Lehr- und Forschungstexte Psychologie 5 Herausgegeben von D.Albert, K.Pawlik, K.-H.Stapf und W.Stroebe Fortschritte der Experi mental psychologie Hamburger Mittagsvorlesungen 1983 Kurt Pawlik Herausgegeben von Spri nger-Verlag Berlin Heidelberg NewYork Tokyo 1984 Kurt Pawlik Psychologisches Institut I der Universität Hamburg Von-Melle-Park 11,0-2000 Hamburg 13 ISBN -13: 978-3-540-13252-3 e-ISBN -13: 978-3-642-69631-2 001: 10.1007/978-3-642-69631-2 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Daten verarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54, Abs. 2 UrhG werden durch die ,Verwertungsgesellschaft Wort', München, wahrgenommen. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1984 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. 2126/3140-543210 Heinrich Düker, dem Begründer der Tagungen experimentell arbeitender Psychologen, in herzlicher Verbundenheit Vorwort In der Prograrnmp1anung der 25. Tagung experimentell arbeitender Psycho logen, die vom 27. - 31. März 1983 an der Universität Hamburg stattfand, wurde für jeden der vier Veranstaltungstage als P1enarvortrag eine Mit tagsvorlesung eines geladenen Gastreferenten vorgesehen. Die Themen der Mittagsvorlesungen sollten je für sich und in ihrer Summe der gewachse nen Breite der experimentellen Psychologie gerecht werden. Es war mir daher eine besondere Freude, daß die Kollegen C1yde Coombs (Ann Arbor, Michigan, USA), Jeffrey Gray (Oxford, England), Erich Mittenecker (Graz, österreich) und Gery d'Ydewa11e (Louvain, Belgien) sich auf meine Bitte spontan bereit erklärten, eine Mittagsvorlesung zu halten. Von den Ta gungsteilnehmern wurden diese P1enarvorträge mit großem Interesse auf genommen, dokumentieren sie doch, aus je unterschiedlicher Perspektive, Stand und Fortschritte der Experimentalpsychologie in dieser Zeit. Mit der Veröffentlichung der" vier Vorlesungen (in überarbeiteter Fassung) in diesem Band der Lehr- und Forsahungstexte PsyahoZogie sollen sie für die Teilnehmer der Hamburger Ostertagung in gedruckter Form festgehal ten und darüber hinaus auch einem breiteren Kreis zugänglich gemacht werden. Unter diesem Dokumentationsgesichtspunkt werden die in engli scher Sprache gehaltenen Vorträge in der Originalsprache und nicht in übersetzung vorgelegt. Ich danke den vier Gastreferenten der Hamburger Ostertagung für die schnelle überarbeitung ihrer Manuskripte zur Veröffentlichung in diesem Band. Dieser soll Heinrich Düker, dem Begründer der experimentalpsycho logischen Ostertagungen, in Dankbarkeit für seinen nimmermüden Einsatz um den Wiederaufbau der experimentellen Psychologie nach dem 2. Welt krieg gewidmet sein. Hamburg, im August 1983 Kurt Paw1ik Inhaltsverzeichnis Kurt Pawlik (Hamburg): 25. Tagung experimentell arbeitender Psychologen an der Universität Hamburg: Vorbemerkung des Veranstalters der Tagung ••.••.•.••••••••• Erich Md:ttenecker (Graz, österreich): Die Wiederentwicklung der deutschsprachigen Experimentellen Psychologie nach dem Krieg - ein persönlicher Rückblick............ 4 Clyde H. Coombs (Ann Arbor, Michigan, USA): Theory and Experiment in Psychology. ..•.•••.••••••.•••.•••....••••••• 20 Gery d'Idewalle (Leuven, Louvain, Belgium): Motivational Issues in Information-Processing Experiments •.•...••. 31 Jeffrey Gray (Oxford, England) : The Neuropsychology of Anxiety ••...•••••••....•.••••••••••••••••••• 52 25. Tagung experimentell arbeitender Psychologen an der Universität Hamburg: Vorbemerkung des Veranstalters der Tagung1 Kurt Pawlik Universität Hamburg Mit dieser 25. Tagung erreichte die - gemessen an den großen Kongressen unseres Faches junge - Tradition der Experimentalp~ychologischen Oster tagungen ihr erstes Vierteljahrhundert-Jubiläum. Dieses erinnert an den Wiederaufbau der experimentellen Psychologie nach 1950 und an jene erste Tagung experimentell arbeitender Psychologen, zu der Heinrich Düker in der Woche vor Ostern 1959 nach Marburg eingeladen hatte. Durch die Ple narvorträge (Mittagsvorlesungen) der vier Gastreferenten Clyde Coombs, Jeffrey Gray, Erich Mittenecker und Gery d'Ydewalle sollte der Jubi läumscharakter der Tagung unterstrichen werden. Gäste geben einer Feier Glanz! Jubiläen legen auch Rückblicke nahe. Entwicklung und Fortschritte der Experimentalpsychologie in den letzten zwei Jahrzehnten spiegeln sich eindrucksvoll auch in den Programmen der jährlichen Ostertagungen wider. Wechselnde Programmschwerpunkte reflektieren dabei zugleich markante Entwicklungstrends der neueren Geschichte unseres Fachs. So nahmen auf der Ostertagung 1983 insbesondere Arbeitskreise zur Kognitiven und Sprachpsychologie, zur Physiologischen und Neurospychologie und zur Sozialpsychologie breiten Raum im Programm ein, während beispielsweise Fragestellungen der Wahrnehmungs- und Denkpsychologie nur in wenigen Referaten behandelt wurde. Da auch in diesem Jahr die eingegangenen Anmeldungen wieder keiner thematischen Selektion unterworfen wurden, gibt die Themenvariation daher Eindruck von den aktuellen Forschungs schwerpunkten der deutschsprachigen Experimentalpsychologie. Das um fangreiche Angebot an Arbeitskreisen und Referaten konnte bewältigt werden, indem für die gesamte Tagungszeit zehn, an einem Tag sogar elf Parallelsitzungen eingerichtet wurden. Die anfänglich zahlenmäßig klei nen experimentalpsychologischen Ostertreffen haben sich quantitativ zur Kongreßgröße entwickelt. Die Ostertagung 1983 fand an einer Universität statt, an der die örtli che Geschichte des Faches das Auf und Nieder der deutschsprachigen Psy chologie in diesem Jahrhundert widerspiegelt. Die Wurzeln der Psychologie 1 Erweiterte Fassung des Vorworts zum Abstract-Band der Tagung 2 als Fach reichen in Hamburg bis in die Zeit vor dem 1. Weltkrieg zurück. Noch vor Gründung der Hamburgischen Universität war bereits 1910 am da maligen Hamburger.Allgemeinen Vorlesungswesen ein "Lehrstuhl für Philo sophie, insbesondere Psychologie" eingerichtet worden, auf dem von 1911 bis 1915 Ernst Meumann wirkte. Als sein Nachfolger wurde 1916 William Stern berufen, der auch das von Meumann begründete Psychologische Labora torium übernahm. Stern gehörte zu den Gründungsprofessoren der 1919 aus dem Allgemeinen Vorlesungswesen hervorgegangenen neuen Hamburgischen Universität. Seiner Initiative war es maßgeblich zu verdanken, daß das zunächst in der Innenstadt räumlich beengt untergebrachte Psychologische Laboratorium schließlich 1929 in das neu adoptierte Seminargebäude am Born-Platz (heute Von-Melle-Park 15) übersiedelt werden konnte. 1930 wurde es in "Psychologisches Institut der Hamburgischen Universität" umbenannt. In diesem Gebäude, das noch heute besichtigt werden kann (es beherbergt jetzt Institute des Fachbereichs Philosophie und Sozial wissenschaften), nahm das Sternsche Institut zusammen mit dem Philoso phischen Seminar, dem Ernst Cassirer vorstand, das gesamte 2. Oberge schoß ein. Strukturbildend für das Hamburger Institut war damals die von Stern für so wichtig gehaltene Verknüpfung von Grundlagenforschung und psycholo gischer Anwendung, von Experimentalpsychologie, Differentieller und Ent wicklungspsychologie. So schrieb Stern 1931 in einem Institutsbericht, den er aus Anlaß des im selben Jahr von ihm in Hamburg ausgerichteten XII. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in der Zeit schrift für Angewandte Psychologie veröffentlichte: " ••. es scheint uns auch angemessen, gerade jetzt, wo soviel von der Krise - hie und da so gar von dem Niedergang - der Psychologie gesprochen wird, zu zeigen, wie es in Wirklichkeit um unsere. Wissenschaft steht. Es wird sich das Bild einer inneren Gespanntheit und Bewegtheit ergeben; aber wir meinen, daß diese Gespanntheit ein Symptom starker, auf Neubildung gerichteter Kräfte ist, und daß die Bewegung die Tendenz zum Aufstieg zeigt. Das Hamburger Institut darf für die heute in der deutschen Psychologie wirksamen Strebungen deshalb in gewissem Sinne als Anschauungsbeispiel gelten, weil in ihm die drei großen Aufgaben unserer Wissenschaft: FOP8chung. Lehpe und Anwendung gleichmäßig und in enger Verbindung gepflegt werden, und weil das Institut zugleich bestrebt ist, die kul turelle Verbundenheit der Psychologie durch eine Mannigfaltigkeit von Beziehungen: zu Philosophie und Geisteswissenschaften, zu Medizin und Biologie, zu Erziehung und Unterricht, zu Wirtschaft und Beruf, zu Rechtspflege und Soziologie zu dokumentieren". 3 Die Jahre der Unfreiheit brachen auch diese glanzvolle Entwicklung jäh und tragisch ab: 1933 wurde Wil11am Stern von der Universität verwiesen, 1934 sein Lehrstuhl zur Einrichtung einer Professur für Kunstgeschichte kassiert. Erst fünf Jahre nach Kriegsende, 1950, wurde mit der Berufung von Curt Bondy unter damals schwierigen Bedingungen für das Fach ein neuer Anfang begonnen. Nur wenige Restbestände an Apparaten und Büchern waren aus dem Sternschen Institut erhalten geblieben. Die Psychologie mußte in Hamburg neu aufgebaut werden. Heute ist das Fach an der Universität Hamburg als selbständiger Fach bereich eingerichtet, der in drei Psychologische Institute gegliedert ist. Der Lehrkörper umfaßte im Winter semester 1982/83 18 Professuren und 25 Stellen für Dozenten, Hochschulassistenten bzw. Wissenschaftli che Mitarbeiter. Unterstützt durch eine große Zahl von Lehrbeauftragten bietet der Fachbereich 1.500 Hauptfachstudenten je Semester ca. 450 Wochenstunden an Lehrveranstaltungen an. Wir freuten uns, die 25. Tagung experimentell arbeitender Psychologen in Hamburg auszurichten. Es war zum zweiten Mal, daß diese Tagung nach Hamburg kam, nachdem zuvor Peter R. Hofstätter 1965 die 7. Tagung in Hamburg organisiert hatte. Den Kollegen und Mitarbeitern der Abteilung "Allgemeine, Differentielle und Angewandte Psychologie" des Psychologi schen Instituts I, insbesondere - in alphabetischer Reihenfolge - L. Buse, P. Buttgereit, E. Chahrivar, U. Gründemann, B. Heinze, E. Nehring, M.-L. Nüßgen, N. Sablowski und M. Wietfeldt danke ich für die gute Zu sammenarbeit bei der Planung und Realisation der Tagung, der Universität Hamburg, dem Hochschulamt der Freien und Hansestadt Hamburg und der Deutschen Forschungsgemeinschaft je für ihre Unterstützung, die die Durchführung der Tagung erst möglich machte. Die Wiederentwicklung der deutschsprachigen experimentellen Psychologie nach dem Krieg - ein persönlicher Rückblick Erich Mittenecker Universität Graz, österreich Das Thema, dessen Behandlung mir vorgeschlagen wurde, hat sich sehr bald als zweischneidige Angelegenheit herausgestellt: Einerseits bin ich bei der Sammlung von Materialien und Erinnerungen auf Dinge gestoßen, die auch den im allgemeinen wenig historisch eingestellten Menschen - auch ich zähle mich zu diesen - interessieren könnten; andererseits ist mir bald klar geworden, daß sich bei der Behandlung des Themas die Nennung von Namen, z.B. im Zusammenhang mit verdienstvollen Aktivitäten, nicht vermeiden lassen würden. Aber wehe demj,enigen, der da aus Gründen der Knappheit der Darstellung oder wegen unvermeidlicher Lücken seiner Er innerung oder Nachforschung den einen oder anderen Namen unerwähnt las sen würde. Ich kann mir ganz gut vorstellen, warum es professionelle Historiker vorziehen, über Zeitläufe und Ereignisse zu berichten, für die es keinen Augen- und Ohrenzeugen mehr gibt. Jedenfalls habe ich schon dem Titel hinzugefügt, daß es sich um einen persönlichen Rückblick handelt, um so zumindest einem Teil der möglichen Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Bei der Behandlung meines Problems, nämlich was mit der experimentellen Psychologie um das Kriegsende herum passiert ist und wie es zur Anbah nung der gegenwärtigen Entwicklung gekommen ist, habe ich mich bald auf den Zeitraum des Kriegsendes und der ersten acht bis zehn Nachkriegsjahre konzentriert, weil sich darüber viele Kollegen .von heute keine rechten Vorstellungen mehr machen werden und über diesen Zeitraum auch am ehesten vereinfachende Vorstellungen existieren könnten. Selbstverständlich gab es aber entscheidende Entwicklungen auch nach dem behandelten Zeitraum, nämlich in den späteren Fünfziger- und den Sechzigerjahren, die zur Ge staltung der gegenwärtigen Situation wesentlich beigetragen haben. fiber die Vorgeschichte dieses kritischen Zeitraums in der Entwicklung der experimentellen Psychologie brauche ich nicht viel zu sagen. Es ist allgemein bekannt, daß es deutschsprachige Forscher waren, die schon in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die experimentelle Psycho logie geschaffen haben. Von Leipzig gingen Impulse in die ganze Welt. Das hatte z.B. in österreich bald Auswirkungen bis in den Schulunter- 5 richt hinein. Daß ich bereits vor dem Krieg, mit 17 Jahren, von psycho physischen und sinnespsychologischen Experimenten erfuhr, verdanke ich den "Instruktionen f.ür den Unterricht an den Gymnasien in österreich" (Anon., 1900), in denen es heißt: "Außerdem aber ist das psychologische Experiment nicht zu entbehren, das sich in bezug auf seine didaktische Brauchbarkeit dadurch gerade vor dem physikalischen Experiment auszeich net, daß es sich vielfach auch ohne Apparat in der leichtesten Weise durchführen läßt. Wird die sich daran anschließende Diskussion geschickt eingeleitet und geführt, so ist nicht nur Vertiefung und Dauer der ge wonnenen Einsicht, sondern auch das lebhafteste Interesse der Schüler sicher" (S.277). In diesen Instruktionen wird auch auf das Buch von HöFLER & WITASEK (1900), "Psychologische Schulversuche", verwiesen, das sehr bald danach eine zweite (von 75 auf 100 Versuche erweiterte) Auf lage erlebte. Damals stand offensichtlich ein Aspekt des Experimentes im Vordergrund - und er hatte bis in die Vierzigerjahre im deutschspra chigen Bereich, nicht nur im Unterricht, auch in der Forschung, eine große Bedeutung: durch Versuche etwas kennenlernen, etwas entdecken, das man aus der Alltagserfahrung, ohne Hilfe des Experiments, nicht kennt, anhand des Phänomens sich aber auch Gedanken zu machen1 durch die spätere Vorführung, die Demonstration, andere überraschen, überzeu gen, belehren. Ganz verlorengegangen ist dieser Aspekt jedoch bis heute nicht, er ist übrigens auch besonders deutlich in der Innsbrucker Schule (ERISMANN - KOHLER, z.B. in den Brillen-Versuchen, KOHLER, 1951). Von den Fünfzigerjahren an geriet der andere Aspekt des Experiments mehr und mehr in den Vordergrund: das systematische Variieren von Bedingungen, das immer komplizierter werdende Gegeneinander-Ausspielen von Wirkfakto ren in exakt auswertbaren Versuchsplänen, während die Realisierung der Versuche oft einer mehr oder weniger interessierten Hilfskraft überlas sen wurde. Der Niedergang der bereits mächtig entwickelt gewesenen deutschsprachi g~n Forschung im Krieg und unmittelbar danach drückt sich deutlich in der Gesamtzahl der veröffentlichten Psychologie-Titel pro Jahr aus (Abb. 1, nach den Zahlenangaben in WELLEK, 1965). Im experimentellen Bereich war das Tief um das Kriegsende herum noch ausgeprägter, als es sich in der Gesamtzahl der Publikationen zeigt. Aus dieser Darstellung geht auch schon hervor, warum ich mich hier auf den Nachkriegszeitraum bis zur Mitte der FünfZigerjahre konzentrieren kann: der steilste Wiederanstieg fand im Jahr 1953 statt, auf eine schon für die Vorkriegszeit aharakteristische Höhe (von 661 auf 1598, also um fast 1000), besonders auch aufgrund der Zunahme der experimentellen