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Freiheit und Populismus: Verwundete Identitäten in Ostmitteleuropa PDF

317 Pages·2019·2.482 MB·German
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Preview Freiheit und Populismus: Verwundete Identitäten in Ostmitteleuropa

András Máté-Tóth Freiheit und Populismus Verwundete Identitäten in Ostmitteleuropa Freiheit und Populismus András Máté-Tóth Freiheit und Populismus Verwundete Identitäten in Ostmitteleuropa András Máté-Tóth Lehrstuhl für Religionswissenschaft Universität Szeged Szeged, Ungarn Die Forschung, die Fertigstellung des Manuskriptes und die Druckkosten wurden gefördert durch Porticus, KAAD, Stichting Communicantes, Deutsche Bischofs- konferenz und EFOP-3.6.2-16-2017-00007 ISBN 978-3-658-25484-1 ISBN 978-3-658-25485-8 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-25485-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany If your pictures aren’t good enough, you aren’t close enough. Robert Capa V Vorwort Vorwort Vorwort Ostmitteleuropa rückte nach dem Fall des Kommunismus in dieser Region in den Vordergrund wirtschaftlicher und politischer Interessen. Die früheren Ost- blockstaaten versuchten ihre Unabhängigkeit endlich zu verifizieren, viele neue Staaten entstanden, Europa wurde bunter, damit auch komplizierter. 30 Jahre nach diesem historischen Ereignis scheinen die früheren Unterscheidungen und Grenz- ziehungen verwischt zu sein. Es wird zunehmend schwieriger, über den früheren Ostblock als eine mehr oder weniger homogene Einheit zu sprechen, geprägt vor allem durch Planwirtschaft, kommunistische Ideologie und totalitäre Kontrolle. Dennoch kann der heutige Beobachter wieder Ähnlichkeiten unter diesen Staaten der früheren Sowjetzone beobachte“ nicht nur in den Turbulenzen des politischen Tagesgeschäftes, sondern auch in der Logik der real existierenden Wirtschaft und Demokratie. Nach der Wende haben sich Intellektuelle aus Mitteleuropa über das Bonmot des polnischen Journalisten Adam Michnik lustig gemacht: „Es ist einfach, aus einem Aquarium eine Fischsuppe zu machen. Aber es ist deutlich schwerer, aus einer Fischsuppe wieder ein Aquarium zu machen.“ Doch kommen Eigenschaften in dieser Region zum Vorschein, die für andere Regionen Europas fremd und be- denklich erscheinen. Es wäre zu weitgehend, zu meinen, dass die ehemalige Teilung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg schon wieder da sei, aber ein gegenseitiges Unverständnis zwischen West- und Osteuropa prägt den europäischen Diskurs. Die Zweiteilung Europas ist seit 30 Jahren vorüber, aber das brachte bei weitem keine Homogenität des Kontinents mit sich, sondern vielmehr eine Vielfalt und eine beachtliche Menge von ungelösten historischen Fragen auf die Tagesordnung. Was sind die wichtigsten Charakteristiken dieser Region, wie sind sie zu verstehen und was sind die Konsequenzen davon? Diese Fragen bewegen heutzutage viele Verantwortliche in Europa. Das vorliegende Buch versucht Antworten auf diese Fragen zu geben, und zwar auf Grund der Autopoiese der Gesellschaften der Region sowie durch die Konzentration auf die Transformationen des Religiösen. VII VIII Vorwort Die Vorarbeiten zu diesem Ansatz gehen bereits auf Studien zurück, die bereits mehr als 25 Jahren begonnen wurden. In meiner Dissertation an der Universität Wien fragte ich nach den historischen Variablen, die die Neupositionierung der katholischen Kirche Ungarns am meisten bestimmen werden. Ich fand dabei die Schlüsselrolle in der historischen Trauerarbeit. In meiner Habilitation an dersel- ben Universität versuchte ich die Theologie und die Bewegung eines ungarischen Reformkatholiken, P. György Bulányi, aus dem Problemkontext der ungarischen Gesellschaft in der Kádár-Ära zu verstehen und zu verorten. Die internationalen Forschungsprojekte „Aufbruch“ 1 – 2 (1997-2010) und REVACERN (2007-2010) haben repräsentative Datenerhebungen in 10 bzw. 14 Ländern Ostmitteleuropas durchgeführt und die Vielfalt der Religionsentwicklungen der Region erfasst. Sie haben die Frage nach der Pfadabhängigkeit, d. h. nach der Eigenart und Funktion der geschichtlichen und kulturellen Wirkungskräfte noch eindringlicher gestellt. In den letzten zehn Jahren suchte ich nach Theorien, die die regionalen Eigenschaften am treffendsten erklären können. Meine Ergebnisse habe ich in einer ungarischen Monographie im Jahr 2014 dargestellt. In dem hier vorgelegten Ansatz laufen die vorherigen Fäden der theoretischen, empirischen und theologischen Forschungen zusammen. Besonders viele Ideen und Inspirationen habe ich durch die Netzwerke PosT (Netzwerk der mittel- und osteuropäischen Pastoraltheologen), ISORECEA (In- ternational Study of Religion in Eastern and Central Europe Association), durch die langjährigen Kontakte zu Kollegen1 aus Wien, Berlin, Münster, Sarajevo, Cluj- Napoca und Budapest und nicht zuletzt durch meine Studierenden, Doktorandinnen und Doktoranden sowie durch junge Menschen aus der Region erhalten. Die hier vorgelegte Theorie habe ich auf vielen nationalen und internationalen Konferen- zen in und außerhalb der Region dargestellt. Bei der Abfassung des Manuskriptes – gefördert von den Stiftungen Porticus und KAAD – haben mich vor allem die Kollegen Thomas Bremer und Hartmut Zinser kritisch und geduldig begleitet, die sprachliche Redaktion habe ich Dr. Susanna Schmidt und Dagmar Binder zu danken. Im ersten Schritt versuche ich, den Charaktereigenschaften der Region möglichst nahe zu kommen. (Region des Übergangs) Die früheren Arbeiten über die Region konzentrierten sich mehr auf die kommunistische Epoche und haben sie dergestalt unterteilt, dass ich den Unterschied zwischen der Zeit der direkten und der indi- rekten Unterdrückung mit den Metaphern der ägyptischen und der babylonischen Gefangenschaft beschrieben habe. 1 In der Publikation beziehen sich Personenbezeichnungen gleichermaßen auf Frauen und Männer, auch wenn dies in der Schreibweise nicht immer zum Ausdruck kommt. Vorwort IX Um die historische Region Ostmitteleuropas zu verstehen, sollte man nicht nur bis zur Nachkriegszeit zurückgehen, sondern viel weiter, mindestens bis zur Zeit der europäischen Nationenbildung im 18. und 19. Jahrhundert. Die auch für heute relevanten Regionsmerkmale kommen erst durch diesen weiteren historischen Blick zum Vorschein. Die geopolitische und geokulturelle Stellung dieser Region im liminalen Kampffeld zwischen großen Hegemonien bietet den tiefsten Inter- pretationsgrund. Eine ständige Suche nach einer stabilen und selbstbestimmten nationalen Identität einerseits und die gleichzeitig vorhandene Enttäuschung dieses Wunsches durch vielfältige Verwerfungen andererseits, sind das prägende Merkmal der Region aus historischer Perspektive, das sich im zeitgenössischen Diskurs in einem entsprechenden Ringen um die richtige Erinnerungspolitik niederschlägt. Heute kann man auch die Epoche nach der Wende unterteilen: Nach der frohen Restauration kam die skeptische Resignation. Und wenn man die oben genannte Metapher weiterdenken will, könnte man auch sagen: Nach der jubelnden Rückkehr aus Babylon verzögerte sich der Neubau des Tempels und verstummte der Jubel immer mehr. Die Region befindet sich heute in einer zweiten Welle der Freiheit, wobei eigentlich nicht mehr die Freiheit zu den am meisten befürworteten Werten gehört, sondern eher die Sicherheit. Die Erinnerungen an die Zeit der kommunistischen Unterdrückung sind immer noch präsent und bedienen sich auch des Begriffs der Kolonialisierung (Eine post- koloniale Welt in Europa). Die Nationen der Region waren durch die Sowjetunion kolonialisiert, und nun, nach der ersten Welle der Freiheit, wird die Europäische Union als eine neue kolonialisierende Macht betrachtet. Um diese Interpretation besser verstehen zu können, ist es hilfreich, die Ansätze der postkolonialen Theorie zu reflektieren. Das Wechselspiel der Auto- und Heteropoiese bezeichnet die kollek- tive Identitätssuche, es werden somit auch die fluiden Charaktere von historischen und kulturellen Tendenzen sichtbar. Nach der Klärung der wichtigsten Regionsmerkmale habe ich eine eigene Theorie dieser Kulturregion entworfen, die ich Theorie der Verwundung nenne. In meinen früheren Arbeiten habe ich die Theorien der kulturellen und religiösen Transforma- tionen danach analysiert, wie weit sie fähig sind, die speziellen Merkmale der Region zu erklären. Die Theorie der Modernität, der Säkularisierung, der Liminalität, der Zivilreligion schienen am meisten geeignet für die analytische Beschreibung der religiösen Dimensionen dieser Gesellschaften. Bevor ich auf die Idee der Theorie der Verwundung gekommen bin, habe ich die Theorie der „empty signifier“ von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe als Theorie der Religion für Ostmitteleuropa ausgearbeitet (Religion als leerer Signifikant). Diese theoretischen Arbeiten erwiesen sich als unersetzbare Vorbereitungen für meine eigene Theorie. IX X Vorwort Die Konzentration auf die Theorie der Verwundbarkeit von Mensch und ge- sellschaftlichem System hat in den letzten Jahren zugenommen. Als Anleitung zur Theorie der Verwundung habe ich die Ansätze von zwei herausragenden Wis- senschaftlern herangezogen. Der Körperphilosophie von Judith Butler (Vernetzte Körper – verletzte Identitäten) und der Soziologie von Brian S. Turner (Verletz- bare Institutionen) ist gemeinsam, dass sie beide vulnerability, die Verletzbarkeit der Körper und der Körperschaften, zum Ausgangspunkt nehmen. Hinter der neuen Empfindlichkeit für Verletzbarkeit stehen gesellschaftliche und kulturelle Erfahrungen von Westeuropa und den Vereinigten Staaten im 21. Jahrhundert. Dieselben Erfahrungen hat die Region Ostmitteleuropa seit zwei Jahrhunderten gemacht. Die Theorien von Butler und Turner zeichnen einen Weg, ausgehend von einer seriösen Stabilität in Richtung Instabilität, den sie Verletzbarkeit nennen, die Theorie der Verwundung reflektiert die Grunderfahrung der permanenten Instabilität und die unerfüllten Sehnsüchte nach Stabilität. Verletzbarkeit ist in der nordatlantischen Hemisphäre eher ein Grenzwert, in Ostmitteleuropa hingegen eher ein Normalwert. Auch wenn diese klare Gegenüberstellung etwas schematisch erscheint, denke ich doch, bewiesen zu haben, dass die Verwundung ein fundamentales Merkmal der Region Ostmitteleuropa ist, sie mag zwar auch in anderen Subregionen oder Gesellschaften Europas eine wichtige Rolle spielen, aber als erstrangiger Erklärungsgrund charakterisiert sie am meisten die Region Ostmitteleuropa (Verwundete kollektive Identität). Die Konzentration auf die geschichtlichen Wunden der Region sowie auf die Erinnerungskultur und -politik kann das heutige Erscheinungsbild der Region umrahmen und eine sensiblere Interpretation ermöglichen. Der aufkommende Po- pulismus ist von daher verständlicher, wie auch der enge Zusammenhang zwischen Unsicherheit und Panik auf der einen und dem Aufkommen von Populismen auf der anderen Seite. Bezüglich Populismus – als ein üblicher Vorwurf gegenüber den Gesellschaften der Region – wird aufgrund neuerer politologischer Literatur der allgemein als selbstverständlich geltende Gegensatz von Demokratie und Populis- mus relativiert und Populismus als ein Erklärungsansatz für Politik und Religion genommen (Populismus in Politik und Religion). Der Diskurs über das Christentum bekommt daher seinen regionalen Charakter. In den Subperioden der kommunis- tischen und nachkommunistischen Zeit wird der Begriff Christentum jeweils mit anderen Dimensionen gekennzeichnet. Für eine differenzierte Analyse der Rolle der Religion in der Öffentlichkeit ist es wichtig, die Pluralität der verschiedenen Begriffe des Christentums zur Kenntnis zu nehmen (Transformation des Christlichen). Die Tendenzen der Religiosität und die Entwicklungen der religiösen Institutionen werden daher in ihrer Relevanz für die Region verständlich. Was in den Werken Vorwort XI der Religionssoziologen als Pfadabhängigkeit registriert wird, stellt nach meiner Sicht den Ausgangspunkt dar, der weitere Forschungen sinnvoll erscheinen lässt. Nach den vielen Arbeiten von Kolleginnen und Kollegen anhand der Daten zur Religiosität in Ostmitteleuropa wurde es immer offensichtlicher, dass neben der Rolle der Religion im Denken und Leben der Einzelnen auch die Rolle der Religion in der Öffentlichkeit mehr geprüft werden muss. Vielleicht gehört die abweichende Stellung von Person oder Individuum zu den grundlegenden Unterschieden zwischen West- und Osteuropa. Während die Kollegen aus Westeuropa Religion eher von der persönlichen Religiosität her verstehen, scheinen die Kollegen in Ostmitteleuropa eher von einer kollektiven Religiosität auszugehen (Leutekirche und Volkskirche). Im abschließenden Kapitel konzentriere ich mich auch auf die öffentliche Rolle der Religion, aber noch mehr auf die Öffentlichkeitsdimensionen der Theologie. Es wird dabei neben den westchristlich-theologischen Tendenzen mehr Aufmerksam- keit den Tendenzen der christlichen Orthodoxie gewidmet. Es geht nicht um eine umfassende Deskription der verschiedenen theologischen Positionen, sondern um die gemeinsamen kulturellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – nicht nur um regionsspezifische Tendenzen, sondern auch um theologische Aufgaben bezüglich der religiösen und profanen Öffentlichkeit (Öffentliche Theologie in Ostmitteleuropa). Szeged, an Weihnachten 2018. Der Autor XI

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