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Gedanken über die Seele PDF

355 Pages·1942·14.064 MB·German
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GEDANKEN ÜBER DIE SEELE VON OSWALD BUMKE PROFESSOR IN MüNCHEN DRITTE, DURCHGESEHENE AUFLAGE MIT 23 TEXTABBILDUNGEN BERLIN SPRINGER-VE'RLAG 1942 ISBN 978-3-642-49382-9 ISBN 978-3-642-49660-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-642-49660-8 ALLE RECHTE., IN'SBESONDERE DAS DER ÜBERSETZUNG IN FRE.MDE SPRACHEN, VORBEHALTEN CO~YRIGHT 1941 BY SPRINGER-VERLAG OHG. IN BERLIN SOFTCOVER REPRINT OF THE HARDCOVER 3RD EDITION 1941 Inhaltsverzeichnis. Zur Einführung .. _. " .,_ ... ~ ........ '.' . . . . . .. 1 Ist Psychologie als Wissenschaft m6gUch? - Grenzen der Wissenschaft. - Grenzen der Seele und der Psychoiogie. - Betrachtungs· und Arbil1tswe\sen. ._- Das Bewußtsein. . . . . . . 49 Der Strom des Bewußtseins. ..9 Wahrnehmungen . 5-2 Raumanschauung 62 Zeitsinn • . 69 Vorstellungen . . 75 Das Denken . . . 81 AUgemeinvontellungen und aedanken. - Denken und Sprechen. - Denkregeln. Das Gedächtnis 102 Die Gefühle . . . . . . . . 116 Das Wollen . . . . . . . . 128 Anhang: Die Suggestibilität 138 Das Unbewußte . . . . . . . 152 Das Unbewußte und das Leib-Seele-Problem 15" Das Unbewußte und das geistige Schaffen des Menschen t'i Das "Unterbewußtsein" - . ~'. . . . . . . . . . . . U Unbewußtel! Erinnern, Wahrnehmen und Denken. - Hypnose. - Psychoanalyse. Individualpsychologie. - Komplexe Psychologie. - Hysterie. - Wlde1"\lprftche belm Gesunden und J,ebenslftgen. Körper und Geist . : . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Gehirn und Seele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Die körperlichen Begleiterscheinungen seelischer Vorgänge. 263 Die Persönlichkeit. . . . . . . . . . 278 Intelligenz, Charakter, Temperament 278 Persönlichkeitsforschung 28'3 Vererbung. . . 291 Körperbautypen 30i Temperamente . 302 Einstelhlngen 3t& Angst. - Unsicherheit und Geltungsbedürfnis ....... Verwundbarkeit und Mißtrauen. - Verletztes Rechtsgefühl. Schrifttumsverzeichnis 339 Namenverzeichnis . g~5 Sachverzeichnis . . . . 348 Zur Einführung. Noch keiner hat den Schleier vom Geheimnis der Welt gelüftet. Unseres Geistes Augen sind eingehüllt in Finsternis; wir dürfen ~war träu men, was sehr süß ist; doch das Rätsel der Welt bleibt uns verschlossen bis zum Tod. (Omar Khayam. Nachdichliungen von Hans Bethge. Propyläen-Verlag, Berlin.) Kann es eine Psychologie als Wissenschaft geben? Lassen sich über das Seelische Behauptungen aufstellen, die nicht nur für ihren Ur heber gelten, oder anders ausgedrückt: läßt sich auch auf diesem Ge biete etwas beweisen? "Die sogenannte Psychologie", meint No v a Ii s, "gehört auch zu den Larven, welche die S~le im Heiligtum eingenommen haben, wo echte Götterbilder stehen sollten", und achon vor ihm schreibt Lich tenberg: "Ich bin überzeugt, wenn Gott einmal einen solchen Men schen schaffen würde, wie ihn sich die Magistri und Professoren der Philosophie vorstellen, er müßte den ersten Tag ins Tollhaus gebracht werden." Vielleicht hat sich die Psychologie und haben sich die Pro fessoren und Magister - sie müssen ja nicht immer der Philosophie angehören - inzwischen ein wenig gebessert; sicher aber wären zu allen Zeiten weniger kühne Behauptungen über das Seelische aufge stellt· worden, wenn sich niemand hätte einbilden dürfen, daß hier nichts bewiesen, also auch nichts widerlegt werden könnte. Nun halten aber doch andere die Psychologie für eine Wissenschaft, deren Feststellungen ebenso zuverlässig und der Nachprüfung ebenso zugänglich seien wie die irgendeines naturwissenschaftlichen Faches. In der Regel beruhen solche Meinungsverschiedenheiten darauf, daß man hüben und drüben mit den gleichen Worten etwas Verschiedenes meint. Wir werden also auch hier fragen müssen: erstens, was Wissen schaft ist, und zweitens, ob man unter Psychologi~ überall das gleiche ver,steht. Solange dies nicht beantwortet ist, hat die weitere Frage, ob "die" Psychologie eine Wissenschaft ist, im Grunde gar keinen Sinn. Bumke, Seele. 3. Aufl. 2 Zur Einführung. Jede Wissenschaft ist aus dem Leben entstanden und geht zunächst von Tatsachen aus, die alle beobachten können 1. Das erste aber, was ein Wissenschaftler einsehen· muß, ist, daß schon die bloße Fest stellung von Tatsac~en schwieriger und daß die Beziehungen zwischen Beobachten und Beurteilen verwickelter sind, als beide dem Laien er-: scheinen. "Das Höchste wäre, zu begreifen, daß alles Faktische schon Theorie ist." Wir brauchen noch nicht an K a n t zu denken und nach dem "Ding an sich" zu fragen, das man hinter den Erscheinungen, also hinter unseren Wahrnehmungen und Vorstellungen, voraussetzen muß, ja, wir brauchen nicht einmal auf die Täuschungen hinzuweisen, denen unsere Sinne dauernd ausgesetzt sind, um auch dieses Goethe Wort für richtig zu halten. Nicht nur, daß die Sonne auf- und unter geht, sondern auch, d~ß sie sich um die Erde bewegt, scheinen jedem unbefangenen Beobachter Fakta zu sein; in Wirklichkeit hat noch nie jemand die Sonne sich bewegen gesehen; man hat nur gewisse Wahr nehmungen zu Unrecht in diesem Sinne gedeutet. Oder: jeder Laie "sieht" und "weiß", ein Stein ist in sich unbewegt und vollkommen starr. Der Physiker jedoch zeigt: auch im Stein spielen sich dauernd Vorgänge ab, die sich freilich ohne neue, verwickelte und täglich sich ändernde Theorien nicht einmal darstellen lassen. Wer nun aber die von ihm und anderen beobachteten Tatsachen in einen größeren Zusammenhang einordnen 2 will, sieht sich vollends in eine kaum übersehbare Menge von Theorien oder richtiger von Hypo thesen verstrickt Hypothese ist, daß nicht schon die Art unserer 3. Beobachtung die beobachteten Dinge verändert; Hypothese, daß wir etwas beobachten können, ohne daß sich in das Sehen, Hören und Tasten ein Denken über das Wahrgenommene einschieben würde; Hypothese, daß wir uns auf unsere Erinnerungen verlassen; und Hypo these endlich, daß wir bei der Verbindung von Vorstellungen und Ge danken zU Urteilen und Schlüssen nicht wichtige Voraussetzungen übersehen und falsche eingesetzt haben könnten. "Jeder Mensch", schreibt Schopenhauer, "hat durch Erfahrung, durch 1 Betrachtung des sich darbietenden Einzelnen ein Wissen um mancherlei Dinge erlangt; aber nur, wer sich zur Aufgabe macht, über irgend eine Art von Gegenständen vollständige Erkenntnis in abstracto zu erlangen, strebt nach Wissenschaft." 2 "Alle Wissenschaft besteht in der logischen Verknüpfung gegebener Er fahrungsinhalte", schreibt W. Wundt.· 3 Deshalb ist es auch falsch, von einer. "voraussetzungslosen Wissenschaft" zu sprechen. Selbst die Mathematik kann ihre 'letzten Voraussetzungen durch aus nicht beweisen. Zur Einführung. 3 Es wäre jedoch falsch, wenn man aus einer solchen Kritik unseres Erkenntnisvermögens die Folgerung ableiten wollte, daß die Wissen schaft "zusammengebrochen" wäre oder daß es gar keine Wissen schaft gähe. Was uns nicht gegeben ist, ist lediglich das Erkennen einer unabänderlichen, ewigen Wahrheit!. Zum Wesen der Wissen schaft gehört, daß sie sich dauernd im Flusse befindet und daß nicht nur mit jeder Lösung neue Probleme entstehen, sondern daß neue Tatsachen auch alle schon gegebenen Lösungen immer wieder frag würdig machen. Eine Lehre, die dies nicht weiß, muß notwendig zum Dogma erstarren, d. h. aufhören, als Wissenschaft weiterzuleben. Noch falscher .aber als Fa u s t s Schluß, "daß wir nichts wissen kön nen", ist der andere, der zwar seIten in Worte, um so häufiger aber in die Tat umgesetzt wird: angesichts der unserer Erkenntnis ge zogenen Grenzen dürfe man nun alles behaupten, nach Beweisen und nach der Möglichkeit einer Widerlegung aber brauche man nicht mehr zu fragen. Man spricht dann gewöhnlich von Innenschau, von Intui tion und Ganzheitsbetrachtung und meint damit nicht weniger, als daß eine grundsätzlich neue Art der Erkenntnis erreicht worden sei, die manche als eine durch die mimschliche Entwicklung verbesserte Form des Instinkts und andere als ein rein gefühlsmäßiges Verstehen auffassen wollen. Was heißt Ganzheitsbetrachtung und was heißt Intuition? Daß wir alle von uns beobachteten Tatsachen unter großen Gesichtspunkten zusammenzufassen versuchen, um ein einheitliches Bild nicht nur von jedem Gegenstand, sondern wenn möglich von der ganzen Welt zu gewinnen, das versteht sich ja wohl für jede Forschung von selbst. Man wird dabei zugeben dürfen, daß eine, übrigens längst vergangene, Zeit die Tatsachen manches Mal zu hoch und ihre Synthese beinahe 1 Vgl. Lessing (Eine Duplik. Braunschweig ·1778. Gesamtausgabe von Lachmann und Muncker. Leipzig 1897. XIII, S. 24): "Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschloss·en hielte und spräche zu mir: ,Wählel' - ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: ,Vater, gibl Die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!'" (Lessings Werke Bd. V, S.679.) Und ebenso Max Planck (Das Weltbild der neuen Physik. Leipzig: Barth 1929): "Und vielleicht haben wir sogar allen Grund, die Endlosigkeit dieses stetigen Ringens um die aus unnahbarer Höhe winkende Palme als einen beson deren Segen für den forschenden Menschengeist zu betrachten. Denn sie sorgt unablässig dafür, daß ihm seine bei den edelsten Antriebe erhalten bleiben und immer wieder von neuem angefacht werden: die Begeisterung und die Ehrfurch t." 1* 4 Zur Einführung. immer zu niedrig. eingeschätzt hat. Damals haben sich gewisse psycho logische Richtungen nur noch mit Empfindungen und Vorstellungen befassen, das Ich aber leugnen und die Seele in Elemente auflösen wollen. Aber heute braucht man doch nicht mehr zu· sagen, daß das Ganze auch im Seelischen etwas anderes und mehr ist als die bloße Summe der Teile 1, die es hier überdies nicht einmal gibt. Heute muß man, glaube ich, viel eher betonen, daß niemand ein Ganzes begreift, der sich nicht die Mühe nimmt, wenn es Teile hat, seine Teile und, wenn es keine hat, seine Eigenschaften kennenzulernen 2. Die Seele hat keine Teile; aber man kann sie von verschiedenen Seiten und in verschiedener Beleuchtung betrachten; nie~and bezweifelt, daß es un endlich viele seelische Eigenschaften, Zustände und Vorgänge gibt, die sich beobachten und feststellen lassen. Gerade wegen dieses unerschöpf lichen Reichtums sind· solche Beobachtungen naturgemäß schwierig; sind sie aber überhaupt möglich und ist also die Psychologie eine Wis senschaft, so können wir daraus nichts anderes folgern, als daß wir unsere Wahrnehmungen so oft und unsere Erinnerungen und Schlüsse so gut überprüfen, wie es die Umstände und unsere Fähigkeiten irgend erlauben. Eine Ganzheitsbetrachtung die nur noch den Wald sieht 3, und darüber die Bäume vergißt, oder eine Innenschau 4, die, ohne sich um das wirkliche Verhalten der Dinge zu kümmern, ihr Wesen aus Vgl. Rickert (Grundprobleme der Philosophie. 1934, S. 60): Summe 1 ist eine Einheit, deren "Teile so nebeneinander geordnet sind, daß jeder von ihnen derselbe bleibt, gleichviel ob er innerhalb der Summe als deren Teil oder für sich gedacht wird". Die Teile eines Ga n zen dagegen "lassen sich niemals nur in der Weise ... zusammenfassen, daß dies Ganze sich als bloße ,Summe' darstellt ... Jedes Glied bewahrt seine Eigenart nur im Zusammen hang mit dem ... Ganzen, zu dem es gehört." - Oder, wie Lersch (Der Aufbau des Charakters. J. A. Barth, Leipzig 1938) es ausdrückt: Die Ganzheit setzt sich nicht - wie die Summe - zusammen aus ihren Einzelteilen, sondern sie gliedert sich in ihnen aus. Das gilt nicht nur für das Erkennen. Alle Genies, sagt Nietzsehe, 2 hatten "jenen tüchtigen Handwerker-Ernst, welcher erst lernt, die Teile vollkommen zu bilden, bis er wagt, ein großes Ganzes zu machen". 8 Vgl. Max Hartmann: Analyse, Synthese und Ganzheit in der Biologie. Sitzgsber. Preuß. Akad. d. Wiss. 1935, 366 ff.: "Das durch die Aufzeigung des Planmäßigen, des Ganzheitscharakters vermittelte ,Verständnis' ist aber keine Problemlösung, sondern erst die Problemstellung." , H usserls Phänomenologie kann hier deshalb außer Betracht bleiben, weil ihr Begründer nachdrücklich erklärt hat: "daß die reine Phänomenologie nicht Psychologie ist"; "daß nicht zufällige Gebietsabgrenzungen und Ter minologien, sondern p ri n zi p ie lle Gründe es ausschließen, daß sie der Psycho logie zugerechnet wird; daß endlich die Psychologie eine Erfahrungswissen schaft, eine Wissenschaft von Tatsachen, von Realitäten, daß dagegen die Zur Einführung. 5 dem eigenen Innern ablesen will - die können höchstens zu literari schen Stilübungen führen. Wie aber steht es mit der l,:J;ltuitionl? Ist sie wirklich eine un mittelbare, d. h". von den Erfahrungen unserer Sinne und von den Überlegungen unseres Verstandes nicht abhängige Art der Erkenntnis? Phänomenologie eine Wissenschaft ist, die ausschließlich ,Wesenserkennt nisse' feststellen wolle und durchaus keine Tatsachen." Auf der anderen Seite spricht I:Iusserl allerdings von der nahen Affinität von Psychologie und Philosophie sowie davon, "daß Phänomenologie und Psychologie in sehr nahen Beziehungen stehen müssen, sofern beide es mit dem Bewußtsein zu tun haben". Die Aufgabe der Phänomenologie ist nämlich, "sich reine Bewußt seinsvorkommnisse exemplarisch vor Augen zu stellen, sie zu vollkommener Klarheit zu bringen, an ihnen innerhalb dieser Klarheit Analyse und Wesens erfassung zu üben, den einsichtigen Wesenszusammenhängen nachzugehen, das jeweils Geschaute in getreu begriffliche Ausdrücke zu fassen, die sich ihren Sinn rein durch das Geschaute, bzw. generell Eingesehene vorschreiben lassen ... " Und ihr Ziel: "das vollständige System der die originäre Gegeben heit aller Objektivitäten konstituierenden Bewußtseinsgestaltungen nach allen Stufen und Schichten zur Erkenntnis zu bringen und damit das Be wußtseinsäquivalent der betreffenden Art ,Wirklichkeit' verständlich zu machen. " Ich glaube, diese Proben genügen, um zu zeigen, daß die Phänomenologie bei der Prüfung der Frage, ob es eine Psychologie als Wissenschaft gibt, außer Betracht bleiben kann. -Ist die Phänomenologie selbst Wissenschaft, so beweist das nichts für die Psychologie, ebenso wie es nichts gegen die Psychologie beweisen würde, wenn die Phänomenologie keine Wissenschaft wäre. Ich möchte bei dieser Gelegenheit einem Mißverständnis entgegentreten, das sich, wie es scheint, schwer ausrotten läßt. Immer wieder wird die von Husserl begründete philosophische Richtung mit jener phänomenologischen Forschung verwechselt, die sich seit Jahrzehnten in der Psychologie und (hier besonders durch die Verdienste von Jaspers) in der Psychiatrie durch gesetzt hat. Und immer wieder wirft man mir vor, ich hätte mich gegen diese phänomenologische Richtung gewandt. Das trifft aber nicht zu. Schon 1922 habe ich drucken lassen (Klin. Wschr. I, Nr 5, 203): "Wenn man also heute in der Psychologie und Psychiatrie von phänomenologischer Forschung spricht, so kann das zwei ganz verschiedene Dinge bedeuten: entweder eine philo sophische Fundierung der Psychologie, die an sich wohl notwendig und er wünsch t, von der psychologischen und psychiatrischen Ta ts a ch e n 1-0 rs ch u n g gerade nach Husserl nich t abgewartet zu werden braucht; oder aber etwas, was mit Husserls ,Phänomenologie' wirklich nur den Namen gemein hat: das für uns heute wieder selbstverständliche Bestreben nämlich, zunächst zu erfahren, was ist, was sich im Bewußtsein von Gesunden und Kranken denn eigentlich abspielt." Im übrigen hat ein großer Teil meiner Lebens arbeit darin bestanden, diese Art phänomenologische Forschung zu treiben. Das Wort Intuition wird, worauf mich K. Balthasar aufmerksam 1 macht, bereits von Augustin in dem heute gebrauchten Sinne verwendet. Auch die Mystiker bring!)n das Wort. Vergleiche dazu Kan t (zit. nach K. Schmidts Philosophischem Wörterbuch. "Kröner. Leipzig): "Es wäre 6 Zur Einführung. Oder, wie man es neuerdings wiederholt ausgedrückt hat: verfügen wir oder verfügt wenigstens das Genie über eine Intuition, die ihm das Wesen der Dinge rein gefühlsmäßig zu erfassen erlaubt? "Die ,Erkenntnisse mit einem Schlag''', schreibt Nie t z sc h e, "die ,Intuitionen', sind keine Erkenntnisse, sondern Vorstellungen von hoher Lebhaftigkeit: sowenig eine Halluzination Wahrheit ist." Aber, sagt man, K a n t 1 habe doch von einem Verstande gesprochen, der vom synthetisch Allgemeinen zum Besonderen ginge, und Goethe2 habe gemeint, vielleicht könne der Mensch einmal diese Stufe des Denkens erreichen. Nun hat aber auch K a n t nur behauptet, daß sich im Gegen satz zu dem menschlichen intellectus ectypusein solcher intellectus archetypus den k e n ließe; daß wir diesen Intellekt hätten, hat er ebenso gut, gar keine Vernunft zu haben, als sie auf die Weise der Theo sophen und MysHker allen Träumereien preiszugeben", sowie Goethe: "Die Wissenschaft ist eigentlich das Vorrec.ht des Menschen, und wenn -er durch sie immer wieder auf den großen Begriff geleitet wird, daß das All ein harmonisches Eins und er doch auch wieder ein harmonisches Eins sei, so wird dieser große Begriff weit reicher und voller in ihm stehen, als wenn er in einem bequemen Mystizismus ruht, der seine Armut gern in einer respektablen Dunkelheit verbirgt." (Schriften zur Naturwissenschaft. Erster Teil. 3. Kristallisation und Vegetation. Cottas Jubiläumsausgabe. Stuttgart und Berlin. 39. Bd., S.12.) S P i n 0 z a, von dem ich in der ersten Auflage dieses Buches gesagt hatte, das Wort Intuition ginge, soviel ich wisse, in dem heute gebrauchten Sinne jedenfalls, auf ihn zurück, hat es, wie mich wieder K. B althasar belehrt, nicht in diesem Sinne verwendet. Er stellt (Ethik, zweiter Teil, S.127, Leipzig, Reclam) der "Erkenntnis erster Gattung, Meinung oder Vorstel lung" und der "Erkenntnis zweiter Gattung" oder "Vernunft" noch eine andere dritte Erkenntnisgattung gegenüber, die er das in tui ti ve Wissen nennt. "Diese Gattung des Erkennens schreitet von der adäquaten Idee des formalen Wesens einiger Attribute Gottes zur adäquaten Erkenntnis des Wesens der Dinge". Wir ,,-können uns einen Verstand denken, der, weil er nicht wie der unsrige 1 diskursiv, sondern intuitiv ist, vom synthetisch Allgemeinen, der An schauung eines Ganzen als eines solchen, zum Besonderen geht, das ist, von dem Ganzen zu den Teilen. - Hierbei ist gar nicht nötig, zu beweisen, daß ein solcher Intellectus archetypus möglich sei, sondern mir, daß wir in der Dagegenhaltung unseres diskursiven, der Bilder bedürftigen Verstandes (In tellectus ectypus) und der Zufälligkeit einer solchen Beschaffenheit auf jene Idee eines Intellectus archetypus geführt werden, diese .auch keinen Wider spruch enthalte." a "Zwar scheint der Verfasser hier auf einen göttlichen Verstand zu deuten, allein wenn wir ja im Sittlichen durch Glauben -an Gott, Tugend und Un sterblichkeit uns in eine obere Region erheben und "an das erste Wesen an nähern sollen, so dürfte es wohl im Intellektuellen derselbe Fall sein, daß wir uns durch das Anschauen einer immer schaffenden Natur zur geistigen Teilnahme an ihren Produktionen würdig machten." Zur Einführung. 7 niemals gesagt, ja, er hat sogar die Frage offen gelassen, ob er beim Menschen möglich sein könnte. Und Go e t h e hat dazu ausdrücklich bemerkt, K a n t habe auf einen g ö tt 1i ch e n Verstand hinweisen wol len, dessen Besitz uns dem "ersten Wesen", also Gott, annähern würde; dieses Ideal erreicht zu haben, hat Go e t he nicht einmal von sich selber geglaubt. Noch weniger aber hat er gemeint, die Beobach tung von Tatsachen sei durch Intuition ZU ersetzen. Nur die Leiden schaften seiner Helden, erklärt 'er Eckermann, habe er- übri gens mit doch immerhin 22 Jahren - schon im Götz aus seinem eigenen Inneren abschreiben können; um jedoch zu wissen, was außer halb des Menschen geschehe, dazu hätte auch er sich an Überlieferung und Erfahrung gehalten. Nun fügt Goethe freilich hinzu: "Hätte ich nicht die Welt durch Antizipation bereits in mir getragen, ich wäre mit sehenden Augen blind geblieben, und alle Erforschung und Erfahrung wäre nichts ge wesen als ein ganz totes und vergebliches Bemühen. Das Licht ist da, und die Farben umgeben uns. Allein trügen wir kein Licht und keine Farben im eigenen Auge, so würden wir auch außer uns dergleichen nicht wahrnehmen." Auch das ist sicherlich wahr. Aber im Grunde ist es dasselbe, was Li ch t e n be r g schreibt: "Alles, was ich emp finde, ist mir ja nur durch mich selbst gegeben" oder: "Das Auge schafft das Licht und das Ohr die Töne: sie sind außer uns nichts, wir leihen ihnen dieses." Niemarid wird das bestreiten; aber auch dies bedeutet keine Erkenntnis ohne Erfahrung. Immer noch brauchen wir, physiologisch gesprochen, einen äußeren Reiz, also in Go e t h e s Bei spiel das, was dem Licht und den Farben physikalisch entspricht, um zum Sehen und damit zum Erkennen zu kommen. Rein gefühlsmäßig, ohne Sinne, etwas wahrnehmen können wir nicht und rein gefühls mäßig, ohne Verstand, können wir auch gar nichts "verstehen" 1. übrigens ist es ein wunderlicher Denkfehler, wenn man ,sich jetzt so häufig zur "Ganzheitsbetrachtung" bekennt und gleichzeitig das verstandes- und das gefühlsmäßige Erfassen für verschiedene Erkennt- "Seinem Gefühle vertrauen", schreibt Nietzsche, ,,- das heißt seinem 1 ·Großvater und seiner Großmutter mehr gehorchen als den Göttern, die in uns sind: unserer Vernunft und unserer Erfahrung." Und an einer anderen Stelle meint er: "Zwei so grundverschiedene Men schen wie'Plato und Aristoteles kamen in dem überein, was das höbhste Glück ausmache ... sie fanden es im Erkennen, in der Tätigkeit eines wohl geübten findenden und erfindenden Verstandes (nicht etwa in der ,In tuition', wie die deutschen Halb- und Ganztheologen, nicht in der Vision, wie die Mystiker ... )."

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