Fortschritte der chemischen Forschung 11. Band, 1. Heft eh. Reichardt und Lösungsmittel und empirische Parameter zur K. Dimroth Charakterisierung ihrer Polarität ................ . O. Fuchs Lösungen von makromolekularen Stoffen. . . . . . . .. 74 .f. Falbe und B. Cortlils Oxo-Alkohole als Lösungsmittel ................. 101 L. Rohrschneider Der Lösungsmitteleinfiuß auf die gas-chromato graphische Retention gelöster Stoffe. . . . . . . . . . . . .. 146 In kritischen Übersichten werden in dieser Reihe Stand und Entwicklung aktu eller chemischer Forschungsgebiete beschrieben. Sie wendet sich an alle Chemiker in Forschung und Industrie, die am Fortschritt ihrer Wissenschaft teilhaben wollen. In der Regel werden nur Beiträge veröffentlicht, die ausdrücklich angefordert worden sind. Schriftleitung und Herausgeber sind aber für ergänzende Anregungen und Hinweise jederzeit dankbar. Manuskripte können in den "Fortschritten der chemischen Forschung" in Deutsch oder Englisch veröffentlicht werden. Jedes Heft der Reihe ist auch einzeln käuflich. This series presents critical reviews of the present position and future trends in modern chemical research. It is addressed to all research and industrial chemists who wish to keep abreast of advances in their subject. As a rule, contributions are specially commissioned. The editors and publishers will, however, always be pleased to receive suggestions and supplementary in formation. Papers are accepted for "Fortschritte der chemischen Forschung" in either German or English. Single issues may be purchased separately. Herausgeber: Prof. Dr. A. Davison, Department of Chemistry, Massachusetts Institute of Techno logy, Cambridge, Mass. 02139jUSA - Prof. Dr. M. J. S. Dewar, Department of Chemistry, The University of Texas, Austin, Texas 78712/USA - Prof. Dr. K. Hafner, Institut für Organische Chemie der TH, 6100 Darmstadt, Schloßgarten straße 2 - Prof. Dr. E. Heilbronner, Laboratorium für Organische Chemie der ETH, CH-8006 Zürich, Universitätsstraße 6 - Prof. Dr. U. Hofmann, Institut für Anorganische Chemie der Universität, 6900 Heidelberg I, Tiergartenstraße - Prof. Dr. Kl. Schäfer, Institut für Physikalische Chemie der Universität, 6900 Heidelberg I, Tiergartenstraße - Prof Dr. G. Wittig, Institut für Organische Chemie der Universität, 6900 Heidelberg I, Tiergartenstraße. Schriftleitung: Dipl.-Chem. F. Boschke, Springer-Verlag, 6900 Heidelberg I, Postfach 1780 ISBN 978-3-662-23685-7 ISBN 978-3-662-25774-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-25774-6 SPRINGER-VERLAG BERLIN HElDELBERG GMBH Lösungsmittel und empirische Parameter zur Charakterisierung ihrer Polarität Priv.-Doz. Dr. eh. Reichardt und Prof. Dr. K. Dimroth Illstitut für Organische Chemie der Universität Marburg (Lahn) Inhalt 1. Einleitung ...................................................... . 2. Lösungsmitteleffekte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2.1 Lösungsmitteleinfiuß auf chemische Gleichgewichte. . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.2 Lösungsmitteleinfiuß auf die Reaktionsgeschwindigkeit ............ 7 3. Empirische Parameter der Lösungsmittelpolarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 3.1 Empirische Parameter aus Gleichgewichtsmessungen . . . . . . . . . . . . . . . 13 3.2 Empirische Parameter aus kinetischen Messungen. . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3.3 Empirische Parameter aus spektroskopischen Messungen. . . . . ... . . . 15 3.4 Empirische Parameter aus gaschromatographischen Messungen. . . . . 18 3.5 Die ET-Werte der Pyridinium-N-phenolbetaine ..................• 19 4. Korrelation zwischen ET-Werten und anderen Parametern der Lösungs- mittelpolarität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 5. Korrelation zwischen ET-Werten und weiteren lösungsmittelabhängigen Vorgängen ...................................................... 39 6. Literatur .......................................................• 69 1. Einleitung Das Interesse an Lösungsmittelproblemen ist in den letzten Jahren außer ordentlich gestiegen. Die Erweiterung der Skala an leicht verfügbaren, bis vor kurzem nur wenig oder nicht bekannten Lösungsmitteln, die Ent deckung oft überraschender Wirkungen von einzelnen Lösungsmitteln auf den Verlauf chemischer Reaktionen oder auf die physikalischen Eigenschaften der in ihnen gelösten Verbindungen und das Bestreben des Chemikers, zu einem tieferen Verständnis der Reaktionsmechanismen gelöster Stoffe zu gelangen, sind die wichtigsten Gründe hierfür. Die Vorstellungen über die Natur der flüssigen Lösungen haben sich seit Beginn dieses Jahrhunderts stark gewandelt. Während man zunächst unter dem Eindruck der für alle Lösungen gültigen, von der Zustands gleichung idealer Gase ableitbaren osmotischen Gesetze glaubte, daß sie am ehesten mit Mischungen von Gasen vergleichbar seien, führten andere Überlegungen, die die spezifischen Wechselwirkungen zwischen Lösungs mittel und Gelöstem betrachten, zu einem Modell, das mehr einem kristal linen Festkörper entspricht. Beide Extreme unterscheiden sich wesentlich 1 Fortsehr. ehem. Forseh., Bd. 11/1 1 eh. Reichardt und K. Dimroth in ihrem Ordnungsgrad. Im ersten Falle sollten sich alle in der Lösung befindlichen Teilchen völlig ungeordnet und frei beweglich verteilen (ideale Lösung), im zweiten Falle sich dagegen streng orientieren und sich nur durch zusätzliche Kräfte aus ihrer günstigsten Lage entfernen lassen (nichtideale Lösungen; kristalline Flüssigkeiten). Keines der beiden Modelle läßt sich ohne Einschränkung auf eine Lösung anwenden. Zwi schen ihnen gibt es aber eine solche Breite von Varianten, daß es sinnlos scheint, ein allgemein gültiges Modell herauszustellen. Man hat vielmehr in jedem einzelnen Fall zu untersuchen, wie weit sich die Wirklichkeit dem einen oder anderen Extrem nähert. Die Lösung solcher Probleme ist äußerst schwierig und bisher so gut wie nirgends befriedigend geglückt. Es ist schon nicht einfach, den inneren Bau eines reinen Lösungsmittels allein mit genügender Genauigkeit aus findig zu machen. Sobald aber die äußeren Bedingungen wie Druck und Temperatur geändert werden oder andere Lösungsmittel und andere Stoffe dazukommen, kann sich die innere Flüssigkeitsstruktur grund legend ändern, wobei Art und Ausmaß dieser Änderungen von vielen Faktoren abhängen. In den seltensten Fällen wird man also ein Lösungsmittel als ein in differentes Medium ansehen können, in das hinein der zu lösende Stoff - wie ein Gas in einen mit einem anderen Gas gefüllten Raum - zu diffun dieren vermag, um sich dort gleichmäßig und ungeordnet statistisch zu verteilen, wobei nur die Vermehrung an Entropie als treibende Kraft wirkt. Fast immer wird dagegen das Lösungsmittel mit dem zu lösenden Stoff in Wechselwirkung treten, um ihn aus seinem früheren Verband herauszulösen. Hierbei muß also durch die aus der Wechselwirkung zwi schen Lösungsmittel und gelösten Teilchen resultierende Solvatations energie die Energie, mit der die Teilchen in dem zu lösenden Stoff zu sammengehalten werden - bei Kristallen die Gitterenergie -, aber auch ein Teil der Energie, mit der die Lösungsmittelmoleküle selbst aneinander haften, überwunden werden. Bei Lösungsmitteln, die wie Wasser einen relativ hohen Grad an innerer Strukturierung zeigen, kann dieser letztere Betrag beträchtlich und von großem Einfluß auf den Lösungsvorgang sein. Auf jeden Fall ist hier der Anteil der speziellen Wechselwirkung zwischen den Molekülen des Lösungsmittels und des gelösten Stoffes er heblich und entscheidender als der Entropiefaktor. Die verschiedene Löslichkeit eines Stoffes in dem oder jenem Lösungsmittel spiegelt die Individualität der verschiedenen Systeme wieder und mag einen Anhalts punkt für den Grad an "Solvatation" liefern. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Erforschung der Art der Kräfte, welche die Wechselwirkung zwischen gelösten Teilchen und Lösungsmittelmolekülen und somit das Phänomen der Solvatation zu standebringen. 2 Lösungsmittel und empirische Parameter zur Charakterisierung ihrer Polarität Die Wechselwirkungsenergie kann die Größenordnung von Bindungs energien erreichen, so daß das Lösungsmittel schon als Reaktionspartner zu betrachten ist und in die Reaktionsgleichung mit eingehen sollte. Die Isolierung zahlreicher Solvate (wie Hydrate, Ammoniakate, Dimethyl sulfoxid-Solvate u.a.) vorzugsweise anorganischer Substrate mag ein Beispiel hierfür sein. Je nach thermodynamischer Stabilität dieser Solvate kann man dabei zwischen Komplex- und Molekülverbindungen unter scheiden (28,57). Man spricht in diesem Zusammenhang auch von "koor dinierenden Lösungsmitteln" ("Co-ordinating solvents"), wenn die Wechselwirkung von der Art einer Säure-Basen-Beziehung nach Lewis ist (19, 45). Man muß sich aber darüber klar sein, daß zwischen den beiden Extremfällen, der einfachen Solvatation als Folge schwacher van der Waals-Kräfte bis zur definierten chemischen Veränderung des Substrats durch das Lösungsmittel, keine prinzipiellen Unterschiede bestehen und daß bei nur gradueller Differenzierung alle möglichen übergänge exi stieren. Insbesondere spektroskopische Methoden haben gezeigt, daß die Kräfte, die die Assoziation der gelösten Teilchen mit den Lösungsmittel molekülen zustandebringen, nicht nur aus den klassischen elektrostati schen Coulombkräften zwischen Ionen, permanenten Dipolen (Richt kräfte), permanenten und induzierten Dipolen (Induktionskräfte) und atomaren Dipolen (Dispersionskräfte) bestehen. Sie umfassen auch spezi fische Wechselwirkungskräfte, die die Bildung von Wasserstoffbrücken oder Elektronen-Donator-Acceptor-Komplexen (7) hervorrufen ("spezi fische Solvatation"). Für den organischen Chemiker, der sich ständig mit Lösungsmittel problemen konfrontiert sieht, sind gewisse Vorstellungen, Regeln und Richtlinien für die Brauchbarkeit der verfügbaren Lösungsmittel uner läßlich. Ein gewisses Fingerspitzengefühl, gewonnen aus der Erfahrung, aus zahlreichen Analogieschlüssen und modellhaft groben Vorstellungen über die Struktur der Lösungen ist heute fast alles, was ihm weiterhilft. Der alte Satz, daß sich Ähnliches in Ähnlichem löst, bedeutet in erster Linie, daß man zwischenmolekulare Kräfte ähnlicher Art und Größe benötigt, um die Solvatation zu fördern. Auch die Einteilung in hydro phile und lipophile Stoffe und Lösungsmittel ist oft nützlich. Besonders bewährt hat sich eine Einteilung der Lösungsmittel in Anlehnung an A. J. Parker (48, 51) in drei große Gruppen, wobei ihre Polarität und ihre Fähigkeit zur Bildung von Wasserstoffbrückenbindungen im Vorder grund stehen: a) Unpolare aprotonische Lösungsmittel: Lösungsmittel mit niedriger Dielektrizitätskonstanten (8 <15) und kleinem Dipolmoment (p=ü bis 2 Debye), deren Wechselwirkung mit dem Gelösten relativ gering ist und I" 3 eh. Reichardt und K. Dimroth allein auf den unspezifischen Dispersions-, Induktions-und Richtkräften beruht (Kohlenwasserstoffe, Halogenkohlenwasserstoffe). b) Dipolar aprotonische Lösungsmittel: Lösungsmittel mit einer hohen Dielektrizitätskonstanten (e > 15) und großem Dipolmoment (p, >2,5 Debye), die, obgleich sie Wasserstoffatome enthalten, keine Wasserstoff brückenbindungen bilden können (N.N-disubstituierte Säureamide, Sulf oxide, Nitrile, Ketone, Nitrokohlenwasserstoffe). Sie besitzen meist ein same Elektronenpaare, an die sich Atome, Ionen oder Moleküle mit Acceptoreigenschaften anlagern können, so daß mehr oder weniger feste koordinative Bindungen entstehen. Sie werden daher auch zu den koordi nierenden Lösungsmitteln ("co-ordinating solvents" (19,45)) gezählt. c) Protonische Lösungsmittel: Lösungsmittel mit Gruppen, in denen ein Wasserstoffatom an ein elektronegatives Atom gebunden ist (-OH, -NH-) und die durch dieses "acide" Wasserstoffatom in der Lage sind, als Wasserstoffbrücken-Donatoren zu wirken (Wasser, Alkohole, Carbon säuren, Säureamide). Diese Einteilung ist keineswegs scharf und hat in erster Linie heuristi schen Wert. Ihre Bewährung verdankt sie vor allem der Herausstellung der dipolar aprotonischen Lösungsmittel und ihrer außergewöhnlichen Eigenschaften in Bezug auf die Kationen- undAnionensolvatation (51). 2. Läsungsmitteleffekte Die Wirkung eines Lösungsmittels auf einen Stoff läßt sich vielfach un mittelbar an der Veränderung einer physikalischen Eigenschaft des solva tisierten Teilchens erkennen. Besonders geeignet hierfür sind optische Methoden wie die Messung von Elektronenanregungs-, Infrarot-, Kern resonanz-oder auch Elektronenspinresonanz-Spektren. Ihre Veränderung beim Wechsel des Lösungsmittels läßt auf Art und Größe der Wechsel wirkung schließen und wird in letzter Zeit in steigendem Maße einerseits zu deren Untersuchung, andererseits aber auch zur Kennzeichnung be stimmter konstitutioneller Eigenschaften der gelösten Stoffe benutzt, wenn die physikalischen Eigenschaften in einer bestimmten Weise von der Natur der Lösungsmittel abhängen. Neben diesen mehr statischen Effekten interessieren besonders die dynamischen Lösungsmitteleffekte, die sich auf den Verlauf chemischer Reaktionen hinsichtlich der Lage des Gleichgewichts wie auch der Reak tionsgeschwindigkeit beziehen. O. Dimroth hat gefunden (15), daß man die Verschiebung chemischer Gleichgewichte in verschiedenen Lösungs mitteln mit dem Massenwirkungsgesetz erfassen kann, wenn man anstelle der Konzentration die Löslichkeiten einsetzt. Mit dieser am Beispiel des Lösungsmitteleinflusses auf die Umwandlung von Isomeren (wie z. B. 4 Lösungsmittel und empirische Parameter zur Charakterisierung ihrer Polarität I-Phenyl-5-amino-in 5-Anilino-1.2.3-triazol-4-carbonsäureester) oder die Bildung von Molekülverbindungen (wie z. B. Anthracen-pikrat) auch experimentell erhärteten Beziehung (15) läßt sich die Lage vieler Gleich gewichtssysteme vorausberechnen, sobald man die Löslichkeit der ein zelnen Komponenten in den verschiedenen Lösungsmitteln kennt. Bei Kenntnis der Löslichkeiten in verschiedenen Lösungsmitteln läßt sich z. B. ohne weiteres voraussagen, in welchen Lösungsmitteln und bei wel cher Temperatur eine Molekülverbindung (charge-transfer-Komplex) aus fällt und isoliert werden kann. Die kaum bekannten grundlegenden Untersuchungen hierüber (15 b) sind von großer praktischer Bedeutung, die weit über den engen Bereich der Molekülverbindungen hinausgehen dürfte, da sie aus einmal experimentell bestimmten Löslichkeiten in ver schiedenen Lösungsmitteln und mit Hilfe der lösungsmittelabhängigen Gleichgewic.htskonstanten eine allgemeine Aussage über die Lage des Gleichgewichtes dieses Systems in jedem anderen Lösungsmittel er möglicht. Außerordentlich umfangreich ist das Material über die Beeinflus sung der Reaktionsgeschwindigkeit durch Lösungsmittel. Während bei der Beeinflussung der Gleichgewichtslage durch das Lösungsmittel die Solvatation von Ausgangs-und Endprodukten entscheidend ist, muß bei der Frage nach der Beeinflussung der Reaktionsgeschwindigkeit die je weilige Solvatation von Ausgangsverbindungen und aktiviertem Komplex (d. h. der Reaktionspartner im Übergangszustand) gegeneinander abge wogen werden. Der Wechsel des Lösungsmittels kann sogar einen Wechsel des Reaktionsmechanismus bewirken. Freilich sind Aussagen über den aktivierten Komplex und dessen Solvatation stets mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Der Lösungsmitteleinfluß auf Gleichgewichtslage und Reaktions geschwindigkeit soll an einigen Beispielen skizziert werden. 2.1 Lösungsmitteleinfluß auf chemische Gleichgewichte (42) Der Lösungsmitteleinfluß auf die Lage eines chemischen Gleichgewichtes sei am Beispiel der gut untersuchten Keto-Enol-Tautomerie von 1.3- Dicarbonylverbindungen erläutert. K. H. Meyer beobachtete, daß der Enolgehalt von Acetessigester und verwandter Verbindungen stark vom verwendeten Lösungsmittel ab hängt (47). Er verglich die Gleichgewichtskonstanten K keto-enol T tautomerer Verbindungen in verschiedenen Lösungsmitteln miteinander und fand, daß sie einander proportional sind. Für jedes Lösungsmittel gilt daher die Beziehung K L E CEnol (1) T= CKeto = . , 5 eh. Reichardt und K. Dimroth wobei E als "Enolkonstante" die Enolisierungstendenz der Ketoform widerspiegelt und L als "desmotrope Konstante" ein Maß für das Enoli sierungsvermögen des Lösungsmittels ist. K. H. Meyer setzte die Enol konstante des als Bezugssubstanz verwendeten Acetessigesters willkür lich gleich 1. Die Werte für L sind dann zahlenmäßig gleich der Gleich gewichtskonstanten des Acetessigesters in verschiedenen Lösungsmitteln. Nach dem J. H. van't Hoff-O. Dimrothschen Gesetz (15, 31) sind die Gleichgewichtskonzentrationen von Keto- und Enol-Form deren Löslich keit L in dem betreffenden Solvens proportional und es gilt (2) wobei G eine von der Natur des Lösungsmittels unabhängige, für jede Umlagerung charakteristische Konstante ist (66). Der Einfluß des Lö sungsmittels auf die Gleichgewichtslage kann also auf Unterschiede in der Löslichkeit der beiden Tautomeren zurückgeführt werden und läßt keinen Zusammenhang mit der Dielektrizitätskonstante der Lösungs mittel erkennen. KT ist bei cis-enolisierenden 1.3-Dicarbonylverbindungen vom Typ des Acetessigesters um so größer, je weniger polar das Lösungsmittel ist; cis-Enole sind in unpolaren Lösungsmitteln löslicher als in polaren. Dieser zunächst überraschende Befund wird durch die Chelat-Theorie (21) hin reichend erklärt. Durch intramolekulare Chelatbildung vermittels einer Wasserstoffbrücke wird der polare Charakter der enolischen OH-Gruppe maskiert und somit auch ihr hydrophiler Charakter geschwächt. Der stabilisierende Einfluß einer Wasserstoffbrücke wird um so größer sein, je weniger die Chelatbildung durch konkurrierende Ausbildung von Wasserstoffbrücken mit den Lösungsmittelmolekülen gestört ist. Danach ist plausibel, daß sich das Keto-Enol-Gleichgewicht in aprotischen Lö sungsmitteln in Richtung auf die Enol-Form verschiebt. Diese überlegungen gelten nur für genügend verdünnte Lösungen, da sonst die tautomere Substanz selbst als Lösungsmittel mitwirkt und dann der Einfluß der "Eigensolvatation" (3) mit zu berücksichtigen ist. Die Lage eines Gleichgewichtes wird bei exakter thermodynamischer Betrachtung durch die Änderung der Freien Enthalpie LI G bestimmt. Nach Briegleb und Strohmeier (8) (vgI. auch (44)) wird die Gleichgewichts lage in Lösung nach GI. (3) von der Differenz der Solvatationsenthalpien von Keto- und Enol-Form sowie der damit verbundenen Entropie änderung bestimmt. ± LI Gketo-enol = LI H keto-enol LI H solv - T . LI Sketo-enol - T . LI SSOlv (3) 6 Lösungsmittel und empirische Parameter zur Charakterisierung ihrer Polarität Da es jedoch wegen der oben angedeuteten Kompliziertheit der Wechselwirkungen bisher nicht gelungen ist, die Solvatationsenthalpien und -entropien von Keto- und Enol-Form in verschiedenen Lösungs mitteln quantitativ zu erfassen, ist auch die Herstellung einer quantita tiven Beziehung zwischen der Freien Enthalpie LI G bzw. der Gleichge wichtskonstanten K und dem Solvatationsvermögen (d.h. der "Polari tät") der Lösungsmittel etwa in Form einer Funktion wie in GI. (4). LlG=f(e,fl, ... ) oder lnK=f(e,fl, ...) (4) (e = Dielektrizitätskonstante, fl = Dipolmoment des Lösungsmittels) nicht möglich gewesen. Berechnungen der intermolekularen Wechsel wirkungen zwischen Lösungsmittel und gelöstem 1.3-Diketon unter Zu grundelegung der Onsager-Kirkwoodschen Theorie (49) sind von}. Powl ing und H. J. Bernstein (52) unternommen worden und haben zu einer Be ziehung zwischen der Enthalpieänderung LI Hund (e-l)/(2e+ 1) geführt, die allerdings wegen Vernachlässigung der gerade hier bedeutsamen Was serstoffbrücken-Bindungskräfte nur mit Einschränkung gültig sein kann. Ähnliche Überlegungen lassen sich auch für die Lösungsmittelab hängigkeit anderer Tautomeriegleichgewichte (z.B. p-Nitrosophenol ~Chi nonmonoxim (53)) als auch für den Lösungsmitteleinfluß auf Säure-Basen Gleichgewichte (vgI. (45)) , A ssoziations- und Dissoziationsgleichgewichte (z.B. des Hexaphenyläthans (73) oder von Hydrazin-Derivaten (69)), Konformationsgleichgewichte (z. B. zwischen axialen und äquatorialen Konformeren substituierter Cyclohexane (68)), und Valenztautomerie- gleichgewichte (z. B. Oxepin ~Benzoloxid (67)) anstellen. . 2.2 Lösungsmitteleinfluß auf die Reaktionsgeschwindigkeit (43) Der Einfluß des Lösungsmittels auf die Reaktionsgeschwindigkeit wurde bereits 1862 von M. Berthelot und L. P. de Saint Gilles (6) bei der Vereste rung von Essigsäure mit Äthanol beobachtet. N. M enschutkin (46) hat diesen Einfluß in grundlegenden Arbeiten bei der Bildung quartärer Ammoniumverbindungen aus Alkylhalogeniden und tertiären Aminen erstmals ausführlicher untersucht. Inzwischen wurden auf diesem Gebiet große Fortschritte erzielt, die vor allem der Tatsache zu verdanken sind, daß man lernte, das Solvata tionsvermögen eines Lösungsmittels nicht nur als Folge seiner Dielektrizi tätskonstanten und seines Dipolmomentes aufzufassen, sondern auch seiner Fähigkeit, als Protonen- oder Elektronendonator zu wirken. Die Erkenntnis, daß protonische Lösungsmittel infolge ihres Wasser stoffbrückenbindungsvermögens besonders gut Anionen solvatisieren 7 eh. Reichardt und K. Dimroth (und zwar um so besser, je kleiner und elektronegativer diese sind), dipolar aprotonische Lösungsmittel dagegen Anionen nur schlecht solva tisieren (und dann um so besser, je größer und polarisierbarer diese sind), während sich für die Kationensolvatation die Verhältnisse umkehren (48,51), hat zu außergewöhnlich wertvollen Regeln für die Auswahl des für eine bestimmte chemische Reaktion geeignetsten Lösungsmittels geführt. Bei diesen Untersuchungen wurden als dipolar aprotonische Lösungs mittel vorzugsweise Dimethylformamid (36), Dimethylsulfoxid (58) und in letzter Zeit Hexamethyl-phosphorsäuretriamid (14) verwendet. Die dabei gefundenen qualitativen Beziehungen zwischen Lösungsmittel und Reaktionsgeschwindigkeit seien an einigen Beispielen skizziert. So werden SN I-Reaktionen durch protonische Lösungsmittel (H-L) stark beschleunigt, da die Solvatation des polaren aktivierten Komplexes nicht nur durch die elektrostatische Orientierung der Lösungsmittel moleküle bewirkt wird, sondern insbesondere durch die spezifische Solvatation des Anions gemäß folgendem Reaktionsschema (4, 26, 62): langsam * .. R-X+H-L_ [RaEB ... x8e ... H-L] Re + Xe ... H-L schnen Re _ Produkte Die bekannte Theorie von E. D. Hughes und C. K. Ingold (33, 35) über die Beziehung zwischen der Ionisationsfähigkeit des Lösungsmittels und den Geschwindigkeiten von SN 1-und SN2-Reaktionen berücksichtigt diesen spezifischen Solvatationseffekt nicht. Nach Meinung dieser Au toren läßt sich die Solvatation von Ausgangs- und Übergangszustand im wesentlichen auf eine elektrostatische Orientierung der Lösungsmittel moleküle rund um das gelöste Teilchen zurückführen. Jedoch zeigen die seit der Verwendung von dipolar aprotonischen Lösungsmitteln gesam melten experimentellen Ergebnisse, daß weder das Dipolmoment noch die Dielektrizitätskonstante des Lösungsmittels die entscheidenden Fak toren im Ionisationsprozeß sind, denn aprotonische Lösungsmittel wie Dimethylsulfoxid begünstigen trotz ihrer hohen Dielektrizitätskonstanten (36,7 bzw. 48,9) und ihrer großen Dipolmomente (3,8 bzw. 3,9 D) weder die Ionisation von Alkylhalogeniden noch SNI-Reaktionen. Bei der Beurteilung des Lösungsmitteleinjlusses auf SN2-Reaktionen ist zunächst zu berücksichtigen, daß der nucleophile Charakter eines Anions und damit seine Reaktivität um so größer sind, je weniger es durch eine Solvathülle maskiert ist. Dies bietet auch eine Erklärung für die dem Chemiker lange bekannte Tatsache, daß die Nucleophilie der 8