t Retrospektiv erweist sich die chronische ei h n Krise der alten Bundesrepublik vor der Ei Übernahme der DDR als ein fast idyllischer er d Zustand, verglichen mit den gesellschaftli- er r h chen Auflösungstendenzen, die sich seit a rf e 1989 beobachten lassen. t s ei G Klaus Bittermann Geisterfahrer n n a m der Einheit r e t t Bi s u a Kommentare zur Wiedervereinigungskrise Kl 7 7- v 4 hi 8-0 rc 0 A 4 v - 3-89 Archi n ID BN: n ID- tio IS ditio Edi E Geisterfahrer der Einheit Edition ID-Archiv Berlin – Amsterdam Klaus Bittermann Geisterfahrer der Einheit Kommentare zur Wiedervereinigungskrise Edition ID-Archiv Berlin – Amsterdam Klaus Bittermann, geboren 1952, lebt in Berlin und ist freier Autor und Inhalt Verleger der Edition Tiamat. Die zum Teil schon in verschiedenen Zeitschriften veröffentlichten Beiträge wurden für die Buchausgabe überarbeitet und erweitert. Buchveröffentlichung u.a.: Das Sterben der Phantome. Verbrechen und Öffentlichkeit, Berlin 1988. Die Gespensterwelt der Ossis Über Geisterfahrer und Duckmäuser 7 Auf jeden Topf paßt ein Deckelchen 8 »Detlev hatte immer Zeit für mich« 13 Der Freiheitskämpfer bei Aldi 19 Von Scheinasylanten und Wirtschaftsflüchtlingen 25 Klaus Bittermann Im Osten nichts Neues 29 Geisterfahrer der Einheit Ein Vorschlag zur Güte 33 Kommentare zur Wiedervereinigungskrise Nachrichten aus dem Ossi-Land 36 Der Intellektuelle als Kriegshetzer Edition ID-Archiv Humanität als Euthanasieprogramm 42 Postfach 360205 10972 Berlin Die Wiederbelebung nationaler Gefühle 45 ISBN: 3-89408-047-7 Bernard-Henry Lévys Landserromantik 48 Blut und Tränen 52 1. Auflage April 1995 Die Inflation des Völkermords 57 Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben 60 Titel Eva Meier unter Verwendung eines Die Fortsetzung des Krieges mit kulturellen Mitteln Fotos von Christoph Keller Über künstlerisches Engagement in Zeiten Layout des Krieges 63 seb, Hamburg Susan Sontag und das Kulturereignis der Saison 64 Die kulturelle Propagandaschlacht in Sarajevo 67 Druck »Bosna!« und die pathische Schlichtheit eines Weltbildes 71 Winddruck, Siegen Das Kulturunternehmen BHL 74 Kulturoffensive an der Heimatfront 78 Buchhandelsauslieferungen BRD: Rotation Vertrieb Freunde fürs Leben Schweiz: Pinkus Genossenschaft Wie Henryk M. Broder einmal einen »linken Österreich: Herder Auslieferung Nazi« entdeckt und endlich Anschluß gefunden hat 81 Niederlande: Papieren Tijger Wie die Identität unter die Deutschen kam Die Gespensterwelt der Ossis Die Linke als Geburtshelfer nationaler Gefühle 94 Über Geisterfahrer und Duckmäuser Die Robert-Lembke-Sparschweinfrage 96 Wahn und patriotische Gesinnung 99 Kultur und Beschwörung 102 Geständnisdrang und Bekenntniszwang 104 Patriotismus als Frage geistiger Hygiene 106 Identität im Sonderangebot 110 Der Kampf um die Meinungsführerschaft 114 Die Gefahr aus dem Osten 116 Begegnungen der vierten Art Seitdem sie in Leipzig »Wir sind ein Volk« skandierten, ist oder: Sieger sehen anders aus die neutrale Rede von den Ossis als der Bevölkerung eines »Überall Stimmen der Menschlichkeit« 121 Landes obsolet geworden. Ein in Deutschland seit der LTI Über die »erste erfolgreiche deutsche Revolution« 126 von Victor Klemperer nicht mehr harmloses Wort (»›Volk‹ Geliebtes Vaterland 129 wird jetzt beim Reden und Schreiben so oft verwandt wie »Ausländer sind Ausländer« 133 Salz beim Essen.«) erlebte eine Renaissance, »Volk« wurde »Mein Freund ist Ausländer« oder auch nicht 134 zum Kampfbegriff, zur Drohung. Die negative Konnotation Menschlichkeit 136 der Selbstbezichtigung zum Völkischen, zur Rasse, war Gerade wir als Deutsche 139 nicht bloß die vorübergehende Begleiterscheinung eines hi- Opfer der Opfer 143 storischen Prozesses, sondern drückte bereits die Absicht Grosny, Bosnien und die Intellektuellen 145 der Ossis aus, damit ernst zu machen, und wie immer in sol- Über die Fortsetzung eines Skandals 148 chen Fällen, ging es als erstes gegen die Ausländer. Der Verdacht, daß sich in den Massenaufmärschen eine Die Verdienste der Stasi geheime Traditionslinie zur Devise Hitlers »Eine Rasse sind auf dem Weg zur inneren Einheit 157 wir nicht, eine Rasse müssen wir erst werden« finden lassen müsse, wurde zur Gewißheit. Zwar nicht als Wiedergeburt des Ariers, aber auch die damals wie heute degenerierte »nordische Rasse«, die dem blond und blauäugigen Ideal nur in Ausnahmefällen entsprach, definierte sich ja hauptsächlich durch die Ausgrenzung des »Andersartigen«, welches für »die Zersetzung des gesunden Volkskörpers« verantwortlich gemacht wurde. In der Zusammenrottung der Ossis kam die Phobie, von Fremden im eigenen Land bedroht zu sein, zum Vorschein. Hinter dem Schlachtruf 7 von Leipzig verbarg sich nur notdürftig seine logische Kon- ein faules Pack waren, wußten die Ossis schon immer, durch sequenz: »Ausländer raus!« die Streiks war der für ihr Vorurteil gar nicht nötige Beweis Die Gunst der Stunde war auf der Seite der Ossis, und endgültig erbracht. Statt Solidarität mit den Danziger vielen wurde schon beim Zugucken ganz vaterländisch zu- Werftarbeitern zu üben, achteten sie darauf, daß sich der mute. Die Nationalhymne hatte kurzfristig Hochkonjunk- über die DDR führende Revolutionstourismus aus dem We- tur. Aber hinter dem völkisch geäußerten Wunsch nach so- sten in Grenzen hielt. Schließlich durfte man ja selbst auch fortigem Anschluß an die BRD steckten nicht nur die Heim- nicht mehr nach Polen. Nicht, daß sich die Ossis darüber ins-Reich- und Ausländer-raus-Gefühle, sondern auch die sonderlich aufgeregt hätten, aber in diesem Fall schien ih- blanke Habsucht auf westlichen Ramsch. Diese ekelhafte nen der Gleichheitsgrundsatz schon sinnvoll zu sein. Ihre Mischung aus Raffgier und Volksgegröle machte die Ossis Aversionen gegen die-noch-weiter-drüben rühren vermut- zu einer unverwechselbaren Spezies, weshalb sie in der BRD lich aus einer Zeit, in der die Polen als Untermenschen gal- genauso wie in den Neckermann-Urlaubsländern sofort als ten. Die Politik der DDR-Regierung kam den Ressenti- Ossis identifiziert wurden. Das war bitter für sie, die sich ments der Ossis entgegen, und dafür waren sie ihrer durch die schöne neue Welt des Wirtschaftswunderlandes Führung, dafür waren sie Honecker und Ulbricht dankbar. hindurchfressen wollten. Auch sonst hatten die Ossis für die Freiheitsbestrebun- Daraus wurde nichts. Statt in einer großen Volksgemein- gen der sozialistischen Bruderländer kein Verständnis: Auch schaft aufzugehen, wurden die Ossis als das erkannt, was sie wenn sie 1968 nicht direkt beim Einmarsch der SU in Prag schon immer waren: äußerst unangenehme Zeitgenossen, durch den Warschauer Pakt in die Pflicht genommen wur- die auf bisher unbekannte Weise Selbstmitleid und Barbarei den, hätten sich die Ossis auch ohne Militärbündnis nicht als wirksame und erpresserische Waffe einsetzten. Ein Volk zweimal bitten lassen, dem als Sozialismus mit menschli- wollten die Ossis werden, und es kann nicht ausgeschlossen chem Antlitz getarnten Virus aus dem Westen den Garaus werden, daß daraus noch etwas wird. Die besten Vorausset- zu machen. Jedenfalls ist nicht bekannt, daß sich die Ossis zu zungen bringen sie jedenfalls mit: Als Mob auf der Straße Solidaritätsaktionen mit den aufmüpfigen Brudervölkern haben sie sich bereits qualifiziert. und den gemäßigten Reformpolitikern hinreißen ließen, ja nicht einmal zu einer der damals so beliebten und infla- tionären »Grußbotschaft an das Volk/die Arbeiter/die Strei- Auf jeden Topf paßt ein Deckelchen kenden« (Zutreffendes bitte ankreuzen) reichte es. Solange Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft die internationale Solidarität mit irgendwelchen unter- Vierzig Jahre lang waren die Ossis die Vorzeigekommuni- drückten Völkern irgendwo weit weg auf einem anderen sten im östlichen Staatenbündnis. Anders als bei den Tsche- Kontinent gepflegt wurde und nicht im eigenen Land, so- chen und Polen waren Klagen über ihre sozialistische Ar- lange war man auch bereit, die endlosen Solidaritätser- beitsmoral nicht zu vernehmen, und selbst den Luxus des klärungen im Neuen Deutschlandoder auf Parteiversammlun- vom Westen spöttisch belächelten Schlendrians leisteten sie gen auf sich niedertröpfeln zu lassen. Kamen dennoch sich nicht. Streiks wie in Polen waren undenkbar und riefen Fremdarbeiter ins Land, waren sie den Ossis kaserniert am bei den Ossis heftige Ressentiments hervor. Daß die Polen liebsten, auch wenn sie damals schon darüber murrten, daß 8 9 die »Fidschis« und »Mossis«, wie die Ossis die Gastarbeiter Wohnzimmer ihr eigen nennen: den Farbfernseher. Damit aus Vietnam und Mosambik nannten, nur zum »Abgreifen« haben sie die westliche Quote um 5 Prozent überflügelt, gekommen wären, plötzlich ihre innige Liebe zu den Ost- oder, wie es in der Ostsprache korrekt heißen würde, »das produkten entdeckend, über deren Qualität sie sonst nur Plansoll übererfüllt«. Auch in allen anderen unverzichtbaren maulten. Dingen des alltäglichen Schonbezuglebens haben die Ossis Infolgedessen bleibt der Ossi aus dieser Zeit als zuverläs- nachgerüstet. Aber allein die Vorstellung, es könnte ihnen siger Volksgenosse in Erinnerung, in einer immer etwas zu schlechter gehen, bereitet den Ossis argen Kummer. Nir- engen, über den Schwabbelbauch spannenden und auf gendwo sonst ist das Denken im Konjunktiv so sensibel, da- Hochwasser stehenden Uniform in dezentem Mausgrau, die bei schmalzt und schleimt doch jetzt auch da drüben das Zu- ebenso zur verklemmten Geisteshaltung paßte wie zu den kunftsangstbewältigungsduo Peter Alexander und Heintje zahlreichen Staats- und Betriebsfeiern. Unvergeßlich auch aus der Flimmerkiste. Wozu haben die Ossis sonst eine Re- der vom nagenden Neid säuerliche und miesepetrige Be- volution aufs Parkett gelegt, wenn nicht für diese kulturelle fehlston an der ehemaligen deutschdeutschen Grenze, dieses Bereicherung im rechteckigen Format der Geselligkeit? unnachahmliche in der SED-Eintopfsprache geblaffte Immer wieder wird der Vergleich zwischen dem Natio- »Gännse fleisch den Goffäraum aufmachn« oder »Fahnse nalsozialismus und der DDR bemüht, um deutlich zu ma- ma rächts ran«, mit dem sie die Westreisenden mit Vorliebe chen, unter welcher unmenschlichen Diktatur die Ossis ge- drangsalierten. litten hatten. Vergeblich wird man jedoch nach den sechs Aber obwohl sich die Direktiven der Staatsführung und Millionen Ermordeten fahnden, die man dem SED-Regime die Mißgunst der Ossis nahtlos zur Deckung bringen ließen, gerne unterschieben würde. Nicht mal ein paar richtige sta- kann man nicht behaupten, daß sich die Parteiführung un- linistische Schauprozesse hatte es gegeben, an denen man beschränkter Beliebtheit bei den Ossis erfreute. Und wer die sich heute delektieren könnte, obwohl die SED-Genossen Jubelparaden bei den Aufmärschen zum Ersten Mai dahin- immer als die Müsterschüler Stalins galten. Selbst in diesem gehend interpretiert, hat keine Ahnung von deren Psycholo- Heimspiel hatte die DDR nur eine Posse zustandegebracht, gie. Was die Ossis ihrer Führung wirklich ankreideten, war, die zwischen Harich und Janka dann noch einmal aufge- daß sie im Leistungsvergleich der Systeme hoffnungslos un- wärmt wurde und außer einem überflüssigen Buch nichts terlegen waren. Was waren schon billige Mieten, kostenlose hinterließ. Oder waren es zwei? Statt Terror, Krieg und Ver- Krankenversorgung und Arbeitsplatzgarantie gegen ein wüstung mit sich zu bringen, war die DDR für ihre Bewoh- schnelles Westauto? Später, als die Ossis es dann endlich ner vielmehr eine Insel des Friedens, auch wenn es hinter hatten, setzten sie es an den nächsten Baum und jammerten den Kulissen etwas muffelte. Dennoch haben der National- über steigende Mieten, eine teure Krankenversicherung und sozialismus und die DDR etwas gemeinsam. Aber diese Ge- Arbeitslosigkeit. meinsamkeit ist für die Ossis alles andere als schmeichelhaft, Dabei geht es ihnen gar nicht so schlecht, wie neuere denn für sie trifft zu, was Hannah Arendt über die Deut- Untersuchungen ergeben haben. 94 Prozent der ostdeut- schen zwischen ’33 und ’45 schrieb: »Es gab im Dritten schen Haushalte können inzwischen den wichtigsten Fern- Reich nur wenige Menschen, die die späteren Verbrechen bedienungs-Gebrauchsgegenstand im nußbaumfurnierten des Regimes aus vollem Herzen bejahten, dafür aber eine 10 11 große Zahl, die absolut bereit waren, sie dennoch auszu- ten wie die »Jugendweihe«, von der man auf Anhieb nicht führen.« weiß, ob sie der Epoche vor oder nach ’45 entstammt, die Nur der Tatsache, daß die staatliche Repressionsmaschi- man in jedem Fall für einen heidnischen Kult halten könnte, ne der DDR mit internationalen Standards nicht Schritt hal- erfreuen sich bei den Ossis nach wie vor großer Beliebtheit. ten konnte und der damit zu verzeichnende Erfolg geradezu harmlos war im Vergleich zur Einführung des Kapitalismus »Detlev hatte immer Zeit für mich« in den ehemaligen Ostblockländern, haben es die Ossis zu Die friedliche Koexistenz von Stasis und Ossis verdanken, daß sie gar nicht die Möglichkeit hatten, sich so aufzuführen, wie es die Deutschen unter Idealbedingungen Der mit Abstand beliebteste Verein jedoch mit dem größten offensichtlich gerne tun. Auch wenn die Ossis mit ihrer Re- Zulauf aus allen Altersschichten ohne Ansehen von Rang gierung nie so recht zufrieden waren, behielten sie ihre Mei- und Beruf war die Stasi. Folgt man den täglich neuen Ent- nung lieber für sich. Dennoch waren sie bereit, »Pionier- hüllungen über IMs, den auszugsweise veröffentlichten tele- und Spitzenleistungen im ökonomisch-kulturellen Lei- phonbuchlangen Listen von Spitzeln, wird man den Ver- stungsvergleich« zu erbringen. Was immer diese »Pispilei dacht nicht los, daß die Objekte der Ausspähung in der hoff- im Ökulei« (so die korrekte Abkürzung im DDR-Sprachge- nungslosen Minderzahl waren. Da blieb es natürlich nicht brauch) gewesen sein mögen (vielleicht sowas wie ein in den aus, daß sich die Ossis gegenseitig bespitzelten, woraus sich realsozialistischen Jargon übersetzter Voodoo-Zauber?), die schließen läßt, daß es sich dabei um eine Art Volkssport ge- Ossis taten auf Geheiß der Partei anscheinend sehr myste- handelt haben muß, der als Dienst an der Allgemeinheit und riöse und obskure Dinge, die offensichtlich nur dazu da wa- nicht als ehrenrührige Tätigkeit verstanden wurde. Immer ren, um die Gefolgschaftstreue zu testen. Man könnte diese mehr stellt sich jedenfalls heraus, daß es kaum jemanden ge- zwischen dezentem Murren und vorbehaltloser Pfadfinder- geben hat, der nicht ein bißchen mit der Stasi gekungelt und bereitschaft schwankende Haltung als eine Art kritischen geschunkelt hatte. Opportunismus bezeichnen, nur daß sich das Kritische qua- Weil aber die massenhafte Erhebung von absolut un- si ins innere Exil verflüchtigte und somit nur der Opportu- wichtigen Informationen genauso sinnlos ist wie jeder ande- nismus übrigblieb, davon aber üppige Portionen. re beliebige Volkssport, kann man dem mangelnden Un- Unter der Partei, die sich in den Alltag, in die Arbeit und rechtsbewußtsein der Ossis sogar eine gewisse Plausibilität die Familie einmischte und deshalb durchaus enervierend abgewinnen. Nichts Langweiligeres und so völlig ohne Be- hätte sein können, haben die Ossis mitnichten gelitten. lang als die in den Feuilletons breitgetretenen Verdächti- Wurden sie etwa dazu gezwungen, ihre Kinder in die FDJ zu gungen und aufgeblasenen Entlarvungen oder die als schicken? Nicht mal mit Bananen brauchte man sie dazu zu schwerverkäuflicher Ramsch auf den Buchmarkt geworfe- ködern. Mußte man sie etwa in irgendwelche Betriebszellen nen Spitzelberichte und Aktenvermerke. Die haben bei der prügeln? Keine Extraration Schokolade wurde ihnen dafür Lektüre die gleiche Wirkung wie Valium, und wie beim ähn- in Aussicht gestellt. Waren sie auf ihre jungen Pionierpimp- lich ermüdenden Büttenredner müßte man schon durch ein fe nicht mindestens so stolz wie die Deutschen auf ihre Hit- Tusch aufgeweckt werden, um an der richtigen Stelle gäh- lerjugend? Aber sicher! Und so merkwürdige Gepflogenhei- nen zu können. Daß mit diesen Einschläferungsmittelchen 12 13 in der Öffentlichkeit nun herumgewedelt wird, ist höchstens Erich Honecker, den abgeschobenen Stefan Krawczyk doch peinlich, hat aber weder mit Schuld etwas zu tun, noch tau- wieder zurückzunehmen. Vergebens. Die Rache des alten gen sie als Beweis für ein verbrecherisches Regime. Wenn es Politbürokaders ist fürchterlich; der durch die DDR-Blind- den Ossis Spaß machte, sich gegenseitig in ihrer Intimsphä- gänger angerichtete Flurschaden in der Medienlandschaft re zu beschnüffeln, dann mag das zwar in anderen Kultur- nicht mehr gutzumachen. Heute setzt Krawczyk seine sub- kreisen etwas befremdlich erscheinen, nicht weniger be- versive Tätigkeit bei der PDS fort und tut sein Bestes, um fremdlich ist jedoch auch das voyeristische Interesse an die- die potentiellen Wähler der Partei zu vergraulen. sem eher unappetitlichen Detail in der Psychologie der Os- Die Stasi war also in einer gewissen Weise ziemlich sis, von dem bezeichnenderweise die sich als DDR-Opposi- durchtrieben und clever, was dem Bild vom stalinistischen tion mißverstehenden Ost-Dichter und Ost-Pastoren gar Instrument ganz und gar nicht entspricht. Außerdem erfüll- nicht genug kriegen können, jedenfalls solange keine Akte te sie für die Ossis einfach auch eine therapeutische Funk- über sie selbst gefunden wird. tion. Drogentote, Rauschgiftsüchtige, Penner und Bettler Über die Nachstellungen der Stasi beklagt sich am mei- verunzierten im Osten nicht das Straßenbild. Da mußte nie- sten die Opposition, die diesen Namen deshalb kaum ver- mand im gesellschaftlichen Abseits stehen, da mußte nie- dient, weil sie sich hinter den Rockschößen der Kirche ver- mand einsam und auf sich selbst zurückgeworfen sein, dafür schanzte und ihre Kritik ungefähr den Koffeingehalt vom gab es mitfühlende und aufmerksam zuhörende Führungsof- »Wort zum Sonntag« hatte. Mitleid mit dieser Sanso- fiziere, die als Seelenklempner mit der westlichen Kummer- Schmuseopposition, die es schon für einen Widerstandsakt kastenrubrik »Fragen Sie Frau Irene« aufs heftigste konkur- hielt, wenn sie einen Liederabend veranstaltete oder über die rierten. »Die Stasi hat mir Wurzeln gegeben, hat mir Ge- Methoden des sanften Gebärens plauderte, mußte man borgenheit vermittelt. Ich konnte Tag und Nacht anrufen, höchstens deswegen haben, weil ihre selbstgestrickte Lyrik, Detlev hatte immer für mich Zeit.« Wer wollte der hilfsbe- ihre zusammengeschusterten Klampfenstücke und ihr krypti- dürftigen Seele von Monika, von der diese rührseligen Zei- sches Öko- und Friedensgefasel mit subversivem Gedanken- len stammen, oder der herzensguten von Detlev, dem Ost- gut verwechselt wurde. Weil sie aber nicht bloß einfältig war, modell einer Avonberaterin, ernsthaft böse sein? Sie etwa, sondern vor allem ein Verein von Nervensägen, muß man zu- der Sie gerade so beleidigt aus der Wäsche gucken? geben, daß die Maßnahme Mielkes, einige von ihnen in den Im Gegensatz zu dem von Hast, Konkurrenz und Zeit- Westen abzuschieben, eine Wohltat für die geplagten Stasis ist-Geld getriebenen Wessi, so hieß die frohe Botschaft hin- gewesen sein dürfte, eine Tat außerdem, zu der man ihn nur ter Monikas zerknirschtem Wurzelbekenntnis, nahmen sich beglückwünschen konnte. Denn Mielke durfte sich sogar die die Ossis Zeit füreinander, standen sich mit Rat und Tat zur berechtigte Hoffnung machen, sich ihrer als Geheimwaffe Seite, spendeten sich Trost und Hoffnung, lauschten, horch- gegen den westlichen Kulturbetrieb bedienen zu können, der ten, brabbelten und salbaderten. Noch heute glauben die durch die unerträglichen Laienprediger mit dem Verfolgten- Ossis daran, daß ihre Welt »rein zwischenmenschlich gese- bonus noch unerträglicher wurde als er vorher schon war. hen« eine Art verlorenes Paradies gegenseitiger Hilfe und Damals, als es noch nicht ganz zu spät war, wandte sich Kommunikationsfreude gewesen sei. Bei vorurteilsloser Be- Wiglaf Droste mit der »Bitte um humanitäre Hilfe« an trachtung muß man jedoch feststellen, daß ihr Alltag schon 14 15 immer von blankem Neid und spießigem Ressentiment ge- Adresse in der DDR gewesen war, mit der man reden konn- prägt war. Nichtsdestoweniger glauben die Ossis tatsächlich, te. Die Stasi also als intellektueller Debattierklub oder als an sich eine humane Eigenschaft entdeckt zu haben, dessen soziales Unternehmen, das die Ossis erfolgreich an der Ver- Verlust bei ihnen heute Sehnsüchte nach der guten alten wirklichung ihrer geheimen Wünsche gehindert hat? Will Zeit weckt, aber in der sentimentalen Verklärung der Ver- das jemand? Nein? Dann muß er auch anerkennen, daß der gangenheit leugnen sie die Voraussetzung, die zum Bespit- Verdacht von der friedlichen Koexistenz von Stasis und Os- zeln als Volkssport führte, nämlich daß man den anderen sis nicht mehr von der Hand zu weisen ist. nicht leiden konnte, weil man in ihm die eigene Schäbigkeit »Millionen Deutsche litten unter der Stasi, diesem or- wiedererkannte. Nun würden die Ossis gegen solche Unter- wellhaften System der Überwachung und Einschüchterung stellungen aufs heftigste protestieren, und zur Widerlegung – und leiden noch immer unter den Folgen«, heißt es, und der These von der symbiotischen Beziehung zwischen Stasis man braucht kein Hellseher zu sein, um zu wissen, daß die und Ossis würden sie sogar die Statistik aus dem Hause Ossis dieses überall herumposaunte Märchen von den bösen Gauck auf ihrer Seite haben, derzufolge »nur« 150000 Räubern mit den Deutschen in der Rolle von Hänsel und DDR-Bürger »als IMs bei der Staatssicherheit gewirkt« hät- Gretel für die lautere Wahrheit halten und sofort mit einem ten. Aber selbst die Richtigkeit einer solchen Zahl vorausge- Meineid bezeugen würden. Dabei weiß man doch spätestens setzt, denn die Dunkelziffer ist bekanntlich immer um eini- nach der Veröffentlichung der Memoiren Vera Wollenber- ges höher, ganz zu schweigen von den ganz normalen Ange- gers, daß sich die Ossis auch für eine Blumenkohlsuppe von stellten der wahrscheinlich größten Behörde auf deutschem der Stasi anwerben ließen. Und was heißt schon »orwellhaf- Boden, schneiden die Ossis deshalb noch lange nicht besser tes System der Überwachung«, wenn jeder weiß, daß die ab. DDR dafür weder das technologische Know-how noch die Spätestens nach Hoyerswerda und Rostock müßte sich High-Tech hatte, um die Ossis flächendeckend zu kontrol- jeder Mensch mit einem halbwegs intakten moralischen lieren? Mit dem primitiven, aus dem letzten Jahrhundert Empfinden fragen, ob die Stasi nicht vielleicht doch eine stammenden Spitzelbericht in fünffacher Ausfertigung läßt nützliche Einrichtung war, denn immerhin sind unter ihrem sich jedenfalls kein Orwellstaat machen, der inzwischen ja wachsamen Auge 40 Jahre lang derartige Pogrome nicht auch schon etwas antiquiert und angestaubt ist, und jeder Si- vorgekommen. Und wirklich beschleicht den fassungslosen cherheitsexperte im Westen würde über die rührenden Me- Beobachter angesichts der dosenbierausdünstenden, aufge- thoden der Stasi nur milde lächeln. Und überhaupt: Haben schwemmten, von Jogginganzügen unzulänglich verhüllten, die Millionen leidenden Deutschen denn nicht sowieso alles deformierten Fettmassen mit den signalroten Alkoholbirnen getan, um der Regierung keinen Grund für Beanstandungen das Gefühl, daß die Stasi gar nicht so übel war. Schon aus an ihrem Verhalten zu geben? Fragen über Fragen und kei- rein ästhetischen Gründen hat sie sich zweifelsfrei Verdien- ne vernünftige Antwort. ste erworben, als sie diese Ossis unter Verschluß hielt. Und Als »Leibeigene einer internationalen kriminellen Verei- auch Heiner Müllers Antwort auf die Stasivorwürfe hätte nigung« sehen sich die Ossis, um aller Welt drastisch vor dann durchaus etwas für sich, jedenfalls wäre nicht auszu- Augen zu führen, wie gemein, niederträchtig und hinterhäl- schließen, daß die Staatssicherheit die einzige intelligente tig die Stasi war, die sie sogar zu »Erfüllungsgehilfen dieser 16 17