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Gedanken über die Beziehungen von finnischen und europäischen Trompeten, Flöten und Klarinetten in der Frühgeschichte PDF

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Preview Gedanken über die Beziehungen von finnischen und europäischen Trompeten, Flöten und Klarinetten in der Frühgeschichte

Timo Leisiö 147 Timo Leisiö: Im folgenden stelle ich einige Theoreme auf zeit viele baltische Lehnwörter, die die bedeu­ Gedanken über die Beziehungen über die für Europa charakteristischen instru­ tenden Änderungen u.a. in der Wirtschaft und mentalen Prinzipien der Frühgeschichte, in­ den sozialen Institutionen widerspiegeln. Unter von finnischen und europäischen dem ich die betreffenden Erscheinungen im den ältesten Lehnwörtern findet man auch das Trompeten, Flöten und Klarinetten finnisch-karelischen Kulturgebiet mit Hilfe der Wort torvi, das sich aus den Wörtern taüras in der Frühgeschichte Kartographie, der diffusionistischen Theorie .Auerochs, Stier' und *ragä ,Horn‘ ableitet.4 und der Sachen-und-Wörter-Methode analysie­ Die Zusammensetzung besteht aus: *taura-ra- re.1 Mit Prinzip meine ich den wesentlichen ge­ gä ,Stier-Horn‘ > tauregö .Trinkbecher, meinsamen Kern einer Instrumentengruppe, hölzerner Becher, Schröpfkopf'5. In diesen Zu- der entweder akustisch oder akustisch-mor­ phologisch bedingt ist. In der Abhandlung bin 1 Der Artikel basiert auf meiner umfangreichen Un­ ich nicht interessiert an einzelnen Instrumen- tersuchung: Suomen ja Karjalan vanhakantaiset tengattungen, sondern ich konzentriere mich torvi - ja pillisoittimet, Nimistö, rakenteet ja histo- auf folgende Prinzipien: 1. das Trompetenprin­ ria (Finnlands und Kareliens altertümliche Trom­ zip, 2. das Flötenprinzip mit fremden Kern (hier peten- und Pfeifeninstrumente. Namensverzeich­ das Fremdkernprinzip genannt), 3. das Klari­ nis, Ergologie und Geschichte), Kaustinen 1983. nettenprinzip mit teilheteroglotter Zunge und Der diffusionistische Ansatz erfaßt nicht die ein­ 4. das Klarinettenprinzip mit (voll)-heteroglot- zelnen Instrumentengattungen, denn er ist nur ter Zunge. dann berechtigt, wenn man die geschichtlich ge­ Ich behaupte, daß die hier genannten Prinzi­ netischen Veränderungen der Instrumentenprin- zipien erörtert. Mit den Gattungen meine ich die pien in Finnland oder in Karelien zu der Zeit Gruppe der Instrumente, die zwischen den einzel­ auftraten, als die Bevölkerung dieser Gebiete nen Varianten eine ausreichende Zahl gemeinsa­ sehr enge Verbindungen hatte mit (1) den ur- mer Kennzeichen besitzt. So gibt es z.B. als rea­ baltischen Stämmen, (2) den Frühurgermanen, les Gegenstück zu dem allgemeinen Begriff Gi­ (3) den Urslawen, (4) den hanseatischen Kauf­ tarre oder Blockflöte viele voneinander abwei­ leuten im Mittelalter und (5) mit mitteleuropäi­ chende Instrumentengattungen, für die man je­ schen Handelsherren etwa zu Beginn der Neu­ weils einen gemeinsamen (internationalen) Na­ zeit. men der Gattung finden sollte. In dem Untersu­ chungsgebiet gibt es zahlreiche altertümliche 1. Das Trompetenprinzip Blasinstrumente, die ohne Zweifel in Finnland und Karelien entwickelt wurden, obwohl sie auch Viele Sprachwissenschaftler nehmen an, daß Gegenstücke in anderen Teilen Europas haben. die frühurfinnische Sprache2 etwa in der Zeit Doch wurde kein einziges einheimisches Prinzip von 1500 bis 1000 v. Chr. (zu Beginn der finni­ gefunden. Alle Prinzipien wurden übernommen. schen Bronzezeit3) gesprochen wurde. Archäo­ 2 Mit derfrühurfinnischen Sprache ist die gemein­ logen und Sprachwissenschaftler sind der Mei­ same Sprache gemeint, die die Ostseefinnen (die nung, daß schon vor dieser Zeit der kleine vor­ Vorfahren der Finnen, Esten, Karelier, Wepsen baltische Bevölkerungstamm langsam mit den u.s.w.) und die Lappen gesprochen haben. Finnen verschmolz. Es sind dies die Vorbalten, 3 Mikko Korhonen, Johdatus lapin kielen histo- die die schnurkeramische Kultur schon gegen riaan, Helsinki 1981, 22-35. Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. an die Küste 4 In Übereinstimmung mit den internationalen lin­ guistischen Normen wird der Sinn eines Wortes Südostfinnlands brachten. Zur gleichen Zeit, mit Semikolons ohne dazwischenliegenden Kom­ als die wenigen, aber kulturell fortgeschritte­ ma definiert (z. B. Pfeife ,pipa‘). Das Kreuzchen nen baltischen Gemeinschaften mit den finni­ vor einigen Wörtern, so z.B. *suljlu bedeutet, daß schen Populationen verschmolzen, führten sie das jeweilige Wort entsprechend der Linguistik in die finnische Kultur ganz neue und auf viele die mutmaßlichste Form ist. Art revolutionierende Züge ein. Dazu gehörten 5 Ernst Fraenkel, Litauisches Etymologisches Wör­ sowohl eine primitive Landwirtschaft als auch terbuch, Band II, Göttingen 1965,1067: sub voce die Viehzucht. In Finnland gab es zur Frühur­ tauras. Timo Leisiö 148 sammenhang gehören auch der lithuanische Trompeten.9) Der mit dem üblichen aspirativen vordrangen, dürften sowohl eine aus Baumrin­ tauri .Becher, Schale', das lettische täure ,Hir­ Prinzip erzeugte sehr laute Ton der Trompeten de als auch eine aus Horn hergestellte Trompe­ tenhorn' und das finnische torvi .ein kegelför­ gab dagegen einen wirkungsvollen Schutz ge­ te gekannt haben. Beide benannten sie mit miges, im allgemeinen großes Blasinstrument; gen Raubtiere (Bären, Wölfe). Unter den Rind­ dem gleichen Namen (vgl. *taura-rage ,Ochs- ein Hirtenhorn. viehzüchtern war das Ochsen- oder Kuhhorn Horn'). Später im 2. vorchristlichen Jahrtau­ Da Beweise fehlen, kann man behaupten, das natürliche Material der Instrumente. Es ist send vermischten sie sich mit den dort ansässi­ daß das Trompetenprinzip in den Küstenlän­ daher nicht verwunderlich, daß in den westli­ gen Einwohnern, die durch sie die primitive dern der Ostsee und in Norddeutschland vor chen indogermanischen Sprachen das Trom- Viehzucht kennenlernten und gleichzeitig die der Bronzezeit nicht bekannt war. Jedoch weiß peteninstrument ursprünglich eben als Horn für sie zuvor unbekannten (kegelförmigen) man, daß die Frühurgermanen Hörner aus bezeichnet wurde: zum Vergleich das russi­ .Hörner' übernahmen, daher die Bezeichnung Bronze vielleicht schon gegen Ende des 2. vor­ sche Wort rog, lithauisch rägas, lettisch rags, torvi. Kurze Zeit danach begannen die Urger­ christlichen Jahrtausends in der Bronzezeit an­ lateinisch cornü, germanisch Horn und gal­ manen in Südskandinavien langröhrige Ab­ fertigten.6 Die ältesten, aus organischen Mate­ lisch kärnyx. Sogar das finnische Wort torvi wandlungen des Trompeten-Prinzips aus Bron­ rialien hergestellten Trompeteninstrumente basiert auf dem Gedanken an ein Horn. ze zu fertigen. In Finnland hielt man bis in un­ haben sich in den Erdschichten der frühen Ei­ Es erhebt sich die Frage, warum die finni­ sere Zeit an der Baumrindentrompete fest. Die senzeit und der Bronzezeit erhalten. Sie wur­ schen Jäger in ihre Sprache das frühbaltische jagenden Lappen haben das Prinzip gelegent­ den aus Tierhörnern gefertigt.7 Die Forscher Wort *taurege > torvi ,Horn‘ übernommen lich nach der erst kürzlich umgewandelten vermuten, daß bevor man in dem nordosteuro­ haben, obwohl sie ein eigenes altes Wort sarvi Wirtschaftsstruktur übernommen. päischen Kulturgebiet Hörner aus Bronze her­ (vgl. ungarisch szarv) für dasselbe hatten. stellte, man sie aus organischem Horn, Holz Wahrscheinlich wurde im Bewußtsein der finni­ 2. Die Kernflötenprinzipien und vielleicht aus Baumrinde fertigte.8 Es er­ schen Elchjäger das Horn mit dem mehrzweigi- Schon die frühen urgermanischen Populatio­ hebt sich die Frage, ob diese Hypothese nur gen Geweih der Elche oder anderer Wildtiere nen standen während der Bronzezeit im engen auf einer logischen Annahme beruht. Wohl assoziiert. (Mit anderen Worten: sarvi war da­ Kontakt mit der südwestfinnischen Bevölke­ kaum. Das finnische Forschungsmaterial dürf­ mals nicht ein symmetrisch kegelförmiges rung. Die Kleinkönige in Südschweden haben te hierfür m. E. aufschlußreich sein. Horn, sondern bedeutete etwa dasselbe wie vermutlich sogar Steuern erhoben.10 Auf Grund Meine Hypothese lautet, daß sich die indo­ das deutsche Wort Geweih.) Gegenwärtig hat dieser Beziehungen erfolgten in der finnischen germanische Sprachen sprechenden Popula­ das finnische Wort torvi vor allem zwei Bedeu­ Kultur bedeutungsvolle Veränderungen, die tionen am Ende der Steinzeit im Baltikum und tungen: das Horn zum Blasen und das im gan­ sich auch auf das Gebiet der Musik auswirkten. in Skandinavien von Südost her verbreitet ha­ zen finnisch-karelischen Gebiet bekannte, aus In die frühurfinnische Sprache wurde das Wort ben. Sie waren Viehzüchter und betrieben et­ Birkenrinde gewickelte Trompeteninstrument. "swiglön- entlehnt (vgl. z.B. das gotische swig- was Ackerbau. Die Gesamtheit ihrer Kultur be- Man hat festgestellt, daß das einzige im ganzen lo ,tibia, fistula', swigion ,Flöte, Pfeife blasen', zeichneten die Archäologen auf Grund ihrer Gebiet bekannte Trompeteninstrument die das gotländische svailar .beginnen zum Sturm Relikte u.a. als bandkeramische- oder Streit­ Rindentrompete ohne Holzunterlage gewesen zu blasen',11 und das deutsche Schwegel12). axtkultur. Die Viehzüchter waren gezwungen, ist. Man muß fragen, warum die Frühurfinnen das Schutz vor u.a. Wölfen und Bären zu suchen, Die komplizierten Zusammenhänge lassen Wort *sujlu (> gegenwärtig huilu , Flöte') ent­ vor allem als sie während ihrer Migration die sich m. E. folgendermassen erklären. Am Ende lehnt haben? Eine hypothetische Antwort führt Waldgebiete erreichten (vor allem die der mit­ der Steinzeit übersiedelten Viehzüchter aus zu einem tollkühnen Panorama. teleuropäischen Gebirgsgegenden). Meiner den südrussischen Steppengebieten nach Mittel­ In Finnland und Karelien gibt es zwei ver­ Meinung nach ist es eine logische Folgerung, europa. Sie kannten schon das aus Ochsen­ schiedene Flötenprinzipien. Das eine ist mit fe­ daß es gerade die Viehzüchter waren, die das horn gefertigte Trompeteninstrument, und stem Kern, d.h. der Kern ist organisch fest mit Trompetenprinzip nach Europa brachten. wahrscheinlich war ihre Sprache indogerma­ dem Körper verbunden (Abb. 1). Das andere ist Noch heute kann man feststellen, daß auf der nisch. Als sie sich in den europäischen Wald­ mit fremdem Kern, d.h. der Kern ist lösbar ganzen Erde das Trompetenprinzip ausschließ­ gebieten ansiedelten, entdeckten sie, daß man (Abb. 2). Beide bezeichnet man als Kernspalt­ lich in den Kulturgebieten der Viehzüchter vor­ die Trompete auch aus Baumrinde herstellen flöten. Die Prinzipien haben sich jedoch so un­ kommt, d.h. daß das Trompetenprinzip im Zu­ kann. Diese Populationen verbreiteten das terschiedlich verbreitet, daß man den Vorgang sammenhang mit den Jagdkulturen keine be­ Trompetenprinzip in Europa. Die vorbaltischen nicht als eine Folge der Nahgeschichte erklä­ deutenden Aufgaben zu erfüllen hatte. (Eine Gemeinschaften, die am Ende des 3. vorchrist­ ren kann. Ausnahme bildet das inspirative Prinzip der lichen Jahrtausends nach Südwest-Finnland Das Festkernprinzip ist in ganz Karelien und Abb. 1. Flötenprinzip mit festem Kern (vgl. Karte 1). Abb. 2. Flötenprinzip mit fremdem lösbarem Kern (vgl. Karte 2). 6 Wilhelm Stauder, Alte Musikinstrumente in ihrer vieltausendjährigen Entwicklung und Geschich­ te, Braunschweig 1973, 59. Siehe jedoch Peter Holmes and J. M. Coles, Prehistoric brass instru­ ments, in: World Archeology, Vol. 12 No 3,1981, 281. 7 Holmes et Coles 1981, 280-281; Cajsa Lund, The archeo-musicology of Scandinavia, in: World Ar­ cheology, Vol. 12 No 3, 1981, 260. 8 Holmes et Coles 1981, 280. 9 Die Trompeten kann man in zwei Hauptgruppen einteilen, je nach dem in welche Richtung die Luft strömt. Universell ist die blasbare oder aspi- rative Trompete. In den Jägerkulturen Mittelsibi­ riens und in Nordosteuropa (westlich vom Ural) war auch die inspirative Trompete bekannt, bei der der Klang so entsteht, daß die Luft angesaugt wird. Sie ist die inspirative Trompete. 10 Kustaa Vilkuna, Lehman kotiutuminen perheese- en, naudan asettuminen yhteiskuntaan, in: Virit- täjä 80, Helsinki 1976, 19-30. 11 Herbert Gustavsson, Gotländsk ordbok, Band 2, Uppsala 1941-1945, 1032. 12 Jorma Koivulehto, Balttilaisia ja germaanisia lai- nakosketuksia, uusia germaanisten lainakerros- Karte 1. Die Verbreitung des Festkernprinzips inner- und ausserhalb des Forschungsgebietes. tumien ikäyskriteereitä (Handschriftlich, 1979). Timo Leisiö 150 Finnland bekannt; auch der einzige panlappi- fe, Wadenbein', polnisch piszczalka .Pfeife' ten Relikte vertreten das randgeblasene Prin- sche Vertreter der Flöteninstrumente realisiert u.s.w.16), wahrscheinlich um 500-800 n.Chr. Es zip. es. Das Fremdkernprinzip ist wiederum typisch ist interessant, daß Milovan Gavazzi auf Grund Es liegt noch Anlaß vor, zu der Problematik für Südfinnland (Karte 1). Es hat im ganzen 9 seines Materials meint, daß die Instrumente, zurückzukommen, die das frühurfinnische offene und 6 gedackte Varianten, d.h. 15 ver­ die während der urslawischen Zeit möglicher­ Wort *sujlu .Flöte' betrifft. Zunächst ist festzu­ schiedene Flötenarten. Das Fremdkernprinzip weise mit dem Namen piscalб o.ä. bezeichnet stellen, daß an der südlichen und westlichen ist das verbreitetste in Europa. So scheint es wurden, randgeblasene Flöten oder verschie­ Küste Finnlands zwar Grifflochflöten aus Holz unbegreiflich zu sein, daß die Karelier es nur in dene aus Rinde oder Knochen hergestellte mit fremdem Kern gespielt wurden. Die Analyse Form einer einzigen Art gekannt haben soll­ Fremdkernflöten waren, die sowohl offene als hat jedoch gezeigt, daß sowohl die Grifflochflö­ ten.'3 Es handelt sich hierbei um eine aus ei­ auch gedackte Röhren hatten.17 Interessant ist ten als auch alle Holzflöten erst seit dem Mittel­ nem Federkiel gefertigte, sehr kleine Hasel­ auch, daß polnische, lettische und litauische alter und der Neuzeit bekannt wurden, d.h. erst huhnpfeife, die die Karelier und die von ihnen Archäologen frühere Spuren des Fremdkern­ etwa seit dem 12. Jahrhundert.19 Auf dem finni­ getrennten, weiter westlich lebenden Savola- prinzips gerade aus der Zeit gefunden haben, schen Festland wurde keine einzige knöcherne xer alspiisku (Karte 1; Abb. 3) bezeichneten. als die slawischen Populationen nach Nord­ Kernspaltflöte gefunden, obwohl sie möglicher­ osten vordrangen und vermutlich das Wort piis­ weise hergestellt wurde. Nach den gegenwärti­ ku in die Sprache der Protokarelier unterhalb gen Kenntnissen läßt sich feststellen, daß die des Ladogasees einführten.18 Alle diese Fakto­ gewöhnlichsten Vertreter des Fremdkernprin­ ren weisen darauf hin, daß die Überlieferer des zips grifflochlose Rindenflöten waren, die sich Fremdkernprinzips ursprünglich die aus den fast ebenso verbreitet haben wie das Wort hul- Karpaten stammenden slawischen Umsiedler lu (Flöte). Auf eine ausführliche Analyse soll waren. Vor ihrer Wanderung in den ersten hier verzichtet werden. Es scheint jedoch of­ Abb. 3. Karelische Federkielflöte (piiska). Jahrhunderten unserer Zeitrechnung wurde im fensichtlich zu sein, daß die Frühurgermanen Wie kann es möglich sein, daß die Federkielflö­ Baltikum, in Karelien oder Nord- und Mittelruß­ das vorher unbekannte Fremdkernprinzip un­ te der einzige Vertreter des Fremdkernprinzips land m.W. kein einziger Beweis für das Fremd­ ter den Finnen verbreitet haben. Schon früher in ganz Karelien ist? kernprinzip der Flöten gefunden. Alle bekann­ kannten die Finnen randgeblasene Flöten und Viele Forscher nehmen an, daß die Kern­ spaltflöten schon vor mehreren Zehntausen­ Abb. 4. Zwei Rindenflöten mit fremdem lösbarem den von Jahren in Europa bekannt waren. Vor Kern (vgl. Abb. 2 und Karte 2). allem hat Christine Brade14 diese Hypothese kritisiert. Es ist ganz offensichtlich, daß sowohl die gegenwärtigen Volksmusikinstrumente als auch das archäologische Material in Sibirien und Osteuropa ihre Behauptung stützen, daß die frühen Flöten randgeblasene Flöten gewe­ sen sind. Auch in den finnisch-estländisch-ka- relischen Gebieten waren die ältesten Flöten randgeblasene Flöten aus Knochen. Die älteste bekannte Kernspaltflöte in Finnland stammt dagegen erst aus dem 16. Jahrhundert n. Chr. und wurde auf den Älandinseln gefunden.15 Das Problem des Fremdkernprinzips kann man versuchen zu lösen zunächst durch Be­ trachten des karelischen Wortes piisku, das in Westfinnland unbekannt ist. Das Wort wurde in der Eisenzeit aus dem frühen slawischen ent­ lehnt (vgl. z. B. das urslawische *pisketб 'pfei­ fen', urslawisch piscalб > russisch piscal, .Rohrpfeife, Schalmey, slowenisch piscal .Pfei­ Karte 2. Die stärksten Verbreitungsgebiete des Fremdkern­ prinzips. 1. Federkielflöte (piisku). 2. Holzflöten mit Grifflöchern. 3. Gedackte Rindenflöten ohne Grifflö­ cher. Flöten mit festem Kern, aber vielleicht schon im 2. vorchristlichen Jahrtausend übernahmen sie von den Germanen das neue Prinzip (Abb. 4), dessen Vertreter sie etwa mit dem Namen *swiglön- bezeichneten. Diese Hypothese läßt sich archäologisch stützen. Eine von Cajsa Lund analysierte kleine Flöte aus Knochen wurde in Südschweden etwa zwischen den Jahren 1900-1500 v. Chr. gespielt.20Zu dieser Zeit wurden ohne Zweifel Vertreter desselben Prinzips auch aus Rinde gefertigt. Darauf deu­ tet nicht nur das finnische Forschungsmaterial, 13 Man muß jedoch erwähnen, daß sich in dem kare­ lischen Gebiet zwei andersartige Flöten erhalten haben, die den in Novgorod gefundenen mittelal­ terlichen Holzflöten ähnlich sind. Die Flöten in Ostkarelien dürften irgendwann im 17. Jahrhun­ dert von den Russen übernommen worden sein. Doch sind sie selten gewesen. Über Flöten in Novgorod siehe G. A. Kol'cin, Novgorodskie drev- nosti, derevjannye izdelija, in: Archeologija SSSR, svod archeologiceskich istocnikov, Vy- pusk E1—55:1, Moskva 1968, 88 und 181. 14 Christine Brade, Die mittelalterlichen Kernspalt­ flöten Mittel- und Nordeuropas. Göttinger Schrif­ ten zur Vor- und Frühgeschichte, Band 14, Neu­ münster 1975. 15 Alands Museum, Inv. N:r 22520. Die Flöte wurde im Schloß Kastelholm gefunden und dürfte An­ fang des 16. Jahrhunderts gespielt worden sein. Sie hat vier Grifflöcher. 16 Max Vasmer, Russisches etymologisches Wörter­ buch, Band III, Heidelberg 1958, 363-364: sub voce piscal'; piscat'. 17 Milovan Gavazzi, Die Namen der altslawischen Musikinstrumente, in: Südosteuropa Schriften, Band VII, München 1966, 40-41. 18 Siehe z.B. Maria Malinowska, Medieval Music in Poland, in: Archeology 1, New York 1973, 38-39; B. Urtan, Drevneisie muzykal’nye instrumenty na territorij Latvij, in: Studia Archeologica in memo- riam Harri Moora, Tallinn 1970, 226-227. 19 Die älteste finnische Flöte wurde auf den Aland- Inseln gefunden (Alands Museum, Inv. N:r375: 23). Diese knöcherne, 2-löchrige Randflöte wurde möglicherweise schon im 11. Jahrhundert ge­ blasen. (Matts Dreijers Schätzung in seinem Aus­ grabungsbericht.) 20 Cajsa Lund, Nordens äldsta spaltflöjt, in: Forn- vännen 74, 1979. Siehe auch Lund 1981, 259. Timo Leisiö 152 sondern auch die in Olmütz gefundene Rinden­ flöte, die Hermann Moeck in seinen Schriften beschrieben hat.21 Es handelt sich hierbei um eine Grifflochflöte aus Baumrinde, die mög­ licherweise zur selben Zeit benutzt wurde wie auch die von Lund beschriebene Flöte aus Fal­ köping. Die obengenannten Faktoren zwingen dazu, die Urgeschichte der Flöteninstrumente neu zu untersuchen, zumindest in Nord-, Mittel- und Osteuropa. Auf Grund des vorliegenden Mate­ rials ist es nicht möglich, Kernspaltflöten bis in die Steinzeit zurückzuverfolgen. Das finnisch­ karelisch-lappische Festkernprinzip muß in Finnland älter sein als das westliche und südli­ che Fremdkernprinzip. Das als huilu bezeich- nete Instrument war in Karelien unbekannt, stattdessen kannte man dort nur eine einzige Fremdkernflöte: piisku (Abb. 3). Piisku-Flöten oder Federkielflöten sind zwar aus der slawi­ schen Expansion hervorgegangen, doch dürf­ ten sie zu den Schöpfungen der Karelier zäh­ len. In Europa waren es nur die Syrjänen,22 die Flöteninstrumente aus Federkiel (sö/a cipsan23) gefertigt haben. In anderen Teilen Europas und Karte 3. in Sibirien wurden Klarinetten aus Federkiel Hypothese von der Verbreitung des Fremdkernprin- hergestellt. Man darf annehmen, daß das *pis- zips nach Südwestfinnland und unterhalb des Lado­ calб oder Fremdkernprinzip der frühen Slawen gasees. Das dunkelgestrichelte Gebiet zeigt den an­ von den Jägern übernommen wurde, die ent­ genommenen Bereich auf, in dem das Fremdkern­ prinzip im 1. vorchristlichen Jahrtausend oder viel­ sprechende Instrumente bei der Vogeljagd ver­ leicht schon früher bekannt war. Über die hellen Ge­ wendeten: Lockflöten wurden in Karelien nicht biete in Westeuropa hat der Verfasser keine An­ aus Rindenrohr hergestellt, sondern aus Kno­ gaben. chen (was jedoch selten vorkam) und vor allem aus Federkielen, was auf sympathetische Ma­ gie hindeutet. Die verschiedenen Varianten des Fremdkern- prinzips der Flöten waren seit dem Mittelalter so verbreitet, daß man das Prinzip selbst als uralt betrachtet (Karte 2). Das finnisch-kareli­ Abb. 5. Fremdkernflöte aus Holz. Länge 14 cm. sche Material zwingt jedoch zu zwei bedeutsa­ men Schlußfolgerungen. Als erstes müßte man den Begriff Kernspaltflöte ablehnen, obwohl er ein praktischer Allgemeinbegriff ist, und ihn in drei exakte Begriffe teilen: a) Festkernflöte, b) Fremdkernflöte und c) Organkernflöte (Zun- gen- oder Lippenspaltflöte24). Die zweite Schlußfolgerung zwingt zu der Behauptung, daß das Fremdkernprinzip erst kurz vor Ende Karle 4. Die Verbreitungsgebiete der Klarinetteninstrumente am Ende des 19. Jahrhunderts. 1. Klarinetteninstru­ mente mit heteroglotter Zunge (chalumeau). 2. Klari­ netteninstrumente mit teilheteroglotter Zunge (kär- jennoukka). der Steinzeit bekannt wurde. Höchstwahr­ scheinlich ist das Festkernprinzip in Nordeuro­ pa älter als das Fremdkernprinzip; aufgrund dessen wurde es auch in die nordischen Jagd­ kulturen (sowie in die syrjänische und lappi­ sche Tradition) übernommen. Festkernflöten wurden stets aus Rinde hergestellt, Fremd­ kernflöten aber schon zur urgeschichtlichen Zeit aus Knochen gefertigt, die aus diesem Grund bis zur heutigen Zeit erhalten geblieben sind. Südwestfinnland übernahm diese Art et­ wa zur Bronzezeit, vielleicht schon am Ende des 2. vorchristlichen Jahrtausends (*swiglön- > *sujlu > huilu), die protokarelische Kultur erst um 500 n.Chr. (*piskétб> piisku). Als Über­ lieferer galten die Frühurgermanen und frühen Ostslawen sowie Slowenen (Karte 3). Mit den Slawen kam das Prinzip auch nach Nord- und Mittel rußland. Die Bedeutung des Fremdkernprinzips für die musikalischen Möglichkeiten der Flöten verstärkte sich in Europa erst dann, als man begann, das Rohr aus Holz zu fertigen, was sich erst nach Verbreitung des Bohrers in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung bedeutend verbreitete. Die musikalische Be­ deutung des Prinzips verstärkte sich vor allem durch die Blockflöte. Finnland war jedoch ein relativ peripheres Gebiet, weshalb es die alte grifflochlose und gedackte Rindenflöte (Abb. 5) beibehielt. Die Grifflochflöten aus Holz wa­ ren nur in Westfinnland bekannt, und die Blockflöte wurde erst vor etwa 50 Jahren über- 21 Hermann Alexander Moeck, Die skandinavischen Kernspaltflöten in Vorzeit und Tradition der Folk­ lore, in: Svensk tidskrift för musikforskning, Arg. 37, 1955, 66-67. 22 Für kein anderes Gebiet sind uns Belege bekannt. 23 P. I. Tschistalev, Die Musikinstrumente der permi­ schen Völker, Syktyvkar 1980, 23. 24 Über diese Begriffe siehe Ernst Emsheimer, Ton­ gue Duct Flutes: Corrections of an Error, in: The Galpin Society Journal XXXIV, 1981, 98-105; Caj- sa Lund, A Medieval Tongue- (Lip-) and Duct Flu­ te, in: The Galpin Soc. Journal XXXIV, 1981, 106-109. Timo Leisiö 154 nommen.25 Ernst Emsheimer und Cajsa Lund Bucht des Bottnischen Meerbusens bekannt. Prinzip als auch das dänische Wort skalmeje haben gefordert, daß alle vorgeschichtlichen Das genannte Verbreitungsgebiet ist außerge­ Relikte der aus dem Mittelalter stammenden „Kernspaltflöten“ neu analysiert werden soll­ wöhnlich, obgleich es auch Parallelen für an­ Schalmey-Oboe sind. Nach den mittelalterli­ ten.26 Aus der Sicht der finnischen Organologie dere Geräte gibt. So ist z.B. das Verbreitungs­ chen Kreuzzügen war die Klangfarbe für Mittel­ ist die Forderung nur zu unterstützen. Zu­ gebiet eines speziellen Messertypus in Finn­ europa ganz neu und faszinierend. Nach mei­ nächst ist die Verbreitung der finnischen Or­ land auch ausschließlich südbottnisch. Dieses ner Hypothese versuchten die mitteleuropäi­ ganspaltflöten westfinnisch, und zwar auf eine Messer nennt man puukko, das nach Kustaa schen Bauern - vielleicht in oder nahe bei Böh­ solche Weise, die zeigt, daß das Organspalt- Vilkuna von den niederdeutschen Kaufleuten men - dieses Instrument mit seiner neuen prinzip etwa in dem 1. Jahrtausend n. Chr. von im Hochmittelalter (d.h. im 13. oder 14. Jahr­ Klangfarbe nachzuahmen. Da sie in ihren West-Europa übernommen wurde (obwohl die hundert) nach Südbotten mitgebracht wurde. Wohngebieten keine passende Rohrpflanze für Verbreitung des Prinzips heute mittelasiatisch­ Diese Kaufleute waren Mitglieder der Hanse, die Zunge der Oboe fanden, versuchten sie die osteuropäisch ist). Die nächste Hypothese ist die damals in Finnland sehr aktiv war. Ein an­ Gegenschlagzunge aus Holz zu fertigen (Abb. ziemlich gewagt, doch sei sie trotzdem ausge­ deres Beispiel betrifft die volkstümliche Sitte 7). Für die Bauern war das neue Instrument sprochen. Wäre es möglich, daß sich die Tradi­ des Abbrennens von Osterfeuern. Diesen tion der westeuropäischen randgeblasenen Brauch gibt es in Finnland nur in Süd- und Knochenflöten mit der von Osten eindringen­ stellenweise in Nordbotten, und vielleicht ist den Tradition der Festkernflöten verband und sie auch auf eine niederdeutsche Aktivität zu­ dann die Organkernflöte in Mitteleuropa her­ rückzuführen.31 vorbrachte, von der wiederum das Fremdkern- Es ist nicht wahrscheinlich, daß das teilhete­ prinzip seinen Ursprung herleiten könnte? roglotte Prinzip eine Ableitung von der Klari­ nette wäre. Es ist zu bezweifeln, daß sich das 3. Zwei Klarinettenprinzipien gleiche Prinzip in vielen Gebieten zur gleichen Im Süd-Österbotten (Karte 4) wurde ein eigen­ Zeit parallel entwickelte. Das Prinzip wurde - artiges Klarinetteninstrument gespielt, welches so glaube ich - nur einmal entdeckt, und diese Gegenstücke in Südschweden27, Dänemark28, Novation hat sich dann über einen langen Zeit­ Pommern29 und Böhmen30 hat. Das Instrument raum verbreitet. heißt kärjennoukka .spitze Nase; Spitznock' Was aber ist eigentlich dieses teilheteroglot­ (Abb. 6). Das kärjennoukka-Pnnzip kann man te Prinzip? Das deutsche Wort Schalmey ist als teilheteroglott bezeichnen: Die Zunge ist südlichen Ursprungs, und man hat es etwa seit Abb. 7. Hypothetische Transformation des Gegen- weder idioglott noch heteroglott. Ihre nähere den Kreuzzügen als Name für die Oboe ge­ schlagzungenprinzips der Oboe in ein heteroglottes Betrachtung könnte zu einer neuen Lösung braucht. Dieses Wort wurde von Deutschland Klarinettenprinzip. führen, die das Entstehungsproblem der Klari­ aus in Dänemark, Schweden und Finnland nette betrifft. übernommen. Wie Mette Müller gezeigt hat, Das Kerngebiet des teilheteroglotten Klari­ war die dänische teilheteroglotte Klarinette etwa das gleiche wie die originale und faszinie­ nettenprinzips liegt in Süd-Österbotten, aber dort mit dem Namen skalmeje bekannt. Warum rende Schalmey, und darum nannten sie die es ist auch auf den Inseln in Südwestfinnland benennt man sie - und nur dieses Volksmusik­ Novation natürlich Schalmey. Die Bauern ver­ in derTradition der schwedischsprechenden instrument in ganz Skandinavien -skalmeje? suchten zwar eine Oboe zu machen, doch hat­ Bevölkerung (bläsor) und auch in der innersten Ich glaube, daß sowohl das teilheteroglotte ten sie eigentlich ein ganz neues Klarinetten­ prinzip erfunden. Und dieses Prinzip erreichte sowohl Dänemark als auch Finnland bereits im Abb. 6. Teilheteroglotte Klarinette (kärjennoukka); Mittelalter, vielleicht schon im 14. oder 15. aus Süd-Österbotten. Länge 28 cm. Jahrhundert. Im ganzen Küstengebiet Westfinnlands wur­ den interessante heteroglotte Klarinetten ge­ spielt. Die einen haben als Schalltrichter einen Rindenkegel (genannt tuohitorvi oder tanotor- vi; Abb. 8), und die anderen sind ohne Kegel (genannt mänkeri oder mäntyhuilu; Abb. 9). Timo Leisiö 155 25 Diese Angabe verdanke ich Prof. Fabian Dahl­ ström an der Universität Abo. 26 Emsheimer 1981, 105: Lund 1981, 108-109. 27 Musikmuseet (Stockholm), Inv. N:r 1933. Das Wis­ sen ist einzigartig im ganzen Land. Siehe Mette Müller, The Danish Skalmeje. Some Observations on a Jutland Reed Instrument of a Clarinet Fami­ ly, in: SIMP III, 1974, 165 und 282: Abb. 5). 28 Müller 1974, 164-166 und 281-282. 29 P. Klein, Volkslied in Pommern, Greifswald 1935, 172. 30 Müller 1974,165. Ivan Macäk, Zoznam slowen- sckych l’udoych hudobnyh nästrojov, Bratislava Abb. 8. Zwei verschiedenartige heteroglotte Klari­ Dem mänkeri ähnliche Klarinetten kennt man 1967, 17. netten mit kleinem Holzmundstück. auch in Lettland (ganurags)32 und in Litauen 31 Kustaa Vilkuna, Der finnische Puukko und das junki-Messer, in: Suomen Museo LXXI, Helsinki (dudelé oder birbine)33, deren Rohr auf die glei­ Abb. 9. Heteroglotte, dem chalumeau ähnliche Klari­ che Art wie in Finnland hergestellt wurde: Der 1964, 59-90. nette (mänkeri) aus Südwestbotten. Kernteil wird aus dem Holz herausgedreht. Ein 32 K. Vertkov, G. Blagodatov, E. Jazowitskaya (Verf.), ATLAS muzykal’nych instrumentov naro- mit ihnen verwandtes Instrument war auch in dov SSSR, Moskva 19752, 94 und Abb. S. 274. Serbien bekannt (stapf4. Der älteste histori­ 33 ATLAS, 101-102 und Abb. S. 340. LietuvosTSR sche Beleg für ein ähnliches Instrument findet Istorijos-Etnografijos Musiejus (Vilnius), Inv. N:r sich in einer französichen Enzyklopädie aus ME 2105 und EM 2965. LietuvosTSR (Teatro ir der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Zu Muzikos Muziejus Vilnius) Inv. N:r 1192/1-3. dieser Zeit wurde das etwa 30 cm lange Instru­ 34 Dragoslav Devic, Uvod u osnove etnomuzikologi- ment (chalumeau) als grobstimmig beschrie­ je, III deo: Instrumenti. Univerzitet umetnosti u Beogradu, Beograd 1977, 80. ben, auf dem „Jedermann“ spielen konnte und 35 Diderot et d’Alembert, Encyclopedie, ou Diction- daß schon im 18. Jahrhundert in Vergessenheit naire raisonne des sciences, des arts et des me­ zu geraten schien.35 Eine Variante derselben tiers, tome troisieme, 1771,198. Ibid., Receuil de Gattung dürfte auch die moeck trumpet in Eng­ Planches sur les Sciences et les Arts Liberaux, et land gewesen sein, für die schon im 17. Jahr­ les Arts Mechaniques avec leur Explication, Tom hundert komponiert wurde.36 Außerdem ist be­ V, 1774, 37. kannt, daß in Böhmen wiederum Dudelsäcke 36 Nicholas Shackleton, Chalumeau, in: The New hergestellt wurden, in denen heteroglotte Zun­ Grove Dictionary of Music and Musicians, Vol. 4, gen Verwendung fanden,37 und in Serbien 1980. Jack Brymer, Clarinet (revised edition), spielte man die vierlöchrige und kaleidoskopi­ London 1979, 20-22. Siehe auch Colin Lawson, sche paljka, deren heteroglotter Anblaskopf ei­ The Chalumeau, Independent voice or poor rela­ tion, in: Early Music, Vol. 7, No 3, 1979, 351-354. ne Blaskapsel hat.38 Und schließlich: In Väster­ 37 Frank Harrison and Joan Rimmer, European mu­ götland in Südschweden wurde eine knöcher­ sical instruments, London 1964, 36-37. ne Klarinette ausgegraben, die man nicht 38 Devic 1977, 79. durch archäologische Methoden datieren 39 Ernst Emsheimer (in Zusammenarbeit mit Cajsa kann.39 Sie entspricht genau der finnisch-bal­ Lund), Eine schwedische Knochenklarinette, in: tisch-serbischen Gattung, obgleich sie auf für Festschrift Heinz Becker zum 60. Geburtstag am Südschweden charakteristische Art aus Kno­ 26. Juni 1982, Hrsg. Jürgen Schiäder und Rein­ chen hergestellt wurde. hold Quant, 1982, 366-372. Timo Leisiö 156 Instrumente aus Finnland, Schweden, dem Aufnahmeprozeß ist mit der damaligen han­ Kurz zusammengefaßt lautet meine Hypothe Baltikum, Serbien und Frankreich sind mor­ delspolitischen Situation verknüpft, denn an se, daß die in unserer Zeit in den Orchestern phologisch zu ähnlich, um sie als volkstümli­ Finnlands Westküste wurden viele Städte am benutzte Klarinette aus der während der Kreuz che Imitationen der Klarinetten bezeichnen zu Anfang des 17. Jahrhunderts gegründet. Die züge nach Europa eingeführten Oboe (Schal­ können. Die Belege aus England und Frank­ Bürgerschaft der Städte war aktiv und über­ mey ~ zurnä) entwickelt wurde. Als ein vermit­ reich deuten darauf hin, daß die Gattung schon nahm zahlreiche mitteleuropäische Modeer­ telndes Glied ist das teilheteroglotte Prinzip im 17. Jahrhundert vorkam. Die Instrumente scheinungen, die wiederum ein wenig weiter in anzusehen, das als Relikt vor allem in Däne­ aus Serbien und Böhmen lassen vermuten, daß die ländliche Provinz verbreitet wurden. Die mark und im finnischen Süd-Österbotten erhal die Klarinette weder für die paljka noch für den Annahme setzt voraus, daß schon im 16. Jahr­ ten blieb. böhmischen Dudelsack Vorbild gewesen ist, hundert in ganz Mitteleuropa weit und breit die 40 Shackleton 1980,111-112: Brymer 1979,16-29; sondern eine andere ältere Gattung, die ich heteroglotte chalumeau gespielt wurde. Um Lawson 1979; Nicholas Shackleton, Clarinet, in: hier mit dem Namen chalumeau benennen wer­ diese Situation zu erklären, stelle ich eine Hy­ The New Grove Dictionary of Music and Musi­ de. Ferner gibt es in Finnland drei Gebiete (Kar­ pothese auf, die die Vorgeschichte der Klari­ cians, Vol. 4, 1980, 432. te 4), die der normalen Verbreitung der Kultur­ nette beleuchtet. elemente der Renaissance entsprechen. Es wä­ Die in Mitteleuropa entwickelte teilhetero­ re eigenartig, wenn man überall in Finnland zur glotte Klarinette wurde so gefertigt, daß das gleichen Zeit, etwa nach dem Jahre 1780 damit Holzstück gespalten wurde und die Hälften begonnen hätte, volkstümliche Imitationen der ausgehöhlt wurden (Abb. 6, 7). Das Instrument Klarinette der Militärkapellen herzustellen, prä­ konnte nicht befriedigen, denn die Fugen Hes­ zis zu der Zeit und sogar mit der gleichen Bau­ sen Luft durch. Das Problem wurde so gelöst, weise, wie dies in den baltischen Ländern, in daß man begann, das Rohr auf die gleiche Wei­ Schweden und in Serbien geschah. Der Gedan­ se wie bei den Flöten auszubohren. Das teilhe­ ke ist unmöglich. teroglotte Prinzip blieb nun für die obere und Ich bin völlig sicher, daß das finnische Instru­ vibrierende Hälfte des gespaltenen Holzstük- ment mänkeri (oder mäntypilli oder mäntyhui- kes erhalten (Abb. 10). Die Lösung ist einfach, lu) das selbe frühe heteroglotte Prinzip vertritt aber vom musikalischen Standpunkt revolutio- wie chalumeau, dudele, ganurags, stap, moeck trumpet u.s.w., und daß sie alle auf eine Zeit vor dem 18. Jahrhundert zurückzuführen sind. Mit anderen Worten: Sie repräsentieren das einfa­ chere heteroglotte Prinzip, das die Denners zu entwickeln begannen und aus dem die erste Klarinette40 entstand. Die von Denner entwik- Abb. 10. Hypothetische Transformation desteilhete- kelte Klarinette wurde in Süd- und Westfinn­ roglotten Prinzips in das vollheteroglotte. land etwa um 1800 übernommen, wonach sie sich schnell auch in Ostfinnland und (durch Petrazavodsk?) in Karelien verbreitete. Bei den nierend. Diese führte direkt zur Entdeckung meisten Instrumenten (Gattungen) handelt es des (voll)heteroglotten Prinzips. Die Novation sich um einfache kegelförmige Imitationen der verbreitete sich wahrscheinlich in Mittel­ Klarinette. Ihre Verbreitung und Morphologie europa, vielleicht schon im 14. oder 15. Jahr­ unterscheidet sich stark von den entsprechen­ hundert. Sie scheint als bäuerliches Instrument den Charakteristika der mänkeri und tanotorvi. lange erhalten geblieben zu sein und verbreite­ Die letztgenannten haben sich nur dort verbrei­ te sich auch in Frankreich und England. Es tet, wo sich die Kulturerscheinungen der Re­ handelt sich um das chalumeau, das sich in naissance auch sonst verbreitet haben. Aus un­ Finnland auf Grund neuer Handelsbeziehun­ serer Beobachtung folgt logischerweise die gen im 17. Jahrhundert verbreitete und das die Behauptung, daß die finnischen märikeris etwa Denners am Ende des 17. Jahrhunderts zu ent­ im 17. Jahrhundert übernommen wurden. Der wickeln begannen.

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