Geheimdienstkrieg gegen Deutschland Subversion, Propaganda und politische Planungen des amerikanischen Geheimdienstes im Zweiten Weltkrieg Herausgegeben von Jürgen Heideking und Christof Mauch Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen Die Deutsche Bibliothek - ClP-Einheitsaufnahme Geheimdienstkrieg gegen Deutschland : Subversion, Propaganda und politische Planungen des amerikanischen Geheimdienstes im Zweiten Weltkrieg / hrsg. von Jürgen Heideking und Christof Mauch. - Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1993 (Sammlung Vandenhoeck) ISBN 3-525-01350-7 NE: Heideking, Jürgen [Hrsg.] Umschlagabbildung: Flugblatt der Moral Operations Branch des Office of Strategie Services (OSS) aus dem Jahr 1944. National Archives, Washington, D.C. © 1993, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Inhalt Vorwort 7 JÜRGEN HEIDEKING Die »Breakers«-Akte. Das Office of Strategie Services und der 20. Juli 1944 11 CHRISTOF MAUCH Subversive Kriegführung gegen das NS-Regime. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Kalkül des amerikanischen Geheimdienstes OSS 51 HEIKE BUNGERT Ein meisterhafter Schachzug. Das Nationalkomitee Freies Deutschland in der Beurteilung der Amerikaner, 1943-1945 90 PETRA MARQUARDT-BIGMAN Nachdenken über ein demokratisches Deutschland. Der Beitrag der Research and Analysis Branch zur Planung der amerikanischen Deutschlandpolitik 122 CATHERINE SCHIEMANN Der Geheimdienst beendet den Krieg. »Operation Sun- rise« und die deutsche Kapitulation in Italien . . .. 142 5 OLIVER RATHKOLB Professorenpläne für Österreichs Zukunft. Nachkriegs fragen im Diskurs der Forschungsabteilung Research and Analysis 166 Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur 182 Abkürzungsverzeichnis 189 Register 191 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bandes 197 6 Vorwort Den Anstoß zu diesem Band gab ein Forschungsprojekt über die Auslandskontakte des deutschen Widerstands, das - von der Volkswagen-Stiftung finanziell gefördert - seit 1989 am Seminar für Zeitgeschichte der Universität Tübingen durchgeführt wird. Die Mitglieder der Tübinger Historikergruppe - Heike Bungert, Jürgen Heideking, Petra Marquardt-Bigman und Christof Mauch - sind die ersten deutschen Wissenschaftler, die in amerikanischen Archiven, vornehmlich in den Washingtoner National Archives und der Franklin D. Roosevelt Library in Hyde Park, New York, umfassende und systematische Quellenstudien zum Thema >Die USA und der deutsche Widerstand gegen das NS-Regime< betrie ben haben. Das gemeinsame Forschungsinteresse verbindet sie mit der Schweizerin Catherine Schiemann und dem Österreicher Oliver Rathkolb, die aus der Sicht ihrer Länder Untersuchungen zu zentralen Aspekten der Geheimdienst- und Widerstandspro blematik während des Zweiten Weltkriegs beisteuern. Die Vereinigten Staaten übernahmen ab 1942/43 die Rolle der wichtigsten >Anlehnungsmacht< für die verschiedenen Wider standsgruppen und -bewegungen, die sich im besetzten Europa und in Deutschland selbst gegen die nationalsozialistische Herr schaft formierten. Die Organisation, die in Washington mit der Einschätzung, Förderung und Beeinflussung des Widerstands be traut wurde, war der Geheimdienst >Office of Strategie Services< (OSS). Daß die Akten dieser 1942 gegründeten und im Oktober 1945 wieder aufgelösten Behörde ab Mitte der achtziger Jahre deklassifiziert wurden und inzwischen fast vollständig freigegeben 7 sind, gehört zweifellos zu den bedeutendsten Ereignissen der in ternationalen Zeitgeschichtsforschung. Selbst die ansonsten recht zurückhaltende Leitung der Washingtoner National Archives hat die Übernahme der umfangreichen OSS-Bestände aus der Obhut der Central Intelhgence Agency (CIA) als eine »acquisition of unprecedented significance« gewürdigt. Damit ist das OSS der erste moderne Geheimdienst, dessen Organisation, ideologische Ausrichtung und praktische Arbeit im Detail studiert werden können. Die OSS-Dokumente bilden den quellenmäßigen Grundstock sämtlicher hier abgedruckter Beiträge. Auf diese Weise werden unsere Kenntnisse über die Hintergrundgeschichte des Zweiten Weltkrieges in doppelter Hinsicht signifikant erweitert. Zum einen erfahren wir neue Einzelheiten und Zusammenhänge des Ringens der Widerstandsbewegungen um Frieden und Überwindung der NS-Diktatur. Zum anderen gewinnen wir einen bislang beispiel losen Einblick in die Wahrnehmungsmechanismen und Entschei dungsvorgänge auf der mittleren Ebene der Washingtoner Regie- rungs- und Militärbürokratie, deren Analysen, Stellungnahmen und Empfehlungen ja in vielen Fragen den Ausschlag gaben. Die Geschichte des OSS - der ersten zentralen, geheimen Nachrichtenagentur der Amerikaner - spiegelt nicht nur die Um rüstung der US-Bürokratie in eine Maschinerie der Kriegführung wider, sie symbolisiert zugleich den Aufstieg der USA zur Super macht, deren >intelligence community< geradezu zum Markenzei chen ihres globalen Engagements wurde. Da das OSS keinem Ministerium, sondern den mit Kriegseintritt eingerichteten Ver einigten Stabschefs unterstand, war der Handlungsspielraum der jungen Behörde verhältnismäßig groß. Der Leiter der Organisa tion, Wall Street-Rechtsanwalt und Weltkriegsveteran William J. Donovan, betonte von Anfang an den engen Zusammenhang von Informationsbeschaffung, Strategiebildung und subversiver Kriegführung. Nach den Direktiven der Vereinigten Stabschefs waren die zentralen Aufgaben des OSS, geheime wie öffentliche Informationen zu sammeln und auszuwerten, Sabotage- und Pro pagandaaktionen zu organisieren sowie Widerstandsbewegungen in vom Feind beherrschten Ländern zu fördern. Ein Novum in der Geschichte der Geheimdienste war dabei die Einbeziehung einer großen Zahl führender Wissenschaftler, die anfangs bevorzugt aus amerikanischen Eliteuniversitäten rekru tiert wurden und fast sämtliche akademischen Disziplinen reprä- 8 sentierten. Insbesondere die Research & Analysis Branch des OSS war ein gigantischer >think tank<. Dort wurden mit Blick auf Deutschland und Österreich nicht nur Wirtschafts- und Faschis musanalysen verfaßt, sondern auch Regionalstudien zu sozialen, politischen, ökonomischen und verwaltungspraktischen Aspekten der antizipierten Besatzung erarbeitet, die später teilweise der US-Militärregierung als Handbücher dienten. Die Beiträge des vorliegenden Bandes bieten einen Einblick in das breite Operationsspektrum des OSS, der im Krieg gegen das NS-Regime den deutschen Widerstand ins politische wie militä rische Kalkül miteinbezog, der unkonventionelle Mittel zur Ver kürzung des Krieges erprobte und neuartige Methoden psycho logischer Kriegführung entwickelte. Ihre spezifische Brisanz ge winnen die Analysen und Aktivitäten des Geheimdienstes gerade auch im Hinblick auf das zukünftige Verhältnis zur Sowjetunion und den Wiederaufbau eines demokratischen Deutschland. Inso fern weisen die aus den OSS-Quellen gewonnenen Erkenntnisse weit über das Kriegsende hinaus und tragen zur Diskussion über Ursachen und Anfange des Kalten Krieges bei. Die Herausgeber und die Autoren dieses Bandes sind den Mit arbeitern der National Archives in Washington, speziell den Ar chivaren John Taylor und Lawrence MacDonald, für ihren fach männischen Rat und die Unterstützung im Umgang mit den OSS-Dokumenten zu großem Dank verpflichtet. Beim Lesen der Korrekturen haben insbesondere Ralf Neubauer (Tübingen) und Marc Frey (Köln) geholfen; Kurt Schneider (Tübingen) sorgte für die formale Einheitlichkeit der Texte und erstellte das Literatur verzeichnis. Auch ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Für den Inhalt der Beiträge zeichnen die Autoren verantwortlich. An sonsten gehen alle Fehler und Versäumnisse, die nicht ausgemerzt werden konnten, zu Lasten der Herausgeber. Tübingen, November 1992 9 JÜRGEN HEIDEKING Die >Breakers<-Akte Das Offlee of Strategie Services und der 20. Juli 1944 Die Dokumente, die vom amerikanischen Geheimdienst Office of Strategie Services (OSS) unter dem Kennwort >Breakers< gesam melt wurden, erlauben einen faszinierenden Blick hinter die Ku lissen der westalliierten Kriegführung gegen Hitler-Deutschland. Sie zeigen, wie die wichtigsten OSS-Abteilungen die oppositio nellen Kräfte innerhalb und außerhalb des NS-Regimes ein schätzten, wie sie auf den gescheiterten Staatsstreich gegen Hitler reagierten, und welchen Einfluß der Geheimdienst auf politische und militärische Entscheidungen nehmen konnte. Im folgenden geht es im wesentlichen um Fragen der internen Meinungsbildung und der Perzeption: Dabei wird bewußt die amerikanische Per spektive gewählt, um Aufschlüsse über die Absichten, Ziele und Mentalitäten der am Entscheidungsprozeß beteiligten US-Reprä sentanten zu erhalten.1 11 /. Die Vorgeschichte bis zur alliierten Landung in der Normandie 1. Die Berle-Initiative vom April 1942 und Allen Dulles' Vorstellungen zur psychologischen Kriegführung gegen Hitler- Deutschland Nach der deutschen Niederlage in der Winterschlacht vor Mos kau wurde in der Washingtoner Administration erstmals die Fra ge erörtert, ob es möglich sei, den Krieg durch den Sturz Hitlers abzukürzen. In einem Memorandum vom 23. April 1942 plädierte Adolf Berle, ehemals enger New Deal-Berater Präsident Roose- velts und nun Unterstaatssekretär im Außenministerium, für eine massive Propagandakampagne »to upset the Nazi Government in Germany.« Es lägen Informationen vor, wonach eine Gruppe deutscher Generäle auf einen Regimewechsel hinarbeite, um die Grundlage für Friedensverhandlungen zu schaffen. Aus katholi schen Quellen verlaute zudem, daß sich in Kreisen der hohen Bürokratie der Kern einer zivilen Übergangsregierung sammle. Ein Friedensschluß mit den deutschen >Militaristen< komme zwar aus amerikanischer Sicht nicht in Frage; wenn es aber gelänge, das deutsche Volk davon zu überzeugen, daß der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei und daß es den Alliierten in erster Linie um die Beseitigung der >Nazi-Sklaverei< gehe, dann könnte der Zu sammenbruch Deutschlands möglicherweise ebenso plötzlich und unerwartet erfolgen wie im Herbst 1918.2 Berles Idee einer Neuauflage von Präsident Woodrow Wilsons >Kreuzzugs<-Propaganda fand allerdings weder im State Depart ment noch im Weißen Haus ein positives Echo, und sie stieß auch im Kreis der Geheimdienstexperten um den Koordinator of In formation^ General William J. Donovan, auf Skepsis. Allen Dul les, der sich als Chef des New Yorker COI-Büros Gedanken über die psychologische Kriegführung machte, riet von einer auf die Person Hitlers gezielten Kampagne ab: Sie würde die Stellung des Diktators gegenüber seinen Generälen eher stärken als schwä chen. Vielmehr sollte man den Fehlschlag der deutschen Som meroffensive an der Ostfront abwarten und dann mit allen er denklichen Propagandamitteln versuchen, einen Keil in die Füh rung des Dritten Reiches zu treiben. Das Ziel müsse weniger die Eliminierung Hitlers sein, als das Anstiften eines offenen Macht kampfes zwischen den Nazi-Autoritäten und den hohen Militärs, der sich zur allgemeinen Revolution ausweiten würde.3 12