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Geistwesen oder Gentransporter: Anthropologie zwischen Theologie und Biologie am Beispiel von W. Pannenberg und E.O. Wilson PDF

254 Pages·2018·1.7 MB·German
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Anne C. Thaeder Geistwesen oder Gentransporter Anthropologie zwischen Theologie und Biologie am Beispiel von W. Pannenberg und E.O. Wilson Geistwesen oder Gentransporter Anne C. Thaeder Geistwesen oder Gentransporter Anthropologie zwischen Theologie und Biologie am Beispiel von W. Pannenberg und E.O. Wilson Anne C. Thaeder Bremen, Deutschland Dissertation Universität Bremen, 2018 ISBN 978-3-476-04778-6 ISBN 978-3-476-04779-3 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-476-04779-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. J.B. Metzler © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. J.B. Metzler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany Inhaltsübersicht 1.Einleitung ............................................................................................................................... 1 2 Die theologische Erklärung der menschlichen Natur bei W. Pannenberg .............................. 7  2.1 Der theologische Rahmen ................................................................................................ 7  2.2 Pannenbergs Anthropologie ........................................................................................... 22  2.3 Der Mensch im theologischen Rahmen: Sinn der Schöpfung und Eschatologie ........... 73  2.4 Kritik an Pannenberg ...................................................................................................... 81  Die Natur des Menschen bei Pannenberg ............................................................................ 87 3 Die soziobiologische Erklärung der menschlichen Natur bei E. O. Wilson ......................... 91 3.1 Der Ausgangspunkt: Sociobiology 1975 ........................................................................ 92  3.2 Biologie als Schicksal .................................................................................................. 105  3.3 Von den Genen zur Kultur: Epigenetische Regeln ...................................................... 125  3.4 Die Einheit des Wissens ............................................................................................... 130  3.5 Die Soziale Eroberung der Erde und die Bedeutung des menschlichen Lebens .......... 146  3.6 Die Frage nach dem, was wir tun sollen: Umweltschutz ............................................. 166  3.7 Kritik ............................................................................................................................ 172  Die Natur des Menschen bei Wilson .................................................................................. 178 4 Die Erklärungen der menschlichen Natur im Vergleich ..................................................... 183  4.1 Die Natur des Menschen bei Pannenberg und Wilson ................................................. 183  4.2 Erklären ........................................................................................................................ 216 5 Zur Vereinbarkeit der Anthropologien von Pannenberg und Wilson ................................. 229 5.1 Nomische Instantiierungserklärung bei Wilson und Pannenberg ................................ 229  5.2 Selbstverständnis durch teleologische Sinnerklärung .................................................. 231  5.3 Bedingungen für ein konstruktives Ergänzungsverhältnis ........................................... 236 Literatur .................................................................................................................................. 241  V Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ............................................................................................................................... 1  2 Die theologische Erklärung der menschlichen Natur bei W. Pannenberg .............................. 7  2.1 Der theologische Rahmen ................................................................................................ 7  2.1.1 Wissenschaftstheorie und Theologie ......................................................................... 7  2.1.2 Theologie als Wissenschaft von Gott ........................................................................ 8  2.1.3 Die Frage nach der Wahrheit als Aufgabe der Theologie ....................................... 10  2.1.3.1 Pannenbergs Wahrheitsbegriff ....................................................................... 10  2.1.3.2 Religionsgeschichte als Offenbarung ............................................................. 11  2.1.4 Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft .................................................. 12  2.1.4.1 Die Rolle der Philosophie .............................................................................. 16  2.1.4.2 Theologie und Physik: Gott als Feld .............................................................. 18  2.1.4.3 Theologie und Biologie .................................................................................. 20  2.2 Pannenbergs Anthropologie ........................................................................................... 22  2.2.1 Die Bedeutung der Anthropologie für die Theologie .............................................. 23  2.2.2 Natur und Bestimmung des Menschen .................................................................... 24  2.2.2.1 Weltoffenheit und Exzentrizität ..................................................................... 24  2.2.2.2 Selbstbewusstsein und Personalität ................................................................ 27  2.2.2.3 Gottesebenbildlichkeit als Bestimmung ......................................................... 30  2.2.2.4 Jesus als Ziel der Bestimmung des Menschen ............................................... 31  2.2.3 Der Mensch als zeitliches Wesen ............................................................................ 33  2.2.3.1 Geschichte und Antizipation .......................................................................... 33  2.2.3.2 Der christliche Gedanke der Geschichtlichkeit des Menschen ...................... 35  2.2.3.3 Gefühl als Zugang zur Ganzheit .................................................................... 36  2.2.3.4 Die Macht der Zukunft ................................................................................... 38  2.2.3.5 Geist Gottes als Grundlage für Personalität und Sinn in der Zeit .................. 42  2.2.4 Sünde und Moral ..................................................................................................... 46  2.2.4.1 Der Bruch in der menschlichen Natur ............................................................ 47  2.2.4.1.1 Zentralität als Sünde ............................................................................... 48  2.2.4.1.2 Tod als Folge der Sünde ......................................................................... 50  2.2.4.2 Identität und Entfremdung ............................................................................. 51  2.2.4.3 Gewissen ........................................................................................................ 52  2.2.4.4 Wohlwollen als Quelle der christlichen Moral .............................................. 53  2.2.4.5 Sünde und hedonistische Begründung der Ethik ........................................... 54  2.2.5 Der Mensch in der Natur ......................................................................................... 56  2.2.5.1 Der Geist Gottes im Naturgeschehen ............................................................. 57  2.2.5.2 Der Mensch als Krone der Schöpfung ........................................................... 59  2.2.5.3 Selbstständigkeit der Geschöpfe als Ziel Gottes ............................................ 59  2.2.5.4 Religion und menschliche Natur .................................................................... 64  2.2.6 Der Mensch in der Gemeinschaft ............................................................................ 67  2.2.6.1 Das Verhältnis von Ich und Du ...................................................................... 67  2.2.6.2 Kultur ............................................................................................................. 68  2.2.6.3 Institutionen.................................................................................................... 70  2.3 Der Mensch im theologischen Rahmen: Sinn der Schöpfung und Eschatologie ........... 73  2.3.1 Ganzheit .................................................................................................................. 73  2.3.2 Versöhnung ............................................................................................................. 73  2.3.3 Explizit Übernatürliches bei Pannenberg: Auferstehungsglauben .......................... 75  2.3.4 Die Bedeutung des Glaubens für die Versöhnung .................................................. 77  2.3.5 Kirche als Zeichen der eschatologisch vollkommenen Gemeinschaft .................... 79  2.4 Kritik an Pannenberg ...................................................................................................... 81  VII 2.4.1 Verharmlosung der Sünde ....................................................................................... 82  2.4.2 Unterbewertung der menschlichen Freiheit und schwaches Subjekt ...................... 83  2.4.3 Verhältnis zur Naturwissenschaft ............................................................................ 84  Die Natur des Menschen bei Pannenberg ............................................................................ 87  3 Die soziobiologische Erklärung der menschlichen Natur bei E. O. Wilson ......................... 91  3.1 Der Ausgangspunkt: Sociobiology 1975 ........................................................................ 92  3.1.1 Entstehung altruistischen Verhaltens ...................................................................... 92  3.1.1.1 Verwandtenselektion als Gruppenselektion ................................................... 93  3.1.1.2 Reziproker Altruismus ................................................................................... 94  3.1.2 “Man”: Besonderheiten des menschlichen Sozialverhaltens .................................. 95  3.1.2.1 Sex .................................................................................................................. 95  3.1.2.2 Plastizität der sozialen Organisation .............................................................. 97  3.1.2.3 Arbeitsteilung und Rollenspiel ....................................................................... 97  3.1.2.4 Tauschgeschäfte und reziproker Altruismus .................................................. 98  3.1.2.5 Religion .......................................................................................................... 99  3.1.3 Wissenschaftstheoretische Selbstreflektion .......................................................... 100  3.1.4 Kritik an der Soziobiologie ................................................................................... 101  3.2 Biologie als Schicksal .................................................................................................. 105  3.2.1 Naturwissenschaftliche Methode: Schlüssel zur menschlichen Natur .................. 106  3.2.2 Die Macht der Gene .............................................................................................. 106  3.2.2.1 Die Entwicklung des Individuums ............................................................... 108  3.2.2.3 Freier Wille .................................................................................................. 109  3.2.2.4 Kulturelle Evolution und Zivilisation .......................................................... 109  3.2.3 Aggression ............................................................................................................. 111  3.2.4 Sex: Unterschiede zwischen Mann und Frau ........................................................ 112  3.2.5 Familie ................................................................................................................... 114  3.2.6 Altruismus ............................................................................................................. 115  3.2.7 Religion ................................................................................................................. 118  3.2.7.1 Gruppen und Individualselektion ................................................................. 121  3.2.7.2 Komponenten von Religiosität ..................................................................... 121  3.2.8 Hoffnung ............................................................................................................... 122  3.3 Von den Genen zur Kultur: Epigenetische Regeln ...................................................... 125  3.3.1 Genes, Mind and Culture ...................................................................................... 125  3.3.2 Das Feuer des Prometheus .................................................................................... 127  3.4 Die Einheit des Wissens ............................................................................................... 130  3.4.1 Philosophie und Naturwissenschaft ...................................................................... 131  3.4.1.2 Parsimonie und Reduktionismus .................................................................. 131  3.4.1.3 Gehirn und Geist .......................................................................................... 133  3.4.1.4 Gefühle und Sinnbewusstsein ...................................................................... 133  3.4.1.5 Der freie Wille und das Ich .......................................................................... 134  3.4.2 Kultur .................................................................................................................... 135  3.4.3 Kunst als Folge der Selbsterkenntnis .................................................................... 137  3.4.4 Ethik ...................................................................................................................... 138  3.4.5 Religion ................................................................................................................. 140  3.4.6 Die Bedeutung der Einheit des Wissens ............................................................... 143  3.5 Die Soziale Eroberung der Erde und die Bedeutung des menschlichen Lebens .......... 146  3.5.1 Menschen und Ameisen ........................................................................................ 147  3.5.2 Entwicklungsschritte auf dem Weg zur menschlichen Natur ............................... 148  3.5.2.1 Altruismusentstehung ................................................................................... 150  3.5.2.1.1 Multilevel-Selektion ............................................................................. 151  3.5.2.1.2 Nestbau und Gruppenselektion ............................................................ 154  VIII 3.5.2.2 Entwicklung der Sprache ............................................................................. 156  3.5.2.3 Entwicklung der Moral ................................................................................ 157  3.5.3.4 Religion ........................................................................................................ 159  3.5.3 Eine neue Aufklärung ............................................................................................ 162  3.5.4 Die Bedeutung der menschlichen Existenz ........................................................... 163  3.5.5 Einsam aber frei im Universum ............................................................................ 164  3.6 Die Frage nach dem, was wir tun sollen: Umweltschutz ............................................. 166  3.6.1 Homo sapiens der globale Massenmörder ............................................................ 168  3.6.2 Menschliches Selbstbild und Umweltschutz ......................................................... 169  3.7 Kritik ............................................................................................................................ 172  3.7.1 Kritik an Wilsons Gedanken zur Biologisierung der Ethik ................................... 172  3.7.2 Wilsons Paradigmenwechsel ................................................................................. 175  3.7.3 Kritik an dem Konzept der Einheit des Wissens ................................................... 176  Die Natur des Menschen bei Wilson .................................................................................. 178  4 Die Erklärungen der menschlichen Natur im Vergleich ..................................................... 183  4.1 Die Natur des Menschen bei Pannenberg und Wilson ................................................. 183  4.1.1 Einheit von Natur- und Geisteswissenschaft ......................................................... 185  4.1.2 Das Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft ............................................ 187  4.1.3 Erklärung der zwiespältigen Gefühlswelt und des Gewissens .............................. 196  4.1.4 Moral ..................................................................................................................... 198  4.1.5 Kultur .................................................................................................................... 200  4.1.6 Exzentrizität durch Gruppenselektion? ................................................................. 203  4.1.7 Zentralität durch Individualselektion? .................................................................. 204  4.1.8 Bedeutung und Funktion: Ziel und Zweck des Menschen .................................... 206  4.1.9 Würde und Elend des Menschen ........................................................................... 208  4.1.10 Ich, Selbst, Bewusstsein und freier Wille ........................................................... 209  4.1.11 Gemeinsame Ziele: Einheit der Menschen und liebevolle Herrschaft ................ 212  4.1.12 Gemeinsamkeiten in der Kritik an Pannenberg und Wilson ............................... 213  4.2 Erklären ........................................................................................................................ 216  4.2.1 DN-Modell: Erklären heißt, zu zeigen, dass etwas zu erwarten war .................... 216  4.2.2 Nomische Muster und Kausalitätsmodell ............................................................. 218  4.2.3 Vereinheitlichungsmodell und nomische Instantiierungserklärung ...................... 221  4.2.5 Erklären in den Sozialwissenschaften ................................................................... 223  4.2.5.1 Erklären und Interpretieren .......................................................................... 224  4.2.5.2 Interpretieren von Texten und Sprechakten ................................................. 224  4.2.5.3 Die nomischen Muster des menschlichen Verhaltens: Evolutionäre Psychologie .............................................................................................................. 225  5 Zur Vereinbarkeit der Anthropologien von Pannenberg und Wilson ................................. 229  5.1 Nomische Instantiierungserklärung bei Wilson und Pannenberg ................................ 229  5.2 Selbstverständnis durch teleologische Sinnerklärung .................................................. 231  5.3 Bedingungen für ein konstruktives Ergänzungsverhältnis ........................................... 236  Literatur .................................................................................................................................. 241    IX 1. Einleitung „Was ist der Mensch?“ Das ist wohl die bedeutendste philosophische Frage, auf die im Laufe der Zeit immer wieder verschiedene Antworten gegeben wurden. Während bis zu Darwin im europäischen Kulturkreis vornehmlich der christlich-theologische Weltrahmen als welt- anschauliches Paradigma die Interpretation des Menschenbildes prägte und Anthropologie sozusagen „von oben“ betrieben wurde, gewann mit dem Erfolg der Evolutionstheorie die Vorstellung des Menschen als Teil der Tierwelt zunehmend an Bedeutung. Auch wenn dieser Gedanke bei vielen christlich geprägten Denkern auf Ablehnung stieß, gab es recht früh den Versuch, die naturwissenschaftliche Sicht auf den Menschen mit einem theologischen Weltbild in Einklang zu bringen.1 Diese frühen Vermittlungsversuche bildeten jedoch die Ausnahme und so herrscht heute verbreitet die Meinung vor, dass die Evolutionstheorie das christliche Menschenbild aufs Abstellgleis befördert hat. Interessanterweise führt das allerdings keineswegs dazu, dass Anthropologie nur noch „von unten“ betrieben würde, etwa durch evolutionär psychologische Beschreibungen. Vielmehr stehen verschiedene Menschenbilder unvermittelt nebeneinander und bieten damit die Grundlage für nicht zu versöhnende ethische Diskussionen (wie beispielsweise Euthanasie- und Abtreibungsdebatten zeigen). Auf der einen Seite des Spektrums stehen naturalistisch geprägte, auf der anderen explizit oder implizit theologisch geprägte Konzeptionen. Naturalisten brüsten sich, die naturwissenschaftliche Erkenntnis auf ihrer Seite zu haben und wollen mit den alten metaphysisch-verstaubten Selbstbildern aufräumen, während die andere Seite darauf beharrt, dass der Mensch doch wohl unbestreitbar mehr ist als seine Biologie. So hat beispielsweise Richard Dawkins mit seinen populären Büchern Das egoistische Gen und Der Gotteswahn für öffentliches Aufsehen gesorgt. Der Mensch erscheint bei ihm als willenloser Gentransporter, als Schnittstelle von Genen und Umwelt, in der es keinen Platz mehr für freien Willen, keinen Platz für die würdevolle Vorstellung des Menschen von sich selbst als dem frei handelnden und verantwortlichen Subjekt oder gar als Krone der Schöpfung und Ebenbild Gottes gibt. Soziobiologie, Evolutionäre Psychologie und Neurobiologie untermauern diese Sicht mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und fügen den Menschen in ein naturalistisches Weltbild auf evolutionärer Grundlage ein. Doch scheinen nicht alle mit dieser Sicht vollkommen ein- verstanden zu sein, denn nicht zuletzt kristallisieren sich am Bild des Menschen von sich selbst auch Sinn-, Handlungs-, und Gottesfrage. Viele Menschen fühlen sich nach wie vor eher als Geistwesen denn als Gentransporter. Man kann wohl sagen, dass die theologische Sicht auf den Menschen, die ihn im Verhältnis zu Gott bestimmt, heute tatsächlich ihr Dasein auf einem Abstellgleis fristet – oder zumindest auf einem Parallelgleis zur „wirklichen Welt“, die im Zuständigkeitsbereich der Naturwissenschaft liegt. Es scheint tatsächlich so, als ob Darwins Selektionstheorie Gott als Erklärungsalternative für alle Phänomene des Lebens verdrängt hat. Und doch bleiben einige Ideen, die in der theologischen Tradition begründet liegen, recht hartnäckig im Selbstbild einiger Denker verankert.                                                              1 Das prominenteste Beispiel für diese Vermittlung ist das Werk von Teilhard de Chardin. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018 1 A. C. Thaeder, Geistwesen oder Gentransporter, https://doi.org/10.1007/978-3-476-04779-3_1 Es muss Aufgabe der Philosophie sein, das Gewirr von Wissenschaft und Weltanschauung in der Anthropologie zu klären. Ihr und insbesondere einer philosophischen Anthropologie2 kommt die Aufgabe zu, das Wissen über den Menschen der unterschiedlichen Disziplinen in ihrem Verhältnis zu reflektieren3 und dabei muss sie sowohl die Innenperspektive (Selbstbild), als auch die Außenperspektive (Menschenbild) miteinbeziehen. Zu dieser Aufgabe gehört auch die Reflektion des Verhältnisses zwischen Naturwissenschaft und Religion als zentralen Quellen für unser Selbst- und Menschenbild.4 Wenn auch die vorliegende Arbeit nicht zum Kernbereich der traditionellen philosophischen Anthropologie gehört, sollte sie als Beitrag verstanden werden zu einer Disziplin der philosophischen Anthropologie als Integrationsprojekt, das die Reflektion und Vermittlung verschiedener Wissensquellen zum Ziel hat. Vor diesem Hintergrund wird hier das Verhältnis von naturalistischer und theistischer Erklärung menschlicher Eigenschaften5 thematisiert. Bei dieser Aufgabe ergeben sich zwei große Herausforderungen: Eine Schwierigkeit bei der Reflektion und Vermittlung von verschiedenen Perspektiven ist es, sich fortwährend über die eigene Perspektive und Meinung bewusst zu sein. Möchte man das Verhältnis verschiedener Positionen klären und vielleicht sogar vermitteln, muss man selbst versuchen, Neutralität zu bewahren oder sich zumindest über die eigene Meinung bewusst werden6, um nicht einfach Partei zu ergreifen und einseitig zu argumentieren. Die zweite Herausforderung bei der Aufgabe der Reflektion und Vermittlung von Menschenbildern ist die geradezu unendliche Vielfalt und Schattierungen von Positionen. Man kann nicht einfach von dem christlichen oder von dem naturalistischen Menschenbild sprechen. Um der ersten Herausforderung zu begegnen und Neutralität zu bewahren, kommen beide Positionen in dieser Arbeit ausführlich zu Wort, ohne durch eigene Ansichten ständig unter- brochen zu werden. Erst am Ende der jeweils folglich überwiegend darstellenden Abschnitte finden sich Kritikpunkte und Literaturhinweise.7 2 Damit ist nicht ausschließlich die philosophische Anthropologie gemeint, die in Verbindung mit Scheler, Plessner und Gehlen steht. 3 Löffler, 2007, S. 43. 4 Lambek, 2006, S. 272. 5 Wenn von menschlichen Eigenschaften die Rede ist, macht es Sinn zu spezifizieren, was damit gemeint ist: Christian Thies unterscheidet fünf Typen von Eigenschaften bei Menschen: 1.Die besonderen Eigenschaften eines individuellen Menschen, die er in der Kombination nicht teilt. 2.Eigenschaften, die durch genetische Verwandtschaft oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (Alter, Ethnie, soziale Schicht etc.) mit einigen anderen Menschen geteilt werden. 3.Eigenschaften, die der einzelne Mensch mit allen anderen Menschen teilt. 4.Eigenschaften, die alle Menschen mit anderen Tieren teilen. 5.Eigenschaften, die der Mensch aufgrund seiner materiellen Beschaffenheit mit dem Rest der Materie teilt. (Thies, 2013,S. 24) Bei der Frage, wer die Eigenschaften den Menschen besser erklären kann, geht es um die Eigenschaften im Sinne von 3. Deshalb wird immer wieder von dem Menschen als Type die Rede sein, der auch Thema der philosophischen Anthropologie ist. 6 John Herschel stellte wissenschaftstheoretische Kriterien auf, an denen sich Darwin bei der Ausarbeitung seiner Theorie der natürlichen Selektion richtete. Ein Kriterium war dabei das Reinigen vom „Vorurteil der Meinung“. Damit meinte er die gründliche Reflektion über die persönlichen Annahmen, mit der die Lebenswelt gedeutet wird, die häufig durch Vorurteile des Zeitgeistes gefärbt sind (Herschel, 1966, S. 80f). 7 Der Lesbarkeit halber wird auch auf die durchgängige Verwendung des Konjunktivs verzichtet. 2

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Anhand des Vergleichs verschiedener Erklärungstypen am Beispiel des Theologen Wolfhart Pannenberg und des Biologen Edward O. Wilson zeigt Anne C. Thaeder, dass ein bereicherndes Ergänzungsverhältnis von Wissenschaft und Weltanschauung in der Anthropologie unter bestimmten Bedingungen möglich ist
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