Nikolai Iliev Flexibilität in Rahmenverträgen GABLER EDITION WISSENSCHAFT Nikolai Iliev Flexibilität in Rahmenverträgen Ansatz zur standardisierten Ausgestaltung und Risikobeherrschung für das Materialmanagement Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Paul Schönsleben Deutscher Universitäts-Verlag Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. Dissertation Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich, 2007 1. Auflage September 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWVFachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frauke Schindler / Britta Göhrisch-Radmacher Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbe- sondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. indiesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0902-8 Geleitwort In Käufermärkten hat der Kunde die Tendenz, die Lieferbereitschaft zu Lasten des Lieferanten zu fordern. Der Kunde minimiert seine Bestände. Geschieht dies ohne Zusammenarbeit mit dem Lieferanten, dann bleibt diesem nichts anderes übrig, als schliesslich seinerseits Bestände an Halb- oder Fertigprodukten zu führen. Die Kosten verlagern sich dann ganz einfach von Kunden zum Lieferanten, bleiben aber in der ganzen Supply Chain sehr wohl erhalten und reduzieren deren Konkurrenzfähigkeit. Diese Tatsache veranlasste die führenden OEM schon seit einiger Zeit, mit Schlüssellieferanten enger zu kooperieren. Von besonderer Bedeutung in der Kooperation zwischen Kunde und Lieferanten sind Rahmenaufträge. Diese unterscheiden sich von bloßen Vorhersagen dadurch, dass der Kunde sich nicht nur über eine wahrscheinliche Abnahmemenge pro Artikel und Zeitperiode äussert, sondern sich verbindlich auf eine maximale und – vor allem auch – eine minimale Abnahmemenge festlegt. Je kleiner die Differenz zwischen maximaler und minimaler Abnahmemenge ist, desto günstiger wird die Beschaffung und Herstellung für den Lieferanten, da er besser planen kann. Gerade in gesättigten Märkten kann es gerne vorkommen, dass der Kunde (z.B. ein OEM) seinerseits Schwankungen des Bedarfs seiner Kunden (z.B. der Verbraucher) insbesondere nach unten akzeptieren muss. Es hat dann aus seiner Sicht keinen Wert, zu enge Grenzen in den Rahmenverträgen festzulegen. Auch kann es ohne weiteres vorkommen, dass sogar die minimale Abnahmeverpflichtung sich als zu hoch erweist. In solchen Situationen hat es sich für manche Geschäftspartner als vorteilhaft erwiesen, Regeln festzulegen, welche die Flexibilität der Rahmenaufträge beschreiben. Dies betrifft sowohl die sogenannte Volumenflexibilität, d.h. die Abweichung von maximaler und minimaler Abnahmemenge von einer wahrscheinlichen Abnahmemenge, als auch die zeitliche Flexibilität, d.h. die Verschiebung von Anteilen einer bestimmten Menge in die Zukunft. Mit solchen Vorgaben kann der Lieferant die maximalen Bestände berechnen, welche sich bei ihm aufgrund der seinem Kunden gewährten Flexibilität ergeben, und damit auch sein Lagerhaltungsrisiko. Eine solche transparente Rechnung (open book) kann sodann – bei partnerschaftlichen Verhältnissen – als Grundlage für Ausgleichszahlungen des Kunden an den Lieferanten herangezogen werden. Jedoch besteht in der Praxis selten Einigkeit über die Höhe der Ausgleichszahlungen, da die Einholung einer Transparenz über vertraglich resultierende Lagerbestände sich als sehr aufwendig erweist und die Partner zum Schutz ihrer eigenen Interessen die Objektivität gegenseitiger Angaben häufig anzweifeln. Im Zusammenhang mit der Flexibilisierung von Rahmenaufträgen gibt es interessanterweise äusserst wenig Literatur in Wissenschaft und Praxis. Die Gründe für diese Tatsache liegen wohl darin begründet, dass sogar einfachste Flexibilitätsregeln sehr schnell zu enormen Schwierigkeiten in der genügend genauen Berechnung der Lagerhaltungskosten, die sich zur Gewährung dieser Flexibilität ergeben, führen. Die meisten Arbeiten konzentrieren sich auf eine im Zeitverlauf stochastische Ermittlung von Lagerhaltungsrisiken für limitierte Spezialfälle, die kaum die mannigfaltigen Realitäten vieler unterschiedlicher Geschäftsvorfälle abbilden können. VI Geleitwort Hier setzt die Arbeit von Herrn Iliev an. Sie erweitert systematisch den Wissensstand sowohl in der Festlegung von Standards für flexibilitätsorientierte Rahmenverträge, als auch in der äusserst schwierigen rechnerischen Herleitung der sich ergebenen Lagerhaltungsrisiken. Herr Iliev definiert ein theoretisch fundiertes, analytisches Modell mit einem Satz von standardisierten Parametern, die in Vertragsklauseln festgelegt werden können und welche zusammen die Flexibilität von Rahmenaufträgen definieren. Für die definierten Standardverträge ist es erforderlich, den Parametern in Abhängigkeit bestimmter Vertragskonstellationen gewisse Einschränkungen zu unterlegen – und das ist genau die „Kunst“ in diesem Modell. Diese Einschränkungen kundenseitiger Flexibilität sind nötig, um Vertragskonzepte auf eine beiderseitig solide und nachvollziehbare Geschäftsgrundlage zu stellen. Die gewählten Einschränkungen der Flexibilitätsparameter scheinen zum Teil leicht verständlich zu sein. Sie sind aber – ausgehend von Beobachtungen und Ideen in Betrieben der Praxis – nach vielen aufwendigen Recherchen und Rechenarbeiten entstanden. Die Komplexität der Berechnung der Lagerhaltungskosten ergibt sich zum einen wegen der Anzahl der Parameter: obwohl es nur wenige sind, beeinflussen sie sich gegenseitig. Zum anderen ergibt sich die Komplexität vor allem wegen der Zeitachse: Die Entscheidungen (d.h. Werte für die Parameter) in einer Planungsperiode haben Konsequenzen für die Lagerhaltungskosten und auch für die Entscheidungsfreiheit in nachfolgenden Planungsperioden. Der Herausforderung die Kostenberechnungen für zusätzliche Lagerhaltung rechnerisch nachvollziehbar und transparent darstellen zu können, ist die vorliegende Arbeit in hohem Maß gerecht geworden. Der Anspruch auf Machbarkeit wird durch die Umsetzung des entwickelten Konzepts im Rahmen einer Fallstudie bei einem Unternehmen der Elektronikindustrie untermauert. Die Arbeit von Herrn Iliev generiert auf dem wichtigen und anspruchsvollen Themengebiet der Rahmenvertragsgestaltung sehr interessante Erkenntnisse und ebnet einen Weg zur verbreiteten Umsetzung unter eng kooperierenden Unternehmen. Der Arbeit ist daher eine weite Verbreitung in Wissenschaft und Praxis gleichermaßen zu wünschen. Prof. Dr. Paul Schönsleben Vorwort Die Idee zur vorliegenden Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als Assistent am ETH- Zentrum für Unternehmenswissenschaften (BWI) im Bereich Logistik, Operations und Supply Chain Management an der ETH Zürich. Sehr früh beschäftigte mich eines der Kernprobleme des Supply Chain Management: Eine engere Zusammenarbeit zwischen Partnern in der Lieferkette eröffnet bei fairer Aufteilung allen Beteiligten Rationalisierungspotentiale. Doch wie bringt man Unternehmen dazu, ihre Informations- und Geschäftspolitik radikal zu verändern? Wie sind Unternehmen motiviert, solche zum Teil großen Veränderungsvorhaben durchzuführen? Die Antwort schien von Anfang an klar: Durch Transparenz des Nutzens und der Aufwände! Die Vorteilhaftigkeit von Rahmenverträgen als wichtiges Instrument im Supply Chain Management gegenüber bloßen Vorhersagen wurde bereits in verschiedenen stochastischen Modellversuchen bescheinigt, was u.a. für den hohen Verbreitungsgrad spricht. Mein Forschungsbedarf erwuchs aus Beobachtungen in der industriellen Praxis, die eine starke Verzerrung und Uneinigkeit über die entstandenen Kosten und Risiken attestierten. Meine Dankbarkeit gilt an dieser Stelle all den Personen, die mich auf dem Weg von der Konkretisierung des Themas bis zur Abgabe der Doktorarbeit begleitet und unterstützt haben: Besonderer Dank gilt den zahlreichen Industrievertretern, die mir den Anstoß gegeben und die fortlaufende Machbarkeit meines entwickelten Konzepts hinterfragt haben. Der Dank zum Anstoß gebührt dabei Frau Anna Caniglia und Herrn Andreas Hänggi, beide Mitarbeiter in der strategischen Beschaffung und Logistik der ehemaligen Schweizer Niederlassung der Flextronics International Ltd. Ohne die wertvolle Mitarbeit von Vertretern der Firma enics, ehemals Elcoteq, wäre die Arbeit nie so umsetzungsorientiert entstanden. Neben dem Leiter der Kundenprozesse Herrn Christian Pabst und dem Verantwortlichen für Supply Chain Management Herrn Markus Jeck war es Herr Olaf Krämer im Besonderen, verantwortlich für die gesamte innerbetriebliche Logistik vom Kunden hin zum Zulieferer, der das Konzept auf Herz und Nieren geprüft und die Umsetzungsstärke eingefordert hat. Bei ihm bedanke ich mich im Besonderen für die zahlreichen geschäftlichen sowie privaten Diskussionen, die diese Arbeit vorangebracht haben. Mein größter Dank gilt meinem Doktorvater Professor Paul Schönsleben, der es mir ermöglichte diese Arbeit zu schreiben. Er hat mir zum einen stets den Freiraum gewährt, innerhalb dessen sich meine Arbeit entfalten konnte. Zum anderen gelang es ihm durch seine Erfahrung und sein konstruktives Mitwirken in vielen Fragestellungen mir die Inspiration für die innovativen Ideen des Konzepts zu schenken. Bei Herrn Professor Rémy Glardon bedanke ich mich für die angenehme Zusammenarbeit im Forschungsprojekt E-Fulfillment und die freundlich wohlwollende Übernahme des Korreferats sowie den letzten Feinschliff vorliegender Arbeit. VIII Vorwort Des Weiteren bedanke ich mich bei allen wissenschaftlichen Partnern und Industrievertretern des internationalen Forschungsprojekts LicoPro für die produktive Zusammenarbeit und all die wertvollen, fachlichen Diskussionen, die entscheidend zum Gelingen dieses Werks beigetragen haben. Herrn Professor Markus Baertschi und all meinen Kollegen am Lehrstuhl danke ich für die gute und wertvolle Zusammenarbeit sowie die schöne Zeit in Zürich. Schließlich danke ich meinen Eltern Lina und Albert, die mich auf allen meinen Wegen stets unterstützt, gefördert und geformt haben. Ihnen sei dieses Buch gewidmet. Nikolai Iliev Management Summary Quantity flexibility contracts are a prevalent medium in industrial practice aiming at reducing demand and inventory risks with increased fill rates and higher responsiveness. Meanwhile researchers have proved the advantage of such contracts by simulation models. But it still lacks tangible methods for a transparent estimation of negotiable costs and also for implementation on operational level. Against this background a model for configuration and monetary evaluation of flexibility oriented contracts was elaborated. In present work, flexibility stands for target- oriented stocking up of products and components as a reaction to presumed demand uncertainties. Uncertainties comprise flexible volumes over time (volume flexibility), fixed volumes over flexible timeframes (time flexibility), and a mix of both. The model closes currently existing gaps of scientific models and comprises a potential for broad dissemination, due to its tangibility and ease of use. The standardization of elaborated contract schemes enables further concretization of the term flexibility and enables industry-wide applications by developed coherent standardized parameters. These also facilitate an easy and comprehensible calculation of financial risks that are caused by providing flexibility to customer´s orders. The appliance in practice gained high acceptance by the intelligible formulation of flexibility oriented demand patterns and tangible displays of additional risks caused by inevitable stocking. On operational level the grant of volume flexibility was quite easy to implement. Process flows needed to be changed slightly and the adjustment of the ERP-system was manageable. The provision of time flexibility was more complex, due to necessary adaptations of processes and an awkward parametrization of the ERP-system. The challenge was to enable postponements for demand forecasts and to differentiate those concurrently from backorders. A complete and thorough integration of all business processes, from customer´s to suppliers´ interfaces within one company, represents a very important success factor for the realization of these contracts.