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Gegen den Ausnahmezustand Zur Kritik an Carl Schmitt PDF

339 Pages·1999·7.935 MB·German
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Wolfgang Pircher (Hrsg.) Gegen den Ausnahmezustand Zur Kritik an Carl Schmitt Politische Philosophie und Okonomie Springer-Verlag Wien GmbH W olfgang Pircher Wien, Osterreich Gedruckt mit Unterstiitzung des Fonds zur F6rderung der wissenschaftlichen Forschung, Wien Das Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Obersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ăhnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, biei ben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 1999 Springer-Verlag Wien Ursprunglich erschienen bei Springer-Verlag Wien New York 1999 Satz: H. Meszarics • Satz & Layout • A-1200 Wien Gedruckr auf săurefreiem, chlorfrei gebleichtem Pa pier - TCF SPIN: 10662359 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Gegen den Ausnahmezustand : zur Kritik an Cari Schmitt / Wolfgang Pircher (Hrsg.). - Wien; New York: Springer, 1999 (Politische Philosophie und Okonomie) ISBN 978-3-211-83078-9 ISBN 978-3-7091-6434-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-7091-6434-1 ISSN 1437-6881 ISBN 978-3-211-83078-9 Widmungsschrift fur Professor Michael Benedikt I WOLFGANG PIRCHER/HELMUT KRAMER Vorwort K arl Marx hat uns einige dramatische Wendungen hinterlassen, die das eigentumliche Verhaltnis der Lebenden zu den Toten bezeichnen: so spricht er yom Alp der toten Geschlechter, der den Lebenden im Nacken saBe, und - in Anspielung auf das franzosische Erbrecht - laBt er den Lebenden yom Toten gepackt sein. SchlieBlich hat man jungst sein Werk selbst unter der Rubrik "Gespenster" zu rubrizieren und zu dekonstruieren versucht. Wie viele Lebende aber ein Toter zuzeiten zu packen vermag, das unterliegt ratselhaften Konjunkturen, und wie Marx die seine vor nicht allzulanger Zeit hatte, so scheint gegenwartig sein Vornamenspatron, der sich in gewisser Differenzwut Carl nennende Schmitt, sich steigernder Beliebtheit zu erfreuen. Das ist als Symptom doch recht erstaunlich, ist man doch in diesem besonderen Fall bereit, den eindeutigen politischen Geruch zu verdecken, zu verharmlosen, jedenfalls aber fur das Denken von Schmitt fur weitgehend belanglos zu erklaren. Es ist vielleicht an der Zeit, die Verbindung Schmitts zum Nationalsozialismus systematischer zu fassen, als es historiographisch moglich ist. Hier solI nicht Gericht gehalten werden in der Weise, daB es urn die Verfehlung einer Person geht, sondern allenfalls in der Art, wie Kant gelegentlich von einem Gerichtshof der Vernunft spricht. Was es demnach zu beurteilen gilt ist das Symptomatische einer politischen Theorie, und das Urteil ist zu fallen daruber, ob man deren praktische Konsequen zen wollen solI. Politik mag zwar unser Schicksal sein, aber es herrschen doch keine Naturgesetze im Raum des Politischen, sondern wir sind aufgerufen, unser Verhalt nis zu den anderen zu begrunden und der Diskussion offenzuhalten. Man kann und wird hier nicht der diskursiven Taktik Schmitts folgen, an bestimmten heiklen Punk ten ein Arkanum geltend zu machen, das zwar begrundend wirke, aber nicht sag und diskutierbar sei. Man wird dies umso weniger akzeptieren konnen, als sie sich mit der Geste der Verachtlichmachung verbindet, urn das "burgerliche liberale Ge rede" als politische Form zu hintertreiben. Schmitt zwischen sein religios-politisches Bekenntnis und eine zeitweilige Karrie rehoffnung, also zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus zu plazieren, heiBt somit, den politischen Ort angeben, von dem aus Schmitt spricht. Man kann von dieser Positionierung aus die Kreise entfalten, die schlieBlich alle wesentlichen politischen Argumente enthalten, und wird dabei manchen Konvergenz- und Ober schneidungspunkt zu anderen Theorien konstatieren (Tertulian). Wesentlich kommt VIII I VORWORT es aber auf die Abgrenzung an, die fast immer polemisch, also als Kriegserklarung, vorgetragen wird. Schmitt findet hierin ein ausgesprochenes (und auch wiederum verschwiegenes) Vorbild in Theorieentwiirfen philosophischer und theologischer Art, wie sie von Karl Marx, Soren Kierkegaard und Max Stirner noch vor der Mitte des 19. Jahrhunderts vorgetragen werden (Gartler). Das BewufStsein der sozialen Krise, welches in der sozialphilosophischen Theorie die kommende Revolution von 1848 ankiindigt, entfaltet seinen diskursiven Raum in einer eigenen Sprache, die man "Sprache des Zerfalls" (Weimayr) nennen kann. Nach dem Zerfall der alten Ordnung bewegt sich das konservative Denken in der Weimarer Republik auf Bah nen, welche in wesentlichen Punkten aus dem klassischen Arsenal der Demokratie und Parlamentarismuskritik entstammen. In der Heterogenitat und teilweisen inne ren Widerspriichlichkeit lassen sich aber doch grofSe Linien im Werk von Schmitt ausmachen. So wie er oft die paradox erscheinende Suggestion erweckt, als Jurist das Recht in seiner Eigenmachtigkeit abzulehnen, so kann man eine Negierung des Politischen zugunsten des Privaten ausmachen, die das Politisch-Offentliche in die Begrenztheit personaler Reprasentation zuriicknimmt (Hoerl). Damit beginnt not gedrungen die iibernommene Sinngebung des restringierten Politischen allen ProzefS einer offenen Sinngebung zu iiberwuchern. Sinn ist hier immer schon gegeben, wird immer schon als Vergangenes erfahren und nie im ProzefS des Politischen gestiftet. Darum wird die Riickfrage auf das Politisch-Theologische so drangend (Nancy). Wo es gilt, die Effekte der Sakularisierung politisch zu neutralisieren, dort setzt Schmitt auf eine mythisch konstruierte Einheit des Volkes. Es wird ihm zum Trager und sub stantiellen Garanten fiir die eigentliche Souveranitat (Katzmair, Rauchenschwandt ner). Diese mythisch konstruierte Volkseinheit versucht Schmitt, auf das Konzept der volonte genera Ie von Rousseau abzustiitzen, wobei er vorzugsweise des sen re aktionare Interpretation betont (Paulson). Solcherart geistesgeschichtlich legitimiert, wird die homogene Volksgemeinschaft, die sich des inneren Feindes entledigte, im aufSeren Expansionsdrang auf den Feind in seiner globalen und universalen Gestalt stofSen. Die volkerrechtliche Beglaubigung eines imperalistischen Nachholpro gramms, wie es das Konzept des "GrofSraumes" darstellte, wird den universalen Feind im Juden schlechthin entdecken (Zakravsky). Es schadet nicht, dieser Dber hohung eine realistische Grundlage nachzuliefern. Dabei zeigt sich, wie marginal die Position Schmitts in dieser Frage der nationalsozialistischen Expansionspolitik tatsachlich war (Bruckschwaiger). Der hier zutagetretende, kriegerische Aspekt des Okonomischen, verbunden mit der Idee des starken totalen Staates und, in der Zeit nach dem Nationalsozialismus, mit der des Nomos, lafSt eine Traditionslinie erscheinen, die an das antike Haus ankniipft. Es stellt die (private) Domane des despotischen Herrn dar, die iibertragen auf den offentlichen Raum der politischen Gemeinschaft die Form der Tyrannis annimmt. Die starke Affinitat von Schmitt zu einem total en Staat verbindet sich konsequent mit einer despotischen Okonomie und mufS sowohl Liberalismus wie Marktwirtschaft, wie Rechtspositivismus aus durch aus ahnlichen Griinden verwerfen (Pircher). Die Ablehnung dieser Theorien wird von Schmitt in bisweilen iiberhOht polemischem Ton vorgetragen, der die metho dische Diirftigkeit seiner Kritik verdeckt. Durchaus wird man sich in der Entschliis- I VORWORT IX selung dieses Verfahrens nicht der Illusion hinge ben, man konne sich auf eine wert freie, unpolitische Wissenschaftlichkeit als fester Bezugsbasis zuriickziehen. Aber es laBt sich wohl komparativ der jeweils spezifische strategische Einsatz der Methodo logie bei Schmitt und im Kelsenschen Rechtspositivismus aufzeigen (Hefler). Es ist nicht uninteressant, die Argumentationslinie der Kritik an Schmitt noch einmal zu brechen und auszuprobieren, wie weit von einem naturrechtlichen Ansatz hier vor zustoBen ist. Dabei muB die Konkurrenz zu Schmitt in der materialen Fundierung des Rechts ausgehalten werden (Weiland). SchlieBlich kann die politische Urteils kraft einen Feind anerkennen, ohne ihn damit zum Kriterium des Politischen zu ma chen. Damit entscharft sie das harte staatsrechtliche Denken, offnet gleichsam diese Institution in Richtung einer gesellschaftsrealen Erfahrung (Vollrath). * Einige cler hier vertretenen Autoren und der Herausgeber waren und sind Schuler von Professor Michael Benedikt. Man kann auf verschiedene Weise die Dankbarkeit gegenuber einem akademischen Lehrer ausdrucken, der die GroBzugigkeit ange sichts seiner Schuler mit einer gewissen hartnackigen Opposition gegen die philo so phische Institution verb and, der er beruflich verbunden war, was der akademischen Ruhe und Beschaulichkeit bekanntlich nicht dienlich ist. Wie er eine kritische Studie uber "Heideggers Halbwelt" vorgelegt hatte, so bemuhen sich nun die Schuler urn die Aufhellung einer anderen dunklen Zone der philosophierenden Politik. Das Band zwischen dem Lehrer und seinen Schulern kann wohl in der Form des Festes ge schehen, hier wurde die der Widmung gewahlt. 1m Unterschied zum Fest und seiner Gabe schlieBt die Widmung nicht, sondern eroffnet, denn in der "weihenden Dar bringung", wie die alte Bedeutung besagt, liegt eine Aufforderung. Das verbindende Band wird nicht dem Gedachtnis und der Erinnerung uberantwortet, wie es die Auf gabe des Festes ist, durch seine AuBerordentlichkeit sich gut dem Gedanken einzu pragen, sondern es wird durch die Widmung neu gestrafft. Naturlich ist die Wid mung keine Notigung, eher etwas wie eine dem Wunsch geschuldete Geste, es moge sich fortsetzen, was bisher geclauert hat. SchlieBlich meint die Widmung auch eine Hingabe an eine Bestimmung, hier eine bestimmte Art des Philosophierens, die in soweit politisch zu nennen ist, als sie den Philosophen selbst verpflichtet, zumindest Stellung zu nehmen zu den Zeitlaufen. * Der Osterreichischen Nationalbank ist besonders zu danken. Der von ihr eingerich tete Jubilaumsfond hat ein Forschungsprojekt finanziell unterstutzt, in dessen Rah men einige Beitrage dieses Bandes (die von Eric Hoerl, Walter Gartler, Rene Wei land, Catherina Zakravsky, Harald Katzmair und Hermann Rauchenschwandtner, Matthias Weimayr und Wolfgang Pircher) entstanden. Dieses Forschungsprojekt stand unter der Leitung von Prof. Helmut Kramer. Den anderen Autoren ist herzlich dafur zu danken, daB sie an diesem Unternehmen aktiven Anteil genommen haben. x I VORWORT Besonderen Dank verdient Gunter Hefler, der uber die Abfassung seines Beitrages hinaus die Muhe der redaktionellen Arbeit nicht gescheut hat. Eva Maria Schutz hat den gesamten Text einer sorgfaitigen Korrektur unterzogen. Wien, Februar 1999 Wolfgang Pircher Helmut Kramer Inhalt NICOLAS TERTULIAN Carl Schmitt zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus 1 WALTER GAR TLER Wo es nicht war Kollationen zur liberalen Pathologie des Ausnahmezustands 19 MATTHIAS WEIMA YR Carl Schmitt - Sprache der Krise/ Krise der Sprache 53 ERIC HOERL Die Privatisierung des Politischen bei Carl Schmitt 85 JEAN-LUC NANCY Der Sinn des Politischen 119 HARALD KA TZMAIRI Das Dispositiv des Volkes. HERMANN RAUCHENSCHW ANDTNER Zur Konstitution des politischen Subjekts bei Carl Schmitt 141 STANLEY L. PAULSON Zugerichtete Identitat. Zur Bewertung einiger Elemente der Demokratietheorie Carl Schmitts 167 CATHERINA ZAKRAVSKY Politische Mythologie des letzten Krieges als Volkerrechtswissenschaft 179 KARL BRUCKSCHWAIGER Carl Schmitt am Rande des GroRraums - Die kurze Geschichte des Begriffs 201 WOLFGANG PIRCHER Das vielarmige Ungeheuer des Nehmens - Dber das Politische der bkonomie 219 GUNTER HEFLER Wissenschaftlichkeit als Einsatz. Methodologie als politische Strategie bei Carl Schmitt und Hans Kelsen 249 RENE WEILAND Jenseits der Gerechtigkeit. Carl Schmitt, Gustav Radbruch und die Unverfiigbarkeit des Rechts 285 RENE WEILAND Die gemiedene Urteilskraft. Gesprach mit Ernst Vollrath 303 Bibliographie 317 Autoren 333 I NICOLAS TERTULIAN Carl Schmitt zwischen Katholizismus und N ationalsozialismus V nter den deutschen Intellektuellen der Weimarer Republik, die das nationalso zialistische Regime unterstutzt haben - Martin Heidegger, Gottfried Benn, der Philosoph und Anthropologe Arnold Gehlen oder der Soziologe Hans Freyer - nimmt der Jurist und Politikwissenschafter Carl Schmitt einen besonderen Platz ein: er ging in seinem Engagement fur Hitler am weitesten. Man fragt sich, welche Be weggrunde dies en scharfsinnigen Analytiker des Parlamentarismus und des Politi schen, Autor einer wichtigen Verfassungslehre (1928), Autor auBerst beachteter Arbeiten zur Staatstheorie und uberdies gluhender Katholik, dazu bewogen haben, sich 1933 dem Lager des Nationalsozialismus anzuschlieBen. Bilden die Ideen, die er in seinen Schriften der zwanziger Jahre und Anfang der dreiBiger Jahre entwickelt hat, Ideen, die ihm in der Weimarer Republik eine groBe Zuhorerschaft gesichert hatten, im Verhaltnis zu seiner ideologischen Burgschaft fur das nationalsoziali stische Regime eine Kontinuitat, oder handelt es sich urn eine echte Wandlung, die in seiner intellektuellen Entwicklung eingetreten ist? 1st seine Anhangerschaft zum Nationalsozialismus das Ergebnis einer langen Vorgeschichte, das Resultat der all mahlichen Reifung seiner Ideen, oder ist sie ein unvorhersehbarer Sturz ohne Bezie hung zur inneren Bewegung seines Denkens? Die Antwort auf diese Frage uberschreitet bei weitem den Fall Carl Schmitt. Der Bruch mit der Vergangenheit drangt sich nicht immer als offensichtlich auf, in man chen Fallen muB man zugeben, daB das Engagement fur den Nationalsozialismus nicht ex nihilo auftaucht, sondern seine Wurzeln in einer Vielzahl von Stromungen des intellektuellen europaischen Lebens hat, daB es die logische Folge und das Er gebnis einer ganz bestimmten Denktradition ist. In der intellektuellen Entwicklung Carl Schmitts haben Denkstromungen eine wichtige Rolle gespielt, die vom nationalsozialistischen Pangermanismus weit ent fernt scheinen: der Katholizismus Leon Bloys und die Schriften des jungen Bernanos, die Mythentheorie Georges Sorels wie die politische Doktrin des Spaniers Donoso Cortes, der Expressionismus von Daubler wie der Asthetizismus des Barbey d'Aure villy. Der Leitfaden der von Carl Schmitt in den Jahren 1920-1930 publizierten Schriften ist die Polemik gegen die "techno-okonomische" Betrachtung der Gesell schaft - das heiBt die liberale Weltanschauung, wie sie im 19. Jahrhundert und auch im Marxismus auft ritt, des sen Begrunder als "der eigentliche Kleriker des okono-

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