird das Reallexikon zudem voneinerBuchreihebegleitet:Diese„Ergänzungsbände“bietenvorallemRaum,um spezifischeEinzelthemendesFeldesinMonographienoderSammelbändenabzuhan- deln.ImmerwiedersindinErgänzungsbändenaberauchderZuschnitt,dieAusrich- tungunddieGrenzenderGermanischenAltertumskundeselbstdiskutiertworden. Das vorliegende Buch bildet nun den 100. Band dieser Reihe. Wir möchten den Anlass nutzen, um im historischen Rückblick zumindest einen kleinen Aus- schnitt aus der langen Geschichte der Germanischen Altertumskunde seit Mitte des 19. Jahrhunderts anschaulich zu machen – und damit zugleich beizutragen 1 Reallexikon der germanischen Altertumskunde, unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrten hrsg.JohannesHoops,Bd.1–4(Straßburg1913–1919). 2 ReallexikonderGermanischenAltertumskunde,begründetvonJohannesHoops,2.,völligneubear- beiteteundstarkerweiterteAuflage,Bd.1–35sowie2Registerbände(Berlin,NewYork1968–2008). 3 Vgl.https://www.degruyter.com/view/db/gao https://doi.org/10.1515/9783110563061-001 2 SebastianBrather,WilhelmHeizmannundSteffenPatzold zur aktuellen Diskussion über die Inhalte und den Zuschnitt dieses Feldes insge- samt. Wir haben dafür philologische, geschichtswissenschaftliche und archäolo- gische Beiträge aus rund 150 Jahren Forschungsgeschichte ausgewählt, die wir hier erneut abdrucken. In kurzen Kommentaren verorten wir diese Beiträge je- weils in ihrem historischen Kontext und umreißen ihre Bedeutung für die Ent- wicklung des Forschungsfeldes. Was wir damit bieten, ist von vornherein nicht als umfassendes Kompendium gedacht: Kein einzelnes Buch dieser Art kann für sich in Anspruch nehmen, die Fülle der internationalen Forschungen aus rund eineinhalbJahrhundertenwissenschaftlicherArbeitangemessenabzubilden.Uns war es jedoch wichtig, nicht nur die aktuelle, sehr internationale Diskussion zu bündeln,sondernweitins19.Jahrhunderthineinzurückzublicken.DenneinGut- teil auch noch der jüngeren Debatten kreist um Annahmen, die schon sehr früh, teilsschon im Zuge der Verwissenschaftlichung der beteiligten Disziplinen selbst kanonisiert worden sind – und wohl gerade deshalb auch so erstaunlich lange habenwirkmächtigbleibenkönnen. Statt ein auf Vollständigkeit ausgerichtetes Handbuch der Geschichte der Alter- tumskunde bieten wir also nur Schlaglichter auf einen langen und komplexen For- schungsprozess.ManchederhierwiederabgedrucktenBeiträgewirdmanzweifellosals Meilensteine der Germanischen Altertumskunde bezeichnen dürfen; sie sind immer wieder zitiert worden und füllen noch immer die wissenschaftlichen Apparate ein- schlägiger Publikationen. Andere Beiträge sind dagegen mittlerweile fast vergessen. SiebildenjedochZeittypischesab,daszunächstdurchauswichtigwar,auchwennes heutekaummehreineRollespielt.BeiderAuswahlhabenwirunsvorallemeineharte Grenzegesetzt:DerBandbeschränktsichaufdiedeutschsprachigeForschung.Selbst- verständlichistdieDiskussionüberGermanenundihreKulturschonfrühauchinter- nationalgeführtworden.Dochistder RaumeineseinzelnenBandesbeschränkt, und es erschien uns wichtiger, das hohe Alter und die erstaunliche Wirkmacht mancher Grundannahmendes19.JahrhundertsinnerhalbderdeutschsprachigenForschungan- schaulich zu machen. Wir haben deshalb Beiträge ausgewählt, die miteinander in einergewissenBeziehungstehen–undgarnichterstversucht,dieVielstimmigkeitder internationalenForschunganzudeuten,dieineinemsolchenRahmenohnehinnurin Ansätzenabzubildengewesenwäre.DassdieAuswahlsubjektivist,dasssichauchan- dereAkzentehättensetzenlassen,dassdieFülleder ForschungindiesemBuchbes- tenfallsangedeutetist–alldasgestehenwirvonvornhereinein. Dennoch hoffen wir, dass der Band nicht ohne Nutzen sein wird. Er kannStu- dierenden und Doktoranden helfen, sich einen ersten Eindruck von wesentlichen EtappeninderErforschungjenerGesellschaftenzuverschaffen,diemanim19.Jahr- hundert wie selbstverständlich als ‚Germanen‘ bezeichnete. Da die Forschung in diesemFeldaberschonseitihrenAnfängenebensointerdisziplinärausgerichtetgewe- senistwieder„Hoops“inseinendreiAuflagen,sindwiroptimistisch,dassdieZusam- menschau von philologischen, archäologischen und geschichtswissenschaftlichen ‚GermanischeAltertumskunde‘imRückblick.Einführung 3 Forschungsbeiträgen aus 150 Jahren auch für manchen Kenner noch interessante Einsichtenbereithaltenkann. Für die Struktur des Bandes haben wir fünf Zeitschnitte gesetzt und uns be- müht,ausallendreiDisziplinenjeweilseinenparadigmatischen(oderdochzumin- dest zeittypischen) Beitrag zusammenzustellen. Allein aus Gründen des Umfangs und der Arbeitsorganisation finden sich die – besonders eng aufeinander bezoge- nen – archäologischen und geschichtswissenschaftlichen Beiträge in einem ersten Teilband, die philologischen in einem zweiten. Den ersten Schnitt haben wir um dieMittedes19.Jahrhundertsangesetzt,alsdieEtablierungder‚GermanischenAl- tertumskunde‘ als wissenschaftliches Feld gerade erst begann. Einen zweiten Zeit- schnitt stellen die Jahre um 1900 dar; damals waren viele Thesen und Annahmen bereitskanonisiertundkonntensichdahernuningroßenHandbüchernundFach- lexika zu disziplinärem Grundwissen verfestigen. Die 1930er/1940er Jahre bildeten danneineZeit,indersichunterdenBedingungendernationalsozialistischenHerr- schaft in Deutschland ein Paradigmenwechsel vollzog, unter dessen Oberfläche freilichmancheKernannahmendes19. Jahrhundertskraftvollweiterwirkten. Wäh- rend das Jahr 1945 wissenschaftlich in diesem Feld kaum einen Einschnitt bedeu- tete und die Leitperspektiven der 1930er/1940er Jahre zunächst ohne tiefen Bruch weiterbestanden, lässt sich seit den 1960er Jahren erneut ein Wandel beobachten. Nunwurde,wennauchanDiskussionender1930erJahreanknüpfend,dieExistenz germanischer Stämme und Völker nicht mehr als immer schon gegeben vorausge- setzt, sondern deren Werden und Wandel unter dem Begriff der ‚Ethnogenese‘ er- forscht.UnserletzterZeitschnittschließlichführtbisindiejüngsteVergangenheit: AuchhierhabenwirbewusstkeineganzaktuellenForschungsbeiträgeversammelt, bilden aber dochTeile jener Diskussion ab, die um2000 dazuführte, dassder Be- griffdes‚Germanischen‘selbst–jedenfallsalsanalytischerBegriffderForschung– injeeigenerWeiseinArchäologieundGeschichtswissenschaftfragwürdigwurde. Wirhoffen,dassdasBuchmithilfedieserZeitschnittedieWirksamkeitmancher GrundfragenundVorannahmeninallendreiDisziplinensichtbarmachenkann,zu- gleich aber auchfächerübergreifende Rezeptionsprozesse und Phasenverschiebun- gen veranschaulicht, bis hin zu Brüchen, Spannungen und Missverständnissen im interdisziplinären Austausch. Um die historische Kontextualisierung wie auch den VergleichdereinzelnenBeiträgezuerleichtern,stellenwirimFolgendendieeinzelnen Zeitschnittenochetwasausführlichervor. I.Etablierung(ca. 1850bis1900) AlssichumdieMittedes19.JahrhundertsdieGeschichtealswissenschaftlicheDis- ziplin im heutigen Sinne zu etablieren begann, hatten die Vertreter des jungen Fachsmeist(auch)Jurastudiert.DasInteressederHistorikerwaraufdieGeschichte desRechts,derVerfassungundderpolitischenStrukturengerichtet.MitdemBlick