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Forum Classicum Forum Classicum PDF

68 Pages·2017·4.26 MB·German
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Heft 1/2017 2017 FFoorruumm CCllaassssiiccuumm ZEITSCHRIFT FÜR DIE FÄCHER LATEIN UND GRIECHISCH AN SCHULEN UND UNIVERSITÄTEN M. Hillgruber: „Wer kein Griechisch kann, kann gar nichts“ A. Beyer: Sprachbildung im Lateinunterricht E. Kaus: Völlig losgelöst? Zum sog. Abl. abs. W. Stroh: Ad Ioannem Pascoli poetam Latinum J. Blänsdorf: Entgegnung auf A. Schönberger www.altphilologenverband.de Zweisprachige Ausgaben mit neuen Übersetzungen Übers. und hrsg. von Regina Höschele NEU 300 S. · € 12,00 ISBN 978-3-15-019419-5 U2: Anzeige Reclam 4c NEU NEU Übers. und hrsg. von Ursula Blank-Sangmeister 173 S. · € 6,80 ISBN 978-3-15-019420-1 Übers. und hrsg. von Ursula Blank-Sangmeister 211 S. · € 7,00 ISBN 978-3-15-018019-8 Wir informieren Sie gerne über unsere speziellen Reclam Bezugsbedingungen für Lehrer. Tel.: 07156 -163155 | E-Mail: [email protected] 2 FC 1/2017 Editorial Im Vorwort zum Heft 1/1997 wies der Schrift- Sie die gewohnte Schrifttype, allerdings in etwas leiter Andreas Fritsch nicht nur auf den damals aufgelockerter Form. Eine Kopfzeile erleichtert neu eingeführten Namen Forum Classicum, die Orientierung. Die gesamte Redaktion hofft, sondern auch auf das neue Design hin, das das dass das neue Layout zum Lesevergnügen bei- Erscheinungsbild dieser Zeitschrift 20 Jahre trägt. Unser herzlicher Dank gilt Bettina Loos prägen sollte. Angesichts des Wechsels in der und Rüdiger Hobohm, die sich um das neue Redaktionsleitung erschien es als ein günstiger Design verdient gemacht haben! Zeitpunkt, sich an eine Frischzellenkur für das Noch ein Wort zum neuen Heft: Die intensiv äußere Erscheinungsbild des Forum Classicum geführte Diskussion um die Aussprache des zu machen. Sie treffen dabei auf viele vertraute Lateinischen schließen wir mit einem knappen Elemente: Das Titelblatt zeigt wieder das Statement von Jürgen Blänsdorf ab. Dass dieses Neumagener Schulrelief, auf das wir nicht ver- Heft auch inhaltlich wieder viel zu bieten hat, zichten wollten, da es schon seit Jahrzehnten liegt nicht zuletzt am großen Engagement untrennbar mit dem Mitteilungsblatt des DAV unserer Autorinnen und Autoren, denen an verbunden ist. Ferner finden sich nun die aus dieser Stelle ausdrücklich gedankt sei. Ich wün- dem Logo des DAV bekannten Farben als sche viel Vergnügen bei der Lektüre! Gestaltungsmittel. Im Heftinnern entdecken Stefan Kipf Michael Hillgruber „Wer kein Griechisch kann, kann gar nichts" 4 Andrea Beyer Sprachbildung im Lateinunterricht – Wie Phönix aus der Asche?! 10 Eberhard Kaus Völlig losgelöst? Überlegungen zum sogen. Ablativus absolutus und seiner Behandlung im Lateinunterricht 17 Wilfried Stroh Ad Ioannem Pascoli poetam Latinum Alcaico carmine cecinit Michael von Albrecht Notulis instruxit et Germanice vertit Valahfridus 24 Jürgen Blänsdorf Entgegnung auf A. Schönberger, FC 4/2016, 221-230 26 Personalia 30 Zeitschriftenschau 31 Besprechungen 42 Leserbrief 63 Impressum 64 Autoren des Heftes 65 Adressen der Landesverbände 66 FC 1/2017 3 Michael Hillgruber Aufsätze „Wer kein Griechisch kann, kann gar nichts“ In Zeiten, in denen das Griechische an Schulen 19. Mai 1594 datierten Brief autobiographischen und Universitäten um sein Überleben kämpft, Inhalts, in dem der große Gelehrte seinem nie- kommt ein Buch wie die von Jochen Schmidt derländischen Gönner Janus Dousa berichtet, vorgelegte Schmythologie gerade recht. Im er habe sich nach dem Tod seines Vaters, als er Verein mit der Zeichnerin Line Hoven demons- selbst gerade im neunzehnten Lebensjahr stand, triert der Autor auf ganz unkonventionelle nach Paris begeben, aus Liebe zur griechischen Weise, dass das Erlernen der griechischen Spra- Literatur und in der Annahme, dass man ohne che mit einem Erkenntnisgewinn verbunden deren Kenntnis gar nichts wisse: Anno aetatis ist, den man sich nicht entgehen lassen sollte, meae decimonono Lutetiam post obitum patris und schon aus diesem Grund verdient die Emp- petii litterarum Graecarum amore, quas qui fehlung zum Kauf des Werkes, die Ernst Vogt nescirent, omnia nescire putabam.1 kürzlich in dieser Zeitschrift veröffentlicht hat Nähere Erläuterungen zu der Schlussbemer- (FC 4/2015, 282f.), uneingeschränkte Unterstüt- kung finden wir in der Gedenkrede, die Sca- zung. Wenn wir hier nochmals auf das Thema ligers Schüler Daniel Heinsius auf seinen Lehrer zurückkommen, dann nur deshalb, weil der von gehalten hat. Demnach verfolgte Scaliger das Schmidt gewählte und auch von Vogt dankbar ehrgeizige Ziel, sich die Erkenntnisse aller Wis- aufgegriffene Untertitel des Buches eine inhalt- senschaften anzueignen, und zwar zusammen liche Erklärung geradezu herausfordert: „Wer mit den Sprachen, in denen diese Erkenntnisse kein Griechisch kann, kann gar nichts“. verewigt sind. Als er nun bemerkte, dass Grie- Wie Schmidt in seiner Einleitung zu Recht chenland die Mutter und gleichsam die Quelle feststellt, beruht die fragliche Aussage auf einer aller Wissenschaften ist, da kannte sein Eifer Bemerkung des Humanisten Joseph Justus beim Erlernen der griechischen Sprache keine Scaliger. Doch mit einer bloßen ‚Quellenan- Grenzen mehr: Nam cum terminos scientiarum gabe‘ ist es in diesem Fall nicht getan. So recht esse certos ac limites videret, uni autem immorari verständlich wird der provozierende Satz erst animi esse angusti iudicaret, omnes disciplinas dann, wenn man weiß, in welchen Zusammen- primus post memoriam hominum una cum linguis hang er gehört und welchen geistesgeschicht- pervagari aggressus est. Cum vero omnium scien­ lichen Hintergrund er hat. So wollen wir hier tiarum matrem et quasi fontem Graeciam videret den Versuch unternehmen, den Leitgedanken esse, praetermisso omni voluptatis studio, tanta vel der Schmythologie durch einen Blick in die contentione vel celeritate discendi linguam illam Geschichte der Klassischen Studien auf seine arripuit, ut grammaticorum tricis, nisi si quas e Wurzeln zurückzuführen. lectione poetarum sibi ipse regulas formaret, prae­ Zu diesem Zweck müssen wir zuerst die Stelle termissis uno et viginti diebus Homerum, reliquos ermitteln, an der sich Scaliger in dem erwähnten intra quartum mensem poetas, ceteros autem intra Sinne äußert. Sie findet sich in einem auf den biennium scriptores perdisceret.2 4 FC 1/2017 „Wer kein Griechisch kann, kann gar nichts“ Die Frage nach dem Sinn der von Scaliger Die besondere Stellung der griechischen Spra- getroffenen Aussage findet damit eine erschöp- che war also schon Erasmus in vollem Umfang fende Antwort: Wer kein Griechisch kann, der bewusst, und er begründete sie ganz ähnlich muss sich eingestehen, gar nichts zu können, wie Scaliger mit der Notwendigkeit, einen weil ihm ohne Kenntnis dieser Sprache die Welt direkten Zugang zu den Grundlagen unserer der Wissenschaften verschlossen ist. Noch Jahr- eigenen Kultur zu finden: Aliud enim est con­ zehnte nach seinem Studium ist Scaliger diese iicere, aliud iudicare, aliud tuis, aliud alienis Einsicht so wichtig, dass er sie in pointierter oculis credere.6 Die Einlösung des in diesem Form in seine Autobiographie einfließen lässt, Satz liegenden Anspruchs war nach Ansicht und in seiner Jugend setzte sie Kräfte in ihm frei, des Erasmus jede Anstrengung wert,7 und er über die man nur staunen kann; die griechische selbst war mit gutem Beispiel vorangegangen. Sprache hat wohl niemand mehr auf so schnelle Zum Zeitpunkt des Briefes an Colet hatte er und ungewöhnliche Weise erlernt wie Scaliger bereits drei Jahre in die Beschäftigung mit der nach seiner Ankunft in Paris.3 griechischen Literatur investiert und dabei Wo aber hat der Gedanke von der nach eigener Einschätzung zumindest einige Unentbehrlichkeit des Griechischen seinen Fortschritte in der Aneignung der schwierigen Ursprung? Wie sich zeigen lässt, war Sca- Materie erzielt: itaque iam triennium ferme liger keineswegs der erste, der sich durch literae Graecae me totum possident, neque mihi die Aussicht auf reiche sachliche Belehrung videor operam omnino lusisse.8 für das Erlernen dieser Sprache begeisterte. Nun dürfen wir aber auch bei Erasmus nicht In ganz ähnlicher Weise wie er äußerte sich stehenbleiben, wenn wir zu den Ursprüngen des bereits neunzig Jahre zuvor der nicht minder von Jochen Schmidt bemühten Satzes vordrin- berühmte Humanist Erasmus von Rotterdam, gen wollen. Denn die Worte, mit denen Erasmus als er mit Vorbereitungen zu einer neuen Auf- seine Aussage einleitet (expertus video), lassen lage der Adagia beschäftigt war, in die auch zumindest die Möglichkeit offen, dass der darin Zitate aus den Werken griechischer Autoren enthaltene Gedanke schon vor ihm entwickelt einfließen sollten.4 In einem auf den Dezember wurde, und tatsächlich gibt es ein bisher wenig 1504 zu datierenden Brief an seinen englischen beachtetes literarisches Zeugnis, das diese Förderer, den Theologen John Colet, schrieb Annahme bestätigt.9 Erasmus, er befasse sich jetzt zwar mit Gegen- Es handelt sich um ein Gedicht des west- ständen von eher schlichter Natur, aber solange fälischen Frühhumanisten Alexander Hegius, er in den Gärten der Griechen verweile, pflü- das den Nutzen des Griechischen preist, indem cke er so manches, was ihm später auch bei es all die Disziplinen aufzählt, in denen das der Erklärung der Heiligen Schrift nützlich Erlernen der griechischen Sprache mit einem sein werde; denn wenn er irgendetwas aus sachlichen Erkenntnisgewinn einhergeht.10 Erfahrung bestätigen könne, dann dies, dass Dabei wird der Blick zunächst auf ganz elemen- wir in keiner Wissenschaft zu nennenswerten tare Gegenstände der Grammatik gelenkt, und Leistungen fähig sind ohne das Griechische: wenigstens die hierauf bezüglichen Verse wollen Nam hoc unum expertus video, nullis in literis wir ausschreiben, um einen Eindruck von der nos esse aliquid sine Graecitate.5 Anlage des Ganzen zu vermitteln (V. 1-6): FC 1/2017 5 Michael Hillgruber Quisquis grammaticam vis discere, gen will, spricht doch alles dafür, dass Erasmus discito Graece. dem Gedicht über den Nutzen des Griechischen Ut recte scribas, non prave, discito Graece. gedanklich verpflichtet war, als er seinen Brief an Si Graece nescis, corrumpis nomina rerum. Colet schrieb. Denn es war gerade ein Jahr zuvor Si Graece nescis, male scribis nomina rerum. als Teil einer größeren Sammlung von Gedichten Si Graece nescis, male profers nomina rerum. des Hegius aus dessen Nachlass veröffentlicht Lingua Pelasga vetat vitiosos scribere versus. worden,15 und diese Sammlung war Erasmus Wie man unschwer erkennt, beschränkt sich persönlich gewidmet, da er in seiner Jugend das Gedicht auf eine einzige Botschaft, die in eine Zeitlang dieselbe Schule besucht hatte, der immer neuen Anläufen mit nur geringfügigen Hegius als Rektor vorstand: die Stiftsschule im Variationen im Ausdruck vermittelt wird: „Wer holländischen Deventer.16 Ob sich die beiden im kein Griechisch kann, kann gar nichts“ (si Unterricht wirklich begegnet sind, ist unsicher.17 Graece nescis ...). Auch die folgenden Verse, die Aber im nachhinein gab sich Erasmus jedenfalls den Blick auf weitere, durchaus anspruchsvol- gern als Schüler des Hegius aus,18 und natürlich lere Gegenstände richten, ordnen sich diesem hat er auch die ihm gewidmete Gedichtsamm- Gedanken unter: Wer den Plinius, die Heilige lung eifrig studiert; das wird durch zwei Zitate, Schrift oder den Hieronymus studieren will, die er bei passender Gelegenheit in sein eigenes der lerne Griechisch (V. 7-9).11 Wer sich Kennt- Werk eingestreut hat, zweifelsfrei bezeugt.19 nisse in den Freien Künsten aneignen will So werden wir also auf unserer Spurensuche (Grammatik, Logik, Rhetorik, ‚Mathematik‘), über Scaliger und Erasmus bis in die Anfänge der der lerne Griechisch (V. 10-13).12 Auch an den humanistischen Bewegung nördlich der Alpen angehenden Arzt richtet sich dieselbe Auffor- zurückgeführt. Schon vor mehr als fünfhundert derung, da in der medizinischen Fachsprache Jahren hat ein reformfreudiger Pädagoge, der die alle Krankheiten griechische Namen tragen Schule in Deventer „zu einer Musterschule des (V. 14-15), und dass die Bezeichnungen für die Abendlandes entwickelte“,20 die Unverzichtbar- rhetorischen Figuren der griechischen Sprache keit des Griechischen bei jeglichen Bildungsan- entnommen sind, ist ohnehin klar (V. 16).13 So strengungen in einprägsame Verse gefasst und kann Hegius zum Abschluss feierlich verkünden damit nicht nur auf Erasmus gewirkt, sondern (V. 17-19): auch Generationen von Schülern und Studenten Artes ingenuae Graio sermone loquuntur, beim Erlernen der griechischen Sprache beglei- non alio; quibus haud nomen dat lingua Latina. tet; denn im 16. Jahrhundert fand das Gedicht Ad summam doctis se[d] debent singula Graecis.14 des Hegius Eingang in die weit verbreitete grie- Die sachlichen Übereinstimmungen mit dem chische Elementargrammatik des flämischen Bekenntnis des Erasmus sind offensichtlich. Humanisten Nicolaus Clenardus (Institutiones Derselbe Gedanke, den dieser in der Form einer in linguam Graecam),21 und von hier aus gelangte Sentenz zusammenfasst, ist hier in aller Breite es dann auch in griechische Lexika, die sich im entfaltet, und wenn auch nicht zu übersehen ist, Unterricht lange Zeit behaupteten.22 dass Erasmus die wissenschaftlichen Ansprüche Nachzutragen bleibt nur, dass auch das eines Gelehrten definiert, Hegius dagegen den Gedicht des Hegius seine Vorgeschichte hat. Griechischunterricht an der Schule rechtferti- Denn Hegius kam erst relativ spät durch seinen 6 FC 1/2017 „Wer kein Griechisch kann, kann gar nichts“ Freund Rudolf Agricola mit dem Griechischen den Abschluss unserer kleinen Untersuchung in Berührung, und dieser war seinerseits zu bilden soll: scio enim plerosque esse qui eam (sc. einer gründlichen Beschäftigung mit der grie- litterarum Graecarum scientiam) Latinis litteris chischen Sprache angeregt worden, als er sich necessariam esse negent, qui, quoniam ignari in den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts zu ipsi sunt, optarent reliquos inscitiae suae pares Studienzwecken in Italien aufhielt.23 Besonde- esse, ut inter ceteros si non superiores saltem nec ren Einfluss auf ihn hatte damals der in Ferrara inferiores iudicarentur.25 lehrende Humanist Battista Guarino, und es Anmerkungen: ist gewiss kein Zufall, dass sich in einer päda- 1) Josephi Scaligeri ... epistolae omnes quae reper- gogischen Schrift dieses Mannes, dem bereits iri potuerunt, nunc primum collectae ac editae, 1459 erschienenen Traktat De ordine docendi et Leiden 1627, 51. – Eine englische Übersetzung studendi, einige Aussagen über die Bedeutung des autobiographischen Briefes (Epistola de vetustate et splendore gentis Scaligerae) bietet des Griechischen finden, die im Gedicht des G.W. Robinson, Autobiography of Joseph Sca- Hegius wiederkehren. liger; with autobiographical selections from his So hofft schon Guarino, die Schwächen letters, his testament and the funeral orations seiner Studenten in der lateinischen Ortho- by Daniel Heinsius and Dominicus Baudius. Translated into English for the first time with graphie beheben zu können, indem er sie zu introduction and notes, Cambridge (Mass.) einem Studium des Griechischen anhält, ja er 1927 (das Zitat hier 30f.). – Nur erwähnt und weiß sogar von einem empörenden Vorfall zu mit einer kurzen historischen Einordnung versehen, nicht aber im Wortlaut abgedruckt berichten, der ihn in dieser Haltung mehr denn ist der Brief in der neuen Gesamtausgabe der je bestärkte. Hatten doch einige ahnungslose Scaliger-Briefe von P. Botley und D. van Miert: Studenten die Dreistigkeit, das fehlerhafte The Correspondence of Joseph Justus Scaliger, Patronymikon Tytides, das sie in irgendeiner 8 Bde., Genf 2012 (hier Bd. 2, 386f.). 2) Danielis Heinsii orationes, Leiden 1612, 6 (eng- verdorbenen Handschrift gelesen hatten, in die lische Übersetzung bei Robinson – oben Anm. von seinem Vater eigenhändig verfasste Gram- 1 – 75f.). In der Beschreibung der Methoden, matik des Lateinischen nachträglich einzufügen: die Scaliger bei der Erlernung des Griechischen at si quid litterarum Graecarum delibassent, anwandte, lehnt sich Heinsius eng an dessen eigene Darstellung in dem oben erwähnten ‚Tydides‘, non ‚Tytides‘ legi deberi cognovissent Brief an. (Kap. 12 Ende).24 3) Bezeichnend ist eine Bemerkung des britischen Ferner ist Guarino – ebenso wie Hegius Althistorikers Edward Gibbon über seine Bemü- hungen, dem Beispiel Scaligers nachzueifern: „As – fest davon überzeugt, dass Kenntnisse der soon as I had given the preference to Greek, the griechischen Prosodie für das Schreiben kor- example of Scaliger and my own reason deter- rekter lateinischer Verse von großer Bedeutung mined me on the choice of Homer, the Father of sind (Kap. 16), und da diese Meinung damals poetry, and the bible of the ancients: but Scaliger ran through the Iliad in one and twenty days, and keineswegs von allen geteilt wurde, vertritt I was not dissatisfied with my own diligence for er sie nicht nur mit besonderem Nachdruck, performing the same labour in an equal number sondern bedenkt seine Kritiker auch noch mit of weeks“ (Memoirs of My Life, ed. G.A. Bonnard, London 1966, 118). einem boshaften Seitenhieb, der gerade heute 4) In der ersten Auflage der Adagia, den Collecta- in Zeiten schwindender Griechischkenntnisse nea aus dem Jahr 1500 (ASD II 9), hatte Erasmus eine besondere Aktualität besitzt und daher die griechischen Sprichwörter noch vorwiegend FC 1/2017 7 Michael Hillgruber auf der Grundlage lateinischer Quellentexte in der auch das Gedicht über den Nutzen des präsentiert. Griechischen Erwähnung findet, verdanken wir 5) Opus epistolarum Des. Erasmi Roterodami, ed. N. Schauerte: Alexander Hegius. Ein Pädagoge P.S. Allen, Bd. 1, Oxford 1906, 406 (ep. 181,90- an der Schwelle zum Humanismus, Westfälische 92). Zeitschrift 151/152 (2001/2002), 47-68. 6) Opus epistolarum ... (oben Anm. 5) ep. 181,92sq. 11) Bei den libri sacri, die hier zwischen Plinius und 7) In dem Widmungsbrief an William Blount, Hieronymus genannt werden, ist an die Vulgata der die Ausgabe der Adagia von 1508 einleitet, gedacht, deren Verständnis durch Kenntnisse kleidet Erasmus seine Klage über die mangeln- des Griechischen gefördert werden soll; der den Griechischkenntisse seiner Zeitgenossen in griechische Urtext des Neuen Testaments lag die Worte: quamvis eruditionis umbram citius noch nicht in gedruckter Form vor (darum amplectimur quam id sine quo nulla constat kümmerte sich erst Erasmus). eruditio, et a quo uno disciplinarum omnium 12) Während den drei Künsten des Trivium (Gram- synceritas pendet (ASD II 1 p. 24 l. 61sq.). matik, Logik, Rhetorik) jeweils ein Vers gewid- 8) Opus epistolarum … (oben Anm. 5) ep. 181,34- met ist (V. 10-12), begnügt sich Hegius beim 36. Quadrivium mit einem pauschalen Hinweis auf die ‚Mathematik‘ (V. 13), die er ganz im Sinne 9) Mit der Möglichkeit, dass Erasmus eine damals Cassiodors als Oberbegriff für die vier in diesem bereits verbreitete Ansicht wiedergibt, rechnete Bereich angesiedelten Fächer verstanden wissen schon R. Pfeiffer. Hatte er sich in den fünfziger will: mathematica, quae quattuor complectitur Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch mit disciplinas id est arithmeticam geometricam der Feststellung zufriedengegeben, dass das Wort musicam et astronomicam (Inst. 2 praef. 4, p. des Erasmus „von ihm selbst oder aus seinem 92,3-5 Mynors). Kreis stammt“ (Von der Liebe zu den Griechen, abgedruckt in: R. Pfeiffer, Ausgewählte Schriften, 13) Der Übergang von der Medizin zu den Stilfiguren München 1960, 285), nahm er später an, Erasmus ist hart, lässt sich aber nachvollziehen, wenn man referiere in seinem Brief an Colet einen Satz, bedenkt, dass Hegius schon bei der Arztkunst der von diesem selbst geprägt worden sei (Die ausschließlich die griechische Begrifflichkeit Klassische Philologie von Petrarca bis Momm- vor Augen hat, ohne an den Inhalt der medizi- sen, München 1982, 97). Nachweisen lässt sich nischen Wissenschaft zu denken. – Der Versuch das freilich nicht; denn bei Colet taucht der von Nauwelaerts (oben Anm. 10), die figurae fragliche Gedanke erst in einem Brief aus dem als ‚Gliedmaßen‘ zu verstehen und damit den Jahr 1516 auf, und dort könnte es sich auch um ganzen Vers 16 (Argolicum nomen cunctis liquet eine bewusste Wiederaufnahme der von Erasmus esse figuris) noch dem Abschnitt über die Medi- gewählten Formulierung handeln: Nam nunc zin zuzuordnen, kann nicht überzeugen, da ein dolor me tenet, quod non didicerim Graecum solcher Wortgebrauch nirgendwo zu belegen ist. sermonem, sine cuius peritia nihil sumus (Opus 14) Der letzte Vers ist durch einen Druckfehler epistolarum Des. Erasmi Roterodami, ed. P.S. entstellt, dem man schon bei der Aufnahme Allen, Bd. 2, Oxford 1910, 257, ep. 423,13-15). des Gedichts in die Grammatik des Clenardus 10) Eine moderne Edition des Gedichts über den (unten Anm. 21) zu beheben versuchte, indem Nutzen der griechischen Sprache (De utilitate man die Worte sed debent durch die passive Graecae linguae) mit niederländischer Überset- Verbform debentur ersetzte. Viel leichter ist zung und Kommentar bietet die Gesamtausgabe jedoch eine Änderung in se debent: „jedes ein- der Hegius-Gedichte von J.C. Bedaux: Hegius zelne verdankt sich (d. h. seine Existenz) den Poeta. Het leven en de Latijnse gedichten van gelehrten Griechen.“ Ein schönes Beispiel für Alexander Hegius, Diss. Leiden, Deventer 1998 diesen Sprachgebrauch liefert Ovid in seinem (Carmen 22). Eine ältere Spezialausgabe (eben- neunten Heroidenbrief, in dem er Deianeira falls mit niederländischer Übersetzung und zu Herakles sagen lässt: se tibi pax terrae, tibi Kommentar) stammt von M.A. Nauwelaerts: se tuta aequora debent (V. 15); weitere Belege Hegius. Het nut van het Grieks, Nova et vetera sind gesammelt bei S. Casali im Kommentar zur 32 (1954/55), 235f. – Eine Gesamtwürdigung des Stelle: P. Ovidii Nasonis Heroidum epistula IX. Hegius auf dem aktuellen Stand der Forschung, Deianira Herculi, Florenz 1995, 56. 8 FC 1/2017 „Wer kein Griechisch kann, kann gar nichts“ 15) Alexandri Hegii Gymnasiarchae iampridem Daventriensis moderabatur, in quo nos olim Daventriensis … carmina et gravia et elegantia admodum pueri utriusque linguae prima didici­ cum ceteris eius opusculis, Deventer 1503. mus elementa, vir (ut paucis dicam) praeceptoris 16) Der Herausgeber der Sammlung Jakob Faber simillimus, tam inculpatae vitae quam doctrinae (auch er ein Absolvent der Schule in Deventer) non trivialis, in quo unum illud vel Momus ipse kommt in seinem Widmungsbrief (abgedruckt calumniari fortasse potuisset, quod famae plus bei Allen – oben Anm. 5 – 384-388) mehrfach aequo negligens nullam posteritatis haberet rati­ auf die besondere Beziehung zu sprechen, die onem (ASD II 1 p. 440 l. 812-819). ihn mit Erasmus verbindet. So redet er ihn 19) Das eine Zitat (Carmen 10,12) findet sich in De gleich zu Beginn als denjenigen an, mit dessen contemptu mundi (ASD V 1 p. 66 l. 714sq.), das Segen er die gelehrten Schriften des gemein- andere (Carmen 12,13-16) in Adagium 1181 samen Lehrers (communis preceptoris ... lucu­ (ASD II 3 p. 194 l. 444-450). bratiunculas) drucken lassen wolle (ep. 174,1); 20) H. O. Burger, Renaissance, Humanismus, Refor- einige Zeilen später (ep. 174,9sq.) hebt er hervor, mation. Deutsche Literatur im europäischen wie viel er dem Lehrer verdanke, unter dem sie Kontext (Frankfurter Beiträge zur Germanistik beide, wenn auch nicht zur selben Zeit, ‚gedient‘ 7), Bad Homburg 1969, 216. hätten (non sum nescius quantum preceptori, 21) Enthalten ist das Gedicht erstmals in der von sub quo meruimus non tempore uno eodemque, Ch. Wechel besorgten Pariser Ausgabe der debeam), und gegen Ende heißt es noch einmal: Institutiones von 1534 (die Editio princeps accipe nunc preceptoris nostri carmina gravis­ stammt von 1530); danach erscheint es in sima (ep. 174,92sq.). zahlreichen Neuauflagen des 16. und frühen 17) L. Jardine schließt ein engeres Lehrer-Schü- 17. Jahrhunderts (die genauen Nachweise bei L. ler-Verhältnis mit dem Hinweis aus, dass Hegius Bakelants / R. Hoven, Bibliographie des Œuvres in der Funktion des Rektors, die er seit 1483 de Nicolas Clénard 1529-1700, Bd. 1, Verviers innehatte, nur die oberste Klasse unterrichtete, 1981, 28f. unter Nr. 35); die Überschrift lautet Erasmus die Schule jedoch wegen eines Aus- stets Alexandri Hegii Magni illius D. Erasmi bruchs der Pest im Jahr 1484 vorzeitig verließ Roterodami quondam praeceptoris de utilitate (Erasmus, Man of Letters. The Construction of Graecae linguae ὁμοιοτέλευτα. Charisma in Print, Princeton 1993, 70 u. 235 22) Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien Anm. 14). Tatsächlich spricht Erasmus in seinem hier genannt: Erasmus Schmidt, Cyrilli vel Compendium vitae davon, er habe Hegius ut alii volunt Johannis Philoponi opusculum nur an Festtagen gehört, an denen dieser mit utilissimum de differentiis vocum Graecarum öffentlichen Lesungen in Erscheinung trat: post quoad tonum, spiritum, genus …, Wittenberg aliquoties audivit Hegium, sed non nisi diebus 1615. – M. Johannis Bentzii Thesauri Latini- festis quibus legebat omnibus (Opus epistolarum tatis purae compendium primum in gratiam – oben Anm. 5 – p. 48 l. 39sq.). Immerhin dürfte studiosae juventutis denuo excusum et pro Erasmus gerade auf diesem Wege schon das eine uberiori literarum profectu Graecis vocabu- oder andere Gedicht des Hegius kennengelernt lis auctum a M. Nicolao Ferbero, Straßburg haben; denn wie uns Faber in seinem Widmungs- 1665 (in der Praefatio von M.J.H. Rapp wird brief (oben Anm. 16) wissen lässt, waren es eben das Hegius-Gedicht nicht nur vollständig solche Anlässe, zu denen Hegius seine poetischen ausgeschrieben, sondern auch noch mit der Werke vortrug: pleraque eius carmina gravissima, Bemerkung kommentiert: videtis ergo, animae que quotannis ut moris est dedit (Opus epistola- dulcissimae, quod rotundo ille vir loquutus fuerit rum – oben Anm. 5 – ep. 174,58). ore, qui Graecam eruditionem omnis scientiae 18) Getragen sind solche Bekenntnisse meist von matrem esse dixit). – Cornelii Schrevelii Lexicon dem Wunsch des Erasmus, seine eigene Person manuale Graeco-Latino-Italicum iuxta editio- über Hegius auch noch mit dessen Lehrer Rudolf nem Amsterodamensem 1709 nuper impressum Agricola in Verbindung zu bringen. So heißt es et Italica interpretatione auctum a Bernardo etwa in einem Exkurs zu Adagium 339: mihi Bellini, Cremona/Verona 1821. admodum adhuc puero contigit uti praeceptore 23) Zur Freundschaft Agricolas mit Hegius vgl. huius (sc. Agricolae) discipulo Alexandro Hegio Schauerte (oben Anm. 10) 51-53. – Agricolas Vuesphalo, qui ludum aliquando celebrem oppidi FC 1/2017 9 Andrea Beyer Studien in Italien behandelt ausführlich A. (Education and Society in the Middle Ages and Sottili, Die humanistische Ausbildung deutscher Renaissance 26), Leiden 2006, 211-297 (hier Studenten an den italienischen Universitäten 244-297). im 15. Jahrhundert: Johannes Löffelholz und 24) Die Schrift Guarinos ist zitiert nach der latei- Rudolf Agricola in Padua, Pavia und Ferrara, nisch-englischen Ausgabe von C.W. Kallendorf: in: D. Hacke / B. Roeck (Hgg.), Die Welt im Humanist Educational Treatises, Cambridge Augenspiegel. Johannes Reuchlin und seine Zeit (Mass.) 2002, 260-309 (hier 274). – Bei der (Pforzheimer Reuchlinschriften 8), Stuttgart lateinischen Grammatik handelt es sich um die 2002, 67-132 (hier 94-132); wieder abgedruckt Regulae grammaticales des Guarino von Verona in: ders., Humanismus und Universitätsbesuch. aus dem Jahr 1418. Die Wirkung italienischer Universitäten auf 25) Kap. 16 Anfang (276/278 Kallendorf). die Studia Humanitatis nördlich der Alpen Michael Hillgruber Sprachbildung im Lateinunterricht – Wie Phönix aus der Asche?! Eine klassische Sprache zu erlernen, war bis sprachbildend tätig werden als in einem Fach, vor etwa drei bis vier Jahrzehnten noch Kin- in dem Deutsch Unterrichts-, Arbeits- und dern aus Akademikerfamilien oft vorbehalten, Zielsprache zugleich ist und in dem auch die doch inzwischen hat sich die Klientel erheblich Inhalte – literarische und halbliterarische Texte verändert: Sie ist in jeder Hinsicht heterogener – Anlass zur intensiven Spracharbeit bieten? und herausfordernder denn je, gleichzeitig Nicht zu vergessen ist dabei, dass im Rahmen bietet jedoch gerade diese Veränderung eine der fachimmanenten Übersetzungstätigkeiten Zukunftsperspektive für einen allgemeinbil- eine stete Sprachreflexion erfolgen sollte und so denden Lateinunterricht. Und obwohl traditio- kontinuierlich das Sprachbewusstsein fortent- nelle Bildung oder gar humanistische Bildung wickelt werden kann. Wenn dies automatisch für gewöhnlich in der Schulpolitik eher klein Sprachbildung bedeutete, endete der Artikel geschrieben wird, verlangt eben diese seit weni- hier mit dem Vermerk: Das machen wir ja schon gen Jahren doch wieder eine Bildung, nämlich alles, einfach weiter so! Aber dem ist nicht so, die Sprachbildung! Wenn das keine Steil- da Sprachbildung mehr bedeutet, als bisher vorlage für den Lateinunterricht ist!1 angeklungen ist und wie im Folgenden gezeigt werden soll. Wie Schulpolitik unbeabsichtigt eine neue Perspektive aufzeigt … Sprachbildung – Lässt man nämlich bei der Rechtfertigung des gefordert und bisher nicht definiert Lateinunterrichts einmal alle positiven Argu- Der Begriff Sprachbildung – interessanterweise mente aus der Legitimationsapologetik beiseite, heißt es nicht Sprachschulung3 – ist im Rahmen so bleibt neben dem Eigenwert der klassischen des FörMig-Programm in Hamburg4 aus dem Sprache Latein vor allem die stete Spracharbeit Begriff der Sprachförderung hervorgegangen, an der deutschen Standardsprache.2 In welchem der selbst verworfen wurde, weil Förderung Unterrichtsfach ließe sich demnach besser wie Förderunterricht klinge und daher auch 10 FC 1/2017

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tare Gegenstände der Grammatik gelenkt, und wenigstens die hierauf bezüglichen Verse wollen . des Gedichts in die Grammatik des Clenardus. (unten Anm. 21) zu beheben versuchte, indem man die vivere dicit, quod immortalis sit, sed quod hoc tempore magis quam aliae linguae verum dicere
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