Gefahren, Gefährdungsbild und ein Sicherheitskonzept Von Jörg Schneider, Zürich Schweizer Ingenieur und Architekt Sonderdruck aus Heft 7/1980 © Springer Basel AG 1980 Ursprünglich erschienen bei Birkhäuser Verlag Basel 1980 ISBN 978-3-7643-1217-6 ISBN 978-3-0348-5395-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-0348-5395-8 Sicherheit Gefahren, Gefährdungsbild und ein Definitio.n vo.n Zähler und Nenner in diesem ko.nventio.nellen Sicherheitsbe Sicherheitskonzept griff der Bauingenieure und die Be schränktheit des Begriffs ist bereits dem klar, der eine Strasse zu bauen hat: Kann man mit einem Sicherheitsfakto.r Von Jörg Schneider, Zürich*) vo.n z. B. 2 eine Strasse befahren? In anderen Bereichen der Technik ver sucht man dem Pro.blem mit dem Risi Ausgehend vom Gegensatzpaar Gefahr versus Sicherheit wird gezeigt, dass Sicherheit wegen un kobegriff beizuko.mmen. Risiko. kann vermeidbarer Restgefahren nicht in uneingeschränktem Mass errtlichbar ist. Zur Abwehr von dabei vereinfachenderweise verstanden Gefahren steht eine Reihe von Massnahmen znr Verfügung. Es zeigt sich jedoch, dass deren An werden als die quantifizierte Wahr wendung die Definition von sog. Gefährdungsbildem erfordert sowie als Ordnl!ngsmittel einen scheinlichkeit eines Schadenereignisses sog. Sicherheitsplan als wünschbar erscheinen lässt. Ohne weitergehende Strategien gegen multipliziert mit der quantifizierten menschliche Fehlhandlungen bleibt jedoch allen Anstrengungen nur ein beschränkter Erfolg be Grösse des zugehörigen Schadens. Ein schieden. Risiko. lässt sich damit beispielsweise in Geldeinheiten o.der in Menschenleben ausdrücken. Situationen werden dann Der Mensch verändert mit seiner Arbeit die Welt, der Ingenieur die sichtbare Was ist Sicherheit? als sicher bezeichnet, wenn ein derart quantifiziertes Risiko. kleiner als ein Umwelt. Er tut dies im Auftrag der Ge sellschaft und des einzelnen, um deren Die Begriffe Sicherheit und Gefahr sind entsprechender, festzulegender Grenz Lebensbedingungen zu verbessern. Ver umgangssprachlich als Gegensatzpaar wert bleibt. besserung der Lebensbedingungen ist zu verstehen. Die Brockhaus Enzyklopä Soweit, so gut, zumindest solange es o.ft gleichbedeutend mit Abwehr dro. die definiert Sicherheit als «objektiv das sich um Sachschadenrisiken handelt. hender Gefahren aus der natürlichen Nichtvorhandensein von Gefahr, subjek Doch wie sollen wir Grenzwerte für das und der gebauten Umwelt. Dabei dür tiv die Gewissheit des Einzelnen, einer Risiko von Leib und Leben von Personen fen wir nicht übersehen, dass mit der Gruppe oder eines Staates, vor mögli festlegen? Dürfen wir den Risikobegriff Tätigkeit des Ingenieurs und durch sei chen Gefahren geschützt zu seim>. Be auf Personenschäden ausdehnen? Die ne Werke neue Gefahren in unsere Um zeichnenderweise kennen manche Antwort ist zweifach: nein und ja. In je welt hineingetragen werden. Dies wird Sprachen nur einen der beiden Begriffe dem Einzelfall müssen wir uns nach al der Gesellschaft in rasch zunehmendem und ersetzen den anderen durch Vernei len verfügbaren Kräften bemühen, Per Masse bewusst. Sie fo.rdert aus dieser nen des einen (Sicherheit: Nichtsicher so.nenrisiken auf null zu beschränken. Erkenntnis heraus, und der Grundein heit; Ohnegefahr: Gefahr). Das Zeichen Im grossen und über alles gesehen wird steIlung des So.g. westlichen Menschen in der japanischen Schrift für Sicherheit uns dies nicht gelingen, wir müssen ge fo.lgend, Abwehr der die Lebensbedin steht sinnvo.llerweise gleichzeitig für wisse Personenrisiken akzeptieren, und gungen bedro.henden Gefahren, sie fo.r Frieden, das altchinesische Zeichen für es bleibt eine schwierige Vo.lkswirt dert Sicherheit. Und der Ingenieur muss Gefahr gleichzeitig für Regen. Larousse schaftliche Frage, wo. wir die Grenze setzen wo.llen oder setzen müssen: Wie sich dieser Fo.rderung stellen. definiert Sicherheit als «la tranquillite viel ist die Gesellschaft bereit, für die Der fo.lgende, bewusst allgemein gehal d'esprit resultant de la pensee. qu'il n'y a tene Exkurs über Gefahren, Gefahren pas de peril cl redouter», frei übersetzt Rettung eines Menschenlebens zu be zahlen? [3] abwehr und Sicherheit geschieht aus also. als die Seelenruhe, die aus der Ge Die eingangs erwähnte Weisung SIA der Sicht eines Bau-Ingenieurs, der sich wissheit stammt, dass keine Gefahr zu als praktisch tätiger Ingenieur im Ein fürchten sei. Wir werden sehen, dass Si 260 [1] definiert das Sicherheitsziel des Normenwerks des SIA über alles gese zelfall mit Tragwerkssicherheit ausein cherheit in diesem umfassenden, quali hen deshalb als zahlenmässige Begren andergesetzt hat, der als Ho.chschulleh tativen Sinn nicht erreichbar ist, und zung des auf Tragwerkversagen zurück rer versucht, die angespro.chenen Be die Gesellschaft wird lernen müssen, griffe sachgerecht in die Ingenieuraus mit einem anderen Sicherheitsbegriff zu zuführenden Todesfallrisikos. Dieses bildung zu integrieren und der als Präsi leben. Do.ch wie so.llen wir Sicherheit steht - weil von Staates wegen erfasst und damit leicht erfassbar - stellvertre dent einer Ko.mmissio.n des Schweizeri dann definieren? tend für alle Personenrisiken. Die zah schen Ingenieur- und Architektenver Bauingenieure haben sich die Frage lan lenmässige Begrenzung des Todesfallri eins (SIA) die Aufgabe hat, eine Wei ge - und mit bemerkenswertem Erfo.lg, sikos orientiert sich an der Erfahrung sung für die Ko.o.rdinatio.n des No.rmen denn Bauwerke und Tragwerke gelten und an den Risiken aus anderen Aktivi werks des SIA im Blick auf Sicherheit als vergleichsweise überaus sicher - täten des Menschen. Erfahrungswerte und Gebrauchsfähigkeit vo.n Tragwer recht leicht gemacht. Sie setzen Sicher für Personenrisiken aus Tragwerksver ken (SIA 260) zu erarbeiten [1]. Dieser heit in einer etwas nachlässigen Um sagen sind nicht genau bekannt, da ent gedankliche Hintergrund der Ausfüh gangssprache gleich dem sogenannten sprechende Kategorien in nationalen rungen hat den Nachteil einer gewissen Sicherheitsfaktor. Dies ist der Quotient und internationalen Statistiken fehlen Einschränkung des Erfahrungsbe aus quantifizierbaren Merkmalen einer (an sich ein gutes Zeichen und ein Hin reichs, jedo.ch den Vo.rteil, allgemeinen gefahrabwehrenden Massnahme und weis, dass entsprechende Risiken ver Aussagen ko.nkrete Beispiele unterlegen der zugehörigen Gefahr selbst. Die Si gleichsweise sehr klein sind). Die Wei zu können. cherheit des Tragseils eines Aufzugs ist sung SIA 260 schlägt vor, diesen Grenz Die Fragen sind: Was ist eigentlich Si cherheit, was sind die Gefahren, welche damit der Quo.tient aus der Bruchlast wert auf 10-6 Tote pro Perso.n und Jahr des Seils und der Last der beladenen für die allgemeine Bevölkerung und auf die Sicherheit beeinträchtigen, und schliesslich, wie wehrt man Gefahren Aufzugskabine. Ein Zahlenwert vo.n 20 10-4 Tote pro auf Baustellen beschäftig dürfte für viele Aufzugsanlagen zutref te Person und Jahr festzulegen. Diese ab? Ich will versuchen, diese Fragen in fen. Für Balken aus ko.nventio.nellen Zahlenwerte sind z. B. zu vergleichen einer zweckmässigen Ordnung zu be Bausto.ffen wie Stahl, Stahlbeto.n und mit dem Todesfallrisiko info.lge Gebäu antwo.rten. Ho.lz kennen wir entsprechende debrandes, das für die Schweiz (und «Bruchsicherheiten» vo.n 1,6 bis etwa 3. ähnlich entwickelte Länder) bei etwa *) Vortrag, gehalten an der ETH·Fachtagung Warum diese Unterschiede? Fachleute 10-5 Tote pro Person und Jahr liegt. «Brandschutz und Sicherheit», am 5. Sept. 1979. wissen um die Schwierigkeiten bei der Sicherheitspro.bleme im Sinne der Wei- 2 Sicherheit sung SIA 260 sind demnach zunächst von Wissenschaft und Technik - zu unerkannte Gefahren sowie aus ver ausschliesslich Gefahren und Versa mindest vorderhand - nicht bekannt, schiedenen Gründen vernachlässigte gensformen, die Leib und Leben von die letzten nach dem Wissensstand des Gefahren bilden eine erste Gruppe von Personen gefährden. In bezug auf die Einzelnen nicht erkannt (Bild 2). Bei Restgefahren, die im Bereich der Mass Ursachen des Tragwerkversagens wer spielsweise war die Gefahr aerodynami nahmenplanung stehen bleiben. Vom den dabei jedoch keine Einschränkun scher Instabilität von Hängebrücken bis objektiven Gefahrenpotential wird gen gemacht. Es gehören dazu neben zum Einsturz der Brücke über die M ee demnach nur eine bestimmte Reihe von den konventionell betrachteten Gefah renge von Tacoma objektiv unbekannt. Gefahren effektiv berücksichtigt und ren der Überlastung und mangelnden Heute ist sie dies nicht mehr. Sie mag al zwar entweder durch Massnahmen ab Tragwerkwiderstandes vor allem auch lenfalls bei manchem Ingenieur subjek gewehrt oder bewusst als Risiko akzep Lücken, Unterlassungen, Fehler, Miss tiv unerkannt sein (hoffentlich baut ein tiert. verständnisse usw. in Planungs-, Pro solcher keine Hängebrücken). Die Wahl unzweckmässiger Massnah jektierungs-, Ausführungs-, Kontroll Beispiele für heute noch objektiv unbe men und die fehlerhafte Anwendung an und Nutzungsprozessen. kannte Gefahren lassen sich defini sich geeigneter Massnahmen bilden eine Alle übrigen Gefahren und Versagens tionsgemäss nicht bringen. Die Diskus zweite Gruppe von Restgefahren, die formen können im Sinne eines erweiter sionen über Kernkraftwerke und ihre im Bereich der Massnahmenanwen ten Wirtschaftlichkeitsbegriffs Gegen Gefahren erhitzen sich meiner Meinung dung stehen bleiben. Beispiele sind je stand ökonomischer Überlegungen nach gerade an diesem Punkt. Befür dem bekannt, denn jeder hat zu dieser sein, beispielsweise in der Form, dass worter argumentieren mit der Tatsache, ungeschriebenen Liste seinen Beitrag man im konkreten Einzelfall das Mini dass alle (objektiv bekannten) Gefah geleistet. Auch schlummern in jeder an mum für die Summe aus Anlagekosten, ren durch adäquate Massnahmen abge sich zweckmässigen Massnahme wieder Unterhaltskosten und dem Geldwert wehrt seien, Gegner mit notgedrun objektiv unbekannte und subjektiv un des Sachschadenrisikos aufsuchen genermassen vagen Hinweisen auf mö erkannte Gefahren. Wir müssten unsere könnte. Dieser Geldwert liesse sich, im glicherweise objektiv noch unbekannte Frageliste Bild 2 aufs neue durchgehen Prinzip wenigstens, in eine Versiche Gefahren. Ist es ein Wunder, wenn man und die vorgesehenen Massnahmen rungsprämie umlegen. Es wird sich je bei mangelhafter begrifflicher Klärung überdenken. doch herausstellen, dass volkswirt aneinander vorbeiredet? Auf der rechten Seite von Bild 2 neh schaftlich untragbar gros se Sachscha Die Liste der Beispiele subjektiv uner men die bewusst als Risiko akzeptierten denrisiken sowie unreparierbare Schä kannter Gefahren ist lang und oft er Gefahren eine Sonderstellung ein. Die den an Umwelt und Kulturgütern, ob schreckend banal. Beispielsweise bleibt angesprochenen Restgefahren lassen wohl definitionsgemäss nicht Sicher immer wieder unerkannt, dass die sich - mindestens prinzipiell - auf null heitsproblem, doch bei der Organisa Windwirkung auf die durch Schneever reduzieren, ohne akzeptierte Risiken tion von Abwehrmassnahmen den frachtung oder Eisbildung stark verän- können wir jedoch schlechthin nicht Sicherheits problemen gleichgesetzt derte Geometrie bei gewissen Bauwer bauen. Viele Einwirkungen (insbeson werden müssen. ken fatale Wirkung haben kann. dere der natürlichen Umwelt) haben Ein Teil der subjektiv erkannten Gefah naturgemäss keine obere Grenze. Als ren wird immer vernachlässigt bleiben, Beispiel erwähnen wir Schneelasten z. B. in der subjektiven Meinung, dass und Windkräfte. Für beide Einwirkun Gefahren, Restgefahren und ein anderer die Gefahr auch erkannt gen gibt die Belastungsnorm (z. B. SIA akzeptiertes Risiko habe und in seinem Aufgabenbereich 160) bestimmte Werte, auf die z. B. dann schon berücksichtigen werde. Ob Tragwerke zu bemessen sind. Was als Der Lebensbereich des Menschen wird jektiv unbekannte Gefahren, subjektiv Schneelast oder Windkräfte über die durch vielfältige Gefahren bedroht. Be schränken wir uns auf Bauwerke (siehe Bild I), können wir ziemlich deutlich zwei grosse Gruppen von Gefahren un terscheiden: links im Bild die Gruppe der Gefahren aus der natürlichen Um welt mit Wind, Schnee, Lawinen, Eis und gekoppelte Wirkungen, Erdbeben, Blitzschlag usw. sowie Einwirkungen aus Erdrutsch, Steinschlag, dem eigent lichen Baugrund und dem allfällig vor handenen Grundwasser, schliesslich natürliche chemische und physikalische Einwirkungen auf das Bauwerk und seine einzelnen Komponenten; rechts im Bild die Gruppe der Gefahren aus menschlicher Tätigkeit, aus Nutzung des Bauwerks und aus der gebauten Um welt, darunter ursächlich oder beglei tend Unwissenheit, Nachlässigkeit, Irr tümer und Fehlhandlungen aller an Planung, Projektierung, Ausführung und Nutzung beteiligten Menschen. Typisch für jede derartige Gefahrenliste ist ihre Unvollständigkeit. Nicht alle auf ein Bauwerk oder eine vergleichbare Si tuation einwirkenden Gefahren sind objektiv bekannt, und weitere Gefahren bleiben subjektiv unerkannt [2]. Die er Bild 1. Die ein Bauwerk bedrohenden Gefahren (unvollständige Zusammenstellung im Sinne von Beispie sten sind nach dem jeweiligen Stand len) 3 Sicherheit p [kN/m2] f-1976 15+----+--------l-+--- 101+----+--~~~~== 5+----~~~~~-- Bild 3. Schneelasten in Funktion der Höhe über Meer. Entwicklung der Anforderungen in den Nor men des SIA seit 1892 Massnahmen zur Abwehr von Gefahren Das Spektrum der dem Ingenieur zur Abwehr von Gefahren zur Verfügung stehenden Massnahmen ist breit und nicht jeder ist sich bewusst, dass Gefah ren auch anders und oft wesentlich wirtschaftlicher abgewehrt werden kön nen als durch entsprechende Bemes sung von Tragwerken und Sicherheits einrichtungen. Die· bereits erwähnte Weisung SIA 260 [I] zählt die folgenden grundsätzlichen Möglichkeiten auf: - Elimination von Gefahren durch Massnahmen am Gefahrenherd selbst (z. B. Lawinenverbau im Ab rissgebiet). - Umgehen von Gefahren durch Ände rung der Absicht und/oder der Bau werkkonzeption (z. B.Änderung der Linienführung einer Strasse). - Bewältigung von Gefahren durch Kontrolle, Überwachung und Warn systeme (z. B. Überwachung und rechtzeitige Evakuierung von Bau gruben). - Überwältigen von Gefahren durch Vorhalten von Reserven (z. B. durch entsprechende Bemessung von Trag werken). (Auf die begriffliche und Bild 2. Gefahren. Restgefahren aus Gefahrenermittlung und aus Massnahmen-Anwendung sowie akzep numerische Ausgestaltung dieser tiertes Risiko Massnahme innerhalb der Weisung SIA 260 kann hier nicht eingegangen werden. Siehe hiezu [I].) dort angegebenen Werte hinausgeht, gefordert (Bild 3). Für andere Gefahren - Akzeptieren von Gefahren (z. B. von wird offenbar vom Normgeber als Ver und andere Bereiche der Technik gilt sehr starken Erdbeben). treter der Gesellschaft und von den In unzweifelhaft ähnliches. In der Regel führt im konkreten Einzel genieuren als Risiko akzeptiert. Die fall eine sinnvolle Kombination aller die Normen des SIA für die Schneelasten Schliesslich ist klar: Sicherheit lässt sich ser Möglichkeiten zur optimalen Lösung. haben jedoch - als Folge einer Erweite nur in bezug auf die effektiv.abgewehr Merkwürdigerweise haben die im sta rung objektiver Kenntnisse und techni ten Gefahren erreichen. Die stehenge tisch-konstruktiven Bereich tätigen In scher Möglichkeiten und in Anpassung bliebenen Restgefahren und das notge genieure und insbesondere die Architek an die kleiner werdende Risikobereit drungen zu akzeptierende Risiko ma ten bisher wenig Gebrauch gemacht schaft der Gesellschaft - eine Erhöhung chen es unmöglich, die Forderung nach von diesem ganzen Spektrum. Ich halte der durch Tragwerkbemessung abzu Sicherheit uneingeschränkt zu erfüllen. es für dringend notwendig, dass diesem wehrenden Werte in mehreren Stufen Absolute Sicherheit gibt es nicht. unbestreitbaren Mangel in der Ausbil- 4 Sicherheit dung angehender Ingenieure und Ar festlegt, welche Gefahren in welcher man diese Massnahme im konkreten chitekten Rechnung getragen wird. Rolle wie und innerhalb welchen Büh Fall als wenig zuverlässig (ist das not Dies dürfte nicht schwer sein, lassen nenbilds zusammen agieren [4]. Die wendige Personal verfügbar, wenn sich doch für fast jede Gefahr und fast deutsche Bezeichnung für diese sehr gleichzeitig Weichen freizulegen sind jedes Sicherheits problem Massnahmen konkrete Vorstellung über das Zusam usw.?) beiseite lassen. Damit bleibt aus fast jeder Kategorie herausschälen. Der menwirken ist nicht überaus glücklich, der Liste möglicher Massnahmen die gesunde Menschenverstand tut das im doch geben andere Vorschläge (z. B. ausreichende Bemessung der Stütze. täglichen Leben an unerwartet vielen Gefährdungszustände, Gefahrensitua Nun gilt es, sich von den Gefahren des Stellen. Warum verbilden wir unsere tionen usw.) die Vorstellung noch weit Gefährdungsbildes eine zutreffende jungen Berufskollegen, indem wir auf schlechter (weil statischer, einengender) Vorstellung zu bilden. Gehen wir davon Berechnung und Bemessung ein unver wieder. So bleiben wir vorderhand aus, dass der Schnee in «extremen> hältnismässig grosses Gewicht legen? beim Begriff Gefährdungsbild. Eine Grösse und Verfrachtung auftritt, be korrekte Aussage wäre somit, dass wir zeichnen wir Schnee als LeitgeJahr des den in Gefährdungsbildern beschriebe Gefährdungsbildes. Es ist nicht anzu nen Gefahren durch adäquate Mass nehmen, dass der Wind gleichzeitig in Gefährdungsbilder : ein zentraler nahmen Rechnung tragen müssen. seiner «extremen» Grösse auftritt, da Begriff Um den Begriff Gefährdungsbild an die Zeitdauer, innerhalb der Schnee in schaulicher zu machen, betrachten wir der beschriebenen Form zu beobachten Wenn bis hierher von Gefahren die ein Beispiel, die Konstruktion eines Per wäre, vergleichsweise recht kurz ist und Rede war, die durch Massnahmen ab rondachs (Bild 4). Sehen wir von Ge somit die Wahrscheinlichkeit «extre~ gewehrt oder als Risiko akzeptiert wer fährdungsbildern mit Erdbeben, Ent mer» Kombinationen akzeptierbar den können, so ist das nicht ganz kor gleisung von Zügen usw. ab, bleiben die klein ist. Wir bezeichnen Wind in dieser rekt. Gefahren verschiedenen Ur wesentlichen Gefahren auf der Einwir Situation mit dem Begriff Begleitum sprungs wie Schnee, Wind, Erdbeben, kungsseite Schnee und Wind in denk- stand des Gefährdungsbilds und wer- Gefahren aus .... --'~--~-1 menschlicher Tötir der natürlichen " -~~--~ keit, Nutzung un Umwelt gebauter Umwelt .. 1IIro.;~""_._""_._,,,, ,_.'" \I,.~',," ~Wudmeinrsn dtLa e0ni1ltd5g e(jBf na ehegrinl eaeinrt -- Z-cr"N:; o: '.-1:..'0r";c:J;". ::; ."'.8"r.0:..: .U0"00rr.::J. ::. .<2r.:I,:l "~r0:: .tc..rX::..:: .."U..r002:J..: Grösse) ~_L Aushub Fundation III Transport Q) "r0:: Montage ~ :E Zug in VI Betonieren ungünstiger N'," Stellung (015 Vorspannen VI normale Nutzung .cr=:>: Mauern ~ Stütze immer mögliCh) Perrandach 2VI ... _---- W -.---.-. --------- • • .z Q) "r0:: normale Nutzung '0 t; spezielle Nutzung Bild 4 (oben). Gefährdungsbildfür die Bemessung der Stütze des Perron N'," dachs auf Biegebruch ---------- VI 'r:": Überwachung '" .t:! Bild 5(rechts). Gefährdungsbilder, definiert als Schnittpunkte zwischen z'" Unterhalt Leitgefahr und zeitlichen Zuständen. 11 Leitgefahren für verschiedene Gefährdungsbilder I bis 4 ----------- El Begleitumständefür 4 Überlastung, Korrosion von Beton baren Kombinationen und Betriebszu den ihn mit einer Grösse berücksi9hti stählen oder Schraubenbolzen usw. ständen. Eine Elimination dieser Ge gen, die während der Einwirkungsdau (siehe Bild I) wirken nicht säuberlich fahren am Gefahrenherd selbst steht er der Leitgefahr zu erwarten ist. getrennt und quasi der Reihe nach auf verständlicherweise nicht zur Diskus Ein anderes Gefährdungsbild, das bei ein Bauwerk ein, sondern in der Regel sion. Gefährdet ist - wie jeder leicht ein der Bemessung der Stütze zu untersu gemeinsam. Und oft ist die gemeinsame sehen wird - unter anderem der Stüt chen wäre, vertauscht die Rollen: Wind Wirkung für den Bestand des Bauwerks zenJuss. Durch Ändern der Bauwerks wird als Leitgefahr in «extremer» Grös bzw. die Ausgestaltung der Massnah konzeption liessen sich die statischen se agieren und Schnee die Rolle des Be men bestimmend. Die Weisung SIA 260 Verhältnisse verbessern, doch würde gleitumstandes übernehmen. [I] hat hierfür den Begriff GeJährdungs dies betrieblichen Anforderungen Wie man erkennt, heisst «in GeJähr bild bereit. Der Begriff wurde in der widersprechen. Eine Bewältigung der dungsbildern denken», sich sehr konkret englischen Sprache als Hazard Scenario im Gefährdungsbild beschriebenen Ge und bildhaft mit Gefahren und ihren geprägt. Szenario soll dabei durchaus fahren durch Üb~rwachung und allfäl Wirkungen auseinandersetzen. Und ge im üblichen Sprachsinn als Drehbuch liges Wegschaufeln allzu grosser rade das entspricht echtem ingenieur verstanden werden: ein Drehbuch, das Schneelasten ist denkbar, doch wird mässigem Denken. Dieses durch forma- 5 Sicherheit le Regeln ersetzen zu wollen, wird der Problematik nie gerecht werden kön nen. Freilich werden die Normen (im vorliegenden Beispiel die Belastungs norm) dem Ingenieur manche Denkar beit und Entscheidung abnehmen müs sen, indem sie wichtige Elemente von Gefährdungsbildern - quasi als Ver satzstücke des Szenarios - endgültig fi xieren. Wie das für einseitigen Schnee aussehen könnte, ist in Bild 4 mit gestri chelter Linie angedeutet. Für Wind sind solche Elemente schon heute in der Be lastungsnorm ausführlich festgelegt (siehez. B. SIA 160[5]). Gefährdungsbilder enthalten im übri rationaler Bereich der gen nicht nur Elemente der Einwir Gefahren -Abwehr kungsseite, sondern auch solche der Widerstandsseite, z. B. Abweichungen von Querschnittsabmessungen, Bau stoffestigkeiten usw. von den Sollwer ten. Dass zur Abwehr derartiger Gefah ren oft Kontrollmassnahmen wirkungs voller und billiger sind als die Berück sichtigung «extremer» Abweichungen bei der Bemessung, ist schon lange er kannt und bestehende Praxis. Gefähr Bild 6. Gefahren, rationaler Bereich der Gefahrenabwehr, Restgefahren und Schäden (Zahlenwerte aus [2]) dungsbilder können jedoch auch den Ausfall einzelner Tragelemente stipu lieren, z. B. Ausfall einzelner Stützen der selbst ausmalen. Gefährdungsbild 4 bzw. Unterhaltsplänen festgehalten wer oder Wände. Es wäre dann zu prüfen, wurde im vorhergehenden Abschnitt den. ob das Resttragwerk noch Sicherheit ausführlich diskutiert. Dies alles - zugegeben - tut man heute bietet. auch schon. Aber man tut es nur spora Ich bin überzeugt, dass das Denken in disch, tut es unsystematisch und damit Gefährdungsbildern die Arbeit des In ohne Zweifel lückenhaft, weil man be Sicherheitsplan als genieurs, die heute in vielen formalen grifflich nicht über die entsprechenden Sackgassen stattfindet, wieder befreien Ordnungsmittel Ordnungsmittel verfügt. Hier soll die und damit sinnvoller gestalten kann. Forderung nach einem Sicherheitsplan Wir sollten auch diesem Begriff in der Nun dürfen wir jedoch den Überblick helfen. Wir erstellen Installationspläne, Ausbildung unserer zukünftigen Kolle nicht verlieren. In dem Wirrwarr von Schalungspläne, Bewehrungspläne gen genügend Raum geben. Gefahren, Gefährdungsbildern und usw. - diese sind gewiss nötig, aber Massnahmen mÜSSen wir unter dem ebenso nötig ist ein Sicherheitsplan, Aspekt Sicherheit Ordnung schaffen. insbesondere dann, wenn man alle Die Weisung SIA 260 [I] sieht dafür den Möglichkeiten der Gefahrenabwehr im Wie entwirft man sogenannten Sicherheitsplan vor. Der Sinne wirtschaftlichen Bauens aus Gefährdungsbilder? Sicherheitsplan legt für die sicherheits schöpfen will. Und das ist nicht eine relevanten Gefährdungsbilder die je Frage des W ollens, sondern im Zeichen Für das Entdecken und Entwerfen von weils vorgesehenen Sicherheitsrnass zunehmender Rohstoff-Verknappung Gefährdungsbildern kann ein morpho nahmen fest. Über die grundsätzlichen eine Verpflichtung. Auch das Aufstel logisches Vorgehen im Sinne von Zwik Möglichkeiten haben wir gesprochen. len von Sicherheitsplänen sollte des ky [6] hilfreich sein. In der einfachsten Der Sicherheitsplan dient damit zu halb in der Ausbildung unserer zukünf Form gehen wir aus von einem «mor nächst einmal als Pflichtenheft für den tigen Berufskollegen seinen Platz fin phologischen Kasten» gemäss Bild 5. In das Tragwerk oder andere sicherheits den. der Vertikalen sind alle zeitlich aufein technische Einrichtungen bemessenden ander folgenden Zustände des Bau Ingenieur. Er legt z. B. fest, welchen Ge werks aufgetragen, in der Horizontalen fährdungsbildern das Tragwerk mittels Strategien gegen menschliches alle erkennbaren Gefahren aus der na seines Tragwiderstandes standhalten türlichen und gebauten Umwelt sowie muss. Ein Bestandteil des Sicherheits Fehlverhalten aus menschlicher Tätigkeit (siehe auch plans ist sodann der Kontrollplan, der Bild I). Jede Schublade in diesem Ka festlegt, welche Kontrollen von wem, Wir haben ausführlich über Gefähr sten definiert ein Gefährdungsbild und wann, wo, wie und warum (Denksche dungsbilder, Sicherheitsrnassnahmen die zugehörige Leitgefahr. Auf der Ho ma 6 W) durchzuführen sind. Sofern und akzeptiertes Risiko gesprochen, rizontalen sind jeweils die Begleitum Sicherheitsprobleme durch Überwa also über den rationalen Bereich der stände des Gefährdungsbildes zu su chung gefährlicher Situationen gelöst Gefahrenabwehr. Dass die Aktivitäten chen. Nicht alle Schubladen haben werden sollen, dient ein spezieller Kon in diesem Bereich nicht ausreichen, sinnvollen Inhalt. Die bildhafte Vor trollplan (ebenfalls als Teil des Sicher lässt sich mit den Ergebnissen einer stellung jedes Kreuzungspunktes wird heitsplans) zu einer analogen Klärung Analyse von 800 Bauwerkschäden (sie jedoch mit Sicherheit Gefährdungsbil der Pflichten, Kompetenzen und Ver he [2]) belegen. Die beobachteten Schä der aufdecken, die man ohne dieses antwortung. Weiter können Teile des den stammen definitionsgemäss aus Vorge'hen übersehen hätte. Sicherheitsplans, die sich mit der Nut nicht abgewehrten, als Risiko bewusst Einige Beispiele sind in Bild 5 eingetra zung oder mit dem Unterhalt von Bau akzeptierten Gefahren und aus den an gen, die Gefährdungsbilder mag sich je- werken befassen, in Nutzungsplänen hand Bild 2 besprochenen Restgefahren 6 Sicherheit (siehe Bild 6). Auf diese zweite Gruppe fahren, Gefährdungsbilder. Die Mittel Ein Sicherheitskonzept und entfallen 75 Prozent aller Schadenfälle zum Erreichen dieser Ziele sind aufzu Schlussbemerkung - und 90 Prozent, bezieht man sich auf zeigen, in unserem Fall ist es das ganze den Geldwert aller Schäden. Die aufbe Spektrum der Sicherheitsmassnahmen. wusst als Risiko akzeptierten Gefahren Das im Titel versprochene Sicherheits Dann braucht es Ordnungsmittel: den entfallenden Prozentzahlen bestätigen konzept ist in seinen Elementen im vor Sicherheitsplan und alle seine Bestand im übrigen das bekannte Sprichwort: hergehenden angedeutet worden. Ein teile. Ohne Anstrengungen zur Vermei Erkannte Gefahr gleich halbierte Ge allgemeines und problemübergreifen- dung menschlicher Fehlhandlungen fahr. Man hat die Gefahren erkannt, und obwohl man ihnen nicht mit Mass nahmen begegnen· will, hat man alles daran gesetzt, wenigstens den Umfang des Sc.hadens zu begrenzen. Bemüht man sich um· Klarheit über den Charakter der Restgefahren (siehe Bild 7), wird man unschwer feststellen, dass es sich im grossen und ganzen um die Gefahr menschlicher Fehlleistungen han delt. Will man das Schadengeschehen im Bereich von Bauwerken verringern (ich zweifle übrigens nicht daran, dass in anderen Bereichen der Technik durchaus vergleichbare Umstände vor liegen), muss man vorwiegend daran arbeiten, menschliche Fehlleistungen in Anzahl und Schwere zu verringern. Wir müssen Strategien gegen menschliches Fehlverhalten entwickeln. In Bild 7 sind diese Strategien durch dicke, nach links gerichtete Pfeile angedeutet. Um die Strategien konkreter anzudeuten: im Bereich objektiv unbekannter Gefahren handelt es sich um Förderung der Grundlagenforschung, sorgfältige Aus wertung der Erfahrung und eingehende Untersuchung sogenannter unerklärba rer Phänomene. Im Bereich subjektiv unerkannter Gefahren besteht die Stra tegie in einer Verbesserung von Ausbil dung und Weiterbildung auf allen Stufen und in der Einsicht jedes Einzelnen, mit der Entwicklung der Technik Schritt zu halten. Im Bereich vernachlässigter und unberücksichtigter Gefahren geht es um Schaffung klarer Verantwortungsberei che und Pflichtenhefte sowie um die Be kämpfung aller Formen von Sorglosig keit, Nachlässigkeit, Fahrlässigkeit, Ig noranz usw., und zwar auf allen Stufen. Im Bereich unzweckmässiger Massnah men kann eine Verbesserung herbeige führt werden durch sorgfältiges Studi um möglicher Konsequenzen vor der Realisierung von Massnahmen (Impro visationen haben grosse Chancen, sich nachträglich als falsch zu erweisen). Schliesslich helfen gegen fehlerhaft an gewendete Massnahmen klare und ein deutige Anweisungen, übersichtliche und kontrollierbare Unterlagen und die Schaffung von Kontrollinstanzen überall dort, wo die Verantwortung gegenüber dem Auftraggeber und der Gesellschaft dies erfordert. Bild 7. Strategien gegen menschliches Fehlverhalten Ziel ist, die rechte Seite von Bild 7 auf die bewusst als Risiko akzeptierten Ge des Sicherheitskonzept muss von einer wird jedoch dieser ganze rationale Be fahren zu beschränken. Das Ziel ist - sorgfaltigen Analyse der Gegebenheiten reich der Gefahrenabwehr nur beschei wie so viele - unerreichbar, aber wir ausgehen, in die es eingebettet werden dene Früchte tr;tgen. Strategien gegen sollten uns trotzdem in dieser Richtung soll. Die Ziele müssen klar und eindeu Fehlhandlungen gehören also in ein tig auf den Weg machen. Die Einsicht al definiert werden. Soll es wirksam Sicherheitskonzept hinein. Und endlich lein genügt nicht. werden, braucht es klare Begriffe: Ge- ist auch eine Überprüfung des Erfolgs 7 Baumanagement eines solchen Sicherheitskonzeptes nö Literatur tig. Die Weisung SIA 260 sieht hierfür sozio-ökonomisches Optimierungsproblem». [IJ SIA 260 Weisung für die Koordination des IVBH, Einführungsbericht für den Kongress eine Sicherheitskommission vor, die - Normenwerks des SIA im Hinblick auf Sicherheit Wien 1980. dem Sicherheitsziel entsprechend - Fäl und Gebrauchsfähigkeit von Tragwerken. [4J Bosshard W.:«Structural Safety -a Malterof le von Tragwerkversagen untersucht 3. Fassung März 1979. Schweiz. Ingenieur· und Decision and Contro!». IVBH·Periodica 2/1979, Architektenverein, Selnaustr. 16, Zürich. Survey S·9179. und die nötigen Schlüsse für das Nor [2J M atousek M. & Schneider J.:« Untersuchungen [5J SIA 160: «Norm für die Belastungsannahmen, die menwerk des SIA zieht. Damit ist der zur Struktur des Sicherheitsproblems bei Inbetriebnahme und die Überwachung der Bauwerken». Institut für Baustatik und Bautefl». Ausgabe 1970. Herausgeber SIAlsiehe Kreis geschlossen und der schrittweise Konstruktion ETH Zürich, Bericht Nr. 59, [lJ Einbau der Erfahrung und damit eine Februar 1976, Birkhäuser Verlag Basel und [6J Zwicky F.:<.Entdecken, Erfinden, Forschen im Stultgarl. morphologischen Weltbild)}. Droemer Knaur, echte Entwicklung gesichert. [3J Schneider. Th.:<.Sicherheitals 1966. Ich bin überzeugt davon, dass das ange deutete Sicherheitskonzept auch in an Adresse des Verfassers: Prof. J. Schneider, deren Bereichen der Technik gute Dien Institut für Baustatik und Konstruktion, ste leisten könnte. ETH·Hönggerberg, 8093 Zürich. 8