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Formen heutiger Lyrik : Verse am Rande des Verstummens PDF

153 Pages·1969·3.78 MB·German
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Lisj List Taschenbücher Wilhelm Höck Verse am Rand des Verstummens Die heutige Lyrik in ihren vielfältigen, oft widersprüchlichen, ja sich ausschließen­ den Erscheinungsweisen wird in diesem Buch als Symptom der Epoche, als Aus­ druck der Krisis verstanden, die der Zeit das Gepräge gibt. Mit den Formen heutiger Lyrik sind daher nicht in erster Linie äußere Gestaltungs­ merkmale gemeint, sondern - wenn man so will - Verlautbarungen wesentlicher Haltungen. Wie das Ich sich selber ver­ steht, wie es in seiner eigenen Gesellschaft lebt, ist bereits eine Form; ebenso, wie es mit seiner Welt lebt. Die »äußere« Gestalt des Gedichts, sein Aufbau, sein Wort­ material, gibt umgekehrt Aufschluß über die Verfaßtheit des Menschen in einer fast unüberschaubar gewordenen Situation. Gerechtfertigt wird eine solche Betrach­ tungsweise dadurch, daß der Lyriker, überhaupt der Künstler, »stellvertretend der Wirklichkeit begegnet und stellvertre­ tend, also exemplarisch, leidet, erkennt, gestaltet« (Hilde Dornin), und daß die Artikulation dieser exemplarischen Lage einlädt »zu der einfachsten und schwierig­ sten aller Begegnungen, der Begegnung mit uns selbst«. Befragt werden in diesen Überlegungen unter anderem: Hans Arp, Ingeborg Bach­ mann, Hugo Ball, Gottfried Benn, Max Bense, Bertold Brecht, Johannes Bobrowski, Paul Celan, Hilde Dornin, Günter Eich, Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass, Helmut Heißenbüttel, Marie Luise Kasch- nitz, Karl Krolow,Christine Lavant, Franz Mon, Christa Reinig, Peter Rühmkorf und Nelly Sachs. Wilhelm Höck Formen heutiger Lyrik Verse am Rand des Verstummens Paul List Verlag München Deutsche Originalausgabe [ist Taschenbücher 34* 109 © 1969 by Paul List Verlag. Alle Rechte Vorbehalten Printed in Germany. Schrift: Garamond Antiqua Satz und Druck: Presse-Druck- und Verlags-GmbH. Augsburg Bindearbeit: R. Oldenbourg GmbH. München Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung: Disziplinlose Erfahrungen...................................... 7 Schreibenkönnen ist nicht schwer...................................................... 9 Vorläufiges Ende der Geschichte............................................................29 Fragment - »Schönheit« - Prosa - »Menschenbild«............................42 Lyrik - Sprache - Philosophie..................................................................60 Parodie und Endzeitklage.......................................................................77 Monolog und Warngedicht.......................................................................88 Spiel und Gebet, Nonsense und Mystik................................................110 Die symbolische Schönheit des Fragments..........................................137 Als Nachbemerkung: Einige Fragen.....................................................143 Literaturhinweise.....................................................................................148 Für Eva und Wolfgang Roscher auf Abenteuer in der musikalischen Dimension des heutigen Gedichts Vorbemerkung: Disziplinlose Erfahrungen Natürlich kann man »objektiv«, nach Literaturhistorikerart etwa sorgsam Parallelstellen belegend und sich selber abseits lassend, von heutiger Lyrik handeln; doch solche »Objektivität« hätte zur Folge, daß man es als ratsam empfände, sie auf der Stelle wieder durch die bessere Objektivität der Gedichte selber zu ersetzen. Die Exaktheit des Philologen, der von sich absieht, könnte sich angesichts seiner Objekte nur zu leicht als besonders sublime, damit als besonders böse Form der Subjektivität erweisen, aus­ gezeichnet dadurch, daß sie, es »ernst« meinend, nichts ganz ernst nimmt. Der Zugang zu den Dingen in litteris und zu der ihnen innewoh­ nenden humanitas dürfte dagegen sehr wohl derjenige durch die ausdrückliche Subjektivität sein: eine Konfrontation mit den Formen, die nichts vom hinzutretenden Ich außerhalb läßt, ein Risiko des Irrens und Verfehlens, entschieden genug, um schon wieder zur Gewißheit zu werden. Etwas altmodischer gesagt: man sollte beispielsweise über heutige Lyrik so schreiben, daß sich darin nichts weiter spiegelt als eine völlig subjektive »Be­ gegnung«, als eine »Erfahrung« mit ihren sämtlichen Vorein­ genommenheiten und Beschränktheiten. Vielleicht verbürgt allein das, daß etwas gesagt wird, das der subjektiven Gleichgültigkeit der »Objektivität« entrinnt: nämlich die Objektivität des jewei­ ligen so und nicht anders Betroffen-Seins, das am ehesten noch dafür einsteht, daß die lyrischen Gestalten, von denen die Rede ist, als Lebendiges, Notwendiges erfahrbar werden - und sei es im Widerspruch. Nicht zitierbare »Resultate« haben die hier angestellten Überlegungen im Sinn, sondern eher die Aufforde­ rung, auf ähnlich »subjektive«, freilich immer wieder verschie­ dene Weise den Dingen erneut ihre Objektivität, ihre Realität zu bestätigen. (Daß dabei kein systematisches Erfassen des ganzen Phänomens »moderne deutsche Lyrik«, sondern nur ein Verwei­ len bei einigen »kritischen Formen« möglich ist, sollte sich fast von selber verstehen.) Das Folgende möge also so verstanden werden, wie es gemeint 7 ist: als disziplinlos. Es entzieht sich mit voller Absicht der philo­ logischen Selbstdisziplin, um so etwas wie philologisch sein zu können - vorausgesetzt, man nehme es auch in dieser Disziplin mit der Disziplin samt der Systematik (also mit der Objektivität) wenigstens ebenso ungenau. Der Widerspruch gegen das Gesagte, auch gegen die fragmentarische Willkür seiner Anordnung, könn­ te dann audi noch bestätigen, daß es nicht ganz sinnlos ist. W. H. Schreibenkönnen ist nicht schwer . »Du mußt dein Leben ändern.« Rainer Maria Rilke Nie, so scheint es, ließen sich Gedichte leichter schreiben als heute. Man weiß sehr viel, und man kennt sehr viel. Nie war es offenbar einfacher, Gedanken und Bilder lyrisch zu zügeln, sprachhand­ werklich halbwegs untadelige Verse zu verfassen, Wortreihen interessant anzuordnen (»faszinierend« zu »montieren«, wie Gottfried Benn vor anderthalb Jahrzehnten den lyrischen Vor­ gang beschrieb), und die Gedichtbände älterer und jüngerer Autoren, die Jahr um Jahr auf den literarischen Markt (vielleicht mehr zu den Kritikern als zu den unprofessionellen Lesern) kommen, und die recht zahlreichen Anthologien weisen kaum eindeutig Schlechtes auf, das den selbstverständlichen Anstands­ regeln modernen lyrischen Schreibens nicht folgte. (Auch die Lek­ toren sind schließlich poetisch gewitzt.) Daß neben dieser eigent­ lich modernen Lyrik, die es mit der Übernahme und Weiterent­ wicklung bekannter Errungenschaften in Empfindung und Aus­ druck durchaus ernst meint, für den Bedarf etwa des Provinz­ blattfeuilletons oder des Gesangbuchs weiterhin Verse in schön gereimter Eichendorff- und Volksliednachfolge und ähnliches ent­ stehen, ändert nichts am Gesamtbild; ändert nichts daran, daß im Bereich des Diskutablen die Quantität offenbar schon eine Quali­ tät ist, nämlich ein Wesensmerkmal derzeitiger lyrischer Betäti­ gung. Studiert man halbwegs aufmerksam den zur Verfügung stehen­ den Vorrat in Versen, wird man rasch erfahren, was man heute im Gedicht kann und darf, wie man etwas zustande bringt, das sich sehen (wenn auch nicht unbedingt hören) lassen kann. Vor ein paar Jahren erschien, herausgegeben von Armin Schmid, ein Band Primanerlyrik Primanerprosa, und diese Sammlung läßt deutlich erkennen, in welchem Maß auch der Anfänger in litteris bei einiger Beflissenheit, rhythmisch-sprachliches Talent sowie zeitgemäße Empfindungen vorausgesetzt, interessante Sprach- und Versgebilde herstellen kann, die durchaus den Anschein des 9 Bedeutenden oder wenigstens des aktuell Stichhaltigen haben. Ein Gedicht von Eberhard Delius trägt die Überschrift am fenster stehen; die beiden ersten Strophen lauten: oder auf grünem teppich zwisdien Zeitungen balancieren gleichgewicht bewahren auf glattem papier oder ein buch aufschlagen das gerade der geschichtslehrer vergessen und versuchen ins horn vergeblicher revolutionen zu blasen ... Die Infinitive, die das Probeweise eines bestimmten Existierens und die Austauschbarkeit der Verhaltensweisen demonstrieren, geben dem Gedicht das Flair des Altklugen, Lebensmüden, neh­ men dem Ich, das da spricht, die personale Eindeutigkeit; die »oder«-Verknüpfungen legen nahe, Kausalität und Konsequenz als scheinhaft zu durchschauen; die Spannungen zwischen Satz- (Gedanken-)Rhythmus und Versfhythmus und der Verzicht auf Interpunktionen stehen in einem hübschen Kontrast zu den alliterierenden Bindungen innerhalb der Verse und Strophen und zu den recht geschickt angelegten Modulationen der Vokalisation. Man könnte ein solches Gedicht nach den Regeln der philologi­ schen Kunst durchinterpretieren und eine Perspektive von Stim­ migkeiten aufweisen, die dann Anlaß genug wären, ein solches Gebilde dem Bereich der lyrischen »Kunst« zuzuordnen. Ließe man es an der gespannten Aufmerksamkeit nur etwas fehlen, würde man vielleicht überhaupt nichts bemerken, wenn solche Verse versehentlich etwa in einen Gedichtband von Karl Krolow gerieten, zum Beispiel neben das Solo für eine Singstimme: io

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