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Genozid und Moderne: Band 1: Strukturen kollektiver Gewalt im 20. Jahrhundert PDF

411 Pages·1998·17.777 MB·German
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Genozid und Moderne Genozid und Moderne Band 1 Strukturen kollektiver Gewalt im 20. Jahrhundert Herausgegeben von Mihran Dabag und Kristin Platt Leske + Budrich, Opladen 1998 Titelgrafik: Assadour 1996 Gedruckt auf säurefreiem und altersbeständigem Papier. ISBN 978-3-8100-1822-9 ISBN 978-3-322-97381-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-97381-8 © 1998 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschlie6lich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung au6erhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmun.ç des Verlages unzulässig und stratbar. Das gilt insbesondere fUr Vervielfá1tigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt Seite Kristin Platt Genozid und Moderne: Strukturen kollektiver Gewalt im 20. Jahrhundert. Einleitung 5 Burkhard Liebsch Vom Versprechen, das wir sind. Versuch einer Annäherung an das Thema "Genozid und Moderne« 39 Zygmunt Bauman Das Jahrhundert der Lager? 81 Michael Schäfer Die Rationalität, die Moderne und der Holocaust 100 Wolfgang Benz Vernichtung als politische Kategorie im Denken des 20. Jahrhunderts 123 Horst Gründer Genozid oder Zwangsmodernisierung? Der moderne Kolonialismus in universalgeschichtlicher Perspektive 135 Mihran Dabag Jungtürkische Vis ionen und der Völkermord an den Armeniern 152 Bernhard Giesen Antisemitismus und Rassismus 206 Hans Mommsen Der Weg zur Vernichtung der europäischen Juden 241 HaraId Welzer Massenmord und Moral. Einige Überlegungen zu einem miBverständlichen Thema 254 Gerhard Armanski GULag -Hinterhöfe des Stalinismus 273 Frank ChalkiKurt Jonassohn Genozid -Ein historischer Überblick 294 Roger W. Smith Pluralismus und Humanismus in der Genozidforschung 309 Irving Louis Horowitz Wissenschaft, Modernität und autorisierter Terror 320 Karl Josef Partsch t Die Armenierfrage und das Völkerrecht in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Zum Wirken von André Mandelstam 338 Otto Luchterhandt Bekämpfung von Völkermord: Konzepte des Völkerrechts 347 Zu den Autoren 408 Kristin Platt Genozid und Moderne: Strukturen kollektiver Gewalt im 20. Jahrhundert. Einleitung Genozid und Moderne? Die Begriffskombination mag leichtfertig, plakativ gedankenlos oder provozierend erscheinen. Kann die Zusammenführung zweier so viel schichtiger Begriffe überhaupt eine weiterführende, viel schichtige Diskussion eröffnen? Überwiegt nicht die Befürchtung der Ste reotypisierung und Analyseungenauigkeit angesichts des unpräzisen und schlagwortartigen Charakters der Begriffe jene Versuche, dem Konstrukt programmatische Bedeutung zuzuschreiben? Steht eine unter dem Kon zept GenozJd und Moderne geführte Diskussion unvermeidbar vor der Gefahr, zum Irrläufer des unklaren Bedeutungshorizonts der beiden Ein zelbegriffe selbst zu werden? Oder charakterisiert das Konzept nicht doch ge rade die aktuellen Ausprägungen und Richtungen der Diskussionen urn Verfolgung und Völkermord? Wenn das letztere der Fall sein sollte, aus welchen Gründen wird dann die norrnative Ebene der Moderne-Diskussion in die Analyse von Völkermord einbezogen, welche Funktion ist ihr hier zuzuschreiben? Welche Aspekte vermögen Studien, die sich unter dem Schlagwort GenozJd und Moderne über einen theoretischen und sogar vergleichenden Weg dem Ereignis Völkermord anzunähern suchen, über haupt in die wissenschaftliche Diskussion einzubringen angesichts der notwendigen Einsicht, daB noch immer zu viele Einzelstudien zu wichti gen Fragen der Durchführung der nationalsozialistischen Vernichtungs pläne -wie ebenso anderer Genozide -ausstehen? In bezug auf den vorliegenden Band wird eine weiterführende Diskussi on vor allem von einer Bereitschaft abhängen: der Bereitschaft der Akzep tanz, das in dem scheinbar GewuBten noch zu viele Aspekte des Noch Nicht-Erforschten zu erkennen sind; einer Bereitschaft, sich mit anderen Genoziden zu beschäftigen; einer Bereitschaft, die Beschäftigung mit dem ProzeB, den Strukturen und dem Ereignis Völkermord auch in unsere Ge genwart hinein zu verfolgen - das bedeutet nicht zuletzt auch, eine Aus einandersetzung mit Facetten der Historisierung der Shoah zu suchen. Denn gerade für diese letzte Forderung müssen wir akzeptieren, daB die Beschäftigung, jene »Aufarbeitung« des Vergangenen, jenes »Nie wieder«, 6 Kristin Platt dem wir uns verpflichtet fühlen und das unsere Gegenwart legitimiert, im allgemeinen als Aufforderung zu einer Art von »Humanität« und »Tole ranz« oder sogar auch eines »sozialen Friedens« gedeutet wurde und »trotz dem« nicht ausreichte, neuer Gewalt zu begegnen. Der Glaube an das Böse, das den nationalsozialistischen Täter doch unweigerlich bewegt ha ben müsse, das Denken des Nationalsozialismus über zivilisatorische Op positionsbilder von Fortschritt und Rückfall, Zivilisation und Barbarei, hat deutliche Vereinfachungen im Verständnis der Prozesse des nationalsozia listischen Verfolgungs-, Segregations- und Vernichtungshandeln mit sich gebracht. Gleichsam scheint ein solches Denken in der Konfrontation mit neuerlicher kollektiver Gewalt den Blick verstellt zu haben für das Erken nen charakteristischer Verlaufsstrukturen beispielsweise im FalIe Jugosla wiens oder Ruandas. Da, wo, wie Detlev Claussen warnt, die Metapher »Auschwitz als radikale Infragestellung wissenschaftlicher Welterkenntnis ... beiseite geschafft (wird) zugunsten einer wiederbelebten konventionel len Werteordnung der Toleranz, die sich substantielI von der Beliebigkeit nicht mehr unterscheidet«, I wo der Allgemeinheit der menschlichen, noch nicht überwundenen Bestie gedacht wird und eine aus Betroffenheit und »Aufarbeitung« zu gewinnende Humanität auch dem zukünftigen Bösen vorbeugen solI, ist kaum noch Platz für das spezifisch jüdische Opfer2 wie für andere Opfer kollektiver Gewalt. Warum hier aber zunächst von einer Bereitschaft die Rede sein sollte und nicht von Fragen, die unter der angesprochenen Herausforderung GenozJd und Moderne überhaupt zu stellen möglich sind, ist natürlich nicht zufällig, sondern deutet auf einen der Leitgedanken dieses Bandes hin. Denn über andere Formen kollektiver Gewalt und andere Fälle von Völkermord zu reden, ist noch immer nicht in einem selbstverständlichen Rahmen möglich, sondern von der vorangestellten Beteuerung abhängig, fern von Relativierungstendenzen der Shoah zu stehen. Ebenso abzuweh ren hat man den Verdacht, den einzeIn betrachteten »Fall« nicht als singu lares Ereignis zu verfolgen, sondern der vergleichenden Differenzierung opfern zu wollen. Doch haben auch wir uns in diesem Band auf die Einbe ziehung von Einzelbeiträgen über den jungtürkischen Völkermord an den Armeniern, das Lagersystem des GULag sowie den Verweis auf die Con- Claussen, Detlev: Veränderte Vergangenheit. Vorbemerkung zur Neuausgabe 1994, in: Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen Antisemitismus, Frankfurt a.M. 1994 (1987), S. 24. 2 Wobei an dieser Stelle zunächst auf eine Diskussion des höchst problematischen Opfer begriffs verzichtet werden muB. Genozid und Moderne. Einleitung 7 quista und die Vernichtungen indigener Völker beschränkt/ denn es ist nicht allein fraglich, inwieweit eine Sammlung von Einzelbeschäftigungen über Genozid»fälle« die Diskussion über Entwicklungsstrukturen von Völ kermord überhaupt weiterführen kann. Zu drohend ist darüber hinaus die Gefahr, sich in Differenzierungskategorien, in Rangstufen des Schreckens oder Zivilisierungsgraden der ausgeübten Verbrechen zu verlieren. Trotz dem werden gerade die hier versammelten Beiträge auch die Unterschied lichkeit von Formen kollektiver Gewalt verdeutlichen wie ebenso auf diffe rente Anwendungen und Anwendungsmöglichkeiten des Genozidkonzepts verwelsen. Aufmerksamkeit verlangt jedoch, daB sich Kategorien über unterschied liche Formen von Verfolgung und Völkermord in englischen, französischen oder US-amerikanischen Forschungsdiskursen trotz, genauer eigentlich mit der moralisch wertenden Begleitdiskussion als analytische Kategorien spätestens seit Mitte der 70er Jahre allgemein durchgesetzt haben. Die Un möglichkeit, solche Kategorien in der deutschen Diskussion zu verfolgen, scheint dabei aber doch weniger von unserer Sensibilität gegenüber Rela tivierungstendenzen bestimmt. Auch mag die Tatsache, daB es aus unter schiedlichen Gründen in deutschen Geschichtsbüchern nur einen Völker mord gibt - und beispielsweise der Genozid an den Armeniern kaum dem BewuBtsein präsent ist -, der Offenheit gegenüber anderen Verfolgungen zwar im Wege zu stehen, dies aber möglicherweise eher aufgrund einer unterschwelligen Furcht, daB jenes Deutschland auch für andere Verfol gungen und kollektive Gewalt in der Geschichte verantwortlich oder mit verantwortlich gemacht werden könne.4 3 Leider bleibt die Literaturanalyse sehr schnell vor der Erkenntnis stehen, daB sich Be schäftigungen beispielsweise über die Verfolgung indigener Völker häufig kaum aus einem ethnologischen oder kulturanthropologischen Rahmen gelöst haben. In den Publikationen zu solchen »Randthemen« muB man feststellen, daB hier wenig AnschluB an internationa le Diskurse und interdisziplinäre Paradigmen urn Gewalt, Verfolgung und Völkermord be steht. Wir bedauern, keinen Einzelbeitrag zu den Vorgängen in Ruanda und Burundi vor stellen zu können. Daher sei an dieser Stelle verwiesen auf Scherrer, Christian: Ethnisie rung und Völkermord in Zentralafrika. Genozid in Rwanda, Bürgerkrieg in Burundi und die Rolle der Weltgemeinschaft, Frankfurt a.M./New York 1997. Zu Ruanda und Burundi vgl. aber in diesem Band insbesondere die Darstellungen im Beitrag von Qtto Luchter handt. 4 Vgl. dazu die Diskussion urn die Arbeit von Vahakn Dadrian sowie seine Arbeit selbst, die sich an zu vielen Einzelpunkten jedoch nUT schwer von Stereotypen lösen kann: German Responsibility in the Armenian Genocide. A Review of the Historical Evidencc of German Complicity, Watertown/Mass.l996. 8 Kristin Platt Kritisch diskutiert werden sollte jedoch auch der häufig willkürlich er scheinende Gebrauch von Begriffen und Konzepten, die aus der Auseinan dersetzung rnit dern Nationalsozialisrnus in die Diskussion von Ausländer problernatiken, Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalisrnus - stets aufs neue in enge Nähe zum Rassismus gestellt - eingebracht wurden. In der Diskussion urn Ausländerproblematiken finden sich Paradigrnen und Me taphern, die dern Versuch zu unterliegen scheinen, die nicht geführte Auseinandersetzung urn den Nationalsozialisrnus und eine Schuldigkeit auch gegenüber anderen, realen und potentiellen Opfern von Gewalt abzu leisten -als Arbeit arn jüdischen Opferbegriff ohne ein Sprechen des Wor tes Jude, ohne Durchbrechen von Verdrängungshaltungen. Während sol che Einstellungen die Völkerrnordprozesse selbst verharrnlosen, schüren sie gleichsarn Verharrnlosung und Intoleranz gegenüber den Opfergruppen von Gewalt, da nicht Empathie sondern »Pflichten« zur Geltung gebracht werden. Die Spuren dieser öffentlichen Auseinandersetzung werden auch in wissenschaftlichen Diskussionen deutlich. So lassen sich irn besonderen irn Urnkreis soziologischer Forschung über Ethnizitätsproblematiken und Frerndenfeindlichkeit Annäherungen entdecken, in denen es häufig weni ger urn Ereignisklärungen geht, sondern urn ei ne Rettung der eigenen Gegenwart irn Generationengefüge der Täter. Gerade in diesen Auseinan dersetzungen werden norrnative Fragen an die Gestaltwerdung der Aufklä rung gestellt, es werden unter dern Konzept der Moderne jegliche Identität und Tradition als gewaltvolle Unheilsboten gebrandmarkt, es ist von dem sozialen Konstruktcharakter aller Identität, von der Relativität der Identität die Rede, von »zivilisatorischen Gefährdungslagen« und »kulturellen Ge waltpotentialen«5. Findet in diesen Diskursen nicht eine entschlossene Leugnung der gewaltvoll hornogenisierenden Prozesse statt, die die soziale Konstruktion von Eigen und Frernd, vielrnehr von dern Einen und dem Anderen, aus einer definierten Menge des Gleichen erst bedingten? Prozes se, die für das gegenwärtige Europa das Setzen einer modernen »reflexi ven« Identität ebenso wie die gegenwärtige Rede von einer »Globalisie rung« erst errnöglichten, da sie auf den Ergebnissen jener Gewaltprozesse beruhten? Werden mit einer solchen Rede nicht die Utopien der Täter verwirklicht, indern die Annahrne einer prinzipiellen Gleichheit der Menschheit hier auch einer Verneinung von Verschiedenheit Raurn gibt? 5 Vgl. zu den Begriffskonzepten Beek, Ulrieh: Wie aus Naehbarn Juden werden. Zur politi sehen Konstruktion des Fremden in der reflexiven Moderne, in: Modernität und Barbarei. Soziologisehe Zeitdiagnose am Ende des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Max Miller und Hans-Georg Soeffner, Frankfurt a.M. 1996, S. 329. Genozid und Moderne. Einleitung 9 Melange übertitelte Adorno seine Überlegungen zur Toleranz in Mini ma Moralia: »Wollte man demgegenüber die Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt, als Ideal fordern, anstatt sie als Tatsache zu unter stellen, so würde das wenig helfen. Die abstrakte Utopie wäre allzu leicht mit den abgefeimtesten Tendenzen der Gesellschaft vereinbar. DaB alle Menschen einander glichen, ist es gerade, was dieser so paBte. Sie betrach tet die tatsächlichen oder eingebildeten Differenzen als Schandmale, die bezeugen, daB man es noch nicht weit genug gebracht habe; daB irgend etwas von der Maschinerie freigelassen, nicht ganz durch die T otalität bestimmt ist. Die Technik der Konzentrationslager läuft darauf hinaus, die Gefangenen wie ihre Wärter zu machen, die Ermordeten zu Mördern.,,6 Mit dem vorliegenden ersten Band einer zweibändigen Publikation möch ten wir zunächst Fragen aufwerfen und zusammentragen, die für eine von dem Genozid an den europäischen Juden ausgehende Betrachtung zu Strukturen kollektiver Gewalt überhaupt von analytischem Interesse sein könnte. Das Begriffspaar Genozid und Modeme sollte dabei nicht als Be griff einer Verlegenheit oder eines Etiketts verstanden werden. Vielmehr haben sich die einzelnen Beiträge des Bandes sehr bewuBt in die histori sche wie auch systematische Verortung ihres Gegenstands unter der auf geworfenen Fragestellung eingelassen -eine Fragestellung, die mit den Ar beiten von Zygmunt Bauman erstmals in einen breiteren Forschungsdis kurs Eingang fand, wenn sie auch bereits auf ihre eigene Weise die Durch führung der Völkermorde an Juden und Armeniern oder das Gewaltsystem des GULag begleitet hat. DaB in den einzelnen Arbeiten keine tendenziell identischen Leitlinien im Umgang mit der Idee Moderne festzustellen sein werden, erfordert möglicherweise nicht der Erwähnung. Zwischen den Schwerpunkten der gegenwärtigen Diskussion, von »Grenzen des Verstehens./ bis zu Bedingungsanalysen von Modernisie rungsprozessen und Völkermord,8 möchten die Beiträge des vorliegenden 6 Adomo, Theodor W.: Minima Moralia (zuerst 1950), in: Gesammelte Schriften Bd. 4, Frankfurt a.M. 1980. 7 In Anspielung: Holocaust: Die Grenzen des Verstehens. Eine Debatte über die Besetzung der Geschichte, hrsg. von Hanno Loewy, Reinbek 1992. 8 VgI. als Sammelpublikation zum Beispiel: Nationalsozialismus und Modemisierung, hrsg. von Michael Prinz und Rainer Zitelmann, Darmstadt 1991; Nationalsozialismus und Mo derne, hrsg. von Haraid Welzer, Tübingen 1993; Modemität und Barbarei. Soziologische Zeitdiagnose am Ende des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Max Miller und Hans-Georg Soeff ner, Frankfurt a.M. 1996; Terroristische Diktaturen im 20. Jahrhundert. Strukturelemente der nationalsozialistischen und stalinistischen Herrschaft, hrsg. von Matthias Vetter, Opla den 1996.

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