Helmut Wiesenthal (Hrsg.) Gelegenheit und Entscheidung Helmut Wiesenthal (Hrsg.) Gelegenheit und Entscheidung Policies und Politics erfolgreicher Transformationssteuerun g Westdeutscher Verlag Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz fur diese Publikation ist bei Dcr Deutschen Bibliothek erhaltlich ISI3N-I3:978-3-531-13619-6 e-JSBN-J3 :978-3-322-87336-1 001: 10.1007/978-3-322-87336-1 I. Auflage Februar 2001 Alle Rechte vorbehalten © Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden, 2001 Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Fachverlagsgruppe BertelsmannSpringer. Das Werk cinschlieGlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auGerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. 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Umschlaggestaltung: Horst Dieter Burkle, Darmstadt Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, ScheGlitz Inhalt Vorwort 7 Einleitung: Systemtransformation als Theorientest Helmut Wiesenthal 9 2 Muster parlamentarischer Entscheidungsproduktion in Mitteleuropa Timm Beichelt 32 3 Varianten erfolgreicher Privatisierungspolitik - Die Konditionierung und Steuerung der Untemehmensprivatisierung in Estland, Polen und der Tschechischen Republik Jan Wielgohs 93 4 Jenseits von Gradualismus und Schocktherapie - Die Sequenzierung der Reformen als Erfolgsfaktor Jiirgen Beyer 169 5 Auslandische Direktinvestitionen - Eine Herausforderung fUr die politische Steuerung der Transformation Jiirgen Beyer 191 6 Materiale und theoretische Befundc der vergleichenden Transformations forschung Helmut Wiesen/hal 214 Anhang 1: Untemehmensbesteuerung in Mittel- und Osteuropa Andrea Beyer 231 Anhang 2: Untemehmensforderung im Prozess der Wirtschaftstrans formation Peggy Thode 246 A bkilrzungsverzeichnis 260 Die Autoren 262 Vonvort Ober Jahre hinweg war die sozialwissenschaftIiche Transformationsforschung von ebenso viel anteilnehmendem Interesse wie skeptischen Erfolgseinschatzungen gepragt. Yom Jahrhundertprojekt eines kompletten Systemwechsels, dem sich 28 Lander der einstigen ,Zweiten Welt' unterzogen, wurden keineswegs eindeutige Erfolge, sondern reichlich Be lege fUr die These der 'UnmogIichkeit holistischer Reformen' erwartet. Nach nur einer Dekade des forcierten geseIIschaftIichen und institutioneIIen Wandels ist es an der Zeit, die Perspektive zu erweitern und auch tendenzieII uner warteten Entwicklungen Beachtung zu schenken. Zu ihnen zahlt der zumindest fur mittel- und osteuropaische Lander zu konstatierende Sachverhalt einer im GroBen und Ganzen gelungenen Transition yom Sozialismus. Unstrittige Transformationser folge notigen dem interessierten Beobachter aber nicht nur Respekt ab, sondern for dern ihn auch auf, die Frage nach den Bedingungen der Moglichkeit 'groBer' Refor men neu zu stellen. Immerhin sind am Ende der Transformationsdekade genligend Informationen verfugbar, urn Uberprlifbare Antworten zu formulieren. DafUr sind insbesondere die Ergebnisse von Studien geeignet, weIche die seltenen faIle simul tan en intentionalen Wandels zum Ausgangspunkt systematisch vergleichender Un tersuchungen nahmen. Die Beitrage zu diesem Band mogen nicht nur die Fruchtbarkeit vergleichender PoIitikforschung, sei es im Wege hypothesengeleiteter quantitativer Analysen, sei es mittels fokussierter quaIitativer Fallstudien, belegen, sondern auch dazu beitra gen, die aIIzu skeptischen Yorstellungen von der (Un-) Realisierbarkeit umfassender Reformprogramme zu revidieren. Sie entstanden im Rahmen eines Forschungspro jektes an der Humboldt-Universitat zu Berlin, dessen kompletter Titel "Preemptive Institutionenbildung: Korporative Akteure und institutionelle Innovationen im Transformationsprozess postsozialistischer Staaten" lautete. Das Projekt wurde durch eine Sachbeihilfe der Max-Planck-Gesellschaft zur Forderung der Wissen schaften e. Y. ermoglicht, fur weIche Autoren und Herausgeber an dieser Stelle ihren besonderen Dank abstatten. Neben den Mitwirkenden an diesem Band trugen die studentischen Mitarbeiter Nils Kreimeier, Sylvia Mucke und Gertrud Ranner zum Gelingen der Projektarbeit beL Ihnen und Andrea Goymann, die auch die Endredaktion des Bandes besorgte, gilt der Dank des Projektleiters und Herausgebers. Berlin, im Oktober 2000 Helmut Wiesenthal 1 Einleitung: System transformation als Theorientest Helmut Wiesenthal Die Sozialwissenschaften haben die Transformation der sozialistischen Lander von Anfang an als willkommene Herausforderung ihrer diagnostischen und prognosti schen Kompetenz betrachtet. Erschien bereits die deutsche Einheit als "sozialer Gro13versuch" (Giesen/Leggewie 1991) und "natiirliches Experiment" (Offe 1991 a), so galt das umso mehr fur die mit ungiinstigeren Bedingungen konfrontierten Trans formationsprojekte jenseits von Oder und Nei13e. Nicht weniger als 27 Lander der ehemals Zweiten Welt unterzogen sich im letzten lahrzehnt des 20. lahrhunderts tiefgreifenden Wandlungen ihres politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systems. Selbst wenn man den Blick auf den europaischen Kontinent beschrankt und jene Faile ausklammert, in denen die Entwicklung nachhaltig von kriegerischen Aus einandersetzungen gepr1igt zu sein scheint, bleiben noch immer 13 Transforma tionsl1inder als lohnende Objekte vergleichender Studien.1 Sie lohnen eingehende Untersuchungen nicht zuletzt, wei I sie im Unterschied zu Ostdeutschland fast aus schliel3lich auf eigene Ressourcen verwiesen sind, urn den historisch beispiellosen Ubergangsprozess zu bew1iltigen. Keines dieser 13 Lander erflihrt externe Unterstiit zungjener Art, wie sie durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik mobilisierbar wurde.2 Gleichwohl schweben den Reformeliten dieser Lander dieselbeit Ziele der Wohlstandsvermehrung und institutionellen Modernisierung vor, wie den Protago nisten der deutschen Einheit. Sozialwissenschaftler kommen folglich nicht daran vorbei, ihr Interesse an den Bedingungen der Moglichkeit gesellschaftlicher Gro13re formen auf diese nur schein bar weniger spektakularen Faile zu richten, da nur diese die wahren Dimensionen des ungewohnlichen Projekts enthiillen. Tatsachlich hatten die Sozialwissenschaften bislang keine Gelegenheit, simulta ne Wandlungsprozesse von 1ihnlichem Umfang zu studieren wie die - im Begriff der 'Transformation' eher unter Wert gehandelten - Faile des Systemwechsels. Die be kannten Theorien des sozialen Wandels konnen zwar auf phanomenologische Es handelt sich urn Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rurnanien, Russland, die Slowakische Republik, Slowenien, die Tschechische Republik, Ungam, Ukraine und Wei13russland. 2 Zur Politischen Okonornie der Transformation Ostdeutschlands vgl. Wiesenthal (1999a). 10 Helmut Wiesenthal (Rostow 1967) bzw. strukturelle Gemeinsamkeiten (Parsons 1964) verschiedener ungleichzeitiger Faile rekurrieren oder machen auf komplexe Modemisierungsvor aussetzungen aufmerksam (Etzioni 1968). Aber erst die nahezu gleichzeitigen Um bauprojekte der ehemals sozialistischen Gesellschaften bieten die Moglichkeit, systematisch zwischen liinder- bzw. gesellschaftsspezifischen Bedingungen auf der einen Seite und projekt- sowie prozessspezifischen Faktoren auf der anderen zu differenzieren. Auf diese Weise konnte es gelingen, die engen Erkenntnisgrenzen einzelner Fallstudien hinter sich zu lassen. Mit einem Anflug von Optimismus lieJ3e sich gar die Hoffnung begriinden, dass die Wissenschaften von der Gesellschaft und der Politik erstmals in die Lage ver setzt werden, einen systematischen Begriff der 'politischen Moglichkeit' zu entwi ckeln. Dieser konnte auf notwendige und hinreichende Bedingungen intendierten Wandels abstellen und die Dimensionen eines Moglichkeitsraumes angeben, in dem Beobachter probabilistische Aussagen Uber mogliche und unmogliche Prozessaus gange machen konnen. So wurden beispielsweise genauere Unterscheidungen zwi schen vorstellbaren, aber unrealisierbaren Zukunften und soJchen Zustanden oder 'mtiglichen Welten' erzielbar, die unter bestimmten, vielleicht nur ex post angebba ren Bedingungen, durch intentionales Handeln realisierbar sind.3 Der praktische Nutzen von Erkenntnisgewinnen dieser Art ware angesichts der gestiegenen Ent scheidungslasten modemer Demokratien nicht zu verachten. In der Transformationsforschung der ersten Dekade fand diese Erkenntnisoption nur wenig Beachtung. Vielmehr wurde die BlUte des neuen Forschungszweigs durchweg von weniger ambitionierten Forschungsperspektiven stimuliert (Wiesen thai 1999c). Am haufigsten vertreten sind Fallstudien zum Transformationsschicksal einzelner Lander oder Wirtschaftssektoren. Sie bieten dichte Beschreibungen der phanomenologischen Details sowie der Zeitstruktur und Ergebnisse des Wandels; einige vermitteln auch Einblicke in das Muster von Verursachung und Interdepen denz, das in Ermangelung theoretischer Ordnungsvorschlage haufig 'Uberdetermi niert' wirkt. SoJche Einzelfallstudien kommen dem nichtwissenschaftlichen (politi schen oder okonomischen) InformationsbedUrfnis entgegen, lassen aber im Unkla ren, weJche der beteiligten Kausalfaktoren dem besonderen Gegenstand, beispiels weise den Werthaltungen der nationalen Elite, zuzuschreiben sind und weJche mit generellen Formen und Folgen der Transformation, etwa der Etablierung demokrati scher Verfahren, assoziiert sein mogen. Ebenfalls reichlich reprasentiert waren langere Zeit die als Kalamitatendiagnose auftretenden Befunde mangelhafter, verfehlter oder sonst wie als ungUnstig gewer teter Transformationsresultate. Einzelne Untersuchungen sind speziellen Transfor mationsproblemen gewidmet und konzentrieren sich auf die Diskrepanz zwischen offiziosem Optimismus und als ungenUgend identifizierten Ergebnissen. Wann immer der ErfolgsmaJ3stab einer perfekten und nachteilsfreien Systemsubstitution 3 Zum methodologischen Status der Begriffe "politische Moglichkeit" und "mogliche Welten" vgl. Friedrich (1963: Kap. II) und Elster (1981: Kap. 3) sowie TetiocklBelkin (1996). SystemtransJormation als Theorientest II angelegt wurde, lie13en sich weitgehend tibereinstimmende Ergebnisse ausmachen: Nirgendwo war ein vollstandiger und rundum gelungener Systemwechsel zu konsta tieren. Zahlreiche Indikatoren von "Transformationskrisen", "institutionellen Schwachen" und "sozialstrukturellen Verwerfungen" (MUller 1998) belegen viel mehr den Defizitcharakter aller empirischen Transformationen. Sie scheinen es nahe zu legen, die allemal gerechtfertigte Kritik politi scher Simplifikationen (z.B. in Ge stalt tiberoptimistischer Reformkonzepte) zur Kritik der Transformationsphanomene selbst auszuweiten.4 Dabei lasst die transformationsbezogene Kalamitatenforschung regelma13ig au13er Acht, dass Defizite und Performanzmangel auch in konsolidierten Demokratien vorkommen, ohne notwendig der Forderung nach Abschaffung von Demokratie und Markt Nahrung zu geben. Zur Evaluation von Transformationsfol gen bedarf es offensichtlich praziser Kriterien statt einer blo13en Mangelanzeige. Theoretische Ansprtiche signalisieren dagegen einige in den ersten lahren der Transformationsbeobachtung angestellte Studien, die im Umkreis eines Komplexi tats theorems entstanden sind. 1m Unterschied zu Fallstudien und Kalamitatsdiagno sen nehmen sie auf einen prominenten Aspekt der postsozialistischen Transformati on Bezug, namlich die historisch einmalige Konvergenz von anspruchsvollen politi schen Intentionen und tatsachlichen Resultaten des gesellschaftlichen Wandels. Anders als Untersuchungen, deren Defizitbefund lediglich den soziologischen Ge meinplatz illustriert, dass der Bestand an Handlungsroutinen und normativen wie kognitiven Interaktionsregeln nicht von heute auf morgen veranderbar ist, nimmt das Komplexitatstheorem das politische Projekt des institutional engineering beim Wort und konfrontiert es mit wohletablierten theoretischen Einsichten und Hypothesen. Diese verhelfen allerdings nur selten zu einer ntichtemen Ergebnisevaluation ex post, sondem postulieren regelma13ig ex ante das unvermeidliche Scheitem des ambitionierten Projekts. Die Hypothese des Scheitems findet pragnanten Ausdruck im Dilemma der Gleichzeitigkeit. Es beschreibt das Problem der zielgerechten Verkoppelung von Ma13nahmen der Demokratisierung mit jenen, die zur Etablierung einer Marktwirt schaft notwendig sind. Wenn demokratische BUrgerrechte und marktwirtschaftliche Muster einer ungleichen Vermogens- und Einkommensverteilung zur selben Zeit oder in der Reihenfolge Demokratie-Markt eingeftihrt werden, sei unvermeidlich mit einer Blockade der Reformen bzw. systematischer Zielverfehlung zu rechnen (Elster 1990; Offe 1991 b). Denn das Transformationsprojekt scheine mit einem 'schweren Ausnahmefehler' im strategischen Design belastet, der aile Erfolgsaus sichten annulliert. Am Ende eines Jahrzehnts umfangreicher und intensiv beobachteter Transforma tionen gentigt gelegentliche Zeitungslekttire, urn sich yom Scheitem der Misser folgsprognose zu tiberzeugen. Gewiss sind die Transformationslander mit einer Ftille von erwarteten und unerwarteten Problem en geschlagen. Doch steht au13er 4 Wenn beispielsweise die "zerrissenen Netze" (Albach 1993) der Unternehmenskoordina tion in Ostdeutschland beklagt werden, scheint es angebracht, auch einen Blick auf ande renorts (z.B. in der russischen Industrie) intakt gebliebene Netzwerke zu werfen und deren nicht durchweg innovations-und effizienzfOrderliche Leistungen zu wlirdigen. 12 Helmut Wiesenthal Frage, dass ein Gro13teil der vollzogenen bzw. in Gang gesetzten Wandlungsprozes se Resultate zeitigt, die den politischen Intentionen durchaus entsprechen. Von einem generellen Scheitern aller einschlagigen Bemtihungen kann keine Rede sein. Vielmehr erfolgte die dual transition zu Demokratie und Marktwirtschaft in einer Weise, die es erlaubt, die Ziele in den Ergebnissen wiederzuerkennen. Das bedeutet: Zum einen umfasste die Situation der Transformationslander giinstige Gelegenheiten zu tiefgreifenden intentionalen Veranderungen. Zum anderen waren die Akteure nicht systematisch gehindert, gleicherma13en weitreichende wie situativ angemesse ne Entscheidungen zu treffen. Diese Beobachtung ist nicht nur fur die Transformationslander selbst von Bedeu tung. Sie indiziert vielmehr erhebliche, aber noch nicht ansatzweise ausgeschopfte Erkenntnisgewinne. Lassen sich doch die den skeptischen Prognosen zugrunde liegenden Annahmen tiberprtifen, urn entweder wichtigen Besonderheiten der Trans formation auf die Spur zu kommen oder den tatsachlichen Moglichkeitsraum einer intentional gesteuerten Umgestaltung staatlich-administrativer und gesellschaftlicher Institutionen aufzukHiren. DafUr ist es allerdings erforderlich, zentrale Aspekte der Transformationsproblematik in hoher generalisierbare und insofern theoriefahige Sachverhalte zu tibersetzen, die sich fUr einen systematischen Vergleich zwischen Aussagen der Theorie und Auspragungen der Wirklichkeit eignen. Wenn es gelingt, empirische Transformationsphanomene hypothesengeleiteten Tests zu unterziehen, dtirfte die Transformationsforschung auch theoretischen Ertrag haben. Diese Uber legung lag dem Forschungsprojekt 'Preemptive Institutionenbildung' zugrunde. Eine zentrale Ausgangsfrage der empirischen Forschung betraf die tatsachliche Relevanz der prognostizierten Transformationsprobleme, wie sie v.a. in der ersten Halfte der 90er Jahre artikuliert wurden. Sie werden im restlichen Teil dieses Bei trags diskutiert. Zunachst kommen wichtige Bezugspunkte einer skeptischen lnnen ansicht der Transformationsproblematik zur Sprache: das komplexitats- und tempo bedingte Erfolgsrisiko der Transition vom Sozialismus (Teil II), die Strategiekontro verse zwischen 'Gradualisten' und 'Schock' -BefUrwortern (Teil III) sowie das Gleichzeitigkeitsdilemma, aber auch einige transformationsforderliche Faktoren (Teil IV). Anschlie13end werden die der ebenfalls skeptischen AuJ3enansicht zugrun deliegenden Vermutungen und insbesondere das 'Unmoglichkeitstheorem holisti scher Reform' (Teil V) sowie die These der zwangslaufigen Pfadabhangigkeit der Resultate (Teil VI) thematisiert. So bilden die skeptischen Erwartungen einen kon trastreichen Hintergrund fur das Forschungsprojekt, von dessen Ergebnissen die anschlie13enden Kapitel be rich ten (Teil VII). II Der Systemwechsel vom Sozialismus zum Kapitalismus wurde von keiner der be kannten Modemisierungs-, Gesellschafts- oder Transformationstheorien vorgedacht oder auch nur als Problem markiert. Dennoch weist der postsozialistische Totalum bau gesellschaftlicher Institutionen aile Elemente auf, die dem im 19. Jahrhundert SystemtransJormation als Theorientest 13 entstandenen Bild einer 'revolutionaren' Fortentwicklung eigen sind. Mehr noch, Anspruch und Umfang des Systemwechsels zu Demokratie und Marktwirtschaft gehen deutlich tiber das Komplexitatsniveau des Dbergangs yom Kapitalismus zum Sozialismus hinaus, wie er in der Marx'schen Geschichtsphilosophie konzipiert ist. Darin war unterstellt, dass zu gegebener Zeit nicht blo13 die Voraussetzungen fur die Aujhebung der alten Ordnung, sondern auch zentrale Funktionsbedingungen einer alternativen neuen Ordnung 'herangereift' seien. Vor dem Hintergrund dieser An nahme erscheint die AblOsung des Sozialismus durch Demokratie und Marktwirt schaft in besonders hellem Licht. Sie findet offensichtlich unter der wesentlich un gtinstigeren Bedingung einer Ersch6pfung der Leistungs- und Entwicklungspotenzi ale der 'alten' Gesellschaft statt. Positive Voraussetzungen einer 'hoheren' Ordnung auszuweisen, ist bisher noch keinem Transformationsbeobachter in den Sinn ge kommen. Diesem Sachverhalt korrespondieren Hinweise auf die besondere Schwierigkeit der aktuellen Transformationsaufgaben. Denn letztere entsprechen - aus der Per spektive marxistischer Geschichtstheorie betrachtet - eher einem Dezisionismus Lenin'scher Pragung als dem in seinem Kern modernisierungstheoretischen Ansatz von Karl Marx. Noch weniger als die Durchsetzung des Sozialismus ist die Transiti on yom autoritaren Sozialismus zum demokratischen Kapitalismus ein evolutionarer Prozess, sondern vielmehr ein genu in politisches und in vielen Teilen 'revolutiona res' Projekt. Seine einzelnen Schritte bedtirfen der Planung und kontextbedachten 'Steuerung'. Beim Versuch, die Komplexitat des Vorhabens zu umrei13en, sto13t man rasch auf eklatante Voraussetzungsdefizite und einen gravierenden Mangel an mate riellen und ideellen Ressourcen. Der Umgang mit diesem Problem wird durch den engen Zeitrahmen erschwert, in dem sich die Erfolgserwartungen bewegen. Ver schiedene Indikatoren einer Dberforderung der Transformationsakteure bestatigen das Missverhaltnis zwischen Anspruch und Voraussetzungen. 1m Einzelnen lassen sich vier basale Risiken ausmachen. (I) Die Aufgabenkomplexitat der Transformation ist enorrn und mit dem Dilem ma der G leichzeitigkeit nur unzureichend charakterisiert. Denn die Regierungen vieler Lander sahen sich nach der Auflosung des sowjetischen Machtbereichs auch mit der Aufgabe einer (Re-)Konstruktion nationalstaatlicher Identitat, und sei es nur des Verhaltnisses zwischen Titularnation und ethnischen Minderheiten, konfron tiert.5 Gleichzeitig war der politische Prozess durch eine Ftille von neuartigen The men und Entscheidungsgesichtspunkten belastet. Das gilt z.B. fur die schlagartige Relevanz der Sozialpolitik, weIche die Wirtschaftstransformation durch ein refor miertes Netz sozialer Sichenmgen zu flankieren hat,6 sowie die Restitutions- und Lustrationspolitiken (Offe 1992), die regelma13ig einen Konflikt zwischen den Ge rechtigkeitsvorstellungen der Reformer und dem Stabilitatsbedarf der neuen Ord nung heraufbeschworten. Nicht zu verges sen sind einige volIig neue politische Auf gaben, wie die der Umweltpolitik (Esty 1997) und der Orientierung an der zuneh- one 5 Vgl. von Beyme (1994: Kap. 4), (1994: Kap. 7) und Elster et al. (1998: 17ff.. 254ff.). 6 Vgl. Graham (1997) und Gatting (1998).