Mechthild Cordes, Frauenpolitik Analysen Politik - Gesellschaft - Wirtschaft Eine Buchreihe herausgegeben von Göttrik Wewer Band 53 Mechthild Cordes Frauenpolitik: Gleichstellung oder Gesellschaftsveränderung Ziele - Institutionen - Strategien Leske + Budrich, Opladen 1996 Die Autorin: Mechthild Cordes, Sozialwissenschaftlerin, Trier ISBN 978-3-8100-1445-0 ISBN 978-3-322-97318-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-97318-4 © 1996 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhaJb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt 1. Zur aktuellen Situation von Frauen in Deutschland .... . 9 1.1. Soziale Ungleichheit zwischen Frauen und Männem ....... . 9 1.2. Die Ursachen der sozialen Ungleichheit ........................... . 13 1.2.1. Rechtsgleichheit und Verteilungsgleichheit ...................... . 14 1.2.2. Die patriarchale Gesellschaftsstruktur ............................... . 15 1.2.3. Absicherung und soziale Kontrolle ................................... . 19 2. Ziele von Frauenpolitik. .................................................. . 21 2.1. Basiskonzepte .................................................................... . 21 2.1.1. Gleichheit oder Differenz der Geschlechter ...................... . 21 2.1.2. Zum feministischen Politikbegriff. .................................... . 25 2.2. Politische Konsequenzen .................................................. . 27 2.2.1. Organisationsformen von Frauenpolitik ............................ . 28 2.2.2. Ziele von Frauenpolitik: Gleichstellung oder Gesellschaftsveränderung .................................................. . 29 3. Rechtspolitik als Frauenpolitik ...................................... . 33 3.1. Rechtsgleichheit im Grundgesetz ...................................... . 37 3.2. Rechtliche Verankerung der Gleichstellungspolitik .......... . 40 3.2.1. Gleichstellung oder Antidiskriminierung .......................... . 40 3.2.2. Gleichstellung als Bundes-oder Ländersache ................... . 42 3.3. Arbeits-, Sozial-und Familienrecht .................................. . 44 3.3.1. Gleichstellung im Erwerbsleben ....................................... . 45 3.3.2. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ................................ . 47 3.3.3. Probleme der individuellen Existenzsicherung ................. . 49 3.4. Strafrecht .......................................................................... . 50 3.4.1. Schwangerschaftsabbruch - § 218 StGB .......................... . 50 3.4.2. Vergewaltigung in der Ehe - §§ 177 ff StGB ................... . 54 5 4. Das politisch-administrative System .............................. . 57 4.1. Politische Partizipation von Frauen ................................... . 57 4.1.1 Zum Partizipationsbegriff. ................................................. . 57 4.1.2. Unkonventionelle Partizipation von Frauen ...................... . 59 4.1.3. Konventionelle politische Partizipation ............................ . 60 4.2. Frauen(politik) im politisch-administrativen System ........ . 63 4.2.1. Die Repräsentanz von Frauen in Parlamenten und Regierungen ...................................................................... . 64 4.2.2. Frauenpolitische Positionen der Parteien .......................... . 67 4.3. Frauen als Politikerinnen ................................................... . 73 4.3.1. Zur männlichen Strukturierung des politischen Systems .. . 73 4.3.2. Zum Konzept einer weiblichen Politik .............................. . 76 4.3.3. Wandel der politischen Kultur durch Frauen? .................. . 78 4.4. Chancen der Frauenpolitik im politischen System ............ . 80 5. Gleichstellungsstellen .............. ........................................ 85 5.1. Gleichstellungsinstitutionen von Bund und Ländern .. ....... 86 5.1.1. Gleichstellungseinrichtungen des Bundes.......................... 86 5.1.2. Gleichstellungseinrichtungen der Länder........................... 87 5.2. Kommunale Gleichstellungsstellen.................................... 89 5.2.1. Rahmenbedingungen.......................................................... 90 5.2.2. Arbeitsbereiche von Frauenbeauftragten............................ 96 5.2.3. Gleichstellungspolitik im Rahmen der Verwaltungsreform 97 5.3. Vernetzungen ..................................................................... 99 5.4. Die frauenpolitische Bedeutung institutionalisierter Gleichstellungspolitik ........................................................ 100 5.4.1. Beurteilung der Effektivität von Gleichstellungsstellen ..... 101 5.4.2. Gleichstellungsstellen als Institutionen der Frauenpolitik.. 102 6. Autonome Frauenpolitik................................. ... ...... ........ 105 6.1. Politik der autonomen Frauenbewegung ........................... . 105 6.1.1. Die Struktur der neuen Frauenbewegung .......................... . 105 6.1.2. Zum Politikverständnis der autonomen Frauenbewegung. 109 6.2. Politik der autonomen Frauenprojekte .............................. . 111 6.3. Die Wirksamkeit autonomer Frauenpolitik ....................... . 114 7. Mittel und Durchsetzungschancen .................................... 117 7.1. Parlamentarische Strategien................................ ............... 117 7.1.1. NutzungNeränderung der Wahlsysteme............................ 117 7.1.2. FrauenlistenlFeminat ......................................... ................ 120 6 7.1.3. Chancen einer Frauenpartei? ............................................. . 121 7.1.4. Lobbyarbeit und überparteiliche Koalitionen .................... . 123 7.2. Außerparlamentarische Strategien ..................................... . 124 7.2.1. Aktionen und der "Druck der Straße" ............................... . 124 7.2.2. Frauenstreik ....................................................................... . 125 7.3. Strategien institutionalisierter Gleichstellungspolitik ....... . 128 7.3.1. Frauenförderpläne ............................................................. . 128 7.3.2. Quotierung ........................................................................ . 130 7.3.3. Probleme von Frauenförderung und Quotierung ............... . 132 8. Gleichstellung oder Gesellschaftstransfonnation ............ 137 8.1. Grenzen bisheriger Gleichstellungspolitik ........................... 138 8.1.1. Strukturelle Begrenzungen ................................................... 138 8.1.2. Grenzen im Rahmen des politischen Prozesses.................. 140 8.2. Feministische Konzepte einer Gesellschaftstransformation 143 9. Frauenpolitik im internationalen Rahmen..................... 147 9.1. Sexismus und andere Formen der Ungleichheit.. ................. 148 9.2. Die blinden Flecken des weißen nördlichen Feminismus .. 151 9.3. Ziele einer Frauenpolitik im internationalen Rahmen ........ 154 Materialien ..................................................................................... 159 Literatur ............................................................................................ ·187 7 1. Zur aktuellen Situation von Frauen in Deutschland 1.1. Soziale Ungleichheit zwischen Frauen und Männern "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." - so bestimmt es das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Art.3 Abs.2. In sei ner neuen Formulierung von 1994 erfährt dieser Gleichberechtigungs grundsatz noch die Erweiterung: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männem und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Diese Ergänzung des Abs.2 zeigt, daß die soziale Realität mit den Verfassungsnormen offensichtlich nicht Schritt gehalten hat: Trotz der im Grundgesetz festgeschriebenen Gleichberechtigung von Männern und Frauen und trotz des Verbots einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist die bundesrepublikanische Gesellschaft gekennzeichet durch eine asymmetrische, geschlechtsspezifische Verteilung von öko nomischer, politischer, kultureller und symbolischer Macht, von Ein fluß, Repräsentation und Möglichkeiten zu Partizipation und Gesell schaftsgestaltung. Frauen sind - trotz aller Fortschritte und Verän derungen in den letzten Jahren - nach wie vor im Vergleich zu Män nem erheblich benachteiligt. Diese Ungleichheiten lassen sich besonders deutlich in den folgen den Bereichen nachweisen. I (1) Ungleichheiten in Bildung und beruflichen Startchancen Im Bereich der allgemeinen Schulbildung ist die geschlechtsspezifi sche Ungleichheit inzwischen weitgehend aufgehoben, während sie bei den Studienchancen weiterbesteht. An den westdeutschen Uni versitäten liegt der Frauenanteil unter den Studierenden nur bei ca. Vgl. hierzu u.a. Geißler 1991; Cordes/Begander 1993; BMJF 1992; Sta tistisches Bundesamt 1994. 9 41 %, wobei die Wahl des Studienfachs nach wie vor geschlechtsab hängig ist: in den sozialwissenschaftlichen Fächern sind Frauen über proportional, in den technischen Fächern im Westen weit unterpro portional vertreten. In der DDR lag der Anteil weiblicher Studierender dagegen insgesamt bei ca. 48%; aufgrund der staatlichen Förderung lag der Frauenanteil z.B in den ingenieurwissenschaftlichen Studien gängen bei 29%. Mit zunehmendem Qualifikationsniveau (Promotion, Habilitation) nimmt der Frauenanteil an den Universitäten kontinuierlich ab bis hin zu nur noch 3,5% bei den C4 Professuren. Ein ähnliches Ungleichgewicht läßt sich auch bei der beruflichen Bildung und der Berufswahl sowohl in der DDR als auch in verstärk tem Maße in der Bundesrepublik konstatieren: Mädchen konzentrie ren sich auf wenige Berufe und wählen vor allem die Berufe Büro kauffrau, Verkäuferin, Friseurin und Arzthelferin, während bei den Jungen die Berufswahlen stärker gestreut sind und sich bevorzugt auf technische Berufe mit höherer Bezahlung und besseren Berufschancen richten. Projekte, die die Öffnung von Männerberufen für Frauen zum Ziel hatten, haben diese Ergebnisse zumindest in den westlichen Bun desländern nicht nennenswert verändern können. (2) Ungleichheiten in der Arbeitswelt In der Arbeitswelt ist die geschlechtsspezifische Benachteiligung von Frauen besonders augenfällig. GeschlechtsspeziJische Arbeitsmärkte Entsprechend den Ergebnissen zur Berufswahl ist auch bei der Be rufsausübung eine deutliche Trennung zwischen Branchen und Beru fen festzustellen, in denen fast ausschließlich Männer bzw.Frauen ar beiten. Die frauenspezifischen Branchen und Arbeitsplätze sind in der Regel bezüglich Einkommen, Arbeitsbedingungen, Aufstiegschancen und Arbeitsplatzsicherheit schlechter ausgestattet als Männerarbeits plätze. Die Führungspositionen in den Frauenbranchen und -berufen werden in der Regel von Männern besetzt. Auch in der DDR zeigte sich ein ähnlicher Befund. Frauen hatten die unattraktiveren Arbeitsplätze inne; die Arbeit von Un- und Ange lernten in der Industrie war zu 60% Frauenarbeit. Führungspositionen Weit mehr Männer als Frauen erreichen berufliche Führungspositio nen, die mit Macht und Entscheidungskompetenz ausgestattet sind. Zwar sind Frauen auf der mittleren und unteren Führungsebene inzwi- 10 schen zunehmend vertreten, in der DDR häufiger als in der Bundesre publik. In den Spitzenpositionen der Wirtschaft sind sie jedoch nur noch zu 4 Prozent anzutreffen. Die Auslese für solche Positionen folgt eindeutig geschlechtsspezifischen Kriterien, wobei die geschlechts spezifische Arbeitsteilung und die daraus folgende Doppelbelastung von Frauen und ihr häufig diskontinuierliches Berufsengagement ne gativ verstärkend wirken. Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung Die Möglichkeiten der Teilzeitarbeit sowie der "geringfügigen" (d.h. nicht sozialversicherungspflichtigen) Beschäftigung werden fast aus schließlich von Frauen wahrgenommen. In den westlichen Bundes ländern war 1990 jede dritte Frau teilzeitbeschäftigt. Das Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen ist im allgemeinen auf weniger qualifizierte Ar beitsplätze beschränkt; die hochqualifizierten Positionen, die fast aus schließlich von Männern besetzt sind, werden aus "sachlichen Grün den" nicht als Teilzeitarbeit angeboten. Sowohl Teilzeitarbeit als auch geringfügige Beschäftigung bringen aber wesentliche finanzielle Nachteile und nur geringe bzw. keine soziale Sicherung mit sich; zu dem eröffnen sie keinerlei Aufstiegschancen. Beide Arbeitsformen erlauben keine ökonomische Selbständigkeit, sondern basieren auf dem Ernährer-Hausfrauen-Modell, bei dem die Frauen auf einen "Hauptverdiener" angewiesen sind. Die finanziellen Nachteile setzen sich linear in die Zeit nach der Berufsarbeit fort, weil die Rente an das Erwerbseinkommen gekoppelt ist; bei geringfügiger Beschäftigung fehlt eine Alterssicherung völlig. Wiedereinstieg und Berufsbiographien Von den erwerbstätigen Frauen hat jede zweite ihre Berufstätigkeit zur Wahrnehmung ihrer "Familienpflichten" mindestens einmal un terbrochen. Da diese Unterbrechungen im Verlauf der Berufsbiogra phie zum Zeitpunkt des eigentlichen Karriereaufbaus stattfinden, ha ben Frauen im Vergleich zur geradlinigen männlichen Berufstätigkeit verringerte Karriere- und Aufstiegschancen. Bei ihrer Einstellung schlägt die Möglichkeit einer Schwangerschaft negativ zu Buche; durch ihre Bindung an die Familie und die Belastung durch Familientätigkeiten ist zusätzlich ihre Verfügbarkeit hinsichtlich Zeit, Engagement und Mobilität verringert. All diese Faktoren bilden erhebliche Erwerbs und Karrierehindernisse. Der Wiedereinstieg in den Beruf nach einer familienbedingten Be rufsunterbrechung wird zwar durch staatliche Programme unterstützt, der (geschätzte) Bedarf übersteigt aber bei weitem das Angebot an 11